Rolle des Kaisers zwischen 30.09. und 09.11.1918

Joel

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Hallo.
Ich recherchiere für ein Referat über die Novemberrevolution. Ich habe gefunden, dass es am 30.09 1918 den Parlamentarisierungserlass gab. Doch die USA wollten immer noch nicht verhandeln, weil der Kaiser nicht entmachtet war. Welche Macht hatte er bis zu seiner Abdankung am 09.11. bzw. 28.11 noch?
 
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Die erste deutsche Note an Wilson ging in der Nacht vom 03.10. auf dem 04.10.1918 raus. Sie hatte folgenden Wortlaut:

"Die Deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, alle kriegführenden Staaten von diesem Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Bevollmächtigten zwecks Anbahnung von Verhandlungen einzuladen. Sie nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich der Rede vom 27. September aufgestellte Programm als Grundlage für die Friedensverhandlungen an.

Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung, den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen.

gez. Max, Prinz von Baden
Reichskanzler"

Am 14.Oktober verlangte Wilson im Zuge des Notenwechsels mit der deutschen Regierun im Prinzip die Beseitigung der Monarchie.
"Die Vernichtung jeder willkürlichen Macht überall, die für sich, geheim und nach eigenem Belieben den Frieden der Welt stören kann, oder – wenn sie jetzt nicht vernichtet werden kann – mindestens ihre Herabminderung zu tatsächlicher Machtlosigkeit."

"Die Macht, die bisher die deutsche Nation beherrscht habe",
so führte Wilson aus, "sei von der hier beschriebenen Art. Die deutsche Nation habe die Wahl, dies zu ändern. Das sei natürlich eine Bedingung, die vor dem Frieden erfüllt sein müsse, wenn der Friede durch das Vorgehen des deutschen Volkes selbst kommen solle."

Es war nicht so sehr die Macht der Meuterer und Aufständischen oder die Gewalt derjenigen, die einfach nur Frieden wollten, sondern die Entscheidungsschwäche, Plan- und Tatenlosigkeit der örtlichen Militärbefehlshaber und die Ohnmacht des durch eine dysfunktionalen Kommandostruktur gelähmten Obermilitärbefehlshabers im Heimatgebiet sind wesentliche Faktoren für den Erfolg der Umsturzbewegung.

Wilhelm II. seine Macht wurde im Verlaufe des Oktobers im Zuge der Verfassungsreformen immer weiter beschnitten. Beispielsweise bedurften künftig Akte der militärischen Kommandogewalt oder politischer Kundgebungen einer Gegenzeichnung. Der Reichstag hatte künftig und den Abschluss völkerrechtlicher verbindlicher Verträge ein Mitbestimmungsrecht. Des Weiteren wurde die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Reichstag festgeschrieben.
 
Hallo.
Ich recherchiere für ein Referat über die Novemberrevolution. Ich habe gefunden, dass es am 30.09 1918 den Parlamentarisierungserlass gab. Doch die USA wollten immer noch nicht verhandeln, weil der Kaiser nicht entmachtet war. Welche Macht hatte er bis zu seiner Abdankung am 09.11. bzw. 28.11 noch?
Eine andere Frage wäre, welche Macht über die Geschehnisse er denn noch vorher hatte.
Er ist höflich ausgedrückt impulsiv und rechthaberisch. An seiner Befähigung wird international und auch bei den heimischen Entscheidungsträgern gezweifelt. Sein Geisteszustand ist bereits kurz nach seinem Amtsantritt Gegenstand von Erörterungen und wird es auch bleiben.
Ein außenpolitisches Talent besitzt er nicht, und das Auswärtige Amt schlägt regelmäßig verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.
Als nun auf dem Höhepunkt der Julikrise der, diesmal nicht närrische, Kaiser den großen Krieg zu verhindern sucht wird er schlicht übergangen.
Hier ist mE die Entmachtung bereits im Wesentlichen vollzogen und er verblasst zunehmend auch als nationale Integrationsfigur. In dieser Rolle steigt mehr und mehr Hindenburg auf, der schließlich mit Ludendorff ab Ende 1916 eine De Facto Militärdiktatur führt.
Der Wilhelm ist nur noch eine Randfigur im Spiel der Macht.
 
Eine andere Frage wäre, welche Macht über die Geschehnisse er denn noch vorher hatte.
Ja, das wäre eine andere Frage.

