Ein schon etwas älterer Thread.
Wie schon mehrfach gesagt, lassen die demographischen Daten nur relativ grobe Schätzungen zu. Dass der Kongo aber fast die Hälfte seiner Bewohner verlor durch direkte genozidale Maßnahmen also Massaker, Ermordungen von Geiseln, "Vergeltungsmaßnahmen" Tode durch die Spätfolgen von "Zwangsamputationen" und daraus resultierenden Fluchten, Vertreibungen, Hungerkatastrophen dürfte wohl der historischen Wahrheit nahekommen. Flucht, Vertreibung und Hungerkatastrophen standen in engem kausalen Zusammenhang zu "direkten" Maßnahmen". diese Gräuel aufzurechnen oder von Verharmlosung zu sprechen, wenn man den einzelnen Faktoren nachgeht und versucht zu rekonstruieren, welche Verlustziffern direkt auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und welche "nur" auf Flucht und Vertreibung davor entfallen, erscheint angesichts dieser surrealistischen Gewalttaten etwas makaber. Doch wie konnte es dazu kommen, was waren die Antriebskräfte für diesen Völkermord?
Durch Verträge, Landüberschreibungen und ähnliche fragwürdige Maßnahmen verloren die Kongolesen alle Eigentumsrechte an Land, Haus- und Wildtieren, Bodenschätzen und natürlichen Ressourcen. Anfangs war der Kongo ein Zuschussprojekt, der Export von Elfenbein brachte nicht den erhofften Gewinn. Das änderte sich aber durch den Kautschukboom. Der Kongo verfügte über große Ressourcen an wilden Kautschukpflanzen. Es existierten keine künstlich angelegten Kautschukplantagen in Monokultur wie etwa in Brasilien. Um Kautschuk ernten zu können, musste die eingeborene Bevölkerung in den Dschungel vordringen, Kautschuk suchen und oft hoch in die Bäume klettern. Es fehlte an geeigneten Gefäßen und Gerät das Latexharz zu ernten und aufzufangen, so dass viele Kautschuksammler keine andere Wahl hatten, als Latex auf die eigene menschliche Haut zu schmieren und trocknen zu lassen. Den angetrockneten Latex von der Haut abzulösen war äußerst schmerzhaft. Die Suche nach wilden Kautschukpflanzen, die Ernte, oft hoch in den Baumkronen und die Trocknung war äußerst zeitintensiv, gefährlich, mühsam und schmerzhaft. Um eine hohe Ausbeute zu erzielen, legte die Kolonialverwaltung sehr hohe Quoten fest. Kautschuksammler, die diese Quoten erreichen mussten, fanden dann kaum noch genug Zeit, um sich mit Ackerbau und Viehzucht beschäftigen zu können. Aus nachvollziehbaren Gründen war diese Arbeit extrem unbeliebt und gefürchtet. Um die Eingeborenen trotzdem zum Kautschuksammeln zu zwingen, führte die Kolonialverwaltung immer härtere und brutalere Sanktionen ein. Die Sanktionen bestanden aus Schlägen mit der Chicotte einer gefürchteten Peitsche aus Nilpferd oder Nashornhaut, Geiselnahmen und Verstümmelungen wie dem abhacken der Hände.
Diese Verstümmelungen waren nicht etwa irgendein skurriler, barbarischer afrikanischer Brauch, sondern europäischer Kulturimport. Wer ihn ersonnen hatte, ist unklar. Eine Gründungslegende Antwerpens berichtet von einem Riesen, der Reisenden, die über die Maas übersetzen wollten, die Hände abhackte und in den Fluss warf, bis ihn ein römischer Soldat besiegte ihn tötete, selbst die Hand abhackte und in den Fluss warf. Von "Hand werpen"-Hand werfen soll sich der Name der Stadt ableiten, und eine Hand findet sich heute noch im Stadtwappen.
