Kurzum: Ich darf mich hier - auch wenn ich den Thread eigentlich nur lesend mitverfolge - ganz ausdrücklich Brissotin anschließen, daß bei dieser Diskussion unbedingt differenziert werden muß; und das sowohl innerhalb sozialer Schichten wie auch regionaler Gegebenheiten.
Als ein Hauptproblem der Geschichtsbetrachtung wird heute erkannt, dass eben gerade in der Frühen Neuzeit die Einteilung in 1., 2. und 3. Stand kaum noch genügend die gesellschaftliche Situation dieser Zeit widerspiegelt.
"Die geläufige Vorstellung von drei Ständen, also einer schlichten Dreiteilung der Gesellschaft - Adel, Bürger, Bauern etwa oder Klerus, Adel, Dritter Stand - ist der komplexen Wirklichkeit zu keiner Zeit gerecht geworden. Es handelt sich vielmehr um ein auf das Hochmittelalter zurückgehendes Deutungsschema, ein Modell, mit dem die Zeitgenossen die soziale Wirklichkeit zu vereinfachen suchten."
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In Wahrheit bildete der Rechtsstatus des Einzelnen dessen "Stand". Man spricht bei einer großen Gruppe der Menschen (auch im HRR) vom Dienstbotenstand, während dieser übrigens im Unterschied zu Bauern oder Patriziern keinerlei Mitbestimmungsrechte in den Gemeinwesen hatten (was nicht bedeutet, dass sie nicht durchaus aus diesem Stand aufsteigen konnten, bzw. dieser von Beginn an nur als ein temporärer für sie angelegt war).
Gerade der Klerus, als ein Stand der sich sowohl aus dem 2. wie 3. Stand rekrutierte, war natürlich im HRR sehr unterschiedlich besetzt. In den katholischen Gegenden konnten sich die Landgeistlichen kaum durch Herkunft oder akademische Ausbildung sondern eher durch Ehelosigkeit und Weihe von der dörflichen Gesellschaft abheben, während die protestantischen Geistlichen eher eine umfassende Bildung für ihre Tätigkeit genossen hatten und sich durch ihre bürgerliche Herkunft von der Dorfgemeinschaft abhoben.
Der Adel an sich reklamierte als "der Geburtsstand par excellence" natürlich innerhalb der Gesellschaft der letzten zwei Jahrhunderte eine hervorragende Rolle. Das änderte auch nichts daran, dass er wohl wie nur der Klerus in ähnlicher Form der Kritk ausgesetzt war.
Hiermit kämen wir zurück zum Hauptthema, dem des Luxus an den Höfen.
"Aus der Sicht der Kritiker erschien das Hofleben sowohl wirtschaftlich als auch moralisch verwerflich. Müßiggang und demonstrative Verschwendung, erotische Libertinage, getrennte Sphären der Eheleute, Kinderaufzucht durch Bedienstete, verfeinerte und stilisierte Formen des Umgangs, ja schon das äußere Erscheinungsbild des Höflings, all das wurde als unvernünftig und unnatürlich verworfen. ...
Die Repräsentationskultur des Hofes galt als falscher, bloß äußerlicher Schein, dem man allerdings eine politische Funktion zubilligte - die einfachen Untertanen müssten sinnlich beeindruckt werden, um desto williger zu gehorchen, so hieß es."
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Diese Kritk an den Umtrieben, auch den Intrigen und der Heuchelei etc., des Hofadels war aber nicht so neu im 18.Jh.; schon während der Renaissance wurde dem Hofedelmann der schlichte, aber aufrichtige Landedelmann als positives Beispiel entgegen gehalten.
Dass die Wirkung, welche Frau Stollberg-Rilinger für die einfachen Leute erklärt, ihr Ziel nicht verfehlte, wurde in vielen Berichten von prunkvollen Ankünften von Herrschern oder deren Gesandten, von Festlichkeiten und so weiter und der Begeisterungsfähigkeit des kleinen Mannes dabei bewiesen.
Sehr schöne Beispiele zur Gegenüberstellung bürgerlicher Tugenden und Umgangsformen im Gegensatz zu den angeblichen "Affektionen" des Adels lieferte die Literatur gerade der 2. Hälfte des 18. Jh.. Geeignetes Beispiel war wieder die Mode, wobei der Zierrat höfischer Mode der Schlichtheit der Bürgerlichen gegenüber gestellt wurde.
So kann man "Gout" eines schlicht gekleideten Paares (1) und "Gout" eines höfischen (2) sehr schön in Lichtenbergs und Chodowieckis "Göttinger Taschenkalender" vergleichen.
(1)
"Natur ist hier der Affektion nicht in dem Grade entgegengesetzt, in welchem sie ihr auf den übrigen Blättern entgegensteht, wenigstens nicht auf denen, wo von Oberfläche die Rede ist. ...
Natürliche Tracht erscheint hier ungefähr wie die Unschuld im Bilde nackender Voreltern. ..."
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(2)
"... In der Tat fängt sich bei der Dame auf dem Kopf ein dem Reifrock ähnlicher Körper zu entspinnen an, der es bei fernerem Wachstum, in manchen Fällen, nötig machen möchte, das Frauenzimmer wie die Glaskisten mit oben zu bezeichnen, wo oben ist. ..."
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Dabei karikieren und kritisieren die Stiche beinahe besser als die spitze Feder Lichtenbergs.
Bei aller Kritik am Hofadel gab es ein kleines Problem bei der Argumentation lange Zeit. Der Herrscher selbst wurde in der Kritik, auch bei anonymen Schriften in der Regel ausgenommen. Angeblich, so war der Grundlaut vieler Pamphlete, wurde der Herrscher von schlechten Ratgebern oder Mätressen zu Müßiggang, einer schlechten Politik oder oft Verschwendung, je nach dem, was man gerade vorwerfen wollte, verleitet - dem Hofadeligen wurde sie sowieso oft übel genommen. Dem Herrscher also als Person billigte man Repräsentation und derlei noch zu. Der Haken dabei war, dass die Auffassung der Zeit dazu führte, dass Gesandte u. ähnlich direkt für den Herrscher in Vertretung auftretende Personen, was einen erheblichen Teil des Hofadels ausmachte (Kammerherren, Hofmarschälle etc.), ebenso wie der Herrscher selbst aus der Logik der damaligen Zeit herraus repräsentieren mussten. Anders ließ sich, gegenüber Gästen oder dann in der Ferne an fremden Höfen, nicht der eigene Herrscher entsprechend seiner Wünsche darstellen. Diese Auffassung führte natürlich zu einem Multiplikator an Aufwand für die höfische Repräsentation - kurz: es förderte das Verlangen nach Luxus auf breiterer Ebene. (Von dem persönlichen Wunsch der Hofadeligen mit den Vorgesetzten zu wetteifern ganz abgesehen.)
Das mal "kurz" zum Thema Luxus an Höfen.:rotwerd:
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Barbara Stollberg-Rilinger: "Europa im Jahrhundert der Aufklärung" Reclam, Stuttgart, 2006
Hier: "Ein Jahrhundert des Bürgertums? - Die Ständische Gesellschaftsstruktur" S. 70
** ebenda: hier: "Ein Jahrhundert des Bürgertums? - Adel und höfisches Leben" S. 85-86
*** "Der Fortgang der Tugend und des Lasters - Daniel Chodowieckis Monatskupfer zum Göttinger Taschenkalender mit Erklärungen Georg Christoph Lichtenbergs 1778-1783" Buchverlag Der Morgen, Berlin, k.J.A.
hier: "Natürliche und affektierte Handlungen" S. 57
**** ebenda: S. 60