Warum war die Varusschlacht für Rom so bedeutend?

BerndHH

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Ich hätte da noch einmal eine provokative Frage: wo war eigentlich die immense militärisch-politische Tragweite bei der Niederlage der Varusschlacht?
Waren nicht andere Niederlagen wie Cannae, zumal auf ital. Boden, nicht sehr viel verheerender als Gamechanger in der römischen Geschichte? Gut, das war bedeutend früher aber in der gesamthistorischen Einordnung?
Eine verlorene Schlacht oben bei den Barbaren - provokativ gesagt, so what?

3 verlorene Legionen, okay aber im Gesamtkontext mittelfristig wieder auffüllbar, oder?
3 verlorene Legionen, hätte man auch beim Aufflackern eines neuen Pannonischen Aufstandes gebrauchen können
Germania Magna - eine neue Provinz mit nicht unbedingt den wichtigsten Bodenschatzvorkommen und landwirtschaftlich auch nicht unbedingt die Getreidekammer des Imperiums, wenn sie verloren geht, dann geht das Licht in Rom nicht unter

Doch das muss es ja wohl gewesen sein, wenn man die hysterische Reaktion und den berühmten Ausspruch von Kaiser Augustus denkt.
Waren nicht andere militärische Krisen bedeutender?
Wenn ich recht informiert bin, dann waren die Augusteischen Germanenkriege der größte militärische Konflikt in der Kaiserzeit des Augustus und nicht Kriege gegen Parther, Nubier, etc.
Das war wohl schon alles vorbei. Pax Augusta = Pax Romana

Ist vielleicht infantil von mir gefragt und vielleicht habt Ihr da bessere Einschätzungen.
 
Ist das nicht zu sehr aus unserer heutigen Sichtweise gedacht?
Hatten die Römer jemals vor, "Länder" zu erobern?
Man eroberte, um sich im eroberten Gebiet mittels Steuern, mittels Ausbeutung der Rohstoffe und mittels Ausbeutung der dortigen Arbeitskräfte zu bereichern. Von einem entvölkerten Land hätte man wenig gehabt, Siedlungsfläche gab es im römischen Reich genug.

Auf der anderen Seite - waren die Schwierigkeiten der Römer in Germania Magna wirklich so groß?
Oder überhöhen wir die Erfolge der einheimischen immer noch in der Folge der Deutschtümelei des 19. Jahrhunderts?

Drusus, Ahenobarbus, Vinicius und Tiberius hatten wohl nur kleinere Schwierigkeiten bei ihren Campagnen bis zur Weser. Germania galt zu Varus' Zeiten als erobert.
Wenige Jahrzehnte nach Tiberius besetzten die Römer ohne größere Probleme die Wetterau und die Agri Decumates (falls sie die Wetterau je verlassen hatten). Weitere größere Konflikte sind uns für 200 Jahre nicht mehr überliefert.

Eigentlich sehr erfolgreich alles für Rom. Einzig die Varus-Katastrophe und die überschaubaren Erfolge des Germanicus und Tiberius trüben das Bild. Aber war die Varus-Niederlage wirklich so einzigartig?

Direkt davor (6-9) hatte der pannonische Aufstand stattgefunden, den man nur mit allergrößter Mühe niederschlagen konnte. Zwischenzeitlich hatte man eine Invasion Roms befürchtet. Letztendlich die größere Bedrohung und der größere Einsatz. In den späteren Markomannenkriegen waren die Verluste deutlich höher als im "Teutoburger Wald" (doch an der Donau? :D).

Die Probleme mit den "deutschen" "Germanen" waren nicht so überragend und nicht so einzigartig.
Vielleicht war es doch vor allem der Person des Tiberius geschuldet, dass man die Feldzüge abbrach.
Zudem war der Norden der Germania Magna anscheinend nicht interessant genug, um dafür zu viel Mühe zu verschwenden. Den Süden holte man sich ohne Probleme.

Die Schwierigkeiten begannen erst viel später.....
 
