gesunkenes Militärpotenzial in der Spätantike

Wie kommst Du denn auf diese Berechnung? Der von ihm zitierten Tabelle zufolge waren zeitweise 15-20% der 15-45-jährigen Männer Soldaten. Wieso soll das ein "letztes Aufgebot" aus Invaliden beinhalten?
 
So kam für das römische Militär in der Spätantike zum ohnehin schwierigen Problem mehrerer Krisenherde (Rheingrenze, Donaugrenze, Euphrat) entlang der riesigen Grenze noch das Problem der gesteigerten Beweglichkeit der Angreifer.

Ein drittes wesentliches Element für die Rekonstruktion der Zustände im 3. bis 5. Jahrhundert fehlt noch: die ständigen Bürgerkriege, welche die Substanz des Heeres viel stärker geschädigt haben dürften, als die Angriffe der äußeren Feinde. Gerade an der germanischen Grenze nutzten die diversen Stämme häufig die Phasen nach Bürgerkriegen für Einfälle. Dies war schon im Vierkaiserjahr 70 der Fall, wo ja der Zug des Vitellius aus militärischer Sicht den Weg ebnete für den Bataver- und Trevereraufstand einerseits, Einfälle der Chatten andererseits.
 
Ein drittes wesentliches Element für die Rekonstruktion der Zustände im 3. bis 5. Jahrhundert fehlt noch: die ständigen Bürgerkriege, welche die Substanz des Heeres viel stärker geschädigt haben dürften, als die Angriffe der äußeren Feinde. (...)
Ja, da hast Du völlig recht. Wahrscheinlich hätte das römische Militär effizienter eingesetzt werden können ohne diese "innenpolitischen Sachzwänge" - was nützt die beste Armee, wenn man sie verzettelt... Allerdings zofften sich verstrittene Angreifer auch gelegentlich, ja hin und wieder hetzte die röm. Außenpolitik potenzielle Gegner gegeneinander auf.
 
Man kann m.E. nicht sagen, dass eine Legion unter Cäsar oder Augustus kampfkräftiger gewesen ist als in der späten Kaiserzeit. Das Hauptproblem war, dass der Gegner taktisch und waffentechnisch aufgeholt hatte, von Rom gelernt. Überspitzt formuliert: Die Goten unter Fritigern waren eben nicht (mehr) halbnackte tumbe knüppelschwingende und disziplinlose Barbaren aus dem Urwald.
Ergänzung zu meinem #33:
Auch in der Spätantike scheinen die Germanen waffentechnisch noch höchst unterschiedlich entwickelt gewesen zu sein. Procopius berichtet in seiner "Kriegsgeschichte" (2,25), dass die Heruler, die zu seiner Zeit im oströmischen Heer dienten, weder einen Helm noch einen Brustpanzer, sondern nur einen Schild trugen.
 
Tut mir leid wenn ich mich nun unqualifizierterweise einmische, ist mein erster Post hier aber ich bin begeisterter Leser ;)

Ravenik inwieweit muss mangelnde Ausrüstung denn auf technologische Rückständigkeit zurückzuführen sein? Ich kenne mich mit den Herulern zwar nicht unbedingt aus aber die Aufgebote der "Barbaren" bewaffneten sich meines Wissens nach selbst und hatten dementsprechend keine einheitliche Bewaffnung. Kann es dann nicht sein, dass die Beschriebenen einfahc nur aus ärmeren Schichten stammten?

Auch ist es ja oft so, dass Barbaren oder ihre Länger so beschrieben wurden wie man sie sich eben vorstellte (z.B die Beschreibung des Ortes der Varusschlacht bei.. ehm Tacitus? ich werfe Antike Autoren gerne durcheinander, beschrieben wie man sich eben Germanien vorstellte obwohl diese Beschreibung schwer der Wahrheit entsprechen kann.

Unter Umständen verhält es sich hier für die oströmischen Barbaren genau so? Aber ist nur ein Einwurf und keineswegs Kritik
 
Prokopios war selbst bei den Feldzügen Belisars dabei, er kannte die Heruler in oströmischen Diensten also aus eigener Anschauung. Es war auch nicht so, dass er die Germanen aus Prinzip schlecht gemacht hätte, über den oströmischen Feldherrn Sittas, einen gebürtigen Goten, schreibt er z. B. sehr wohlwollend, und auch über die "einfachen" germanischen Söldner schreibt er nicht negativ. Ich denke also schon, dass seine Schilderung der Heruler glaubwürdig ist.

