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Niederlande im goldenen Zeitalter: Die Herrschaft der »Pfeffersäcke«
Die Gründung der Vereinigten Ostindischen Kompanie
Im 17. Jahrhundert etablierte sich eine neue Handelsmacht im Konzert der europäischen Kolonial- und Seemächte: die Republik der Vereinigten Niederlande. Gewinne aus Heringsfang und Ostseehandel seit dem ausgehenden Mittelalter sowie aus Stapelmärkten und Seefrachtdiensten, vor allem für Getreide und Schiffsbauholz ab dem 16. Jahrhundert, die Ersetzung der alten Tuchindustrie durch spezialisierte Gewerbezweige und neue, produktionssteigernde Methoden in der Landwirtschaft hatten zu einem überdurchschnittlichen Wachstum der niederländischen Wirtschaft geführt. Als Folge entstanden hoch entwickelte Waren- und Kapitalmärkte, die den Aufstieg der Niederlande zur führenden Handels- und Seemacht in Europa bewirkten. Amsterdam, dessen Bevölkerung im Laufe des 17. Jahrhunderts auf 200000 Einwohner anwuchs, wurde zum bedeutendsten Warenumschlagplatz und Finanzzentrum der Welt. Daneben existierten eine ganze Reihe ähnlich geschäftiger Städte, in denen eine breite bürgerliche Mittelklasse zu Wohlstand, mitunter Vermögen gelangte.
Die Entwicklung des kleinen Landes an Rhein und Maas ist zweifellos auch durch seine republikanisch-föderale Struktur gefördert worden, die sich gegen das vorherrschende absolutistische Prinzip der Zeit richtete und naturrechtlich-demokratischen Tendenzen Vorschub leistete. Eine ebenso wichtige Rolle dürfte die Religion in Form der Lehre Johannes Calvins gespielt haben, die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts durchgesetzt hatte. Die calvinistische Prädestinationslehre, in der weltlicher Erfolg gleichsam als sichtbarer Ausdruck der Erwählung diente, die die Menschen somit zu rastloser Tätigkeit anspornte, war wie geschaffen für die aufstrebende Bürgergesellschaft. Außerdem lebte aber auch der christliche Humanismus eines Erasmus von Rotterdam in der niederländischen Gesellschaft fort. Er offenbarte sich in einer vergleichsweise weltoffenen, toleranten politischen Kultur, wie nicht nur die aufgeklärten Streitschriften der Zeit belegen, sondern auch die Duldsamkeit gegenüber politischen Flüchtlingen aus ganz Europa ausweist.
Wirtschaftliche Blüte und freiheitliche Atmosphäre bildeten wiederum den Nährboden für die geistige Entwicklung, Literatur und bildende Kunst. In der niederländischen Städtelandschaft entfalteten sich ein breit gefächerter Wissenschaftsbetrieb mit einer beachtlichen Buchproduktion, ein ausgeprägtes Kulturleben und ein weit über die Grenzen der Republik ausstrahlendes Kunstschaffen, vor allem in der Malerei, wofür Namen wie Rembrandt, Peter Paul Rubens, Frans Hals und Jan Vermeer stehen. Zeitgenossen und Nachwelt haben dieses Zeitalter gleicherweise mit dem Ausdruck »goldenes Jahrhundert« umschrieben, womit sie eine aus der Antike stammende Formulierung für eine Epoche einzigartiger Schöpfungen in vielen Bereichen übernahmen.
