Dafür, dass der Westgotenkönig Theudegisel mit dem Sohn Theodahads identisch war, spricht absolut nichts außer der Namensgleichheit. Das Letzte, was wir über das Schicksal von Theodahads Sohn wissen, ist, dass er 536 von Witigis festgenommen wurde, danach verliert sich seine Spur. Umgekehrt weiß man nichts über die Herkunft des Westgotenkönigs. Erstmals taucht er 541 in Kämpfen gegen die Franken auf. Schon von der Chronologie her ist eine Identität daher meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich: Witigis regierte bis 540. Sofern er den Sohn Theodahads überhaupt am Leben ließ, wird er ihn als Theodahads Erben nicht freigelassen haben.
Wie gesagt, ich gehe überhaupt nicht von der Annahme aus, dass der Westgotenkönig Theudegisel mit dem Sohn des Theodahad identisch ist, das macht die spanische Historiographie. Aber gerade was du schreibst könnte sehr wohl für eine Identität beider miteinander sprechen: Wenn Theudegisel (Westgotenkönig) ein Jahr nach der Gefangennahme des Witigis erstmals in der westgotischen Geschichte auftaucht, könnnte er z.B. von Ildibad, der sich vielleicht die Gefolgsleute der Amaler gewogen machen wollte, frei gelassen worden sein, z.B. unter der Auflage, die ostgotischen Herrschaftsgebiete zu verlassen. Aber das alles nur im Konjunktiv. Jedenfalls widerspräche ein (Wieder)Auftauchen des Theudegisel kurz nach der Gefangennahme des Witigis keinesfalls der Identität beider Theudegisels miteinander.
Der Sohn müsste also nach Witigis' Festnahme durch die Oströmer irgendwie entkommen und zu den Westgoten gelangt sein, wo er als Flüchtling Monate später bereits ein wichtiges militärisches Kommando innegehabt hätte. Chronologisch wäre das also möglich, aber wohl nicht sehr plausibel. Eine Verwandtschaft mit den Amalern ist daher auch reine Spekulation.
Wie gesagt, die Annahme der spanischen Geschichtswissenschaft, dass Theudegisel ein Amaler gewesen sei, basiert wohl auf der Annahme der Identität mit dem Sohn des Theodahad mit dem späteren Westgotenkönig.
Wenn er es aber war, man also annehmen durfte, dass er qua Herkunft Königsheil besaß, dann ist es sowohl logisch, dass er in einem ostgotisch dominierten westgotischen Reich schnell an Einfluss gewann und dass Theudis ihn entweder loswerden oder kontrollieren musste. Beides, das Loswerden wie das Kontrollieren barg gewissen Risiken. Auf der einen Seite würde Theudis sich möglicherweise die Feindschaft seiner ostgotischen Gefolgsleute zuziehen, auf der anderen Seite könnte Theudegisel ihm zu mächtig werden. Daher wäre die Beschäftigung Theudegisels an der fränkischen Front für Theudis fast die beste Lösung gewesen.
So gesehen wird für mich die Identität des späteren Westgotenkönigs mit dem Sohn des Theodahad sogar immer wahrscheinlicher.
Den ostgotischen Soldaten wurde freigestellt, ob sie im Westgotenreich bleiben oder ins Ostgotenreich zurückkehren wollten. Viele blieben.
Richtig.
Dadurch wurden sie aber ins Westgotenreich integriert. Eine "ostgotische Suprematie" würde ich aus dem Umstand, dass die westgotische Armee teilweise aus Ostgoten bestand, nicht ableiten.
Nun, die westgotische Armee bestand nicht "teilweise" aus Ostgoten, diese bildeten in dieser Zeit ihren Kern.
Die Ostgoten in der westgotischen Armee kämpften nicht für das Ostgotenreich, sondern für das Westgotenreich. Sie kämpften nicht für den Erhalt einer ostgotischen Oberhoheit, sondern z. B. für den Schutz des Westgotenreiches vor den Franken.
Zur Wiederholung: So versteht die spanische Geschichtswissenschaft diese zweite Phase der ostgotischen Suprematie auch nicht. Wie schon - als ich das Zwei-Phasen-Modell in den Thread eingeführt habe - dargelegt, wird die zweite Phase der ostgotischen Suprematie als die Phase der Konsolidierung der
westgotischen Macht über die iberische Halbinsel gesehen. Die Protagonisten dieser Konsolidierung waren aber Leute ostgotischer Herkunft.
Dann ist die Frage, was man unter "Suprematie" versteht. Den Ausdruck "Suprematie" halte ich nur für angemessen, wenn die Ostgoten tatsächlich über die Westgoten Macht ausüben oder die Westgoten zumindest formal eine Oberhoheit der Ostgoten anerkennen. Für beides erkenne ich nach Theoderichs Tod keine Anhaltspunkte mehr.
Wenn man die Auffassung der spanischen Historiographie zugrunde legt, müsste man auch von einer bayrischen Suprematie über Griechenland unter dem griechischen König Otto I. sprechen oder von einer Suprematie des HRR über Russland unter Zarin Katharina II.
Supremacia im Spanischen ist die Oberhoheit, aber auch die Führerschaft. In diesem Sinne ist, wenn man berücksichtigt, dass die Protagonisten der westgotischen Politik jener Jahre meist ostgotischer Herkunft waren, der Begriff durchaus angemessen.