Ich habe mal eine Arbeit mit der Überschrift: "Die Bedeutung der Folter im frühneuzeitlichen Inquisitionsprozeß" geschrieben und möchte hier einen Auszug nämlich ein Kapitel abtippen, das für den Thread hilfreich sein könnte. Bis zu dem Zeitpunkt, da ich diese Arbeit schreiben musste, habe ich Inquisition auch nur mit der Heiligen Inquisition verbunden, doch musste ich feststellen, dass der Inquisitionsprozess im Recht wirklich zur einer "Verbesserung" führte, auch wenn die Folter für die Urteilsfindung ein sehr schlimmes Übel war, das man nicht schön reden kann.
»II.1. Entwicklung und Grundzüge des Inquisitionsprozesses
Vor der Entwicklung des Inquisitionsprozesses war im deutschen Raum der Akkusationsprozess üblich, bei dem das Verfahren erst dann in Gang gesetzt wurde, wenn der Geschädigte selbst oder jemand aus seiner Familie bzw. ein Freund Anklage erhoben hat.1 Hier ging es in einem Verfahren einzig und allein darum, einen Streit zwischen zwei Parteien in geregelten Bahnen zu einem Ziel zu lenken, ohne dass daraus eine ausufernde Auseinandersetzung entstand. Da man davon ausging, ein Straftäter begehe lediglich an dem Geschädigten beziehungsweise an der Sippe des letzteren ein Verbrechen und nicht an der Allgemeinheit, interessierte sich die Obrigkeit kaum an den Ausgang eines solchen Verfahrens.2
Diese Situation änderte sich aber als die Gesellschaft komplexer wurde und die Sippenverbände mehr in den Hintergrund traten.3 Vor allem die Städte des Spätmittelalters, die sich mit der vermehrten Zahl der „landschädlichen Leute"4, welche den Handel und das alltägliche Leben gefährdeten, konfrontiert sahen, hegten nun großes Interesse an der Verbrechensbekämpfung.5 Die aus diesen Umständen erste resultierende Veränderung war, dass nicht mehr Privatkläger vonnöten waren, sondern die Obrigkeit selbst die Verfahren einleitete – ohne dass es überhaupt einen Ankläger geben musste. Um gegen die Bedrohung von Handel und Leben anzukommen, ging es fortan nämlich nicht mehr nur darum eine Auseinandersetzung zweier Parteien zu einem Ausgleich zu bringen, vielmehr sollte wieder Ordnung geschaffen und die Straftäter sollten ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Aus dem neuen Verständnis der Obrigkeit als Schützer des Gemeinwohls 6, musste daher ein Verbrecher belangt werden, auch wenn es keinen privaten Kläger gab.7
Man wollte folglich den wahren Täter ausfindig machen und dafür musste man die Wahrheit herausfinden. In der Prozessform, die sich aufgrund dieser neuen Problematik herausbildete und die als Rezeption des römischen Rechts und der geistlichen Rechtsprechung gilt8, wurden Verfahren durch die Obrigkeit eingeleitet und der Sachverhalt der Tat wurde, um die Wahrheit herauszufinden, zur Not unter Zuhilfenahme der Folter erforscht respektive inquiriert – daher auch der Name Inquisitionsprozess.9
In der Forschung wird diskutiert, inwiefern sich die Folter aufgrund der Rezeption des römischen Rechts und durch die Aufnahme der Folter in der geistlichen Rechtsprechung, die den Inquisitionsprozess schon früher kannte als die weltlichen Gerichte, in Europa etabliert hat. Die Gegner dieser These sehen den Grund für das Aufgreifen der Folter vorrangig in der neuen gesellschaftlichen Situation, die eine neue strafrechtliche Praxis – den Inquisitionsprozess – erforderte, wie weiter oben dargestellt.10
Für die Form des Inquisitionsprozesses ist wichtig zu erwähnen, dass es im Grunde gleich war, ob ein Richter oder aber ein Beauftragter des Landesherrn das Urteil fällen sollte, weil es keine richterliche Unabhängigkeit gab. Im Zweifelsfall entschied immer der Landesherr oder der Stadtrat. Und die Gerichtssitzung, die die Öffentlichkeit zu sehen bekam, nachdem die Untersuchungen durchgeführt wurden und nachdem ein Urteil schon gefällt war, kann man als ein Schauspiel bezeichnen, bei dem die Schöffen zur Urteilsfindung beitragen und der Richter im Nachhinein das schon längst gefällte Urteil nochmals im öffentlichen Raum verkündet.11
Bloß zwei Augenzeugen, die die Straftat beobachtet haben12, oder ein Geständnis konnten die Wahrheit beweisen und so zur einer Verurteilung führen; andere Mittel standen der damaligen Kriminalistik nicht zur Verfügung.13
1 Baldauf, Dieter: Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Köln u.a. 2004, S. 60-63 (im Folgenden zitiert als: Baldauf, Die Folter).