Ich hätte da noch einmal eine provokative Frage: wo war eigentlich die immense militärisch-politische Tragweite bei der Niederlage der Varusschlacht?

Woraus genau entnimmst du, dass ausgerechnet die Varusschlacht eine solche immense Tragweite aus in der römischen Perspektive eingenommen habe?
Sie hat eine eine entsprechende Tragweite in der späteren deutschen Nationalmythosbildung eingenommen, wo aber in der Römischen?

Germania Magna - eine neue Provinz mit nicht unbedingt den wichtigsten Bodenschatzvorkommen und landwirtschaftlich auch nicht unbedingt die Getreidekammer des Imperiums, wenn sie verloren geht, dann geht das Licht in Rom nicht unter

Angesichts der Tatsache dass Rom nach der Varus-Schlacht sich ja durchaus nicht aus der "Germania Magna" zurückzog, sondern eine längere Auseinandersetung mit den Germanischen Gruppen folgte, die dann erst unter Tiberius abgebrochen wurde, ist es allein schon eine deutliche Überhöhung der Vrausschlacht darin den endgültigen Wendepunkt für den Verlust der Germania Magna für das Imperium zu sehen.

Doch das muss es ja wohl gewesen sein, wenn man die hysterische Reaktion und den berühmten Ausspruch von Kaiser Augustus denkt.

Muss es das gewesen sein? Wir wissen ja nicht einmal, ob es diesen Ausspruch tatsächlich gegeben hat.
 
Also die Gewichtung der Bedeutung war nicht von mir, ich meinte das so verstanden zu haben.
Vor allem abgeleitet aus Augustus Reaktion, die ja vielleicht auch weniger überdramatisiert sein könnte - ich weiß es nicht.

Stilichos Ausführungen finde ich sehr gut und nachvollziehbar. Besten Dank!!!
 
Es kann doch durchaus gewesen sein dass das Imperium Romanum während der folgenden Jahrhunderte weiterhin guten Nutzen aus dem rechtsrheinischen Germanien hatte: man konnte weiterhin Handel treiben, hatte nicht mehr Aufwand in der Verwaltung einer Provinz, hatte Foederati und germanische Söldner, und weiterhin Handelswaren aus dem Ostseeraum.

Wäre der Infrastruktur- und Militärlogik-Aufwand des linksrheinischen Germaniens in der Germania libera überhaupt finanzierbar gewesen?
 
Woraus genau entnimmst du, dass ausgerechnet die Varusschlacht eine solche immense Tragweite aus in der römischen Perspektive eingenommen habe?
Sie hat eine eine entsprechende Tragweite in der späteren deutschen Nationalmythosbildung eingenommen, wo aber in der Römischen?
Ich würde schon sagen, dass die Varusniederlage in der römischen Wahrnehmung schon sehr wichtig war.
Die wichtigsten Niederlagen der Republik waren die an der Allia und die bei Cannae. Und vielleicht noch Carrhae
Da hat sich dann in der Kaiserzeit die Varusschlacht eingereiht. Wir wissen über diese Niederlage nicht viel, aber mehr als über manch anderen Krieg UND wir wissen, dass die 17., 18. und 19. Legion nicht wieder aufgestellt wurden. Die Zahlen waren über längere Zeit "verbrannt".
 
Nichtsdestotrotz expandierte das Römische Reich weiter. Neue Provinzen im Nahen Osten, in Britannien und in Dakien konnten gewonnen werden bis es unter Kaiser Trajan 115-117 n.Chr seine größte Ausdehnung hatte. Insofern war die Varusschlacht eine schmerzhaft Niederlage aber kein Wendepunkt.
 
Natürlich darf man die Münzemission Caligulas zu Ehren Germanicus' Triumph über die Germanen 20 Jahre nach dessen Tod nicht überbewerten, schließlich war Germanicus sein Vater und Caligula selbst benutzte diesen Ehrennamen seines Vaters als Teil seines Kaisernamens:

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Die Münze ehrt zwar den Sieg des Germanicus über die Germanen, erinnert aber mit den Signis receptis an die Wiedergewinnung von in der Varusschlacht verlorenen Adlern.
 
