Mashenka
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Vom Ursprung des Schragentisches
Im Mittelalter scherte man sich noch weniger um Tische. Bei größeren Anlässen wurde improvisiert; man stellte zwei Holzböcke hin, zwei »Schragen«, legte darauf eine große Holzplatte und überdeckte das Provisorium mit einem frisch gewaschenen Tuch. Solche ›Schragen Tafel‹ waren gut genug für die Herrscher riesiger Reiche und sogar gut genug für ehrenhafte Maler, um dahinter Jesus abzubilden. Doch damit war natürlich der eigentliche Schragentisch noch lange nicht entwickelt.
Irgendwo – vermutlich in den Alpen – hatte ein Mann die Nase voll vom ewigen Zusammenstellen der Böcke und Platten. Kurzerhand sägte er einen Holzbock der Länge nach in zwei Stücke und montierte sie unter eine quadratische Holzplatte – sein schäbiges Häuschen war auch zu klein für eine längere Tafel und die zahlreichen Kinder konnten ihre Mahlzeit ja weiterhin am Ofen zu sich nehmen. Nur dass diejenigen, die nun am Tisch saßen, manchmal kalte Füße kriegten und sich ebenfalls zum Ofen verdrückten.
Eines Tages war ein Tischler Gast bei der Familie. Der Mann war gebildet, schließlich war er in seinen Wanderjahren ganz schön herumgekommen. Er zeigte sich beeindruckt von der Konstruktion des Gastgebers, worauf die Hausfrau schnippisch die Nachteile der neuen Hausordnung herausstrich und auf ihre kalte Füße hinwies. Da erinnerte sich der Handwerker an Möbel in fremden Ländern, bei denen unten ein Brett montiert war, auf denen man die Füße setzen konnte. Der Gastgeber ärgerte sich, dass ihm das nicht selber in den Sinn gekommen war, und schlug mit der Faust so kraftvoll auf den Tisch, dass dessen Beine versagten und sogar die Platte brach.
Paar Tage später kam der Tischler mit dem reparierten Stück wieder. Nun wurden die Beine unten von flachen Brettern zusammengehalten.
»Vergelt’s Gott!«, rief die Hausfrau erleichtert und fortan wurden die Bretter »Vergeltsgott« genannt. Aus Jux hatte der gute Mann in die Mitte der Tischplatte sogar eine massive Schieferplatte eingelegt, damit der Tisch den Schlägen des Hausherrn standhielt. Somit war der »Schragentisch« erfunden. Das stabile Modell wurde danach in vielen anderen Dörfern kopiert, auch wenn mancherorts ohne Schieferplatte hergestellt… vielleicht, weil man den Sinn nicht verstand, oder einfach nur, weil man weniger häufig auf den Tisch klopfte.
Diese kleine Entstehungsgeschichte des Schragentisches ist hier natürlich frei erfunden, und soll nur als Erläuterung dieses Möbelstücks dienen.
Zu meinen bisherigen Erkenntnissen über Schragentische
1. Schragentische gab es im Alpenraum und in der Südhälfte von Deutschland (evtl. auch nördlicher?) mindestens seit dem späten 15. Jh.
2. Schragentische mit eingelegter Schieferplatte sind bis heute besonders in Graubünden und benachbarten Gebieten verbreitet.
3. Der »Montafoner Tisch« aus Vorarlberg ist ein typischer Schragentisch mit Schiefertafel und Fußstegen. (Beispiel aus 1786)
4. Der »Jogltisch« aus dem Joglland (nördl. Steiermark) ist ein Synonym von »Schragentisch«, d.h. in der Form von anderen Modellen kaum zu unterscheiden. Laut Wikipedia soll ein »Mönch des Augustiner-Chorherrenstiftes Vorau« so ein Ding »um die Mitte des letzten Jahrtausends« zum ersten Mal »geschichtlich erwähnt« haben. Worin der Mönch was genau erwähnt hatte, bleibt leider genauso vernebelt, wie die Zeitangabe.
