Die sog. "Expertengespräche" wurden nach dem 21.6.1914 weiter geführt. Dies erweist auch die Privatkorrenspondenz von Churchill/Grey ("talks"), aus der das hervorgeht.
Am 23.7.1914 muss ein britischer Entwurf existiert haben, der zusammen mit dem brit.-französischen Signalbuch (aus der entsprechenden Militärkonvention) nach Petersburg mit Boten (ursprünglich war ein Diplomat vorgesehen, danach eine Marineoffizier) abgehen sollte. Weder in britischen noch in russischen Archiven ist dieser "Entwurf" enthalten, er wird jedoch in einem Telegramm von Wolkow indirekt angesprochen [Anm: vom 23.7.1914].
Von "unterschriftsreif" kann daher keine Rede sein. Die letzten Kontakte der Briten zu russischen Gesprächspartner [ab Mitte Juli 1914] weisen außerdem nach den erstellten Aktenvermerken aus, dass sich die russische Seite "passiv" verhielt. Gegenteilige Berichte der Nachkriegsliteratur sind falsch. Welche schlußendlich die russischen Vorstellungen vom Vertragstext waren, blieb bislang verborgen. [zu klären wäre, was Wolkov vom Admiralitätsmemo in den Expertengesprächen "> Null" hiervon angebracht hat]
Es gibt allerdings eine interessante Passage in britischen Berichten, die an die russische Seite gesprächsweise gegeben worden sind. Davon ist die Rede von "8 Dreadnoughts", die ins Mittelmeer verlegt werden sollten.
Schröder geht über diesen Aspekt in der Motivdiskussion leider hinweg und mißt ihm keine Bedeutung zu. Hieran ist interessant, dass die britische Seite im Zeitraum 1912/14 bedenklich zum Abzug moderner, schwerer Seestreitkräfte aus dem Mittelmeer gestellt war (insbesondere die Admiralität im Zuge des Flottenwettrüstens mit dem Deutschen Reich). Die unkomfortable Lage würde sich erst 1915/1916 mit dem Zugang von 10 Super-Dreadnoughts (QE-Klasse, R-Klasse) verbessert haben. Dis dahin wäre GB im Mittelmeer schwach und auf die frz.-brit. Konvention angewiesen sein. Hier könnte ein wichtiges Motiv für die britische Seite gelegen haben, dass bislang in der Literatur nicht diskutiert bzw. untersucht Worden ist.
Nachtrag: vielleicht sollte man beim Konsumieren der deutschen Nachkriegsempörung bzw. bei der deutschen Rezeptionsgeschichte der brit.-russ. Marinegespräche auch nicht aus dem Auge lassen, dass es einen fundamentalen britisch-russischen Gegensatz mit einer labilen Interessenregelung 1907 gab. Es gibt hier durchaus neuere Interpretationen aus britischen Quellen, die das Schlaglicht weiter streuen und den Gravitationspunkt 1913/14 - im Zuge der absehrbar gewonnenen Flottenrüstung gegen das Deutsche Reich - anders setzen:
Keith Neilson: Britain and the Last Tsar: British Policy and Russia, 1894-1917