1. Jede Skizze seines Charakters muß mit der Feststellung beginnen, daß er nie reifer wurde. Am Ende seiner 30jährigen Regierungszeit galt er immer noch als "junger", als "kindlich-genialer" Kaiser.
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Der Kaiser hatte eine ganz ungewöhnliche Gabe, die Welt zu sehen, nicht wie sie war, sondern wie er sie sehen wollte. [...] 1927 mußte sich auch die Kronprinzessin fragen, wie es möglich sei, daß ein doch so kluger Mensch "so jede Dimension verliert und die phantastischsten Dinge erzählt und sie selbst glaubt? In einem gewissen Augenblick ist eben völlig Schluß beim Kaiser, da hört sein Blick für jede Wirklichkeit auf und dann glaubt er an die unmöglichsten Zusammenhänge. Er ist und bleibt ein Rätsel."
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5. Wilhelms "Humor" hatte nicht selten einen verletzenden, ja bisweilen sadistischen Charakter. Obwohl sein rechter Arm so stark war, wie der linke nutzlos von der Schulter hing, amüsierte es ihn, seine Ringe nach innen zu drehen - um dann die Hand von Besuchern so fest zu drücken, bis ihnen die Tränen kamen. König Ferdinand von Bulgarien reiste "weißglühend vor Haß" von Berlin ab, nachdem der Kaiser ihm öffentlich einen wuchtigen Schlag auf den Hintern gegeben hatte.
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Die nähere Umgebung des Kaisers blieb von solchen "Scherzen" nicht verschont. Ein Diplomat schrieb in sein Tagebuch während einer Schiffsreise: "Morgens machten wir mitsamt dem Kaiser gesundheitshalber 'Freiübungen' (...) Ein ulkiger Anblick: Wenn all die alten Kracher von Militärs gemeinsam die Kniebeuge machen müssen mit verzerrten Gesichtern! Der Kaiser lacht manchmal laut auf und hilft mit Rippenstößen nach. Die alten Knaben tun dann so, als ob dieses Auszeichnung ihnen eine besondere Freude machen würde, ballen aber die Faust in der Tasche und schimpfen nachher unter sich über den Kaiser wie alte Weiber." Wiederholt beklagte sich auch Philipp Eulenburg über dieses "geradezu ekelhafte Schauspiel": "Alle alten Exzellenzen und Würdenträger (müssen) unter Geschrei und Witzen zum Turnen antreten." [...] Auch daran änderte sich im Laufe der Jahre nichts. Noch während der zweiten Marokkokrise notierte der Chef des Marinekabinetts in seinem Tagebuch: "Beim Turnen morgens große Albernheit. S. M. schneidet Scholl mit einem Taschenmesser die Hosenträger durch."
6. Schließlich hatte der Kaiser eine Vorliebe für Uniformen, historische Kostüme, Schmuck und Juwelen, vor allem aber für kindliche Spiele in männlicher Gesellschaft. [...] Der Bruder Georg Hülsens, Dietrich, General und Chef des Militärkabinetts, starb 1908 an einem Herzanfall, während er in Donaueschingen - im einen großen Federhut und ein Ballettröckchen gekleidet - dem Kaiser vortanzte."