5. Tatsache ist aber, dass Schragentische um 1500 bereits bildlich festgehalten wurden:
Dürer überliefert aus 1511 auf seinem Holzschnitt Die Herodias empfängt das Haupt des Täufers einen zwar länglichen, aber sonst waschechten Schragentisch mit Flachstegen.
Aus 1514 stammt Dürers Meisterstich Der heilige Hieronymus im Gehäus, auf dem er einen Wangentisch zeigt.(Wangentisch: Tisch mit zwei quergestellten Stützelementen, die seitlich, quasi als ›Wangen‹ angeordnet sind)
1525 greift Lucas Cranach d. Ä. das Thema wieder auf, und zeigt Kardinal Albrecht von Brandenburg als heiliger Hieronymus im Gehäus an einem sehr ähnlichen Wangentisch, diesmal aber auf breite Bretter montiert, wodurch das Modell eigentlich zum Schragentisch mutiert.
Dass Cranachs Version nicht das Urmodell in der Entwicklung des Schragentisches sein kann, beweist eigentlich Dürers Holzschnitt aus 1511, wo bereits eine voll entwickelte Version gezeigt wird. Dennoch weist Cranachs Abbildung auf die Möglichkeit hin, dass der Schragentisch ursprünglich eine Weiterentwicklung des Wangentisches sein könnte, und nicht direkt der fixe Zusammmenbau der provisorisch zusammengestellten ›Schragen Tafel‹ war.(d.h. meiner obigen Darstellung mit dem Mann, der einen Holzbock auseinandersägte, widerspricht)
Und trotzdem lässt sich der Wangentisch nicht eindeutig als Ausgangsmodell für den Schragentisch ausmachen. Dürer zeigt auf einem Holzschnitt Das letzte Abendmahl aus 1523 ein äußerst massives Exemplar eines Schragentisches, das mit Wangentischen nichts gemein hat.(die vier Beine sind konventionell in den Ecken angeordnet) Die flachen Schwellen, auf dem der riesige Tisch ruht, dienen hier eindeutig als Stützen für die Füße.
Generell kann man vmtl. behaupten, dass Schragentische nur auf Bildern von deutschsprachigen Malern auftauchen. Ein als Fußablage dienendes flaches Brett an Möbeln muss aber bereits im frühen 15. Jh. auch in Flandern Usus gewesen sein. Auf dem Merode Tryptichon, das heute Campin zugewiesen wird, sitzt Maria bei der Verkündung auf genau so einem Fußbrett, anstatt auf der dazugehörenden Sitzbank.(hinter ihr ist allerdings ein Wangentisch zu sehen, bei dessen Fuß die eine Hälfte gerade geschnitten ist, damit man den Tisch nahe an sich heranziehen kann.)
6. Auch der »Rhöntisch«, aus der Region des Rhöngebirges, gehört eindeutig zu den Schragentischen, auch wenn dieser mit seinem oft wuchtigen Unterbau an spätgotische Kastentische erinnert.
7. In Frankreich entspricht am ehesten das sog. »table à l'italienne« dem Schragentisch, wobei die flachen Stege als Verstrebungen der Tischbeine für die Bezeichnung maßgebend sind. Diese Tische haben im Gegensatz zum Schragentisch, anstatt quadratische Tischplatten, meist eine längliche Form und wurden (soweit mir bekannt) nie mit Schieferplatten versehen.
Beispiel: typisches table à l'italienne mit neun Füßen aus Lothringen, um 1600–1620.
In den italienischen Palazzi konnte ich zwar zahlreiche Tische mit Stegen ausmachen (ähnliche Tische sind ja auch auf Mosaiken aus der Römerzeit bekannt), aber keine Hinweise auf das angeblich typische »table à l'italienne« mit flachen Stegen finden.
Meine Frage an Euch wäre: weiß jemand mehr über die Verbreitung, oder sogar über die Entstehung der Schragentische?
