Wie haben sich die Sachsen während der Völkerschlacht verhalten?

Die Sachsen, Bernadotte und die Biografen ...

Derzeit beschäftigen mich auch ein wenig die Befreiungskriege und ein Thread dazu wird bestimmt noch eröffnet werden.

In der Bernadotte-Biografie von Girod de l'Ain findet sich:

"Während des Feldzugs von 1813 sollte sich erweisen, dass die Sachsen Bernadottes Großmut und die Kränkung, die er ihretwegen hatte hinnehmen müssen, nicht vergessen hatten. 800 von ihnen nahmen für die Verleumdungen, deren Opfer er geworden war, Rache, indem sie Napoléon verließen und sich unter Bernadottes Befehl begaben." [1]

Die "Großmut" und "Kränkung" bezieht sich auf die Schlacht von Wagram 1809 als Bernadotte die Leistungen der Sachsen in einem eigenen Tagesbefehl lobte, der in Deutschland und auch Frankreich abgedruckt wurde, der den Zorn Napoléons erregte, zur Gegendarstellung, wohl zur Auflösung des Korps und zur Ungnade Bernadottes führte.

Bezogen auf den Mythos Befreiungskriege wäre diese Motivation des Übertrittes auf die andere Seite ein Knaller. Da ich solchen Einschätzungen von Biografen eher misstrauisch gegenüberstehe, zumal Girod mit den Bernadottes weitläufig verwandt ist, habe ich recherchiert.

Einzig bei Findeisen fand ich einen Hinweis:
"Sächsische höhere Offiziere beklagten ehrlich die Ablösung Bernadottes und die Unterstellung unter General Jean Louis Reynier." [2]

Allerdings ist bei Feindeisen nur zu lesen:
"Napoléon erhielt übrigens die Quittung in der Völkerschlacht, als die Sachsen auf dem Schlachtfeld zu Karl Johan zurückkehrten ..." [2]

Nun sind der Großmut und die Ritterlichkeit Bernadottes keine Erfindung. Erinnert sei an die Behandlung der Schweden in Lübeck 1806, die wohl maßgeblich dazu beitrug, dass Bernadotte Thronfolger wurde.

Daher müssen die Sätze Girods kein Wunschdenken sein. Allerdings habe ich nichts finden können, was seine Worte stützt.
Daher meine Frage, weiß jemand im Forum genaueres?

Grüße
excideuil

[1] Girod de l’Ain, Gabriel: Jean Baptiste Bernadotte Bürger franz. Revolutionsgeneral schwedisch-norwegischer König, Verlag des Südkurier, Konstanz, 1989, Seite 195
[2] Findeisen, Jörg-Peter: Jean Baptiste Bernadotte Revolutionsgeneral, Marschall Napoleons, König von Schweden und Norwegen, Casimir Katz Verlag, Gernsbach, 2010, Seiten 146-147
 
Welche Version ist jetzt eigentlich die richtige? Die Bernadottes, von den tapferen, oder die Napoleons, von den feigen Sachsen? Gerhard Bauer bestätigt in seinem Aufsatz in "Geschichte Sachsens im Zeitalter Napoleons" eher die Sichtweise Napoleons und kritisiert Bernadottes "gänzlich fiktiven Gefechtsbericht...den er in zahlreichen deutschen Gazetten publizieren lies".
 
Ich bin kein Militär und kann das nicht wirklich beurteilen/beantworten. Betrachte ich die Probleme Napoléons und Bernadotte miteinander, dann würde ich sagen, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Jedenfalls zitiert Girod:
"General Dupas, der keinen Grund hatte, den Sachsen zu schmeicheln, die zu der Zeit unter seinem Befehl standen, schrieb in seinem Bericht vom 8. Juli: "Die beiden sächsischen Bataillone haben sich mustergültig gehalten. Ich habe viele sterben sehen, die in der Ebene durch Artilleriebeschuss getötet oder verwundet worden waren. Sie sind nicht zurückgewichen und waren auch an den tapferen Taten vom 5. beteiligt." [1]

Der angeführte Gerhard Bauer schreibt:
"War schon am Beginn der Schlacht die Schlagkraft des IX. Korps durch die Abgabe von Truppenteilen, darunter Kavallerie und Artillerie, an andere Korps geschwächt, so führten ungenaue Instruktionen Napoleons und Versäumnisse Bernadotte dazu, dass die sächsische Infanterie, die zudem zweimal unter eigenes Feuer geriet, zerbrach und sich in Panik zurückzog." [2]

Keine Frage, 2 Bataillone sind nicht die sächsische Armee und so dürfte der Tagesbefehl von Bernadotte übertrieben sein, der von 7-8000 Mann spricht und der verfasst wurde, "um das Selbstbewußtsein" seiner "Männer zu heben." [1]
Fraglich allerdings, ob Bernadotte ihn verfasst hätte, wenn im 25. Bullentin des Kaisers die Leistung der Sachsen angemessen gewürdigt wäre.

