Nach Vouillé: Ostgotische Suprematie über die Westgoten

Es ist nicht zwingend notwendig, dass eine Besatzungsmacht die totale militärische Oberhoheit hat. In Maßen kann sie sich auf heimische Kollaborateure stützen.

Der Begriff mag übertrieben sein, aber grundsätzlich halte ich Stilichos Tendenz für richtig: Theoderich schaltete den gewählten Westgotenkönig Gesalech aus, schnappte sich den westgotischen Schatz und nahm ihn nach Ravenna mit, ließ die westgotischen Steuereinnahmen nach Ravenna abführen und ließ ostgotische Truppen unter dem Kommando des ostgotischen Statthalters Theudis zurück. Von einer Gleichberechtigung der beiden Reiche kann man da nicht sprechen. Da kann man wohl davon ausgehen, dass die Westgoten die Ostgoten eher als Besatzungsmacht empfunden haben werden.
 
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... In Maßen kann sie sich auf heimische Kollaborateure stützen.
Ein großer Teil des westgotischen Adels wollte Gesalech loswerden. Die Unterstützung war also ohnehin da. Man sollte dazu eher den Begriff "Schutzmacht" wählen, so lange Theoderich die Einmischung als notwendig erachtete.
 
Naja, historisch betrachtet ist der Begriff "Schutzmacht" (oder "Protektorat") aber oft nur ein Euphemismus für eine faktische Fremdherrschaft, die die Selbstständigkeit des kontrollierten Gebietes mehr auf dem Papier als in der Realität bestehen lässt.

Dass ein Teil des westgotischen Adels Gesalech loswerden wollte, bedeutet nicht automatisch, dass er stattdessen lieber Amalarich und Theoderich wollte.
Und Theoderich behielt seine Oberherrschaft über das Westgotenreich auch bei, nachdem Amalarich 522 volljährig geworden war. Uneigennützig, rein zugunsten seines Enkels, war seine Herrschaft im Westen sicher nicht.
 
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Dass ein Teil des westgotischen Adels Gesalech loswerden wollte, bedeutet nicht automatisch, dass er stattdessen lieber Amalarich und Theoderich wollte.
Auf dem Wunschzettel stand Theoderich wahrscheinlich nicht, aber welche Alternative hatte der westgotische Adel? Man hatte sich gerade gegen die Franken eine blutige Nase geholt. Ein entsprechend starker Mann stand in den eigenen Reihen offensichtlich nicht als Gegenkandidat zur Verfügung.
 
Ein entsprechend starker Mann stand in den eigenen Reihen offensichtlich nicht als Gegenkandidat zur Verfügung.

Vor allem nicht, wenn ostgotische Truppen im Land standen. Die Opposition gegen Gesalech regt sich ja auch erst, nachdem dieser gegen so ziemlich jeden verloren hatte. Bezeichnend auch, dass der westgotische Adel im Gegensatz zu Alarich II. vor der Schlacht von Vouillé nicht auf ostgotische Unterstüzung warten wollte - vermutlich, um die Unabhängigkeit zu wahren.
 
Bezeichnend auch, dass der westgotische Adel im Gegensatz zu Alarich II. vor der Schlacht von Vouillé nicht auf ostgotische Unterstüzung warten wollte - vermutlich, um die Unabhängigkeit zu wahren.
Das dürfte vermutlich nicht der Fall gewesen sein; gegenseitige Waffenhilfe war üblich (sh. meinen Post 31). Es war vor der Schlacht ja auch nicht abzusehen, dass Alarich II. starb und damit automatisch eine ostgotische Regentschaft ins Haus stehen würde. Und letzteres war ja unmittelbar danach noch nicht einmal der Fall.

Und um die Unabhängigkeit zu wahren, wäre es klüger gewesen, auf die ostgotischen Truppen zu warten. Sonst wäre nämlich die Unabhängigkeit komplett im Frankenreich untergegangen und nicht nur vorübergehend unter ostgotische Regentschaft geraten.
 