Doch das muss es ja wohl gewesen sein, wenn man die hysterische Reaktion und den berühmten Ausspruch von Kaiser Augustus denkt.
Dazu sollte man auch berücksichtigen, dass Augustus Oberkommandierender und Varus' Vorgesetzter war, insofern konnte die Niederlage auch ein bisschen auf ihn zurückfallen. Außerdem verliert man nicht jeden Tag drei Legionen, insofern ist eine emotionale Reaktion doch wohl verständlich.
Bedenken sollte man auch, dass es in Rom so etwas wie ein Gallier- und ein Germanentrauma gab, ersteres seit der Niederlage an der Allia und der Eroberung Roms durch die Gallier, zweiteres seit den Zügen der Kimbern und Teutonen. (Mit zweiterem hatte bereits Caesar bei seinen Truppen zu kämpfen, als es gegen Ariovist ging. Nach seinen Erfolgen gegen die Germanen hatte es sich wohl etwas gelegt: So gefährlich sind sie ja doch nicht! Und dann das ...) Wieder einmal gegen Germanen als (endlich besiegt geglaubte) "Angstgegner" verloren zu haben, wog somit schwerer und konnte (übertriebene) Ängste auslösen.

Ansonsten sollte man die Bedeutung der Varusschlacht für Rom weder über- noch unterbewerten.

Die Römer selbst nahmen sie anscheinend nicht als eine der ganz großen Niederlagen ihrer Geschichte wahr. Zunächst waren sie natürlich geschockt, aber in den folgenden Jahrhunderten spielte sie in der kollektiven Wahrnehmung und der Geschichtsschreibung nur noch eine geringe Rolle; kein Vergleich etwa mit den Niederlagen an der Cremera, an der Allia, gegen Hannibal oder bei Carrhae.

Kurz- und mittelfristig führte sie nur dazu, dass die Unterwerfung Germaniens letztlich scheiterte, hatte aber keine gröberen Auswirkungen auf das Reich. Das angrenzende Reichsterritorium war mittelfristig nicht erheblich gefährdet. Die grenznahen Regionen Germaniens konnten indirekt mit Bündnissen und der Installierung von Klientelkönigen einigermaßen kontrolliert werden. Langfristig betrachtet allerdings führte das Scheitern bei der Unterwerfung Germaniens dazu, dass man zunehmend die Kontrolle über die Vorgänge in Germanien verlor und die Bildung von "Großstämmen" sowie Wanderungsbewegungen nicht verhindern oder beeinflussen konnte.

Insofern halte ich die Varusschlacht durchaus für einen relevanten Wendepunkt: Vor der Niederlage waren die Chancen der Römer ganz gut, das Gebiet dauerhaft zu unterwerfen. Danach bekamen sie es nie mehr in den Griff.
 
Nichtsdestotrotz expandierte das Römische Reich weiter. Neue Provinzen im Nahen Osten, in Britannien und in Dakien konnten gewonnen werden bis es unter Kaiser Trajan 115-117 n.Chr seine größte Ausdehnung hatte. Insofern war die Varusschlacht eine schmerzhaft Niederlage aber kein Wendepunkt.

Ich würd sagen, er war ein Wendepunkt, was Germanien anging. Das römische Reich expandierte anderswo durchaus weiter, aber diese Grenze bewegte sich nicht mehr. Ohne die katastrophale Varusschlacht hätte sich das Reich i-wann vielleicht bis an die Elbe oder Oder erstreckt, und große Teile des heutigen Deutschlands wären wesentlich stärker romanisiert worden.

Wäre der Infrastruktur- und Militärlogik-Aufwand des linksrheinischen Germaniens in der Germania libera überhaupt finanzierbar gewesen?

Bei dieser Kosten-Nutzen-Rechnung stellt die Varusschlacht halt einen erheblichen Kostenfaktor dar; va wenn die Römer einkalkulierten, dass das, was einmal geschehen ist, wieder geschehen kann.
 
