Daß das Deutsche Reich mit seiner Verfassung vom 11.8.1919 zumindest partiell lebt, folgt schon aus Art. 140 des Grundgesetzes (GG), wonach die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138,139 und 141 der "Weimarer Reichsverfassung" Bestandteil des GG sind.
Offenbar hatte niemand die Lust, diesen Blödsinn richtig zu stellen.
Jedem Juristen mit einem Basiszugriff auf Fachliteratur wird bei dieser Verquirlung hier übel.
Der (an sich) korrekt genannte Bezug des Grundgesetzes auf Artikel der Weimarer Verfassung hat in der Folge nullkommanichts - außer in der Reichsbürger-Phantasie - mit der Frage zu tun, ob zwischen Deutschem Reich und den deutschen Staaten BRD, DDR bzw. der übrig gebliebenen BRD Rechtsträger-Identität, Gesamtrechtsnachfolge/Universalsukzession oder "partielle" Rechtsnachfolge besteht.
Die sinnfreie Verquirlung von Fachfragen selbst ist hier das Problem, das für die Existenz-des-Reiches-Schwafeleien missbraucht wird.
Gar kein Problem und völlig eindeutig ist [1.] die Rechtsprechung der Verfassungsgerichts, die von einer Rechtsträgeridentität ausgeht. Das Wörtchen partiell vor 1990 [2.] bezieht sich dabei auf einen territorialen Aspekt dieser Frage. Ebenso völlig eindeutig [3.] nach einheitlicher Auffassung ist die Interpretation des WRV-Verweises des Artikel 140 GG.
Nur haben Fragen 1 und 2. mit 3.
überhaupt nichts zu tun.
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Für den rechtshistorisch Interessierten, den das nicht langweilt: Das soll an einzig vorhandenen Interpretation der Verweisung des Artikel 140 auf §§ der WRV kurz klargestellt werden.
1. Der Verweis ist ein (staatspolitischer) Kompromiss in einer staatspolitischen Kontroverse 1948/49:
"Die Kette des Austausches bereits bekannter Argumente gegen Kirchenartikel – es fehle die Zuständigkeit des Bundes für diese zur Kulturhoheit der Länder gehörende Materie, und es gebe keine Notwendigkeit, besondere Rechte gerade der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Verfassung festzulegen – durchbrachen die liberalen Abgeordneten Dr. Heuss und Dr. Höpker-Aschoff mit dem Hinweis, die Tragweite des Antrags der christlichen Parteien lasse sich nicht übersehen; es solle stattdessen erwogen werden, auf die Bestimmungen der Weimarer Verfassung Bezug zu nehmen."
2. Technisch ist die
Inkorporation als solche nicht ungewöhnlich, hier ist das lediglich in Bezug auf die Artikelnennung der Fall.
"Die Regelungstechnik, einen Artikelkomplex einer nicht mehr geltenden Verfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes zu erklären, findet sich ausschließlich in Art. 140 GG. Geläufiger ist die vor allem im Grundrechtsteil angewendete Vorgehensweise, brauchbare Formulierungen anderer, meist früherer deutscher Verfassungen, organisch in den Text des Grundgesetzes einzuarbeiten.
Die zumeist als „Übernahme“, „Rezeption“ oder „Inkorporation“ bezeichnete Technik des Art. 140 GG bedeutet,* dass die Formulierungen der Weimarer Verfassung, ohne Rücksicht auf eventuelle Wiederholungen oder systematische Brüche, zu Normen des Grundgesetzes werden. Die übernommenen Formulierungen sind ungeachtet des Standortes des Art. 140 GG im Abschnitt XI (Übergangs- und Schlussbestimmungen) vollgültiges Verfassungsrecht, sie haben die gleiche Normqualität wie andere Bestandteile des Grundgesetzes. Dies stellt die apodiktische Formulierung „sind Bestandteile dieses Grundgesetzes“ klar. ...
Die dem Grundgesetz inkorporierten Religionsartikel sind als Teil des Grundgesetzes, nicht als Bestimmungen der Weimarer Verfassung auszulegen. Ihre Interpretation und Bedeutung ist nicht an das Weimarer Verständnis und den – im Übrigen alles andere als eindeutigen – Stand der Weimarer Staatskirchenrechtslehre gebunden, sondern hat sich „von den Wertungen des Grundgesetzes leiten zu lassen.“
Inkorporation bedeutet keine normativ-dogmatische Statik; der systematische Kontext des Art. 140 GG ist nicht der Weimarer, sondern der grundgesetzliche Grundrechtsteil. Ein Bedeutungswandel wegen dieses neuen Zusammenhangs – was Kontroversen über das Ob und Wie eines Wandels nicht ausschließt – ist ausschließlich normativ begründet und bei den Einzelvorschriften zu untersuchen."
So
fachlich-sachlich überall zu lesen, zB statt vieler:
Mauz/Düring, GG-Kommentar, Rn 4-9 zu Artikel 140
Sachs, Grundgesetz, Artikel 140 Rn 2-4
sowie zu *:
v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, S. 40
W. Weber in VVDStRL 11 (1954), S. 153, 157.
Morlok in Dreier, GG, Art. 140 Rn. 29;
Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, 1961, S. 127 Hoffmann in FS Obermayer, 1986, S. 33 ff.;
Unruh, Religionsverfassungsrecht, 2. Auflage 2012, Rn. 51