Und um die Unabhängigkeit zu wahren, wäre es klüger gewesen, auf die ostgotischen Truppen zu warten. Sonst wäre nämlich die Unabhängigkeit komplett im Frankenreich untergegangen und nicht nur vorübergehend unter ostgotische Regentschaft geraten.

Hinterher ist man immer schlauer. Damals war der westgotische Adel wohl anderer Ansicht.
 
Bezeichnend auch, dass der westgotische Adel im Gegensatz zu Alarich II. vor der Schlacht von Vouillé nicht auf ostgotische Unterstüzung warten wollte - vermutlich, um die Unabhängigkeit zu wahren.
Hinterher ist man immer schlauer. Damals war der westgotische Adel wohl anderer Ansicht.
Das ist reine Spekulation. Das Drängen des westgotischen Adels kann auch andere, z. B. strategische, Gründe gehabt haben. Z. B. könnte er befürchtet haben, dass die Franken weiteren Zuzug erhalten, wenn es nicht rasch zur Schlacht kommt, während man nicht sicher wissen konnte, wann die Ostgoten endlich eintreffen würden - und ob sie überhaupt eintreffen würden, schließlich hatten sie gerade Probleme mit den Oströmern. Oder aber man wollte den Feind nicht zu lange im eigenen Land stehen haben.
Oder er war einfach zu siegessicher. Wie schwer es ist, kampflustige Adlige im Zaum zu halten, zeigte sich später auch in so mancher mittelalterlichen Schlacht.
 
Die spanische Geschichtswissenschaft spricht von den "años dudosos" zwischen 507 und 569, wovon die ostgotische Suprematie natürlich nicht den Zeitraum einnimmt, sondern "nur" den von 507 bis 549.
Die ostgotische Suprematie wird dabei in zwei Phasen unterteilt:
- die direkte Regierung Theoderichs über das Westgotenreich, die gerne bis zu seinem Tod 526 fortgeführt wird, also über die Königserhebung Amalrichs hinaus.
- die Konsolidierung der westgotischen (sic!!!) Macht über die zuvor nur locker kontrollierte iberische Halbinsel.
 
Wieso wird die "ostgotische Suprematie" bis 549 erstreckt? Nur weil Theudis ostgotischer Herkunft war? Schon in seiner Zeit als Statthalter kümmerte er sich mehr um seine eigenen als die ostgotischen Interessen, und in seiner Zeit als König erst recht. Den Ostgoten nutzte es in ihren Kriegen gegen Ostrom reichlich wenig, dass ein Ostgote über die Westgoten herrschte, von einer ostgotischen "Suprematie" über den Westen konnte keine Rede mehr sein. Bei Theudigisel (548-549) ist die Herkunft überhaupt unklar; dass er mit dem gleichnamigen Sohn von Theodahad identisch ist, ist unwahrscheinlich. Aber schon die Jahre 526-531, also die Zeit, in der Amalarich nach Theoderichs Tod die tatsächliche Herrschaft über die Westgoten ausübte, würde ich nicht mehr der ostgotischen Suprematie zurechnen. Es kam zu einer Vereinbarung zwischen ihm und Athalarich/Amalaswintha, in der die gegenseitigen Beziehungen klar geregelt wurden, die Grenze zwischen beiden Reichen wurde festgelegt, die ostgotischen Truppen zogen ab, die Ostgoten gaben die Schätze zurück und verzichteten auf die Abgaben der Westgoten. Eine ostgotische Oberhoheit kann ich danach nicht mehr erkennen.
 
Da muss ich Ravenik zustimmen: bis 549 würde ich die ostgotische Suprematie auch nicht sehen. Das einzig ostgotische daran ist, dass Theudis von Geburt Ostgote war. Spätestens nachdem er eine reiche Hispano-Römerin geheiratet hatte, kochte er sein eigenes Süppchen, leistete sich 2000 Privatsoldaten und festigte damit seine Hausmacht auf der iberischen Halbinsel. Den gallischen Teil des Westgotenreiches überließ er einem Statthalter mit Sitz in Narbonne.