Was das Argument mit den "ärmeren Schichten" betrifft: Diese Heruler waren Söldner in oströmischen Diensten, da kann man wohl davon ausgehen, dass im Laufe der Jahre einiges an Sold und Beute zusammengekommen ist. Im Gegenteil: Prokopios schreibt, dass die Knechte (wobei ich nicht weiß, was er damit genau meint) der Heruler im Kampf grundsätzlich nicht einmal Schilde trugen, sondern sie sich dieses Privileg durch Tapferkeit im Kampf erst verdienen mussten. Den Schild trugen also grundsätzlich die höhergestellten Heruler. Eine mögliche Erklärung wäre meiner Meinung nach, dass die Heruler aus Prinzip ohne ausreichenden Schutz kämpften, sie es also gar nicht anders wollten.

Ravenik inwieweit muss mangelnde Ausrüstung denn auf technologische Rückständigkeit zurückzuführen sein?
Das habe ich so nicht behauptet, ich ging auf einen Beitrag von balticbirdy ein.
 
Dann habe ich das falsch verstanden und ziehe die Aussage auf dich bezogen zurück ;)

Also eine ideologisch bedingte Ungerüstetheit.. (ist das überhaupt ein Wort?) erinnert mich irgendwie an die Kelten zu anderen Zeiten bzw die Briten mit ihrer "magischen" Schutzbemalung.

Aber da die Heruler Söldner in Roms Diensten waren zeigt das ja leider nicht ob Roms Gegner in der Spätantike weniger gut gerüstet waren, zumal die Kultur sich ja teilweise unterschieden haben dürfte.
Wenn man zu den Dakerkriegen wechselt glaube ich sogar etwas über dakische Skorpione (ob erbeutet oder selbst gebaut weiß ich nicht) gelesen zu haben.
 
.... Eine mögliche Erklärung wäre meiner Meinung nach, dass die Heruler aus Prinzip ohne ausreichenden Schutz kämpften, sie es also gar nicht anders wollten.

Die Heruler waren für ihre herausragende leichte Infanterie seit längerem berühmt. Kennzeichnend für leichte Infanterie war ihre erhöhte Beweglichkeit auf Kosten der (schweren) Ausrüstung. Auf besondere Ausrüstung zu verzichten dürfte also mit Tradition, einem gewissen Ehrenkodex (man musste sich den Schild verdienen...) und den Erwartungen der oströmischen Dienstherren zu tun haben...
Römer teilten ihre Gegner gerne in "Schubladen" ein. Thraker galten einst als gute Schwertkämpfer und so findet man ihn auch unter den Gladiatorentypen
Thraex ? Wikipedia
… der „Archetyp“ des Thrakers war also ein Schwertkämpfer. Das römische Militär neigte dazu die hervorragendste „Waffengattung“ eines Volkes für seine Zwecke dienstbar zu machen. Franken waren gern gesehene Fußsoldaten und so war noch zu Karolingerzeiten der Ango (Ein Wurfspeer, der sich gut mit dem alten pilum der römischen Legionäre vergleichen lässt) ein Statussymbol für höhergestellte Franken. Goten waren beliebt als Lanzenreiter, Hunnen als berittene Bogenschützen, Perser etwa als schwergepanzerte Kavallerie, ebenso die Alanen/Sarmaten. Aufgrund der Nachfrage kann man eigentlich eine Rückwirkung auf die Völker, welche diese Soldaten stellten, mit ruhigem Gewissen annehmen. Noch bei Hans Delbrück lässt sich derartiges erkennen wenn er betont, dass viele „Barbarenheere“ unter römischem Kommando erfolgreicher kämpften als auf sich alleine gestellt – und das obwohl in beiden Fällen die Kommandeure oft ebenfalls Barbaren waren! Die Römer konnten halt „herulische Leichte“ mit „gotischen Lanzenreitern“ und „syrischen Bogenschützen“ etc. kombinieren, während etwa gotische Armeen auf sich alleine gestellt dazu neigten in ihrer Zusammensetzung zu „Kavallerielastig“ zu sein um für alle Kriegslagen flexibel genug reagieren zu können. Herulische „Leichtbewaffnete“ finden sich im Gefolge der Goten übrigens anscheinend bereits bei ihrem Auftauchen am Schwarzen Meer mit ihren Raubzügen im unruhigen 3.Jht. Die Goten etwa setzten auch als römische Foederaten nicht ausschließlich auf Lanzenreiter, aber dort lag ihre besondere Stärke, ungeachtet ihrer einst guten Infanterie und der noch bei Theoderich dem Großen erwähnten Bogenschützen… So ähnlich stelle ich es mir bei den Herulern vor, wo Leichtbewaffnete größtes Ansehen genossen haben dürften…
 