Grüße
excideuil

[1] Girod de l’Ain, Gabriel: Jean Baptiste Bernadotte Bürger franz. Revolutionsgeneral schwedisch-norwegischer König, Verlag des Südkurier, Konstanz, 1989, Seite 194-195
[2] Gerhard Bauer: Das sächsische Heer an der Seite der Großen Armee 1806-1813, in: Martin, Guntram; Vötsch, Jochen; Wiegand, Peter (Hrsg.): Geschichte Sachsens im Zeitalter Napoleons – Vom Kurfürstentum zum Königreich 1791 – 1815, Sächs. LZ für pol. Bildung, Beucha, Dresden, 2008, Seite 166
 
"Während des Feldzugs von 1813 sollte sich erweisen, dass die Sachsen Bernadottes Großmut und die Kränkung, die er ihretwegen hatte hinnehmen müssen, nicht vergessen hatten. 800 von ihnen nahmen für die Verleumdungen, deren Opfer er geworden war, Rache, indem sie Napoléon verließen und sich unter Bernadottes Befehl begaben." [1]

Beschreibungen ueber den Ablauf des Uebergangs gibt es viele, die Motive sind in meinen Buechern im dunkeln.
Bislang habe ich das so gesehen, dass ein Uebergang der Rheinbundtruppen einfach "in der Luft lag", weil man sich in Leipzig auf der Verliererseite sah - nach dem Russlandfeldzug und dem Verlauf der ersten Schlachten nachvollziehbar; der Stern Napoleons war am erløschen.
Brissotin hat ja auch schon auf die Situation speziell in und bei den Sachsen hingewiesen.
Die in der Biographie angegebene Motivlage sehe ich entweder als nachtrægliche Rechtfertigung des Verrats, oder ein Offizier hat es vielleicht seiner Mannschaft zugerufen, um den Verrat "ertræglich" zu machen, man kann ja nicht einfach seinen Leuten sagen: "Auf geht's, wir wechseln die Seiten, unter Napoleon wird's diesmal nichts mehr."

Es ist jedenfalls merkwuerdig, dass die Ereignisse von Wagram nach 4 Jahren wieder hervorgekramt werden, besonders, weil die meisten Teilnehmer von Wagram sicher gar nicht mehr bei Leipzig dabei wahren.

Weiterhin wære mal interessant zu wissen, ob ein Soldat/eine Einheit ueberhaupt wissen konnte, wem er/sie eigentlich genau gegenueberstand/en: Wusste man, dass man dass gerade Bernadotte den Oberbefehl der Truppen hatte, zu denen man ueberlief?
Die Schweden waren ja eher "unsichtbar" bei Leipzig...

Wahrscheinlich muesste man in irgendwelchen Erinnerungen/Briefen von Angehørigen der sæchsischen Armee kramen, ich wuesste nur nicht wo...

Gruss, muheijo
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist jedenfalls merkwuerdig, dass die Ereignisse von Wagram nach 4 Jahren wieder hervorgekramt werden, besonders, weil die meisten Teilnehmer von Wagram sicher gar nicht mehr bei Leipzig dabei wahren.

Weiterhin wære mal interessant zu wissen, ob ein Soldat/eine Einheit ueberhaupt wissen konnte, wem er/sie eigentlich genau gegenueberstand/en: Wusste man, dass man dass gerade Bernadotte den Oberbefehl der Truppen hatte, zu denen man ueberlief?
Die Schweden waren ja eher "unsichtbar" bei Leipzig...
Ehrlich gesagt hat mich das auch gewundert, dürften doch nach dem Feldzug in Rußland kaum viele Veteranen von 1809 bei Leipzig gekämpft haben. Und ob unter den 1813 herrschenden Bedingungen dann eine besondere Verbundenheit zu Bernadotte motivierend für einen Seitenwechsel war, klingt auch nicht wirklich überzeugend.

Ich habe mir nun auch die dritte Biografie von Bernadotte vorgenommen [1]. Corsing geht näher auf den Verlauf der Schlacht von Wagram ein und es ist einiges für Bernadotte und die Sachsen daneben gegangen. Deutlich wird auch das schlechte Verhältnis von Napoléon und Bernadotte und auch Berthier. Aber er schreibt nicht, dass aus der Situation eine besondere Anhänglichkeit der Sachsen zu Bernadotte resultierte.

Allerdings nimmt Girod mit seiner Aussage keinen Bezug auf Leipzig, wo sich sächsisische Truppen den Russen ergaben, sondern spricht allg. vom Feldzug von 1813. Und da gab es laut Corsing auch schon vorher einen Wechsel der Seiten nach der Schlacht von Großbeeren: "Und ein Teil der sächsischen Regimenter, die unter Oudinots Befehl standen, ging zu den Verbündeten über oder ließ sich gefangennehmen." [1/Seite 219]
Das passt auch mit der von Girod genannten Zahl von 800 Mann. Und bei Großbeeren focht v. Bülow von der Nordarmee Bernadottes.

Bei Girod heißt es dazu:
"Da Carl Johan Deutschland mit möglichst geringem Aufwand an Menschen und Mitteln befreien wollte, versuchte er die Sachsen, die nur unwillig in den Reihen der franz. Armee kämpften, zum Überlaufen zu bewegen. Am 10. Sept. richtete er eine Verlautbarung an sie, die ihnen von mutigen Händlern zugespielt wurde. Am 23. September bildeten 8 Offiziere und 800 Mann den ersten Teil der "Königlich-Sächsischen Legion", die dann bald unter den Befehl des Herzogs von Weimar gestellt wurden." [2]

Girod kommt aber nicht wieder auf die Motivation der Sachsen überzulaufen zurück, daher ist wohl anzunehmen, dass er aus der Reaktion Napoléons:
"Sie (die Verlautbarung) erregte den Zorn des Kaisers, der befahl, die Sachsen, die aus der franz. Armee desertierten, in aller Strenge zu bestrafen, und die Händler, die den Aufruf des Prinzen verteilt hatten, zum Tode zu verurteilen." [2]
den o.g. Schluss zieht, der allerdings schwerlich zu beweisen sein dürfte.

Grüße
excideuil

[1] Corsing, Fritz: „Jean Baptiste Bernadotte“, Albert Nauck & Co., Berlin 1946
[2] Girod de l’Ain, Gabriel: Jean Baptiste Bernadotte Bürger franz. Revolutionsgeneral schwedisch-norwegischer König, Verlag des Südkurier, Konstanz, 1989, Seite 327
 
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