Eine Verbindung gibt es allerdings noch über Theudis zu den Ostgoten: Die Ostgotenkönige Ildibad und Totila waren mit Theudis verwandt (sh. auch Prokop). Bei diesen Königserhebungen spielte sicherlich eben diese Verwandtschaft eine gewisse Rolle, erhoffte man sich doch ggf. Unterstützung durch die Westgoten. Um das mal ins Unreine zu spinnen: ebenso gut hätte dadurch eine umgekehrte Konstellation eintreten können: eine westgotische Suprematie.
 
Eine Verbindung gibt es allerdings noch über Theudis zu den Ostgoten: Die Ostgotenkönige Ildibad und Totila waren mit Theudis verwandt (sh. auch Prokop). Bei diesen Königserhebungen spielte sicherlich eben diese Verwandtschaft eine gewisse Rolle, erhoffte man sich doch ggf. Unterstützung durch die Westgoten.
Das ist nicht nur naheliegend, sondern wird von Prokopios (6,30) auch ausdrücklich behauptet: Nach Witigis' Gefangennahme trugen die Ostgoten, die noch nicht unter oströmischer Herrschaft standen, die Krone dessen Neffen Uraias an, der aber ablehnte und stattdessen selbst den Ildibad vorschlug, wobei er ausdrücklich damit argumentiert haben soll, dass Theudis dessen Onkel sei und man daher dann mit westgotischer Hilfe rechnen könne. Totila wurde später dann (7,2) die Krone angetragen, weil er Ildibads Neffe war.
 
Noch mal zurück zur Frage ob Theoderich als König oder als Vormund seins Enkels regierte die "spanische" Quelle Laterculus Regum Visigothorum:
Theudericus reg. ann. XV
iste ab Italia veniens non tam suo ordine regnum in Spania tenuit quam tutelam agens Amalarici nepotis per cons(ortium).​
Wieso wird die "ostgotische Suprematie" bis 549 erstreckt? Nur weil Theudis ostgotischer Herkunft war?
bis 549 würde ich die ostgotische Suprematie auch nicht sehen. Das einzig ostgotische daran ist, dass Theudis von Geburt Ostgote war.

Nein, nicht nur weil Theudis ostgotischer Herkunft war. Theudis war ja nicht alleine gekommen, sondern mit einer ostgotischen Armee. Diese ostgotische Armee bildete unter Theudis und unter seinem General(!) und Nachfolger Theudigisel den Kern des westgotischen Heeres, zumal auch ein großer Teil der aquitanischen Westgoten nach Vouillé eben nicht in die den Westgoten verbliebenen Gebiete Septimaniens und Iberiens verzog, sondern sich den Franken unterwarf und fränkisch wurde.

Bei Theudigisel (548-549) ist die Herkunft überhaupt unklar; dass er mit dem gleichnamigen Sohn von Theodahad identisch ist, ist unwahrscheinlich.

Wie gesagt, der Status des Theudegisel in einem von Ostgoten dominierten Heer (im Übrigen hatten Theoderich und Theudis eine Politik der Versippung von ostgotischen Soldaten mit westgotischen Frauen betrieben) spricht für seine ostgotische Herkunft. In der spanischen Historiographie wird er gar als mit den Amalern versippt dargestellt, vermutlich, wie du schon andeutest, unter der Annahme, dass es sich um den Sohn des Theodahad handelt, was imho allerdings nicht zwingend ist.

Die spanische Historiographie sieht also in der zweiten Phase der ostgotischen Suprematie nicht mehr eine Abhängigkeit des Westgotenreiches vom Ostgotenreich, sondern dass die Politik des Westgotenreiches weitgehend von ansässigen Ostgoten bzw. unter der Regierung des Amalrich von ostgotischen Verwaltungsstrukturen (die Theudis dann nach Amalrichs Tod abschaffte) dominiert war.
 