Im Mittelalter scherte man sich noch weniger um Tische. Bei größeren Anlässen wurde improvisiert; man stellte zwei Holzböcke hin, zwei »Schragen«, legte darauf eine große Holzplatte und überdeckte das Provisorium mit einem frisch gewaschenen Tuch. Solche ›Schragen Tafel‹ waren gut genug für die Herrscher riesiger Reiche und sogar gut genug für ehrenhafte Maler, um dahinter Jesus abzubilden. Doch damit war natürlich der eigentliche Schragentisch noch lange nicht entwickelt.
Irgendwo – vermutlich in den Alpen – hatte ein Mann die Nase voll vom ewigen Zusammenstellen der Böcke und Platten. Kurzerhand sägte er einen Holzbock der Länge nach in zwei Stücke und montierte sie unter eine quadratische Holzplatte – sein schäbiges Häuschen war auch zu klein für eine längere Tafel und die zahlreichen Kinder konnten ihre Mahlzeit ja weiterhin am Ofen zu sich nehmen. Nur dass diejenigen, die nun am Tisch saßen, manchmal kalte Füße kriegten und sich ebenfalls zum Ofen verdrückten.
Eines Tages war ein Tischler Gast bei der Familie. Der Mann war gebildet, schließlich war er in seinen Wanderjahren ganz schön herumgekommen. Er zeigte sich beeindruckt von der Konstruktion des Gastgebers, worauf die Hausfrau schnippisch die Nachteile der neuen Hausordnung herausstrich und auf ihre kalte Füße hinwies. Da erinnerte sich der Handwerker an Möbel in fremden Ländern, bei denen unten ein Brett montiert war, auf denen man die Füße setzen konnte. Der Gastgeber ärgerte sich, dass ihm das nicht selber in den Sinn gekommen war, und schlug mit der Faust so kraftvoll auf den Tisch, dass dessen Beine versagten und sogar die Platte brach.
Paar Tage später kam der Tischler mit dem reparierten Stück wieder. Nun wurden die Beine unten von flachen Brettern zusammengehalten.
»Vergelt’s Gott!«, rief die Hausfrau erleichtert und fortan wurden die Bretter »Vergeltsgott« genannt. Aus Jux hatte der gute Mann in die Mitte der Tischplatte sogar eine massive Schieferplatte eingelegt, damit der Tisch den Schlägen des Hausherrn standhielt. Somit war der »Schragentisch« erfunden. Das stabile Modell wurde danach in vielen anderen Dörfern kopiert, auch wenn mancherorts ohne Schieferplatte hergestellt… vielleicht, weil man den Sinn nicht verstand, oder einfach nur, weil man weniger häufig auf den Tisch klopfte.
Diese kleine Entstehungsgeschichte des Schragentisches ist hier natürlich frei erfunden, und soll nur als Erläuterung dieses Möbelstücks dienen.
Zu meinen bisherigen Erkenntnissen über Schragentische
1. Schragentische gab es im Alpenraum und in der Südhälfte von Deutschland (evtl. auch nördlicher?) mindestens seit dem späten 15. Jh.
2. Schragentische mit eingelegter Schieferplatte sind bis heute besonders in Graubünden und benachbarten Gebieten verbreitet.
3. Der »Montafoner Tisch« aus Vorarlberg ist ein typischer Schragentisch mit Schiefertafel und Fußstegen. (Beispiel aus 1786)
4. Der »Jogltisch« aus dem Joglland (nördl. Steiermark) ist ein Synonym von »Schragentisch«, d.h. in der Form von anderen Modellen kaum zu unterscheiden. Laut Wikipedia soll ein »Mönch des Augustiner-Chorherrenstiftes Vorau« so ein Ding »um die Mitte des letzten Jahrtausends« zum ersten Mal »geschichtlich erwähnt« haben. Worin der Mönch was genau erwähnt hatte, bleibt leider genauso vernebelt, wie die Zeitangabe.