Die Heruler waren für ihre herausragende leichte Infanterie seit längerem berühmt. Kennzeichnend für leichte Infanterie war ihre erhöhte Beweglichkeit auf Kosten der (schweren) Ausrüstung.
Interessant finde ich das vor dem Hintergrund, dass in der Spätantike die Bedeutung der Bogenschützen massiv zunahm. Schlachten wurden mitunter eröffnet, indem sich die beiden Heere erstmal eine Weile gegenseitig beschossen. Prokopios (Kriegsgeschichte 1,1) betont daher, dass zu seiner Zeit sogar die Bogenschützen recht gut gepanzert gewesen seien.
 
Unterschiedliche "Einsatzzwänge" römischen Militärs bei inneren- und äußeren Kämpfen

Nochmal zurück zum Bereich, warum die eigentlich gewachsene römische Militärmacht teils rückblickend so hilflos wirkt und quasi "unter den Fingern zu verrinnen" scheint. Dazu möchte ich zwei große Punkte einmal näher beleuchten. Dazu habe ich nochmal die meiner Ansicht nach wichtigsten Punkte dafür "ge-Guttembergt".^^

Ein drittes wesentliches Element für die Rekonstruktion der Zustände im 3. bis 5. Jahrhundert fehlt noch: die ständigen Bürgerkriege, welche die Substanz des Heeres viel stärker geschädigt haben dürften, als die Angriffe der äußeren Feinde. Gerade an der germanischen Grenze nutzten die diversen Stämme häufig die Phasen nach Bürgerkriegen für Einfälle. Dies war schon im Vierkaiserjahr 70 der Fall, wo ja der Zug des Vitellius aus militärischer Sicht den Weg ebnete für den Bataver- und Trevereraufstand einerseits, Einfälle der Chatten andererseits.
Wahrscheinlich hätte das römische Militär effizienter eingesetzt werden können ohne diese "innenpolitischen Sachzwänge" - was nützt die beste Armee, wenn man sie verzettelt...


Rom: Einerseits lange Grenzen die gesichert werden mussten. Einiges an Zeit um die Armeen gegen Angreifer so zu konzentrieren, dass der Sieg quasi sicher war, die große Mobilität der Eindringlinge. All das machte die Konzentration „siegverheißender Truppenmassen“ so schwierig. Im Zweifel also keine Schlacht riskieren scheint das Motto in der Masse der Fälle gewesen zu sein.

Ganz im Gegensatz dazu stand der Einsatz des Militärs bei innerrömischen Auseinandersetzungen: Hier wurde nicht gezögert, sondern gehandelt! Die eigenen Kräfte wurden ohne Rücksichten konzentriert und bedingungslos eingesetzt. Die Kämpfe waren besonders blutig, was die Römer sehr nachhaltig schwächte durch kaum zu ersetzende Verluste. Nicht nur viele Soldaten kamen ums Leben, sondern es waren auch gut ausgebildete, „teure“ Berufssoldaten die adäquat zu ersetzen einige Zeit dauern musste!

Das relative „Missverhältnis“ in der Einsatzhaltung bei äußeren und inneren Bedrohungen des Reiches ist einfach eklatant und in einfacher Rückschau auch kaum zu verstehen. Wenn man natürlich bedenkt um welchen Einsatz es für die Bürgerkriegsparteien ging...