Wie gesagt, der Status des Theudegisel in einem von Ostgoten dominierten Heer (im Übrigen hatten Theoderich und Theudis eine Politik der Versippung von ostgotischen Soldaten mit westgotischen Frauen betrieben) spricht für seine ostgotische Herkunft. In der spanischen Historiographie wird er gar als mit den Amalern versippt dargestellt, vermutlich, wie du schon andeutest, unter der Annahme, dass es sich um den Sohn des Theodahad handelt, was imho allerdings nicht zwingend ist.
Dafür, dass der Westgotenkönig Theudegisel mit dem Sohn Theodahads identisch war, spricht absolut nichts außer der Namensgleichheit. Das Letzte, was wir über das Schicksal von Theodahads Sohn wissen, ist, dass er 536 von Witigis festgenommen wurde, danach verliert sich seine Spur. Umgekehrt weiß man nichts über die Herkunft des Westgotenkönigs. Erstmals taucht er 541 in Kämpfen gegen die Franken auf. Schon von der Chronologie her ist eine Identität daher meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich: Witigis regierte bis 540. Sofern er den Sohn Theodahads überhaupt am Leben ließ, wird er ihn als Theodahads Erben nicht freigelassen haben. Der Sohn müsste also nach Witigis' Festnahme durch die Oströmer irgendwie entkommen und zu den Westgoten gelangt sein, wo er als Flüchtling Monate später bereits ein wichtiges militärisches Kommando innegehabt hätte. Chronologisch wäre das also möglich, aber wohl nicht sehr plausibel. Eine Verwandtschaft mit den Amalern ist daher auch reine Spekulation.

Nein, nicht nur weil Theudis ostgotischer Herkunft war. Theudis war ja nicht alleine gekommen, sondern mit einer ostgotischen Armee. Diese ostgotische Armee bildete unter Theudis und unter seinem General(!) und Nachfolger Theudigisel den Kern des westgotischen Heeres
Den ostgotischen Soldaten wurde freigestellt, ob sie im Westgotenreich bleiben oder ins Ostgotenreich zurückkehren wollten. Viele blieben. Dadurch wurden sie aber ins Westgotenreich integriert. Eine "ostgotische Suprematie" würde ich aus dem Umstand, dass die westgotische Armee teilweise aus Ostgoten bestand, nicht ableiten. (Immerhin bestand zu dieser Zeit auch die oströmische Armee zu einem Gutteil aus Germanen, Hunnen und Persern, die auch unter eigenen Führern kämpften - sogar Narses stammte aus dem persischen Teil Armeniens -, ohne dass man deswegen von einer germanischen, hunnischen oder persischen Suprematie über das Oströmische Reich sprechen würde.) Die Ostgoten in der westgotischen Armee kämpften nicht für das Ostgotenreich, sondern für das Westgotenreich. Sie kämpften nicht für den Erhalt einer ostgotischen Oberhoheit, sondern z. B. für den Schutz des Westgotenreiches vor den Franken.

Die spanische Historiographie sieht also in der zweiten Phase der ostgotischen Suprematie nicht mehr eine Abhängigkeit des Westgotenreiches vom Ostgotenreich, sondern dass die Politik des Westgotenreiches weitgehend von ansässigen Ostgoten bzw. unter der Regierung des Amalrich von ostgotischen Verwaltungsstrukturen (die Theudis dann nach Amalrichs Tod abschaffte) dominiert war.
Dann ist die Frage, was man unter "Suprematie" versteht. Den Ausdruck "Suprematie" halte ich nur für angemessen, wenn die Ostgoten tatsächlich über die Westgoten Macht ausüben oder die Westgoten zumindest formal eine Oberhoheit der Ostgoten anerkennen. Für beides erkenne ich nach Theoderichs Tod keine Anhaltspunkte mehr.
Wenn man die Auffassung der spanischen Historiographie zugrunde legt, müsste man auch von einer bayrischen Suprematie über Griechenland unter dem griechischen König Otto I. sprechen oder von einer Suprematie des HRR über Russland unter Zarin Katharina II.
 
Dafür, dass der Westgotenkönig Theudegisel mit dem Sohn Theodahads identisch war, spricht absolut nichts außer der Namensgleichheit. Das Letzte, was wir über das Schicksal von Theodahads Sohn wissen, ist, dass er 536 von Witigis festgenommen wurde, danach verliert sich seine Spur. Umgekehrt weiß man nichts über die Herkunft des Westgotenkönigs. Erstmals taucht er 541 in Kämpfen gegen die Franken auf. Schon von der Chronologie her ist eine Identität daher meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich: Witigis regierte bis 540. Sofern er den Sohn Theodahads überhaupt am Leben ließ, wird er ihn als Theodahads Erben nicht freigelassen haben.