5. Tatsache ist aber, dass Schragentische um 1500 bereits bildlich festgehalten wurden:
Dürer überliefert aus 1511 auf seinem Holzschnitt Die Herodias empfängt das Haupt des Täufers einen zwar länglichen, aber sonst waschechten Schragentisch mit Flachstegen.
Aus 1514 stammt Dürers Meisterstich Der heilige Hieronymus im Gehäus, auf dem er einen Wangentisch zeigt.(Wangentisch: Tisch mit zwei quergestellten Stützelementen, die seitlich, quasi als ›Wangen‹ angeordnet sind)
1525 greift Lucas Cranach d. Ä. das Thema wieder auf, und zeigt Kardinal Albrecht von Brandenburg als heiliger Hieronymus im Gehäus an einem sehr ähnlichen Wangentisch, diesmal aber auf breite Bretter montiert, wodurch das Modell eigentlich zum Schragentisch mutiert.
Dass Cranachs Version nicht das Urmodell in der Entwicklung des Schragentisches sein kann, beweist eigentlich Dürers Holzschnitt aus 1511, wo bereits eine voll entwickelte Version gezeigt wird. Dennoch weist Cranachs Abbildung auf die Möglichkeit hin, dass der Schragentisch ursprünglich eine Weiterentwicklung des Wangentisches sein könnte, und nicht direkt der fixe Zusammmenbau der provisorisch zusammengestellten ›Schragen Tafel‹ war.(d.h. meiner obigen Darstellung mit dem Mann, der einen Holzbock auseinandersägte, widerspricht)
Und trotzdem lässt sich der Wangentisch nicht eindeutig als Ausgangsmodell für den Schragentisch ausmachen. Dürer zeigt auf einem Holzschnitt Das letzte Abendmahl aus 1523 ein äußerst massives Exemplar eines Schragentisches, das mit Wangentischen nichts gemein hat.(die vier Beine sind konventionell in den Ecken angeordnet) Die flachen Schwellen, auf dem der riesige Tisch ruht, dienen hier eindeutig als Stützen für die Füße.
Generell kann man vmtl. behaupten, dass Schragentische nur auf Bildern von deutschsprachigen Malern auftauchen. Ein als Fußablage dienendes flaches Brett an Möbeln muss aber bereits im frühen 15. Jh. auch in Flandern Usus gewesen sein. Auf dem Merode Tryptichon, das heute Campin zugewiesen wird, sitzt Maria bei der Verkündung auf genau so einem Fußbrett, anstatt auf der dazugehörenden Sitzbank.(hinter ihr ist allerdings ein Wangentisch zu sehen, bei dessen Fuß die eine Hälfte gerade geschnitten ist, damit man den Tisch nahe an sich heranziehen kann.)
6. Auch der »Rhöntisch«, aus der Region des Rhöngebirges, gehört eindeutig zu den Schragentischen, auch wenn dieser mit seinem oft wuchtigen Unterbau an spätgotische Kastentische erinnert.
7. In Frankreich entspricht am ehesten das sog. »table à l'italienne« dem Schragentisch, wobei die flachen Stege als Verstrebungen der Tischbeine für die Bezeichnung maßgebend sind. Diese Tische haben im Gegensatz zum Schragentisch, anstatt quadratische Tischplatten, meist eine längliche Form und wurden (soweit mir bekannt) nie mit Schieferplatten versehen.
Beispiel: typisches table à l'italienne mit neun Füßen aus Lothringen, um 1600–1620.
In den italienischen Palazzi konnte ich zwar zahlreiche Tische mit Stegen ausmachen (ähnliche Tische sind ja auch auf Mosaiken aus der Römerzeit bekannt), aber keine Hinweise auf das angeblich typische »table à l'italienne« mit flachen Stegen finden.
Meine Frage an Euch wäre: weiß jemand mehr über die Verbreitung, oder sogar über die Entstehung der Schragentische?