Eigentlich sollte man sich die Frage stellen, warum die Bedeutung der Varus (Hermanns)-Schlacht für die "Germanen" oder besser ihre Nachfahren hatte.

Es kam nicht alle Tage vor, dass eine ganze Armee samt dem Generalissimus und den Feldzeichen vernichtet wurde, aber Rom hat in seiner langen Geschichte doch die ein oder andere Niederlage und durchaus auch verheerende Niederlagen. Aber ob nun die Nordgrenze am Rhein oder an der Elbe verlief, war für die Entwicklung des Imperiums nicht unbedingt entscheidend.

Für die Entwicklung der Sprache, war freilich die Varus-Schlacht und Tiberius Entschluss, sich auf Rhein und Donau zurückzuziehen schon so etwas wie eine Zäsur. Andernfalls würden die Deutschen vielleicht eine dem Französischen ähnliche Sprache sprechen. Ein Meister der deutschen Sprache hat das gespürt, auch wenn er sich über die Deutschtümelei und den Germanen-Kult lustig machte, auch wenn er zugab, selbst für das Hermannsdenkmal gespendet hat.

Das ist der Teutoburger Wald, den Tacitus beschrieben.
Das ist der klassische Morast, wo Varus stecken geblieben.
Hier bezwang ihn der Cheruskerfürst, der Hermann, der edle Recke.
Die deutsche Nationalität- sie siegte in diesem Drecke.

Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,
Mit seinen blonden Horden,
Dann gäbe es die deutsche Freiheit nicht,
Wir wären Römer geworden.

In unserem Vaterland herrschten jetzt nur Römische Sprache und Sitten.
Vestalinnen gäbe es in München sogar,
Die Schwaben sie wären Quiriten.

Wir hätten einen Nero jetzt,
Statt Landesväter drei Dutzend
Wir schnitten uns die Adern auf,
den Schergen der Knechtschaft trutzend.

O, Hermann Dir verdanken wir das!
Drum wird Dir, wie sich´s gebühret
Zu Detmold ein Denkmal gesetzt,
Hab selber subskribieret.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Aspekt der Varus-Katastrophe ist auch die weitere Unabhängigkeit der Markomannen. Wäre die Germania Magna römische Provinz geblieben, wäre die Markomannia früher oder später sowohl vom Nordwesten als auch vom Süden durch römische Truppen bedroht worden. Die großen Probleme mit den Markomannen und deren Verbündeten während der Herrschaftszeit von Marc Aurel wären wohl kein Thema gewesen, wenn die Varus-Niederlage nicht passiert wäre. Die Römer werden dieser Schlacht nicht lange große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Im Rückblick darauf kann ich für mich feststellen, dass die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum gesehen doch gravierend waren.
 
Wir wissen über diese Niederlage nicht viel, aber mehr als über manch anderen Krieg UND wir wissen, dass die 17., 18. und 19. Legion nicht wieder aufgestellt wurden. Die Zahlen waren über längere Zeit "verbrannt".

Die Niederlage wird sicherlich grundsätzlich im kollektiven Gedächtnis gewisse Nachwirkungen hinterlassen haben, das Schlagwort "germania capta" taucht sicherlich auch nicht umsonst immer wieder auf.
Aber das halte ich dann eher für ein kulturelles Phänomen.

@BerndHH sprach ja aber von einer "immensen-militärisch-politischen Tragweite" der Varus-Niederlage und die sehe ich eigentlich nicht.