Wie gesagt, ich gehe überhaupt nicht von der Annahme aus, dass der Westgotenkönig Theudegisel mit dem Sohn des Theodahad identisch ist, das macht die spanische Historiographie. Aber gerade was du schreibst könnte sehr wohl für eine Identität beider miteinander sprechen: Wenn Theudegisel (Westgotenkönig) ein Jahr nach der Gefangennahme des Witigis erstmals in der westgotischen Geschichte auftaucht, könnnte er z.B. von Ildibad, der sich vielleicht die Gefolgsleute der Amaler gewogen machen wollte, frei gelassen worden sein, z.B. unter der Auflage, die ostgotischen Herrschaftsgebiete zu verlassen. Aber das alles nur im Konjunktiv. Jedenfalls widerspräche ein (Wieder)Auftauchen des Theudegisel kurz nach der Gefangennahme des Witigis keinesfalls der Identität beider Theudegisels miteinander.


Der Sohn müsste also nach Witigis' Festnahme durch die Oströmer irgendwie entkommen und zu den Westgoten gelangt sein, wo er als Flüchtling Monate später bereits ein wichtiges militärisches Kommando innegehabt hätte. Chronologisch wäre das also möglich, aber wohl nicht sehr plausibel. Eine Verwandtschaft mit den Amalern ist daher auch reine Spekulation.
Wie gesagt, die Annahme der spanischen Geschichtswissenschaft, dass Theudegisel ein Amaler gewesen sei, basiert wohl auf der Annahme der Identität mit dem Sohn des Theodahad mit dem späteren Westgotenkönig.
Wenn er es aber war, man also annehmen durfte, dass er qua Herkunft Königsheil besaß, dann ist es sowohl logisch, dass er in einem ostgotisch dominierten westgotischen Reich schnell an Einfluss gewann und dass Theudis ihn entweder loswerden oder kontrollieren musste. Beides, das Loswerden wie das Kontrollieren barg gewissen Risiken. Auf der einen Seite würde Theudis sich möglicherweise die Feindschaft seiner ostgotischen Gefolgsleute zuziehen, auf der anderen Seite könnte Theudegisel ihm zu mächtig werden. Daher wäre die Beschäftigung Theudegisels an der fränkischen Front für Theudis fast die beste Lösung gewesen.
So gesehen wird für mich die Identität des späteren Westgotenkönigs mit dem Sohn des Theodahad sogar immer wahrscheinlicher.

Den ostgotischen Soldaten wurde freigestellt, ob sie im Westgotenreich bleiben oder ins Ostgotenreich zurückkehren wollten. Viele blieben.
Richtig.
Dadurch wurden sie aber ins Westgotenreich integriert. Eine "ostgotische Suprematie" würde ich aus dem Umstand, dass die westgotische Armee teilweise aus Ostgoten bestand, nicht ableiten.
Nun, die westgotische Armee bestand nicht "teilweise" aus Ostgoten, diese bildeten in dieser Zeit ihren Kern.

Die Ostgoten in der westgotischen Armee kämpften nicht für das Ostgotenreich, sondern für das Westgotenreich. Sie kämpften nicht für den Erhalt einer ostgotischen Oberhoheit, sondern z. B. für den Schutz des Westgotenreiches vor den Franken.
Zur Wiederholung: So versteht die spanische Geschichtswissenschaft diese zweite Phase der ostgotischen Suprematie auch nicht. Wie schon - als ich das Zwei-Phasen-Modell in den Thread eingeführt habe - dargelegt, wird die zweite Phase der ostgotischen Suprematie als die Phase der Konsolidierung der westgotischen Macht über die iberische Halbinsel gesehen. Die Protagonisten dieser Konsolidierung waren aber Leute ostgotischer Herkunft.



