Deshalb habe ich "hilfsweise" mit den Stammesgesellschaften argumentiert, über die wir eine relativ gute Quellenlage haben. Da gilt dann zusammengefasst: Keine dieser Gesellschaften weist einen Adel auf, keine dieser Gesellschaften weist hierarchische Strukturen auf. Das scheint für Stammesgesellschaften eine Grundregel zu sein.
Wie kommst Du denn darauf? MWn gab es auch im Germanien des 1. Jh. Gräber, die durch Anlage und va Beigaben eine beondere Stellung des Bestattenen erkennen lassen. Ist nicht mein Gebiet, evtl irre ich mich. Im keltischen Raum lassen sich solche "Adelsgräber" allerdings schon jahrhunderte vorher feststellen. Spätestens die Gallier des 1. Jh. v. Chr. waren eine stark gegliederte Gesellschaft, die aber immer noch viele Strukturen einer Stammesgesellschaft besaß. Vor Entstehen der oppidae wird das noch deutlicher. Auch in anderen Weltgegenden gibt es zahlreiche Stammesgesellschften, die starke soziale/wirtschaftliche kennen, mit einer Aristokratie an der Spitze. Egalitäre Gesellschaften finden sich mE eher bei Wildbeutern oder steinzeitlichen Agrar-Gesellschaften, und das waren die Germanen ja nun nicht mehr.
Warum ist das anzunehmen? Was spricht dafür, dass es in den germanischen Stämmen Sippen oder Individuen gab, die ungewöhnlich wertvollen Besitz angesammelt, daraus Macht abgeleitet und Besitz und Macht sogar vererbt hätten? Es gibt zahlreiche siedlungsarchäologische Funde und Befunde. Kein einziger davon stützt die von Dir vorgetragene Annahme.
In welchen Siedlungsspuren soll es sich auch niederschlagen? Germanen lebten damals mWn ohnehin in Häusern, die vielen Menschen/großen Familien ein Haim boten. ME ist nicht zu erwarten, dass sich die Stellung der Aristokratie in speziellen Bauten niederschlägt, sondern eher im Besitzrecht an besagten Großhäusern, va aber in Besitz oder Nutzungsrechten an wertvollem Land, im Viehbesitz, im Besitz nicht alltäglicher Gegenstände (Metall, Schmuck, Waffen, Importware). Außer in Gräbern schlägt sich das archäologisch evtl nicht eindeutig nieder, aber gerde Gräber dürften da besonders interessant sein.
Die Quellen bescheinigen den Cheruskern eine militärische Leistungsfähigkeit, die weit über die Möglichkeiten eines (Sub-)Stammes mit maximal 5000 Menschen hinausgeht. Wir müssen es also mit einem Großstamm zu tun haben.
Den Begriff "Großstamm" kenne ich für die spätere Stammesverbände, wie die Franken, Sachsen, Allemannen etc. Ein solcher Großstamm waren die Cherusker sicher nicht.
Vermutlich handelte es sich auch nicht um einen von Dir skizierten "Kleinstamm" mit 3.ooo bis 5.ooo Angehörigen. ME muss man davon ausgéhen, dass es übergeordnete "Institutionen" über diesen Kleinstämmen gab, und viele der in den Quellen erwähnten Stämmen ein Zusammenschluss von mehrern regionalen Kleinstämmen waren. Hierfür könnten bspw religiöse Zentren eine Rolle gespielt haben, oder aber "Hauptlingstümer", die von mehreren Kleinstämmen anerkannt wurden.
Ich würde auch vermuten, dass die kleinere Gliederung die stabilere, und im alltäglichen Leben wichtigere war, aber es lässt sich kaum Handel organisieren (der nachweislich existierte), wenn jeden Tagesmarsch ein neues Gebiet eines evtl verfeindeten Stammes beginnt.
Auch wenn es sehr viel später war, vielleicht kann man sich etwas ähnliches vorstellen, wie die Sachsen es kannten: Eine Teilung des Stammesgebietes in drei Teile (Westfalen, Ostfalen, Engern), jeder für sich mit eigenem Zentrum, aber bezogen auf ein gemeinsames kulturelles Zentrum, auch wenn dies keine feste institutionelle Macht hatte. (Natürlich kann diese Drittelung der Sachsen auch aus einem Zusammenschluss aus drei oder mehr kleineren Stämmen stammen.) Bei keltischen Völkern/Stämmen kaann man ein ähnliches Phänomen betrachten. Um ein für den "Gesamtstamm" wichtiges Zentrum gruppieren sich mehrere Untergruppen (oft vier), die eigene Institutionen haben, aber im Zusammenschluss den automnomen Stammesverband bilden.
Die Frage für den Widerstand 9 bis 16 n. Chr. ist, wie eine solche Stammesgesellschaft mit schwachen zentralen Insitutionen eine militärische Operation gestemmt bekommt, für die zigtauesend Menschen koordiniert und versorgt werden müssen. Wie gesagt würde ich hier von einem Zusammenspiel ausgehen: Die Stimmung wird anti-römisch und pro Widerstand gewesen sein. Anders lassen sich die nötigen Massen nicht mobilisieren (Zwang scheidet einfach), und Gründe für eine solche anti-römische Stimmung gibt es mE genug. Zweitens gab es mE Menschen/Familien, die über genug Vermögen besaßen, um die notwendigen Vorbereitungen, insbesondere die nötigen Nahrungsvorräte, aus ihrem "Privatvermögen" zu finanzieren, bzw als Kristallisationspunkt dafür zu dienen; nach dem Motto "Häuptling Hermann gibt 50 seiner 100 Kühe, dann können auch die 50 Otto-Normal-Bauern je eine von ihren zwei Kühen opfern."
Und nochmal der Hinweis: Eine zentrale Nahrungsmittelversorgung ist ein grandioser Hebel, um Disziplin und Subordniation zu erzwingen, auch von einem undisziplinierten Barbarenhaufen...