Innerrömische Kämpfe schwächten das römische Militärpotential also anscheinend eher stärker und vor allem Nachhaltiger als Auseinandersetzungen mit äußeren Gegnern! Wobei eindringende „Germanenvölker“ grundsätzlich ja ohnehin bereit waren, einen Platz innerhalb des römischen Systems einzunehmen. Weiterhin trugen alle „Bürgerkriege“ den Keim weiterer Usurpationen/Bürgerkriege in sich. Für die innerrömischen Kämpfe wurde mobilisiert was irgend möglich war, ohne größere Rücksichten auf die Erfordernisse der Reichsverteidigung. Dies bedeutete, dass gefährdete Provinzen, von ihrem militärischen Schutz entblößt zur Selbsthilfe greifen mussten, was nicht selten (wie von mir weiter oben geschildert) zu Usurpationen führte. Kamen die Truppen nach beendetem Bürgerkrieg in ihre Garnisonen zurück, konnte sich die Lage rasch entspannen, wenn die nun siegreiche Clique ihre Macht mit Augenmaß anwendete. Ich denke damit den Kern der Probleme und Abwärtsspirale nun fester umrissen zu haben. Es lohnt sich derartige Wechselwirkungen eigentlich schon über die gesamte Kaiserzeit hinweg zu beobachten.
 
Nochmal zurück zum Bereich, warum die eigentlich gewachsene römische Militärmacht teils rückblickend so hilflos wirkt und quasi "unter den Fingern zu verrinnen" scheint. Dazu möchte ich zwei große Punkte einmal näher beleuchten. Dazu habe ich nochmal die meiner Ansicht nach wichtigsten Punkte dafür "ge-Guttembergt".^^





Rom: Einerseits lange Grenzen die gesichert werden mussten. Einiges an Zeit um die Armeen gegen Angreifer so zu konzentrieren, dass der Sieg quasi sicher war, die große Mobilität der Eindringlinge. All das machte die Konzentration „siegverheißender Truppenmassen“ so schwierig. Im Zweifel also keine Schlacht riskieren scheint das Motto in der Masse der Fälle gewesen zu sein.

Ganz im Gegensatz dazu stand der Einsatz des Militärs bei innerrömischen Auseinandersetzungen: Hier wurde nicht gezögert, sondern gehandelt! Die eigenen Kräfte wurden ohne Rücksichten konzentriert und bedingungslos eingesetzt. Die Kämpfe waren besonders blutig, was die Römer sehr nachhaltig schwächte durch kaum zu ersetzende Verluste. Nicht nur viele Soldaten kamen ums Leben, sondern es waren auch gut ausgebildete, „teure“ Berufssoldaten die adäquat zu ersetzen einige Zeit dauern musste!

Das relative „Missverhältnis“ in der Einsatzhaltung bei äußeren und inneren Bedrohungen des Reiches ist einfach eklatant und in einfacher Rückschau auch kaum zu verstehen. Wenn man natürlich bedenkt um welchen Einsatz es für die Bürgerkriegsparteien ging...

Innerrömische Kämpfe schwächten das römische Militärpotential also anscheinend eher stärker und vor allem Nachhaltiger als Auseinandersetzungen mit äußeren Gegnern! Wobei eindringende „Germanenvölker“ grundsätzlich ja ohnehin bereit waren, einen Platz innerhalb des römischen Systems einzunehmen. Weiterhin trugen alle „Bürgerkriege“ den Keim weiterer Usurpationen/Bürgerkriege in sich. Für die innerrömischen Kämpfe wurde mobilisiert was irgend möglich war, ohne größere Rücksichten auf die Erfordernisse der Reichsverteidigung. Dies bedeutete, dass gefährdete Provinzen, von ihrem militärischen Schutz entblößt zur Selbsthilfe greifen mussten, was nicht selten (wie von mir weiter oben geschildert) zu Usurpationen führte. Kamen die Truppen nach beendetem Bürgerkrieg in ihre Garnisonen zurück, konnte sich die Lage rasch entspannen, wenn die nun siegreiche Clique ihre Macht mit Augenmaß anwendete. Ich denke damit den Kern der Probleme und Abwärtsspirale nun fester umrissen zu haben. Es lohnt sich derartige Wechselwirkungen eigentlich schon über die gesamte Kaiserzeit hinweg zu beobachten.