Dann ist die Frage, was man unter "Suprematie" versteht. Den Ausdruck "Suprematie" halte ich nur für angemessen, wenn die Ostgoten tatsächlich über die Westgoten Macht ausüben oder die Westgoten zumindest formal eine Oberhoheit der Ostgoten anerkennen. Für beides erkenne ich nach Theoderichs Tod keine Anhaltspunkte mehr.
Wenn man die Auffassung der spanischen Historiographie zugrunde legt, müsste man auch von einer bayrischen Suprematie über Griechenland unter dem griechischen König Otto I. sprechen oder von einer Suprematie des HRR über Russland unter Zarin Katharina II.

Supremacia
im Spanischen ist die Oberhoheit, aber auch die Führerschaft. In diesem Sinne ist, wenn man berücksichtigt, dass die Protagonisten der westgotischen Politik jener Jahre meist ostgotischer Herkunft waren, der Begriff durchaus angemessen.
 
Wenn Theudegisel (Westgotenkönig) ein Jahr nach der Gefangennahme des Witigis erstmals in der westgotischen Geschichte auftaucht, könnnte er z.B. von Ildibad, der sich vielleicht die Gefolgsleute der Amaler gewogen machen wollte, frei gelassen worden sein, z.B. unter der Auflage, die ostgotischen Herrschaftsgebiete zu verlassen.
Die Frage ist, ob Ildibad dazu überhaupt die Möglichkeit hatte. Wir wissen nicht einmal, ob Witigis den Theudegisel (Sohn Theodahads) überhaupt am Leben ließ, und noch weniger, wo er ihn gefangenhielt. Wenn wir aber annehmen, dass er ihn in Ravenna gefangengehalten haben wird (um ihn in Reichweite zu haben und zu verhindern, dass abtrünnige Ostgoten den Sohn Theodahads befreien könnten), dann kann Ildibad ihn schwerlich freigelassen haben, weil Ravenna nach Witigis' Ergebung von den Oströmern besetzt wurde. Ildibad regierte in Pavia und hatte nie Zugriff auf Ravenna.

Wenn er es aber war, man also annehmen durfte, dass er qua Herkunft Königsheil besaß, dann ist es sowohl logisch, dass er in einem ostgotisch dominierten westgotischen Reich schnell an Einfluss gewann und dass Theudis ihn entweder loswerden oder kontrollieren musste. Beides, das Loswerden wie das Kontrollieren barg gewissen Risiken. Auf der einen Seite würde Theudis sich möglicherweise die Feindschaft seiner ostgotischen Gefolgsleute zuziehen, auf der anderen Seite könnte Theudegisel ihm zu mächtig werden. Daher wäre die Beschäftigung Theudegisels an der fränkischen Front für Theudis fast die beste Lösung gewesen.
Indem er ihm ein Heer gibt?

Nun, die westgotische Armee bestand nicht "teilweise" aus Ostgoten, diese bildeten in dieser Zeit ihren Kern.
Worauf stützt Du diese Annahme? Theudis und andere Heerführer waren Ostgoten, und ostgotische Soldaten waren im Westen geblieben. Aber daraus würde ich nicht gleich ableiten, dass die Westgoten im Heer an den Rand gedrängt wurden. Theudis musste daran gelegen sein, seine Herrschaft trotz seiner Abstammung als Ostgote und Nicht-Balthe zu konsolidieren, da wäre es nicht gerade günstig gewesen, sich dauerhaft wie ein Fremdherrscher zu benehmen und den Westgoten das Gefühl zu geben, sie wären Untertanen zweiter Klasse. Dass Theudis in der Lage war, über den ostgotischen Tellerrand zu blicken, zeigte schon seine Ehe mit einer Romanin.
Und falls Theudegisel (der spätere Westgotenkönig) nicht der Sohn Theodahads war, gibt es keinen Hinweis darauf, dass er Ostgote war. Dann kann er ebensogut ein westgotischer Adliger gewesen sein, der ein militärisches Kommando erhielt.