Was den Kolonialhandel betraf, der gewissermaßen den wirtschaftlich-machtpolitischen Schlussakkord des Aufstiegs zur Weltmacht bildete, hatten sich die Niederländer zunächst als Konzessionäre am lukrativen indischen Pfefferhandel der Portugiesen beteiligt. Diese Konstellation änderte sich jedoch in dem Moment, in dem das portugiesische Kontraktsystem die Nachfrage nach asiatischen Erzeugnissen in Europa nicht mehr decken konnte, vor allem aber, nachdem der spanische König Philipp II., aus dessen Herrschaftsbereich man sich gerade zu lösen suchte, 1580 auch die portugiesische Krone übernahm und den Niederländern 1594 alle iberischen Häfen sperrte. Die vermögenden, politisch einflussreichen niederländischen Kaufleute zogen daraus die Konsequenz, dass sie direkte Verbindungen zu den asiatischen Produzenten aufnahmen und ein eigenes Handelssystem in Asien errichteten. Obwohl die Kenntnis der Seewege dorthin einer strengen Geheimhaltungspolitik vonseiten der Portugiesen unterlag, besaßen die Niederländer doch hinreichende kartografische, wirtschaftsgeografische und nautische Kenntnisse. Ein für die damalige Seefahrt so bedeutendes Werk wie der »Spiegel der Seefahrt« von 1584 stammte von dem Niederländer Lucas Jansz. Waghenaer. Sein Landsmann Petrus Plancius, ein calvinistischer Prediger und Schüler Gerhard Mercators, verarbeitete in seinen Karten die neuesten Erkenntnisse des Entdeckungszeitalters. Der wichtigste Informant und zugleich Propagandist eines niederländischen Kolonialexpansionismus in Asien war indessen Jan Huyghen van Linschoten, der als Schreiber des Erzbischofs von Goa systematisch Informationen über das portugiesische Kolonialreich gesammelt hatte. Er veröffentlichte diese 1595 in seiner »Reisebeschreibung der portugiesischen Schifffahrten im Orient« sowie in seinem ein Jahr darauf publizierten autobiografischen »Itinerario«, einer Beschreibung der Seewege nach Asien und der dortigen Märkte und Warenströme. Die Niederländer verfügten ohnedies über mehr Geld und Personal als die Portugiesen. Außerdem waren sie mit ihren technisch und waffenmäßig besser ausgerüsteten Schiffen, den Fleuten (fluyt), allen damaligen Konkurrenten - auch an Zahl - überlegen.
Nachdem zunächst jede Provinz ihre eigene Handelsgesellschaft gegründet hatte - zwischen 1595 und 1601 fuhren insgesamt 65 Kauffahrteischiffe nach Ostasien -, schlossen sich diese Vorkompanien, nicht zuletzt, um sich gegenüber dem iberischen Erzrivalen besser behaupten zu können, aber auch, um einen Preisverfall als Folge des eigenen Wettbewerbs zu vermeiden, am 20. März 1602 zur Vereinigten Ostindischen Kompanie (Ver- enigde Oostindische Compagnie; VOC) zusammen. Die Generalstaaten, das heißt die Abgeordnetenversammlung der sieben niederländischen Provinzen, der Regierungsfunktion zukam, gaben der Gesellschaft ein Patent, das ihr das Monopol für den gesamten Bereich zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Magellanstraße verlieh mit dem quasi obrigkeitlichen Recht, dort Verträge zu schließen, Land zu erwerben, Kriege zu führen und Festungen zu bauen. Bereits das Gründungskapital der VOC war zehnmal so hoch wie dasjenige der englischen Ostindischen Kompanie. Dividenden konnten nach 1630 regelmäßig ausbezahlt werden - im Durchschnitt der fast 200-jährigen Geschichte der VOC 18,5 Prozent -, und die Gewinne dieses im 17. und 18. Jahrhundert größten Handelsunternehmens der Welt erreichten gelegentlich bis zu 300 Prozent. Kreditformen stellten die anticipatiepenningen sowie Obligationen dar. Erstere waren Gelder, die die Kaufleute als Vorschuss für eine kommende Versteigerung angelaufener Waren in einen Fonds einzahlten und dafür einen Vorrang bei der Versteigerung erhielten. Mit Obligationen sowie den Anteilen, die jeder Bürger zeichnen konnte - die niedrigste Einlage belief sich auf 50 Gulden -, wurde zugleich ein schwunghafter Handel betrieben. Damit hatte sich der Wandel der VOC von einer Gesellschaft mit gemeinsamem Anfangskapital von etwa 6,5 Millionen Gulden zu einer modernen Aktiengesellschaft vollzogen, deren Werte an der Amsterdamer Börse gehandelt wurden. Im Jahr des Westfälischen Friedens 1648 beispielsweise erreichte der Kurs mit 539 Punkten über pari seinen Höchststand.
