Das habe ich auch nicht angezweifelt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Situation in den kurdischen Sprachen etwas schwieriger ist, als in anderen Sprachen und in deren Dialekten.
Hallo PPJ.R,
das von dir angeführte Buch von A.Kadir Özdemir ist eine halbgelungene Zusammenfassung einiger E-Books (u.a. von
Jamal Nebez) und Dissertationen (v.a. Günter Max Behrendts "
Nationalismus in Kurdistan")
Sein Buch ist m.E. sehr oberflächlich ausgefallen.
So hat man den Eindruck, dass er sehr darum bemüht ist, die Beschreibung der kurdischen Gesellschaft so heterogen und lächerlich wie möglich klingen zu lassen, um ihnen das Volkssein oder eine eigene Sprache abzusprechen (Behauptungen, wonach "Kurmancî-Sprecher aus größeren Entfernungen sich nur mit größter Müher verstehen" können {s. S. 18 und auch S. 20} sind einfach nicht haltbar).
Als "Ursprungsthese" für die Entstehung der Kurden zitiert er u.A. aus der Dissertation Hannelore Küchlers (
Über das Selbstverständnis der Kurden) den kurdischen Dichte Hacî Qadirî Koyî.
Bei Hannelore Küchler heißt es (S. 132):
Doch gibt es durchaus Aussagen von einzelnen Kurden muslimischen Glaubensbekenntnisses* zu dieser Frage, z.B. die "selbstzentriert" einzuschätzende Aussage des Dichters KOYÎ (1817-1894), der in einem seiner Gedichte meint, dass "alle Völker der Erde von den Kurden abstammen" und in diesem Zusammenhang auf die Sintflut und das Auflaufen der Arche Noah auf dem Berg Cûdî in Kurdistan anspielt"
A.Kadir Özdemir kürzt dieses Zitat wie folgt:
Der kurdische Dichter Koyi spricht sogar davon, dass "alle Völker der Erde von den Kurden abstammen"
Hier wird die Brauchbarkeit eines nationalistischen Gedichtes für eine historische Interpretation stark überbewertet und als angemessene Quelle dargestellt.
Desweiteren zitiert Özdemir aus dem Buch von Namo Aziz (
Kurdistan und die Probleme um Öcalan):
Es wird sogar angedeutet, dass die Sprache Gottes kurdisch sei: Als Adam und Eva den Paradies verlassen mussten, hätten sie Gott in allen Sprachen der Welt um Vergebung gebeten, dorch erst als sie kurdisch sprachen, habe Gott Ihnen verziehen. Bescheidener ist die Legende, nach der die Kurden das Getreidekorn entdeckt hätten.
N.Aziz zitiert jedoch in seinem Buch lediglich seinen Vater (S. 21f.):
Bei manchen Worten meines Vaters, die so seltsam fremd klangen, musste ich unwillkürlich lachen. Für ihn war die kurdische wegen ihrer Vielzahl an Dialekten eine reiche Sprache. "Mein Sohn, die kurdische Sprache ist die Sprache des Propheten Zarathustra. Als Adam und Eva das Paradies verlassen mussten, haben sie in allen Sprachen dieser Erde Gott um Verzeihung gebeten. Erst als sie kurdisch sprachen, hat Gott ihnen verziehen."
und was die "Endeckung des Getreidekorns" angeht, ist diese Behauptung auf die ungeschickte Art von Aziz zurückzuführen (gemeint ist eher die Erfindung des Getreidekorns
in Kurdistan und nicht seitens der Kurden).
Der Legende nach haben die Kurden übrigens das Getreidekorn entdeckt -vor Jahren wurde von Seiten der NASA-Forschung festgestellt, dass das Korn tatsächlich im Gebiet des Ararat entdeckt wurde.
Nebenbei möchte ich es nicht unerwähnt lassen, dass mir die Präsentation eines Buches von einem kurdischen Journalisten aus Halabja als glaubwürdige Quelle höchst fragwürdig erscheint.
Im Kapitel "
Wer gehört zu den Kurden?" (welches teilweise 1:1 von Max Behrendts "Nationalismus in Kurdistan" kopiert wurde) versucht Özdemir mit einer rassisch-kulturellen Definition einer Nation die kurdische Gesellschaft zu beschreiben. Dabei bedient er sich vor allem bei Jamal Nebez. Dieser jedoch pocht in seinem "
Beitrag zur Erforschung der Identität eines aufgeteilten staatenlosen Volkes" ganz stark auf eine Willensdefinition einer Nation nach
Renan. Aufgrund der unterschiedlichen Auslegung des Nationen- und Volksbegriffes kann sich Özdemir bei Nebez bedienen, um weitere Punkte für die schier unüberwindbare Heterogenität und Komplexität innerhalb der Kurden anzubringen.
Ich möchte nicht paranoid wirken. Ich bin lediglich erstaunt, dass es so viele Quellen existieren, die die Existenz der Kurden auf scheinbar wissenschaftlicher Basis leugnen wollen. Dabei reicht doch die Tatsache, dass es Millionen von Menschen gibt, die sich mit dem Kurdentum identifizieren. Diese Leugnungsversuche sind m.E. Versuche, auf beiden Seiten den rückständigen Nationalismus zu verstärken, um den Demokratieprozeess zunichte zu machen.
*hier vergisst H.Küchler, dass der Dichter Koyî ein großer Islamkritiker war und nicht wirklich als Muslim gesehen werden darf