So versteht die spanische Geschichtswissenschaft diese zweite Phase der ostgotischen Suprematie auch nicht. Wie schon - als ich das Zwei-Phasen-Modell in den Thread eingeführt habe - dargelegt, wird die zweite Phase der ostgotischen Suprematie als die Phase der Konsolidierung der westgotischen Macht über die iberische Halbinsel gesehen. Die Protagonisten dieser Konsolidierung waren aber Leute ostgotischer Herkunft.
Richtig, aber sie handelten trotz ihrer Herkunft im westgotischen Interesse, z. B. indem sie sich aus den Kriegen der Ostgoten mit den Oströmern heraushielten. In der Praxis wirkte sich die ostgotische Abstammung von Theudis kaum aus. Könige westgotischer Herkunft hätten nicht "patriotischer" regieren können als Theudis.
 
Noch etwas spricht meiner Meinung nach gegen eine Identität des Theodahadsohnes mit dem Westgotenkönig: das völlige Schweigen der Quellen dazu. Niemand soll für erwähnenswert gehalten haben, dass der Westgotenkönig der Sohn eines Ostgotenkönigs war? Besonders erstaunlich wäre das bei Prokopios: Er schob in seine Darstellungen mitunter höchst ausführliche Rück- und Ausblicke ein, wenn ihm etwas berichtenswert erschien. Bei Ildibad hat er auch auf dessen Verwandtschaft mit Theudis hingewiesen. Aber bei seiner Erwähnung des Theudegisel soll er vergessen haben, zumindest in einem Nebensatz zu erwähnen, dass er später Westgotenkönig wurde? Natürlich möglich, aber irgendwie nicht sehr plausibel.

Eine Identifizierung der beiden Theudegisels ist nur unter mehreren rein hypothetischen Prämissen möglich, die eine Überbrückung zwischen der letzten Erwähnung bei den Ostgoten und der ersten Erwähnung bei den Westgoten ermöglichen:
- Der Sohn Theodahads muss den Witigis, in dessen Gefangenschaft er geriet, überlebt haben.
- Er muss irgendwann aus der Gefangenschaft entkommen oder (von den Ostgoten oder den Oströmern) freigelassen worden sein.
- Er muss zu den Westgoten gelangt sein.
- Theudis muss ihm ein militärisches Kommando übertragen haben.
Wie gesagt, alle vier Punkte sind rein spekulativ.
 
Wenn er es aber war, man also annehmen durfte, dass er qua Herkunft Königsheil besaß, dann ist es sowohl logisch, dass er in einem ostgotisch dominierten westgotischen Reich schnell an Einfluss gewann und dass Theudis ihn entweder loswerden oder kontrollieren musste. Beides, das Loswerden wie das Kontrollieren barg gewissen Risiken. Auf der einen Seite würde Theudis sich möglicherweise die Feindschaft seiner ostgotischen Gefolgsleute zuziehen, auf der anderen Seite könnte Theudegisel ihm zu mächtig werden. Daher wäre die Beschäftigung Theudegisels an der fränkischen Front für Theudis fast die beste Lösung gewesen.

Indem er ihm ein Heer gibt?

Gerade dadurch. Wie wird man lästige Konkurrenten ohne sich deren Gefolgsleute zu Feinden zu machen los? Man schickt sie an die Front, in der Hoffnung, dass der Feind dort das Problem erledigt. So oder so: Mit der Entsendung eines Amalers Theudegisel an die fränkische Front wäre ein Problem Theudis' auf jeden Fall gelöst: Entweder das fränkische Problem oder aber die Konkurrenz durch Theudegisel, weil dieser bei Misserfolg entweder gefallen oder entzaubert (Verlust des Königsheils) wäre.
 
Bei einem militärischen Kommando besteht aber immer die Möglichkeit, dass man Erfolg hat und sich dadurch Ruhm erwirbt. Theudis hätte also riskiert, dass Theudegisel plötzlich zum strahlenden Sieger über die Franken, gegen die man in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich verloren hat, wird und natürlich an der Spitze eines Heeres steht. Das wäre (und war) für ihn schon gefährlich genug gewesen, wenn Theudegisel bloß irgendein westgotischer Adliger war, umso mehr, wenn er mit Amalarich verwandt und mit den Balthen verschwägert und selbst Angehöriger eines berühmten Geschlechts gewesen wäre.
 
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