Hier eine Kopie aus dem Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschlands (Quellenangabe steht unten) über den Begriff Nation
Nation
(lat.) Der Begriff N. hat zwei unterschiedliche Bedeutungen: 1) Die konservative Interpretation betont das statische Element, d.h. die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gemeinschaft (auch: Volk), die als Großgruppe von Menschen über bestimmte homogene Merkmale (z.B. gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte) verfügt und (zumeist) innerhalb eines bestimmten Territoriums zusammenlebt (Abstammungsgemeinschaft). 2) Die offene Interpretation betont die Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, dass in einem Staat (Groß-)Gruppen zusammenleben, die sowohl über gemeinsame als auch über unterschiedliche Merkmale verfügen und dadurch die Chance für einen Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft fördern (Zugehörigkeitsgemeinschaft). Die offene Interpretation des Begriffes N. entspricht eher dem Verständnis moderner demokratischer Gesellschaften. Unter Berücksichtigung des territorialen Aspekts ist zwischen staatenloser (Kultur-) Nation, deren Merkmale insbesondere eine gemeinsame Sprache, Kultur und Religion sind (z.B. Kurden), und Staatsnation zu unterscheiden, die in (mehr oder weniger geschlossener) territorialer Gemeinschaft lebt und anstelle des ethnischen stärker das politische Element der Gemeinschaft betont (Verfassungspatriotismus).
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.de/ Online Lexikon
Der Begriff der Nation
Es gibt keinen allgemein anerkannten und eindeutigen Begriff der Nation, noch weniger der dt. Nation. Das liegt in der vielschichtigen Funktion dieses und ähnlicher Begriffe (z.B. freiheitlich-demokratische Grundordnung) begründet: sie haben sowohl erklärende wie legitimierende und normierende Aufgaben. Der Anspruch auf Selbstbestimmung, auf Selbstorganisation nach innen und auf Unabhängigkeit nach außen steht mit diesem Konzept in Verbindung.
Die nationalstaatlichen Bewegungen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts haben den Begriff der Nation höchst unterschiedlich verwandt. So wurde die Zugehörigkeit zur Nation z.B. durch die gemeinsame Abstammung begründet, dieses Konzept orientiert sich an der Herkunft des Begriffes, dem lateinischen natio (= Geburt). Die Nation wird somit als eine ethnisch homogene Gruppe verstanden ("Volksnation"). Demgegenüber knüpft die Idee von der "Kulturnation" (vgl. Meinecke 1908) an die Gemeinsamkeit der Verhaltensweisen im Allgemeinen (Politische Kultur) und der Sprache, Literatur, Musik im Speziellen an. Die Formulierung einer kulturellen Einheit als Medium zur Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls ging historisch gesehen der Schaffung einer politischen Einheit voraus.
Geschichte als Begriffsmerkmal der Nation stellt auf die Gemeinsamkeit der Erinnerung und Erfahrung der Vergangenheit ab, auf der das Selbstverständnis und Handeln der Nationsangehörigen in der Gegenwart und Zukunft beruht. Die Geschichte spielt in der Entwicklung der Nationalbewegungen insofern eine Rolle, als dass sie eine generationenübergreifende Gemeinschaft konstruiert, die über das Leben des einzelnen Individuums hinausreicht (Hobsbawm 1983). Diese Traditionsschöpfung legitimiert die "Volksnation" und "Kulturnation" ebenso wie die "Staatsnation".
Das Konzept "Staatsnation" gibt keine spezifischen Kriterien für die Nationsvorstellung an, es bezeichnet das Vorhandensein einer staatlichen Verbandsordnung für eine nationale Ordnungsvorstellung. Die "Staatsnation" kann auf der Grundlage der "Volksnation" oder der "Kulturnation" bestehen, sie ist Ausdruck der staatlichen Verfasstheit eines nationalen Gebildes. Demgegenüber ist die Idee von der "Staatsbürgernation" spezifischer. Sie konstituiert sich über die individuellen staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte und die Verfahren der demokratischen Legitimation der Herrschaft durch die Staatsbürger (Lepsius 1990: 242). Dieser Gedanke liegt auch der bekannten Definition der Nation durch E. Renan (1996: 35) zugrunde: "Das Dasein einer Nation ist [ ...] ein Plebiszit Tag für Tag, wie das Dasein des einzelnen eine dauernde Behauptung des Lebens ist."
