So einfach ist das nicht!
Repo schrieb:
Horst Boog nennt die damals gültigen Rechtsnormen. Und nur die interessieren in der historischen Beurteilung: Kriegsverbrechen ja oder nein.
Ich möchte die Diskussion mal auf folgendes Problem lenken:
Das damalige Luftkriegsrecht war löchrig.
Der Luftkrieg kam erst mit dem Ersten WK auf. Spezielle Regeln für den Luftkrieg gab es im Ersten WK noch keine. Man half sich mit Regelungen des Land- und des Seekriegrechtes aus, die man versuchte auf den Luftkrieg zu übertragen (Beispiel: unverteidigte Stadt, Art. 28
Haager Landkriegsordnung).
Nach dem Ersten WK hat eine international zusammengesetzte Kommission von Fachexperten die "Haager Luftkriegsregeln" erarbeitet. Doch die Politik 1928 machte sich mit dem Briand-Kellog-Pakt (1928) auf, den Krieg abzuschaffen. Dabei verlor sie das Ziel der "Humanisierung der Kriegsführung" aus den Augen. Infolgedessen wurden die "Haager Luftkriegsregeln" leider nicht unterzeichnet. Die These vom damals gültigen und klaren Regelwerk ist deshalb falsch.
Freilich versuchen die Völkerrechtler - wie dies für Juristen typisch ist - Regeln auch noch aus anderen Vorstellungen zu entwickeln als aus den internationalen Verträgen. Solche Vorhaben laufen im Völkerrecht unter der Rubrik "Völkergewohnheitsrecht". Derartige Versuche haben aber den Haken, dass von einem solchen Gewohnheitsrecht erst dann ausgegangen werden kann, wenn eine bestimmte Rechtsvorstellung von der internationalen Staatengemeinschaft längere Zeit ständig beachtet wird, weil sie es aus Rechtsgründen für erforderlich hält. Die Anforderungen sind also verdammt hoch und der Streit unter Juristen, ob und ab wann ein solcher Standard Gewohnheit wurde, ist ziemlich müßig und eben auch von persönlichen Wertentscheidungen abhängig.
Immerhin haben Deutschland, England und Frankreich Anfang September 1939 auf Anregung von US-Präsident Franklin D. Roosevelt öffentlich erklärt, die Zivilbevölkerung im Luftkrieg schonen zu wollen. Doch mit den Erklärungen von drei Staaten war natürlich noch kein welt- oder europaweit gültiges Völkergewohnheitsrecht begründet. Auch trug die Luftkriegspraxis der kriegführenden Staaten des Zweiten WK diesen Erklärungen – warum auch immer – nicht beständig Rechnung.
Rousseau schrieb im „Contrat social“, dass der Krieg
"keineswegs eine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, in der die Privatpersonen nur zufällig Feinde sind, keineswegs als Menschen, sondern als Soldaten, keineswegs als Glieder des Vaterlandes, sondern als seine Verteidiger" (Jean-Jacques Rousseau, Contrat social, I chap. IV - zitiert nach Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1988, S. 629). Dieses Verständnis vom Wesen des Krieges kann man in Art. 27 der Haager Landkriegsordnung wiederfinden, wonach "bei Belagerungen und Beschießungen" Kirchen, Krankenhäuser, Kunstwerke, etc. zu schonen sind, „vorausgesetzt, (...) sie (finden) nicht gleichzeitig zu einem militärischen Zwecke Verwendung“. Verallgemeinernd kann man dieser Regel den Grundsatz entnehmen, dass militärische Angriffe militärischen Zwecken dienen müssen und nicht wahllos gegen die Zivilbevölkerung geführt werden dürfen. So betrachtet bekundet die Haager Landkriegsordnung seit 1907 die Überzeugung der Völkergemeinschaft dass Kriege unter Beachtung dieses Grundsatzes zu führen sind, so dass dieser Grundsatz Bestandteil des universellen Völkergewohnheitsrecht wäre. Auf den Luftkrieg übertragen führt dieser Grundsatz zum Verbot des unterschiedslosen Bombardements (Flächenbombardements). Die ganz herrschende Auffassung der deutschen Völkerrechtslehrer kommt so oder so ähnlich zu dem Ergebnis, dass die Flächenbombardements des Zweiten WK völkerrechtswidrig waren.
Allerdings gibt Rousseau bestenfalls das kontinentaleuropäische Völkerrechtsverständnis vom Krieg wieder. Die angelsächsische Vorstellung vom Krieg war schon immer anders. So wurde der Kaperkrieg gegen die Spanier im 16. Jahrhundert privat geführt. In zahlreichen prisenrechtlichen Entscheidungen haben britische Gerichte dem Kriege eine umfassende, auch die Rechtsbeziehungen der Individuen zueinander beeinflussende Wirkung zugeschrieben. Im Fall „The Hoop“ (1799) wurde aus diesem Kriegsbegriff das mit Kriegsausbruch eintretende Verbot des „Handels mit dem Feinde“ abgeleitet. Im Fall „Potts v. Bell“ formulierte der Prisenrichter Lord Kenyon den britischen Kriegsbegriff wie folgt:
„Der Krieg versetzt alle Individuen der betreffenden Staaten ebenso in einen Zustand der Feindseligkeit miteinander wie die Regierungen selbst. Es gibt nicht so etwas wie einen Krieg mit den Waffen und gleichzeitig Frieden für den Handel. In diesem Zustand sind vielmehr auch alle Verträge, privaten Abmachungen und Eigentumsrechte ausgehoben. (...) Diese Erwägungen treffen besonders für Seekriegsmächte zu, für die es hauptsächlich darauf ankommt, die Flotte und den Handel des Feindes zu vernichten, um ihn zum Frieden zu zwingen.“ (Lord Kenyon - zitiert nach Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 1988, S. 629 m.w.N.). Entsprechend sah auch die in Kolonialkonflikten praktizierte britische Luftwaffendoktrin aus. Mit Bombenangriffen sollte der Feind zum Frieden gezwungen werden. Übrigens Elemente des britischen Kriegsbegriffes kann man ebenfalls in der Haager Landkriegsordnung finden. So enthält Artikel 2 eine Regelung, die davon ausgeht, dass die "Bevölkerung eines nicht besetzten Gebiets, (...) beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antriebe zu den Waffen" greifen darf, "um die eindrigenden Truppen zu bekämpfen".