Die VOC besaß eine ausgesprochen oligarchische Struktur; hatten doch etwa die Kleinaktionäre keinen Einfluss auf die Geschäftsführung, die sich ihrerseits durch Zuwahl ergänzte und ein Vorkaufsrecht für Aktien besaß. Das Leitungsgremium, die berühmte Versammlung der 17 Direktoren (Heren XVII), wurde aus der Mitte patrizischer Amtsträger aus den sechs Kammern Amsterdam, Seeland, Delft, Rotterdam, Hoorn und Enkhuizen bestellt. In Niederländisch-Indien, wie man bald das Kolonialreich nennen sollte, amtierte ein Generalgouverneur. Der namhafteste war zweifelsohne Jan Pietersz. Coen, der in seinen beiden Amtsperioden von 1618 bis 1623 und von 1627 bis 1629 die niederländische Kolonialmacht in Ostasien begründete. Die Generalgouverneure verfügten - erst recht, wenn sie erfolgreich agierten - über einen relativ weiten Spielraum. In den Niederlanden besaß die VOC einen festen Platz im politischen und ökonomischen Gefüge der Republik mit dem Höhepunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zwischen 1602 und 1795 sind allein 1450 Schiffe von ihr gebaut worden.
Expansion in Asien
Es sollte euch ehrenwerten Herren aus Erfahrung bekannt sein, dass der asiatische Handel betrieben und beschützt werden muss mithilfe Eurer eigenen Waffen, und diese Waffen müssen aus den Erträgen des Handels bezahlt werden; das heißt, wir können den Handel nicht treiben, ohne Krieg zu führen, und wir können den Krieg nicht führen, ohne Handel zu treiben.« Diese Bemerkungen, die Coen 1614, im gleichen Jahr ernannter »Generaldirektor über alle Handelskontore in Indien« und Verfechter eines niederländischen Siedlungskolonialismus in Südostasien, an die Heren XVII richtete, umschreiben prägnant den kommerziell-militanten Charakter des niederländischen Expansionismus in Asien. In der Tat bestimmten Kriege und Konflikte nahezu die gesamte Geschichte der VOC, die selbst nach der Eroberung von Bantam auf Java und der endgültigen Unterwerfung von Ternate in den Molukken im Jahre 1684 nur vorübergehend abflauten. Allerdings richteten sich die Feindseligkeiten nicht in erster Linie gegen Asiaten, sondern gegen Engländer, Spanier und vor allem Portugiesen. Gegenüber den einheimischen Völkern bevorzugte man die in der kolonialen Expansion bewährte Ausnutzung der Rivalitäten einzelner Fürstentümer und von Thronstreitigkeiten, ohne freilich vor Gewalt zurückzuschrecken.
Zentrales Anliegen der VOC war der Zugang zu den wertvollen Gewürzen Asiens, womit sich das Augenmerk von vornherein auf den Malaiischen Archipel mit den Molukken und den südlich von ihnen gelegenen Bandainseln als den eigentlichen Gewürzinseln richtete. Einen ersten Schritt zum Aufbau des Kolonialreichs machte die Kompanie - nach der Errichtung von Kontoren auf Java, Amboina (Ambon), Ternate, Ceylon (Sri Lanka) und in Japan - mit der Ernennung eines Generalgouverneurs und der Einsetzung eines »Rates von Indien« als Leitungsorgane für Niederländisch-Indien sowie der Errichtung einer Zentrale in Bantam, einem bedeutenden Stapelplatz für asiatische Waren an der Nordostspitze Javas. Da sich der Ort jedoch als Sammelplatz für Schiffe und aus strategischen Gründen als ungeeignet erwies, verlegte man den Sitz des projektierten Kolonialimperiums etwas weiter östlich nach Batavia, dem heutigen Jakarta, das 1619 von Coen gegen die Engländer und einheimische Herrscher gesichert und befestigt wurde.
