Neddy
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Nicht nur: Ein Linienschiff war immer noch ein "Schiff". Ein "Schiff" wiederum war während der Zeit, als es "Linienschiffe" unter Segeln gab, klar definiert und zwar an Hand seines Riggs (das gilt zumindest für den englischen Sprachraum - für die übrigen Europäer dürfte aber das selbe gegolten haben).Somit ist das Linienschiff kein Schiffstyp mit baulichen Charakter, sondern ein Schiffstyp mit taktischer Charakter.
Hierbei entspricht "Schiff" dem heute üblicheren "Vollschiff":
Ein "Schiff" hatte drei (oder mehr) rahgetakelte Masten. Rahen sind die Hölzer, an denen die Segel befestigt sind. Rahen und damit Rahsegel sind grundsätzlich quer zur Längsachse des Schiffes ausgerichtet. Damit stehen sie im Gegensatz zu "Gaffeln" und "Bäumen", respektive Gaffelsegeln und Schratsegeln, die längst der Längsachse des Schiffes gesetzt werden. Siehe auch: Full-rigged ship - Wikipedia, the free encyclopedia
Zwischen 17. und 19. Jahrhundert wurden (praktisch) alle hochseefähigen schweren Kriegsfahrzeuge europäischer Marinen als "Schiff" gebaut. Mit Einführung der Lineartaktik und damit des "Linienschiffes" wurden diese Schiffe (und NUR diese) nach ihrem Kampfwert, gemessen in Anzahl von Geschützen und Sollbesatzung gruppiert. Die Briten führen dafür ein System mit sechs Klassen ein. Franzosen, Spanier, Niederländer und vermutlich die meisten anderen europäischen Marinen nutzten entsprechende ähnliche Systeme. Schwächere Schiffe (wie z. B. Korvetten) oder Fahrzeuge ("vessels") mit einem anderen Rigg - wie z. B. Briggs, Schoner oder Kutter liefen außer- und unterhalb dieser klassifizierten Schiffe.
"Linienschiffe" waren also stets Schiffe. Selbst wenn jemand auf die Idee gekommen wäre, einen großen, starken Rumpf mit mehr als 60 Kanonen auszustatten, ihm jedoch das Rigg einer Bark zu geben, so wäre das Ergebnis eben kein "Linienschiff", sonderen eine "Linienbark" gewesen. Lediglich der Wortbestandteil "Linien-" ergab sich aus der taktischen Verwendung. Das "-schiff" ergibt sich aus der baulichen Gestalt - eben der Ausgestaltung des Riggs, vulgo der Antriebsanlage.
Das (Linien-)schiff befindet sich übrigens in einer Entwicklungslinie, in der ihm "Galeone" und der wiederum "Karracke" bzw. "Nao/Nau" vorausgehen. Dazu hier ein recht ordentlicher Überblicksartikel, wenn auch auf niederplatthochdeutsch: SQUARE-RIGGED SHIP HISTORY
Ohne jetzt tiefer ins Detail einzugehen: Die Niederländer MUSSTEN auf Grund der Gegebenheiten vor ihrer Haustüre flachgehende Kriegsschiffe bauen. Alles andere hätten sie nicht aus ihren Häfen herausbekommen. Und immer noch mussten Linienschiffe mit Ziel z. B. Amsterdam (ich hoffe, mein Gedächtnis trügt mich hier nicht), zusätzlich geleichtert werden, um ihren Heimathafen anlaufen zu können. Das hieß: Artillerie und Vorräte von Bord - ein Mordsaggevaas mit entsprechenden Rückwirkungen auf Verfügbarkeit und Mobilität und damit Einsatzfähigkeit. Im Gegensatz zu ihren englischen und französischen Gegenstücken waren diese niederländischen Schiffe Dwarslööper mit miesen Seeeigenschaften.Das war insbesondere ein Problem, wenn man "Höhe laufen" wollte. Wer windaufwärts von seinem Gegner stand, hatte in einem Seegefecht das Gesetz des Handelns, da er seinem Gegner (bei vergleichbaren Manövriereigenschaften) den Zeitpunkt des Gefechtes aufzwingen konnte. Viele Seegefechte begannen Stunden und Tage vor dem ersten Schuß, als die Kontrahenten nach Insichtkommen zunächst versuchten, sich diesen sogenannten Luvvorteil zu verschaffen. Ein Schiff mit einer hohen Abdrift, wie es diese niederländischen Schiffe waren, war hier in deutlichem Nachteil. Das selbe galt vor einer Leeküste, wenn man sich gegen den vorherrschenden Wind freisegeln oder scheitern musste.
In jedem Fall waren diese niederländischen Schiffe in der Regel nicht nur flacher gehend, sondern auch etwas kleiner und vor allem schwächer bewaffnet: Sowohl Anzahl der Geschütze betreffend als auch deren Kaliber. Beides, um Gewicht und damit Tiefgang zu sparen.