Leider ist die Dynamik der Bürgerkriege im Kaiserreich bisher viel zu häufig zu kurz gekommen; mir scheint, es mangelt da an grundsätzlichen Studien.
Ich denke, das Grundmoment lag in der starken Machtstellung kaiserlicher Statthalter. Sie konnten grundsätzlich über eine oder mehrere Legionen verfügen und hatten damit schon mal die Kontrolle der eigenen Provinz sicher. Lag die Provinz an den Grenzen des Reiches, ließen sich vielleicht sogar noch Allianzen mit dem eigenen Gegner schmieden.
Dann lässt sich feststellen, dass viele Usurpatoren sofort nach Italien zogen, wo (besonders in Norditalien) auch viele Entscheidungskämpfe stattfanden. Ich denke, dass das Ziel - wie bei einem modernen Putsch - war, die politischen Schaltstellen zu besetzen, ehe der amtierende Kaiser ein größeres Heer sammeln konnte. Wer auch Statthalter der anderen Provinzen für sich überzeugen konnte, sammelte mehrere Legionen (wie etwa Vespasian) und hatte in den zu erwartenden Kämpfen bessere Karten.
Trotzdem bleiben viele Fragen offen; zum einen nach der Motivation der Usurpatoren und besonders der Soldaten, nachdem die einzelnen Legionen meines Erachtens eine recht autonome Stellung im politischen System des Reiches einnahmen. Zum anderen fragt man sich, warum es seltener zu regionalen Sezessionen kam, wie im Falle des "gallischen Sonderreiches", dem Reich des Carausius oder den häufigeren kleinen Sezessionen im späten 5. Jahrhundert. Und schließlich bleibt auch die Frage, wie es sein konnte, dass es auch während solcher Bürgerkriege in weiten Teilen des Reiches ruhig blieb - wurden andere Statthalter vielleicht mit Bestechungen abgefunden? Andererseits gab es auch gewaltige Bürgerkriege, die weite Teile des Reichs erfassten - wie nach dem Tod des Commodus oder zwischen Constantius II. und Magnentius.
Aber das wäre vielleicht auch Thema für einen eigenen Thread.
 
Ich denke, das Grundmoment lag in der starken Machtstellung kaiserlicher Statthalter. Sie konnten grundsätzlich über eine oder mehrere Legionen verfügen und hatten damit schon mal die Kontrolle der eigenen Provinz sicher.
Das war hilfreich, aber nicht einmal "notwendig". So mancher der Soldatenkaiser verfügte nicht einmal über eine Legion. Was in den Köpfen von Usurpatoren wie Eugenius (303, war bloß Kommandant einer Kohorte) oder Calocaerus (334-335, war Aufseher der kaiserlichen Kamelherden auf Zypern) vorgegangen ist, kann man wohl nicht wirklich verstehen.
Aber grundsätzlich stimme ich Dir natürlich zu.

Dann lässt sich feststellen, dass viele Usurpatoren sofort nach Italien zogen, wo (besonders in Norditalien) auch viele Entscheidungskämpfe stattfanden. Ich denke, dass das Ziel - wie bei einem modernen Putsch - war, die politischen Schaltstellen zu besetzen, ehe der amtierende Kaiser ein größeres Heer sammeln konnte.
Welche politischen Schaltstellen? Letztlich beruhte die Macht des Kaisers auf seiner Armee. Die tradtionellen Magistrate waren doch irrelevant.
Dass viele Usurpatoren sofort nach Italien zogen, wird wohl in erster Linie daran gelegen haben, dass sich der amtierende Kaiser oft dort aufhielt, und den musste der Usurpator natürlich möglichst rasch schlagen, um sich gegen ihn durchzusetzen. Da passt dann auch der von Dir angesprochene Punkt, dass verhindert werden sollte, dass der amtierende Kaiser ein größeres Heer sammeln konnte. Außerdem verlieh die Kontrolle über Rom und den Senat doch ein gewisses Maß an Legitimität, auch wenn es in der Praxis oft nicht viel wert war.