2 Baldauf, Die Folter, S. 60.
3 Der an dieser Stelle angesprochene Wandel der Gesellschaft und das Verblassen der zusammenhaltenden Sippenverbände kann mit der Herausbildung des Städtewesens verbunden werden, in dem neue Lebensformen entstanden und dadurch die Sippen, die traditionell eine Sicherungsfunktion für ihre Mitglieder hatten, nicht mehr griffen. – vgl. Irsigler, Franz/ Lassotta, Arnold: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. Köln 1300-1600, München 2001, S. 20.
4 Landschädliche Leute bzw. nocivi terrae „bildeten ein teilweise organisiertes Gewerbs- und Gewohnheitsverbrechertum“, das im Spätmittelalter gefährliche Ausmaße annahm. - vgl. Baldauf, Die Folter, S. 59.
5 Mit Blick auf die vermehrte Kriminalität ist auch auf einen Aufsatz von Ernst Schubert zu verweisen, der unter anderem deutlich macht, dass die Armut in den spätmittelalterlichen Städten zu nahm und daraus auch eine höhere Kriminalitätsrate resultierte. Leider werden die Hintergründe der vermehrten Armut nicht eingehend beleuchtet, auch wenn doch in einigen Fallbeispielen darauf hingewiesen wird, dass mitunter die fehlende Unterstützung durch Familienverbände Schuld trug. - vgl. Schubert, Ernst: Gauner, Dirnen und Gelichter in deutschen Städten des Mittelaters, in: (Hrsg.) Cord Mecksepper/ Elisabeth Schraut, Mentalität und Alltag im Spätmittelalter, Göttingen 1991, S. 97-128.
6 Eine zusätzliche Erklärung ist die postulierte Einheit von Herrschaft und Recht, die schließlich die Verbrechensbekämpfung zu einem Aufgabengebiet der Obrigkeit werden lässt. – vgl. Lexikon der Aufklärung, Werner Schneiders (Hrsg.), München 1995.
7 Baldauf, Die Folter, S. 66f.
8 Peters, Edward: Folter. Geschichte der Peinlichen Befragung, Hamburg 1991, S. 68 f (im Folgenden zitiert als: Peters, Folter).
9 Baldauf, Die Folter, S. 63-65.
10 vgl. Peters, Folter, S.80f.; Baldauf, Die Folter, S. 50f.; Trusen, Winfried: Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Domenico Maffei u.a. (Hrsg.), Bibliotheca Eruditorium, Bd. 23, Goldbach 1971, S. 84 (im Folgenden zitiert als: Trusen, Gelehrtes Recht).
11 Baldauf, Die Folter, S. 66.; S.98-100.
12 Hier gilt der Lehrsatz: „Unus testis – nullus testis“.– vgl. Mitteis, Heinrich/ Lieberich, Heinz: Deutsche Rechtsgeschichte (14. Auflage), München 1976, S. 294. (im Folgenden zitiert als: Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte).
13 Baldauf, Die Folter, S. 63.«