Militärisch gesehen tat der Verlust von 3 Legionen dem Imperium sicherlich weh, aber es beeinträchtigte nicht wirklich seine militärische Aktionsfähigkeit, die war grundsätzlich auch relativ kurzfristig danach auch im betreffenden Raum wieder gegeben.
Die Grenze zum "germanischen" Barbaricum war zwar insofern für Rom militärpolitisch immer ein Problem, als dass sie dauerhaft einen reltiv großen Anteil der Streitkräfte band, hier würde ich allerdings als fraglich betrachten, ob man das hauptsächlich als Folge der Varus-Niederlage betrachten kann, zumal die Entscheidung den Versuch sich in Germanien festzusetzen aufzugeben ja nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Varusschlacht steht, wie ich das sehe, sondern eher ein Ergebnis dessen war, dass man auch im Zuge der Auseinandersetzungen nach Varus es nicht schaffte die in diesem Raum ansässigen Gruppen tatsächlich effektiv zu kontrollieren oder militärisch zu unterwerfen.

Ich sehe dementsprechend auch nicht die immensen politischen Folgen.
Der Umstand, dass sich Tiberius dazu entschloss die Expansion östlich des Rheins aufzugeben, die hatte sicherlich massive politische Folgen, die Frage ist nur, kann man sie einzig oder hauptsächlich an der Varus-Niederlage festmachen?
Ich würde eher davon ausgehen, dass Tiberius persönliche Erfahrungen in Germanien und den Umstand, dass sich die Auseinandersetzungen endlos hinzogen für den Grund dafür halten, dieses Gebiet auf Grund von nüchterner Kosten-Nutzen-Kalkulation aufzugeben, als die zu dieser Zeit ja nun doch schon etwas zurückliegende Varus-Niederlage, zumal Arminius und die damalige Koaltion germanischer Gruppen ja durchaus auch schon passé waren und als Gegner in dieser Form nicht mehr existierten.

Ich denke dass da erher der Mangel an Möglichkeiten die germanischen Gruppenn über zetrale Strukturen zu kontrollieren und die damit verbundene Gefahr permaneneter effektiv nicht zu unterdrückender Unruhe zumal in einem relativ weitläufigen Gebiet der Grund war, als die eine Niederlage.
 
Nein, wie gesagt, ich habe die Wahrnehmung einer "immensen militärischen Tragweite" den bisherigen Darstellungen entnommen. Es ist nicht unbedingt meine Einschätzung, daher habe ich das ja auch zur Diskussion gestellt.
Eure Beiträge sind hochinteressant und regen an, länger darüber nachzudenken.
 
Vieles von dem was wir hinsichtlich der versuchten weiteren Expansion des Imperium Romanum wahrnehmen, ist militärisch betrachtet. Das war auch ganz sicher so in der politischen und zeitgenössischen historischen Sicht der römischen Geschichtsschreiber.
Aber es ist nur ein Teilaspekt.

Für viel wichtiger halte ich, inwieweit eine wirtschaftliche und kulturelle Durchdringung der erschlossenen neuen Provinzen möglich war.

Die eroberte Provinz Africa war wirtschaftlich, infrastrukturell und vor allem landwirtschaftlich schon voll erschlossen. Es bildete sich ein intensiver Handel aus: Versorgung der römischen städtischen Bevölkerung mit den Produkten einer konkurrenzlos hoch entwickelten Landwirtschaft, riesige lokale Absatzmärkte für römische Produkte, intensiver Schiffsverkehr quer über das Mittelmeer.

Das mühsam eroberte Spanien: Lieferant von Blei und Silber in riesiger Menge. Hi-Tec-Standort für Baumaterial (Bronze, Bleirohre), Sklaven in großer Anzahl für Bergbau, Landwirtschaft und Transport.

Desgleichen das eroberte Gallien: Intensiver Verkehr über die Rhône und ihre Nebenflüsse, mit kurzem Landtransfer dann sowohl in Richtung Nordseeküste und Britannien, als auch über die Mosel in das linksrheinische Germanien. Ausbildung lokaler Eliten in den Städten.

Das alles waren Selbstläufer, mit bis zum 4. Jahrhundert immer höherer Verflechtung der Wirtschaftsräume.