Trotzdem bleiben viele Fragen offen; zum einen nach der Motivation der Usurpatoren
Die konnte völlig unterschiedlich sein, keineswegs musste es immer Machtgier sein. Manchmal war es schlicht und einfach Angst: Der angehende Usurpator hatte bei einer Aufgabe versagt und fürchtete Strafe. Siehe z. B. Bonosus: Er war Kommandant der Rheinflotte, als sie von den Germanen verbrannt wurde, und rief sich daraufhin 281 zum Kaiser aus. Noch banaler war es bei Firmus (372-374): Der hatte in einem Erbschaftsstreit seinen Bruder ermordet.
Andere Kaiser wurden gegen ihren Willen (meist von ihren Truppen) zum Kaiser ausgerufen, dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, weil sie andernfalls vielleicht von ihren Truppen ermordet worden wären und sie es sich mit dem regierenden Kaiser auch durch ihre unfreiwillige Proklamation ohnehin schon verscherzt hatten. (In manchen Fällen mag die Behauptung, die Kaisererhebung sei gegen den Willen des Betroffenen erfolgt, freilich auch nur Propaganda gewesen sein.) Beispiele sind Quartinus (235) und Gordianus I. (238), angeblich auch Decius (249-251), bei dem die Unfreiwilligkeit aber besonders zweifelhaft ist.

Zum anderen fragt man sich, warum es seltener zu regionalen Sezessionen kam, wie im Falle des "gallischen Sonderreiches", dem Reich des Carausius oder den häufigeren kleinen Sezessionen im späten 5. Jahrhundert.
Ich tippe auf zwei Gründe:
Erstens wollten die meisten Kaiser wohl einfach alles haben und nicht nur einen Teil.
Zweitens war jeder Kaiser gefährdet, solange es neben ihm noch andere Kaiser gab. Diese auszuschalten und das ganze Reich zu kontrollieren war also eine Notwendigkeit, um dauerhaft überleben zu können. Gallien und Britannien waren ja auch ständig bedroht.

Und schließlich bleibt auch die Frage, wie es sein konnte, dass es auch während solcher Bürgerkriege in weiten Teilen des Reiches ruhig blieb - wurden andere Statthalter vielleicht mit Bestechungen abgefunden?
Da tippe ich auf den Selbsterhaltungstrieb: Man konnte nie sicher sein, wie ein Bürgerkrieg ausgehen würde. Ein Statthalter, der aktiv Partei ergriff, ging ein hohes persönliches Risiko ein. Falls seine Partei verlor, war er erledigt.
 
Erstens wollten die meisten Kaiser wohl einfach alles haben und nicht nur einen Teil.
Zweitens war jeder Kaiser gefährdet, solange es neben ihm noch andere Kaiser gab. Diese auszuschalten und das ganze Reich zu kontrollieren war also eine Notwendigkeit, um dauerhaft überleben zu können. Gallien und Britannien waren ja auch ständig bedroht.

Hier spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle. Seit dem dritten Jahrhundert war ein wesentlicher Teil der Armee an der Ostgrenze stationiert - zum einen wurden die Sassaniden als die größte Bedrohung angesehen, zum anderen waren die dortigen Provinzen die wertvollsten. Größere Truppenverlegungen dauerten Monate. Aber dadurch konnte es sich eben ein Ursurpator nicht irgendwo gemütlich machen - er musste auch den Oberbefehl über diese Truppen erhalten, sonst hätten die wohl doch einige Zeit später in seiner Provinz eingegriffen.
 
Gerade die Soldatenkaiserzeit zeigte ja deutlich, wo die Schwäche des Römischen Kaisersystems lag. Das Kaistertum war ein System, dass auf der Akzeptanz verschiedener Schichten beruhte, u. a. auch dem Militär.
Während der Soldatenkaiserzeit war das Reich an mehreren Grenzen unter Druck, und das im Vergleich zu den vorherigen Epochen gleichzeitig und massiv.
War es früher noch möglich, nachdem am einen Ende des Imperiums Ruhe einkehrte an das andere zu marschieren für den Kaiser, war dieser nun langfristig gebunden.

Dies wiederum führte dazu, dass sowohl Zivilbevölkerung als auch das Militär sich nach der Nähe des Kaisers sehnten. Denn wo der Kaiser ist, ist Rom, d. h. alle Macht ist an diesem Ort gebündelt.