Der Begriff der Nation hat von vornherein subjektiven Charakter, weil sein zu beschreibender Gegenstand das Selbstverständnis der Menschen ist, er gehört der "Wertsphäre" (M. Weber 1980: 528) an. Gleich welche Definition für den Begriff der Nation verwendet wird, stets überschneidet oder deckt er sich mit anderen Begriffen, wie dem der Nationalität als einer ethnischen Einheit oder des Volkes als einer kulturellen Gemeinschaft. Vielfach wird auch Nation und Nationalstaat gleichgesetzt, zumindest für jede Nation ein einheitlicher Nationalstaat gefordert. Dies ist das Ziel, das der Nationalismus verfolgt. Dieser versucht als eine ideologische, politische und soziale Bewegung Eindeutigkeit zu erzeugen und die Übereinstimmung von ethnischen und politischen Grenzen zu erreichen; damit tendiert er zur Ausgrenzung.
Die angelsächsische Nationalismusforschung hat in diesem Zusammenhang immer wieder die Künstlichkeit des Konzepts Nation herausgestellt. So geht B. Anderson (1993) davon aus, dass es nicht die Nationen, d.h. bereits bestehende Gemeinschaften sind, "die Staaten und Nationalismen hervorbringen, sondern umgekehrt", Nationalismen ,erfinden‘ Nationen. Dies bedeutet aber nicht, dass es "falsche" (Nationen) und "wahre" Gemeinschaften (beispielsweise die Dorfgemeinschaft) gibt, sondern dass die Nation (a) eine "vorgestellte politische Gemeinschaft" ("imagined community") ist, "vorgestellt als begrenzt und souverän". Die Mitglieder einer solchen politischen Gemeinschaft kennen einander nicht, aber in den Köpfen der Menschen existiert eine Vorstellung der Nation. Die Nation wird (b) "als begrenzt vorgestellt [ ...] . Keine Nation setzt sich mit der Menschheit gleich." Diese Begrenzung beinhaltet die Konstruktion eines "Wir" gegenüber "den Anderen". Die Nation wird ferner (c) "souverän vorgestellt [ ...] ". Nationen träumen davon, frei zu sein: "Maßstab und Symbol dieser Freiheit ist der souveräne Staat." Die Mitglieder einer Nation stellen sich schließlich (d) ihre Nation als Gemeinschaft vor, "weil sie unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung als ,kameradschaftlicher‘ Verband von Gleichen verstanden wird".
Die Sozialwissenschaften und insbesondere der amerikanische Politikwissenschaftler K.W. Deutsch (u.a. 1953) haben versucht, die Vielfalt dieser Beschreibungsmerkmale in dem Begriff der Nation als Kommunikation zu synthetisieren. In Deutschs Theorie wird der Nation eine Funktion im Rahmen der Transformation moderner Gesellschaften zugesprochen. Die Nation wird bei Deutsch als die Konzentration sozialer Kommunikation und wirtschaftlicher Aktion in einem bewusst gebildeten Verband verstanden. Sie kann solchermaßen auf den oben genannten Eigenschaften beruhen, muss es aber nicht. So können durchaus vielsprachige Einheiten eine Nation bilden, oder es kann eine Nation auf verschiedene Herrschaftsverbände aufgeteilt sein. Der Begriff von Nation als Kommunikation wird einer Fülle von Erscheinungsformen in Geschichte und Gegenwart, insbesondere dem Prozess des Zusammenwachsen von mehreren sozialen Großgruppen zu einer Nation oder des Zerfallens einer Nation in eine Vielzahl von Nationen gerecht. Er ist aber nicht eindeutig von anderen durch Kommunikation bestimmten sozialen Gruppenbildungen (wie Stamm, Klasse, Schicht, Gesellschaft) abzusetzen.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 4. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2000. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2000.
http://www.bpb.de/wissen/09191901662830400195611470162156,0,0,Nation.html#art0