Das traf auf das rechtsrheinische Germanien nicht zu: keine Städte, keine Zentren, keine zentralisierte wirtschaftliche Produktion, keine Schriftlichkeit des Alltagslebens, kein provinziales Bürgertum.
Zugleich hohe Verwaltungskosten, riesige Wegstrecken, allein schon wegen der Fläche hoher Personalbedarf beim Militär. Gigantische Infrastrukturkosten.
Zugleich: im Ostseeraum eine begrenzte Bevölkerung, wenig Abnehmer für römische Produkte, hohe Transportkosten, wenig Aussicht auf raschen Handelsaufschwung.

Der römische Seehandel vom Roten Meer nach Indien und Südostasien, die römische Ausstrahlung über die Seidenstraße nach Mittelasien und China: das hätte erfolgversprechender sein können.

FAZIT (oder eher Facit, mit den Taschenrechnern der römischen Handelskontore und Provinzialverwaltungen): die Filiale Germania Libera wurde mangels Rentabilität und fehlender Absatzmöglichkeiten geschlossen.

"Cerrado por Descanso del Personal. Disculpen las Molestias."
 
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Waren Britannien, Pannonien oder Dakien auch solche Selbstläufer? Da haben sich die Römer über lange Zeit fest gesetzt, mit den entsprechenden Folgen für diese Gebiete.

Dass es eine Kostenkalkulation war, die die Römer davon abhielten, das Projekt "Rechtsrheinisches Germanien" weiter zu verfolgen, ist mE eine überzeugende Argumentation. Aber das war halt die Kalkulation nach der Varusschlacht. Davor haben sie es ja offensichtlich versucht, das Gebiet unter Kontrolle zu bekommen. Wie die Kosten-Nutzen-Rechnung ausgesehen hätte, wenn Germanien friedlich(er) geblieben wäre, und der römischen Okkupation & folgenden Romanisierung weniger Widerstand geleistet hätte, kann man nicht wirklich sagen.
 
@BerndHH sprach ja aber von einer "immensen-militärisch-politischen Tragweite" der Varus-Niederlage und die sehe ich eigentlich nicht.

Militärisch gesehen tat der Verlust von 3 Legionen dem Imperium sicherlich weh, aber es beeinträchtigte nicht wirklich seine militärische Aktionsfähigkeit, die war grundsätzlich auch relativ kurzfristig danach auch im betreffenden Raum wieder gegeben.
Die Grenze zum "germanischen" Barbaricum war zwar insofern für Rom militärpolitisch immer ein Problem, als dass sie dauerhaft einen reltiv großen Anteil der Streitkräfte band, hier würde ich allerdings als fraglich betrachten, ob man das hauptsächlich als Folge der Varus-Niederlage betrachten kann, zumal die Entscheidung den Versuch sich in Germanien festzusetzen aufzugeben ja nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Varusschlacht steht, wie ich das sehe, sondern eher ein Ergebnis dessen war, dass man auch im Zuge der Auseinandersetzungen nach Varus es nicht schaffte die in diesem Raum ansässigen Gruppen tatsächlich effektiv zu kontrollieren oder militärisch zu unterwerfen.
Wir wissen natürlich nicht, was gewesen wäre, wenn. Was wir wissen, ist, dass die Römer versuchten, die Elbe zu erreichen. Ich glaube, dass eine erfolgreiche Befriedung Germaniens bis zur Elbe , etwa, wenn es die Varusschlacht nicht gegeben hätte und Germanien eine ähnliche Geschichte gehabt hätte, wie Gallien, die Geschichte total anders verlaufen wäre. Innenpolitisch hätte Rom sicher dieselben oder sehr ähnliche Probleme gehabt, die es hatte. Aber ich würde vermuten, dass westlich der Elbe vielleicht ein dem Französischen ähnlicher Dialekt gesprochen würde. Die Geschichte des römischen Reiches wäre wohl nicht total anders verlaufen, aber die Mitteleuropas mit Sicherheit.