Dies führte dann dazu, dass man den Heerführer zum Kaiser ausrief, von dem man sich am meisten erhoffte.

Die neuen Kaiser wiederum waren gezwungen, ihre usurpierte Macht zu festigen und mussten dann in den Bürgerkrieg ziehen. Ein Nebeneinander zwischen Usurpator und Kaiser war nicht möglich.

Dies war gerade in der Soldatenkaiserzeit eine endlose Spirale, trat aber in der Spätantike auch wieder auf.

Diocletian war sich dessen Bewusst, nicht umsonst schuf er am Ende das System der Tetrachie. So war an jeder bedrohten Grenze ein Kaiser, die Gefahr von Usurpationen war gebannt, und wenn doch ein Usurpator die Macht ergreifen sollte, war der reguläre Kaiser in der Nähe und konnte sofort einschreiten.
 
Römische Ideologie und Regierungskonzept

Gerade die Soldatenkaiserzeit zeigte ja deutlich, wo die Schwäche des Römischen Kaisersystems lag. Das Kaistertum war ein System, dass auf der Akzeptanz verschiedener Schichten beruhte, u. a. auch dem Militär.


Das war weniger die Schwäche des kaiserlichen System Roms, sondern ein integraler Bestandteil römischer Sichtweise und daher auch schon in der Republik latent vorhanden! Ich muss nun wohl etwas „schwarz-weiß zeichnen“, wenn ich eine Vorstellung von dem erreichen möchte, was ich meine. Das erfordert eine etwas philosophisch/mentalitätsgeschichtliche Perspektive:

Rom sah sich selbst als das beste Staatssystem von allen. Es sah die Römer, welche ja Bürger über einen Rechtsakt wurden (und sich nicht vorwiegend als Abstammungsgemeinschaft verstanden!) als die Elite aus allen Völkern! Die Besten der Besten also – gemäß eigener Propaganda und damit Selbstanspruch. Wie kann das Beste vom Besten – der ideale Staat, von den Göttern (lt. Vergil) zur Macht über den Erdkreis berufen – wie kann dieses Teilbar sein?? Entweder ein Repräsentant vertritt den „richtigen Weg“ (dann dürfte er sich auch durchsetzen können…), oder eben den Falschen. Dabei würde sich die „Beste aller Gesellschaften“ quasi jedesmal selbst neu reinigen und erneuern. Der Sieger bekommt alles, der Verlierer wird als solcher gebrandmarkt (ein schlechter Mensch und Römer…), dient als abschreckendes Beispiel und verfällt der damnatio memoriae!

Peter Heather hat dieses System in der ihm eigentümlichen Prägnanz einen „Einparteienstaat“ genannt und mit dem System des ehemaligen Ostblocks verglichen, wo es ebenfalls nur eine Wahrheit gab und eine Partei (in der Antike halt die „römische“…) statt einem Nebeneinander von Parteiungen. In der Republik war dieser Fakt etwas besser haschiert. Die sogenannten Popularen und Optimaten unterschieden sich weniger grundlegend, als Parteien wie wir sie kennen. Sie waren weitgehend getragen von einzelnen, herausragenden Persönlichkeiten, welche sie im jeweiligen Zeitraum besser charakterisieren als die oben genannten „Bezeichnungen“! Proskriptionen während der Republik bis hin zu den Bluttaten der Spätantike, wenn die Anhänger und Träger eines gestürzten Großen verfolgt wurden (Man sehe sich nur an was beim Sturze des Stilicho geschah und wie man sein Andenken und seine Taten verurteilte), stehen mE. in dieser Tradition.

Wen dieser Themenkomplex genauer interessiert, dem sei Peter Heathers "Der Untergang des Römischen Weltreichs" und dort speziell der Teil I mit dem Titel "Pax Romana" nahegelegt.

Man sehe sich doch die Bezeichnungen der obersten, (spätantiken) Gesellschaftsschichten an um diesen Selbstanspruch ablesen zu können: Die höchsten Repräsentanten des Reichsadels waren die „vir illustirs“, „vir spectabilis“, vir clarissimi… oder gar die höchsten Staatsbeamten als „vir perfectissimi“…! Welche Superlative braucht es mehr um diesen Standpunkt zu charakterisieren?