Die Kolonialverwaltung von König Leopold traute den afrikanischen Askari der Force Publique nicht. Die weißen Offiziere waren davon besessen, eine mögliche Meuterei in Schach zu halten. Sie befürchteten, dass ihre Askari Munition horten könnten und verlangten schließlich für jede verschossene Patrone eine abgeschlagene Hand. Damit setzten sie die Soldaten natürlich stark unter Druck. Hatten die mal gejagt oder geschossen, mussten Hände her, was schließlich dazu führte, dass die Soldaten Eingeborenen Hände amputierten. Ein Missionar berichtete, dass Soldaten der Force Publique, körbeweise Hände sammelten und räucherten, um bei den Offizieren die Quote erfüllen zu können. " S.. Die Folge waren Hungerkatastrophen und Missernten. Vielen Eingeborenen blieb nur die Flucht in den Dschungel was weitere Abgänge zur Folge hatte. Eine geordnete Verwaltung ließ sich unter solchen Voraussetzungen nicht aufbauen. Die Angst vor Aufständen und Meutereien führte zu fast grotesken Gewalttaten. Nach außen hin rühmte sich Leopold II., die Sklaverei zu bekämpfen. Zeitweise wurde Tibbu Tib ein legendärer Sklaven- und Elfenbeinhändler, der Stanley auf seiner 2. Expedition durch Afrika unterstützt hatte, Gouverneur am oberen Kongo. Zugunsten von Tibbu Tib, den Stanley als kultivierten Gentleman beschrieb, muss man sagen, dass er noch weniger grausam agierte, als die weißen Offiziere. Als erfahrener Elfenbeinjäger und Sklavenhäscher wusste er, dass man wenigstens einige Eingeborene am Leben lassen musste, um weiterhin lohnende Reviere für Sklavenrazzien zu haben. Die Sklaverei hieß bei den Europäern vornehmer Zwangsarbeit. Um die hohen Quoten für Kautschuk erfüllen zu können, mussten die Eingeborenen immer tiefer und tiefer in den Dschungel vordringen. Wenn man die Kautschukwurzel kappte, konnte man einmalig mehr Kautschuk zapfen. Die Pflanze ging dann aber ein, was wieder neue Sanktionen, "Strafen" und Maßnahmen der Unterdrücker zur Folge hatte. Natürlich wurden ganz summarisch Dörfer und Hütten zerstört, was wiederum Flucht und Vertreibung zur Folge hatte. Der Kongo wurde so zum "Heart of Darkness" wo sich unglaublich brutale, geradezu surrealistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit abspielten. Die Szenen, die Joseph Conrad in "Heart of Darkness" beschrieb, wo der gefeierte und gefürchtete Mr. Kutz wie ein absoluter Fürst herrscht, sind nur allzu realistisch- Aber nochmals, diese Exzesse waren nicht etwa irgendwelche barbarischen afrikanischen Stammesbräuche von "unzivilisierten Wilden", sie wurden erdacht und ausgeführt von Europäern, die selbstherrlich den Anspruch erhoben, Afrika die Zivilisation zu bringen und die Afrikaner vor sich selbst und arabischen Sklavenjägern wie Tippu Tib zu beschützen.seinen Dörfern und Pflanzungen als Preis bezahlt worden. Es ist geradezu unglaublich, dass das reiche herz Afrikas noch jetzt zur Wüste gemacht, dass Einwohnerschaften, Stämme und Völker vollkommen vernichtet werden sollen, weil man Elfenbein zu Schmucksachen und Billiardkugeln braucht." (Stanley Im dunkelsten Afrika Bd. I S. 225)
Der Kongofreistaat aber sollte trotz des philanthropischen Anspruchs Leopold II. vor allem eines: Gewinn abwerfen. Diese Erwartung und die geschilderten Umstände im Kongo waren dafür verantwortlich, dass sich diese Privatkolonie zu einem Herz der Finsternis verwandelte mit beispiellosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die erst durch die Shoah übertroffen wurden. Zu Ehren der Belgier sei erwähnt, dass sich die Verhältnisse zumindest ein wenig besserten, als der belgische Staat nach Leopolds II. Tod 1908 selbst die Administration übernahm. Das System der Zwangsarbeit wurde allerdings beibehalten, und belgischen und kongolesischen Schulkindern wurde beigebracht, dass ihnen Leopold die Zivilisation beibrachte. Im Kongo regte sich erst Widerspruch, als ein junger Mann-Patrice Lumumba Ende der 1950er Jahre König Baudouin widersprach, als der bei einem Besuch von den Segnungen der Zivilisation zu reden begann. In Belgien aber blieben die Kongogräuel und die Verstrickung der USA und des belgischen Königshauses in die Ermordung Lumumbas ein Tabuthema. Wissenschaftler, die sich damit kritisch auseinandersetzten, wurden behindert und als Nestbeschmutzer verunglimpft. 2012 schloss das Museum für die Geschichte Zentralafrikas in Tervuren bei Brüssel, das Leopold II.selbst gegründet hatte, seine Pforten und überarbeitete komplett die museale Präsentation neu, da man wie die Leitung mitteilte, sich der Darstellung von Adam Hochschild angeschlossen habe, dass es sich bei den Kongogräueln um Völkermord handelt.