Dass es eine Kostenkalkulation war, die die Römer davon abhielten, das Projekt "Rechtsrheinisches Germanien" weiter zu verfolgen, ist mE eine überzeugende Argumentation. Aber das war halt die Kalkulation nach der Varusschlacht. Davor haben sie es ja offensichtlich versucht, das Gebiet unter Kontrolle zu bekommen. Wie die Kosten-Nutzen-Rechnung ausgesehen hätte, wenn Germanien friedlich(er) geblieben wäre, und der römischen Okkupation & folgenden Romanisierung weniger Widerstand geleistet hätte, kann man nicht wirklich sagen.
Die römischen Quellen stellen es ja so dar, dass es sich um Vorwärtsverteidigung nach der Lollius-Niederlage handelte. Die Eroberung Germaniens bis zur Elbe hätte neben Sklaven, Haar, Fellen, Blei und Pferden auch einen Schutz des Wirtschaftsraums Gallien bedeutet.
 
Die Geschichte des römischen Reiches wäre wohl nicht total anders verlaufen, ...
Na ja, wenn der Römische Reich bis an die Elbe reichte, wären z.B. Markomannen und Langobarden mit größer Wahrscheinlichkeit "römische Bürger" geworden, was die Geschichte wohl entscheidend verändern würde: Keine Markomannenkriege und damit auch kein Zweifrontenkrieg im Norden und Osten (Parther, Perser), die Krise des Reiches im 3. Jahrhundert (Soldatenkaiser) wäre wahrscheinlich ausgeblieben.
 
Was wir wissen, ist, dass die Römer versuchten, die Elbe zu erreichen. Ich glaube, dass eine erfolgreiche Befriedung Germaniens bis zur Elbe , etwa, wenn es die Varusschlacht nicht gegeben hätte und Germanien eine ähnliche Geschichte gehabt hätte, wie Gallien, die Geschichte total anders verlaufen wäre.

Die Frage ist, ist die Pazifikation Germaniens entscheidend an der Varusschlacht gescheitert, oder mehr an dem Umstand des völligen Fehlens zentraler Strukturen und dem Umstand, dass sich die verschiedenen germanischen Gruppen nicht unbedingt an Verträge gebunden fühlten, die einzelne Gruppen/Anführer mit Rom schlossen.
Kommt hinzu, dass sich zwischen der Pazifizierung eines Gebietes im Rahmen einer tatsächlichen Befriedung und der Durchsetzung römischer Steuer- und Rechtssprechungspraxis natürlich ein gewisser Interessengesensatz bestand, der immer wieder zur Eskalation führen konnte.

Und insgesamt sehe ich Rom anno 9 n. Chr. relativ weit davon entfernt tatsächlich Lösungen für die strukturellen Problem dieses Raums zu haben.
Sicherlich hatte man angefangen Infrastruktur aus dem Boden zu stampfen und das Gebiet militärisch zu durchdringen, aber das doch insgsamt noch recht zarte Pflänzchen und den relativ großen Raum, selbst wenn es nur bis zur Elbe hätte gehen sollen und nicht darüber hinaus, tatsächlich effektiv kontrollieren zu können, hätte wahrscheinlich noch Jahrzehnte gedauert.
Das hätte das Problem gehabt, dass alle, die mit der römischen Herrschaftspraxis nicht einverstanden waren und möglicherweise bereit waren sich dagegen zu erheben noch lange Zeit einen immens großen Rückzugsraum gehabt hätten, selbst wenn sie immer wieder geschlagen worden wären.
Ob Rom die Geduld sich da überall in langdauernden Auseinandersetzungen duchzusetzen, tatsächlich aufgebracht hätte, darüber kann man wahrscheinlich nur spekulieren.

Ich denke, dass es von römischer Seite her ein Fehler war mit der Durchsetzung von Besteuerung und Rechtssprechung zu beginnen, bevor es es diesen Raum nicht so weit militärisch durchdrungen hatte, dass sein Arm auch bis in das germanische Hinterland reichte.
Das in Kombination mit der dezentralen Organisation und enormenn machtpolitischen Dynamik bei den germanischen Gruppen, hätte eine tatsächliche Pazifikation wahrscheinlich auch ohne Varus-Niederlage sehr erschwert.
 
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