Als Nächstes stand an, das angestrebte Gewürzmonopol durchzusetzen. Vollständig gelang dies vorerst nur für Muskatnüsse und Muskatblüten, die auf den Bandainseln geerntet wurden und auf europäischen Märkten Höchstpreise erzielten. Bei der Verwirklichung des Muskatmonopols ging die VOC mit geradezu brutaler Härte gegen die Bevölkerung vor. Deren fortgesetzten Widerstand nach bereits erfolgter Kapitulation definierte die Kompanieleitung unter Coen als Rebellion und ließ 47 im Kastell »Nassau« auf Lontor - der größten der Bandainseln - gefangen gehaltene Anführer von eigens dafür angeheuerten Japanern köpfen und vierteilen. Die übrige Bevölkerung, soweit sie nicht bei der Flucht in die Berge verhungert oder erfroren war, wurde deportiert und in die Sklaverei verkauft. Die entvölkerten Eilande besiedelte man mit niederländischen Kolonisten (perkeniers), die ein Stück Land und kompanieeigene Sklaven erhielten und dafür die Produkte ihrer Muskatpflanzungen ausschließlich an die Kompanie abzuliefern hatten. Auf den umliegenden Inseln ließ die VOC alle Muskatnussbäume abholzen. 1622 war das Muskatmonopol erreicht.
Erst etwa 40 Jahre später konnte auf ähnlich gewalttätige Weise das Monopol für Gewürznelken durchgesetzt werden, während dies hinsichtlich der Pfeffergewächse nie gelang; hier musste man sich mit einer Reihe von Kontrakten begnügen.
Das Einsatzgebiet der VOC erstreckte sich überdies auf Indien. Zum Ankauf der Gewürze benötigte die Kompanie unter anderem indische Textilien, aber auch Salpeter und Opium. Sie errichtete daher Faktoreien in Bengalen und an der Koromandelküste, während die Malabarküste selbst Pfeffer an die dortigen Kontore lieferte. Für ihre Niederlassung brauchte die VOC allerdings die Erlaubnis der einheimischen Fürsten. Kontakte nach Persien und zum Roten Meer führten auch dort zu Handelsstützpunkten. Besonders erfolgreich agierte die VOC auf Ceylon. Ihre Etablierung auf der wichtigsten Zimtinsel stand in Zusammenhang mit den großen Operationen gegen die Portugiesen. Nachdem 1641 die Eroberung Malakkas endlich gelungen war, besetzten die Niederländer zwischen 1638 und 1658 die gesamte Küste Ceylons, danach die wichtigsten portugiesischen Stützpunkte an den indischen Küsten.
Nur teilweise oder zeitweilig erfolgreich gestalteten sich die Kontaktaufnahmen mit Japan und China. 1622 scheiterte Coens Versuch, den Portugiesen Macao, das Tor zum Chinahandel, fortzunehmen. Dagegen konnte die VOC von 1624 bis 1662 mit ihrer Festung Zeelandia auf der Insel Taiwan Fuß fassen. Im Hinblick auf den Chinahandel waren die Niederländer mithin auf den einzigen europäischen Zugang über Kanton angewiesen. In Japan durften sie sich nach der Abschließung des Landes im Jahre 1639 als einzige Europäer - für 10000 Gulden Miete pro Jahr - auf der künstlichen Insel Dejima im Hafen von Nagasaki niederlassen. Einmal im Jahr erhielten sie die Erlaubnis zu einem Besuch im Kaiserpalast in Edo, dem heutigen Tokio. Engelbert Kaempfer, ein deutscher Arzt und Naturforscher, der im Dienst der VOC stand, hat über diese von Japan geduldeten Kontakte anschaulich berichtet.
Vorübergehende Handelsstützpunkte besaß die VOC zudem in Birma, Siam, dem heutigen Thailand, und in Tongking, dem nördlichen Teil des heutigen Vietnam. Mit der Sunda- und Malakkastraße beherrschte sie vor allem aber die wichtigsten Durchfahrtsstraßen vom Indischen Ozean zur Javasee und zum Südchinesischen Meer. Als Versorgungsstation für die niederländischen Indienfahrer diente schließlich die von Jan van Riebeeck am 6. April 1652 mit einer Gruppe von 90 Männern, Frauen und Kindern am Kap der Guten Hoffnung eingerichtete Kolonie. Etwa hundert Jahre später lebten in der »Indischen Zeeherberg«, wie die Niederländer die afrikanische Zwischenstation nannten, 4000 verstreut siedelnde Freibauern und 1500 Angestellte der VOC.
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