Einiges Weitere kann aus der Eigendynamik erklärt werden, die aus diesem grundlegenden System und dem Aufbau des Reiches resultieren mussten. Dazu gehört gewiss auch die von Stilicho erwähnte, wachsende Bedeutung gewisser (großer) Heeresabteilungen. Besonders die Orientarmee und natürlich die Donauarmee. Letztere musste durch Größe und relative Nähe zur (ideell weiterhin dominierenden) Stadt Rom lange prädestiniert dazu bleiben, die Kaiser zu machen. Die Severer etwa wurden von ihnen zur Macht gebracht und selbst die (älteren) Flavier mit Vespasian verdankten den Donauarmeen letztlich ihren Erfolg, noch bevor sie ihre bedeutendere Orientarmee in Italien hätten einsetzen können. Auch als Rom viel von seiner Bedeutung verlor waren die neuen Metropolen, mit Konstantinopel an der Spitze, ebenfalls leicht zu erreichen und auch die zeitweiligen, westlichen Zentren wie Mailand oder Ravenna wurden unmittelbar von den Donauarmeen geschützt, wie im „beobachtet“.

Ashigaru schrieb:
Trotzdem bleiben viele Fragen offen; zum einen nach der Motivation … und besonders der Soldaten, nachdem die einzelnen Legionen meines Erachtens eine recht autonome Stellung im politischen System des Reiches einnahmen.

Ganz sicher hatten die einzelnen „Heeresgruppen“ (unter denen die Donauarmee und die Orientarmee nur die bedeutendsten waren) eine recht autonome Stellung innerhalb des Reiches. Durch Aufnahme von Foederaten (neuen Typs – also wie die Westgoten unter einem eigenen König und nicht als verstreut angesiedelte Kleingruppen) als „römische Vertrags-Armee“ basierte deren „Autonomie“ prinzipiell auf der gleichen, bekannten Basis wie jene, der „regulären, römischen Armeen“. So gesehen bildeten sie keineswegs so völlig aus dem Rahmen des Reiches fallende „Enklaven“. Wenn also die Donauarmeen so lange Zeit hindurch die Kaisermacher waren und aus ihren Reihen so zahlreiche Kaiser stammten: Dann musste doch die (allerdings nur organisatorische!) Teilung des Reiches mitten durch den Bereich dieser Armee auch politische Auswirkungen zeigen! Man denke nur an Stilicho, welcher die Oberhoheit Westroms auch über Illyrien durchsetzen wollte (was nur das „unmittelbare Vorfeld“ Konstantinopels im Militärbereich des Ostreiches gelassen hätte)… Es könnte ihm also wohl keineswegs nur um die „Rekrutierungsbasen“ jener Gegend gegangen sein, wie man so oft liest!

Das „Gallische Sonderreich“ würde ich nicht wirklich als Sukzession bezeichnen wollen, trotz gewisser Anhaltspunkte. Unter äußerem Druck war es entstanden und dank militärischem Druck Kaiser Aurelians wurde es wieder ins Reich integriert. Er behandelte es in der Folge auch anders, als das sich parallel dazu entwickelte, „östliche Seperatistenreich“, wie es unter der „Anmaßung Zenobias“ von Palmyra aus entstanden war. Es wirkt rückblickend betrachtet doch eher wie die Vorwegnahme späterer, administrativer Teilungen des Imperiums. Vor dem Hintergrund der von mir versuchten Schilderung des römischen Wertekanons und Selbstbildes müssen die kaum vorkommenden Spaltungserscheinungen doch auch nicht weiter überraschen. Abspaltungen wurden vor allem früh durch Aufstände der unterworfenen Völker versucht, nicht aber durch römisches Militär oder römische Oberschichten. Die „römischen Flickenteppiche“ der Untergangszeit (etwa Reich des Syagrius in Gallien, Machtbereich des „Romulus Augustulus“ oder die dalmatische Herrschaft Kaiser Nepos) waren ja ebenfalls keine Sukzessionen, sondern nur eben nicht mächtig genug ihre Ansprüche durchsetzen zu können. Ich sehe sie eher als nicht mehr voll steuerbare „Wrackteile“ eines untergehenden Reiches denn als Abspaltungen.
 
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