Ich würd sagen, er war ein Wendepunkt, was Germanien anging. Das römische Reich expandierte anderswo durchaus weiter, aber diese Grenze bewegte sich nicht mehr.
Die Varusschlacht war nicht nur ein Wendepunkt, was Germanien anbelangte. Jahrhundertelang war die römische Außen- und Kriegs-Politik von einem zähen Durchhaltewillen geprägt gewesen. Die Römer gaben auch nach Rückschlägen nicht auf, sondern setzten Kriege fort, koste es, was es wolle (vor allem auch das Leben ihrer Soldaten), bis sie irgendwann doch ihr Ziel erreichten. Nach der Varusschlacht versuchten Tiberius und Germanicus zwar noch ein paar Jahre lang, die Niederlage und ihre Folgen wett zu machen, aber schließlich ließ man es bleiben und akzeptierte im Wesentlichen die Rheingrenze (abgesehen von der späteren Annexion des Dekumatlandes). Eine ähnliche Entwicklung gab es etwa zur selben Zeit auch im Osten: Man versuchte nicht mehr um jeden Preis, das Partherreich (das eine permanente latente Bedrohung für den römischen Orient war) niederzuringen. Möchtegern-Alexanders wie Caracalla oder Iulianus Apostata gab es zwar immer wieder, aber grundsätzlich akzeptierte man die Existenz des Nachbarn (und seines Nachfolgers, des Neupersischen Reiches).
Mit Augustus und Tiberius, in Germanien und im Osten, gingen die Römer also von einer Politik des Sieges um jeden Preis zu einer Politik über, bei der man bereit war, zurückzustecken, wenn die Kosten (Personen und Ressourcen) unvertretbar hoch erschienen bzw. in keinem Verhältnis mehr zum erhofften Nutzen standen. (Man erinnere sich daran, dass Rom einst 23 Jahre um die Kontrolle über Sizilien Krieg geführt hatte.)
Interessanterweise fand dieser Politikwechsel zu einer Zeit statt, als Rom (real gesehen) keine Republik mehr war, sondern zunehmend autoritär regiert wurde. Es war die Republik (die freilich im Wesentlichen eine Republik der Oberschicht gewesen war, aber doch auch mit Volksversammlungen mit echten Entscheidungskompetenzen) gewesen, die ihre Bürger ohne große Bedenken maßlos verheizt hatte, nicht die Kaiser.
Der Umstand, dass sich Tiberius dazu entschloss die Expansion östlich des Rheins aufzugeben, die hatte sicherlich massive politische Folgen, die Frage ist nur, kann man sie einzig oder hauptsächlich an der Varus-Niederlage festmachen?
Die Varus-Niederlage war die Initialzündung, durch die die Römer die Kontrolle verloren und nie wieder erlangten. Man kann natürlich spekulieren, ob es auch ohne Arminius später einen anderen erfolgreichen Aufstand gegeben hätte, der die römische Herrschaft westlich des Rheins beseitigt hätte. Real gesehen war aber die Varus-Niederlage der entscheidende Schritt zum Scheitern. Vor der Niederlage hatten die Römer die Kontrolle - fragil, aber doch -, danach nicht mehr und nie wieder. Ohne diese Niederlage hätten sie weiterhin die Kontrolle gehabt - bis zu einem hypothetischen späteren erfolgreichen Aufstand, den es aber vielleicht nie gegeben hätte.
Die Varus-Niederlage war auch deshalb entscheidend, weil sie zeigte, dass die Römer zu schlagen waren. Schon davor hatten die Römer immer wieder mit Abfallbewegungen eigentlich bereits "unterworfener" Stämme zu tun gehabt, sie aber immer wieder niedergeschlagen, was auf Dauer demotivierend auf potentielle Rebellen gewirkt haben müsste. Ich glaube, man sollte die Motivationswirkung der Varus-Niederlage für potentiell Aufstandswillige nicht unterschätzen.
Na ja, wenn der Römische Reich bis an die Elbe reichte, wären z.B. Markomannen und Langobarden mit größer Wahrscheinlichkeit "römische Bürger" geworden, was die Geschichte wohl entscheidend verändern würde: Keine Markomannenkriege und damit auch kein Zweifrontenkrieg im Norden und Osten (Parther, Perser), die Krise des Reiches im 3. Jahrhundert (Soldatenkaiser) wäre wahrscheinlich ausgeblieben.
Das halte ich für eine sehr optimistische Annahme. Wenn das Römische Reich bis zur Elbe gereicht hätte, hätte man sich zwar wohl den Markomannenkrieg Mark Aurels in dieser Form gespart, hätten aber die östlich davon lebenden Germanen eben zunehmend Druck auf die Elbegrenze ausgeübt, und für die untere Donauregion (die Mitte des 3. Jhdts. massiv vor allem von den Goten heimgesucht wurde) hätte sich nichts geändert. Die Antoninische Pest hätte sich auch ohne Markomannenkriege im Reich ausbreiten können.