Hier geht es um die verfassungsmäßigen Rechte des Kaisers. Der "Parlamentarisierungserlass" vom 30. September änderte an sich gar nichts. Der Kaiser wünschte die Bildung einer neuen Regierung; mit diesem Erlass wurde der amtierende Reichskanzler Hertling gefeuert; wenige Tage später ernannte der Kaiser Prinz Max von Baden zum neuen Reichskanzler.
Erst mit der Verfassungsänderung vom 28. Oktober verlor der Kaiser wesentliche Rechte:

Nach der alten Verfassung oblag es dem Kaiser "im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen" (Artikel 11)
Mit der Verfassungsänderung bedurften Kriegserklärung und Friedensverträge nunmehr der Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags.

Nach der alten Verfassung konnte der Kaiser nach eigenem Gutdünken den Reichskanzler ernennen. (Artikel 15)
Mit der Verfassungsänderung wurde festgelegt: "Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags."

Für die Ernennung der ranghöchsten Militärs benötigte der Kaiser nach der Verfassungsänderung die Gegenzeichnung des Reichskanzlers. (Artikel 53 und 64. Unverändert blieb der der Satz: "Alle Deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten.")

documentArchiv.de - Verfassung des Deutschen Reichs ["Bismarcksche Reichsverfassung"] (16.04.1871)


Am 14.Oktober verlangte Wilson im Zuge des Notenwechsels mit der deutschen Regierun im Prinzip die Beseitigung der Monarchie.

Ob er das so gemeint hat, wurde heiß diskutiert. Geschrieben hat er es so nicht!
Prinz Max von Baden berichtet über die Kabinettsitzung vom 16. Oktober:

[Haußmann] fuhr dann fort: Die Frage, ob Wilson die Abdankung des Kaisers oder nur die konstitutionelle Monarchie verlange, sollte gründlich geprüft werden. [...]

Scheidemann widersprach sofort der Auffassung, daß Wilsons Worte auf die Abdankung des Kaisers zielten. Wilson käme es gar nicht darauf an, den Kaiser abzusetzen, sondern ihn in eine Stellung zu bringen wie die Könige von Italien und Belgien oder der nordischen Länder.

Auch ich hatte damals den Eindruck, daß die Worte: "Vernichtung jeder willkürlichen Macht" mit Sorgfalt gewählt waren und nur bezweckten, Deutschland auf dem Wege der Verfassungsreformen vorwärts zu treiben.

Prinz Max Von Baden. Erinnerungen Und Dokumente

Weiter unten schreibt er dann:

Ging aber nicht vielleicht Wilson weiter in seinen Forderungen, als ich annahm, und zielte auf die Abdankung? Ich habe mir diese Frage immer wieder gestellt, mich stundenlang mit Interpretationskunststücken abgemüht und schließlich daran festgehalten: dem Sinn seiner Worte nach würden die eingebrachten und geplanten Verfassungsänderungen die Grundlage für Verhandlungen schaffen.
 
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Erst mit der Verfassungsänderung vom 28. Oktober verlor der Kaiser wesentliche Rechte:

Verlor er die tatsächlich oder nur auf dem Papier?

So wie ich verstehe, verblieb dem Kaiser weiterhin das Recht nach eigenem Gutdünken den Reichstag aufzulösen und neeuwählen zu lassen, was bedeutet, dass ein formales Mitspracherecht des Reichstags, insofern der Kaiser den Reichstag so lange auflöse konnte, bis dieser gefügig würde, im Prinzip gegenstanslos war, so lange der Kaiser die Möglichkeit zur Auflösung besaß.
Gleiches betrifft denn auch die causa Reichskanzler, so lange dem Kaiser die Möglichkeit blieb dem Reichstag bei Drohung seiner Auflösung Vertrauen in den kaiserlichen Kandidaten zu verordnen.

Kriegserklärungen ohne Übereinstimmung mit den Einzelstaaten und deren Regierungen, waren de facto vorher auch nicht möglich, da es in Friedenszeiten kein deutsches Heer gab und die Verfübarkeit der sächsischen, bayerischen und würtembergischen Armeen ohnehin davon abhing, dass die jeweiligen Länderregierungen und Monarchen bereit waren den Krieg mitzutragen, de facto im Alleingang verfügeen konnte der Kaiser ja ohnehin lediglich über die preußische Armee und mit der allein war kein Krieg zu machen, jedenfalls in Europa nicht.

Die Gegenzeichnung des Reichskanzlers was die Ernennnung von ranghohen Militärs beetrifft, stellte ebenfalls keine Hürde da, wenn der Kaiser das Recht behielt qua Drohung mit der Auflösung des Reichstags Reichstag und Kanzler gefügig zu machen oder einfach so lange eine Auflösungsordre nach der anderen zu erteilen, dass es einer faktischen Ausschaltung des Reichstags als Institution gleichkäme.

Der Satz, dass alle Deutschen Truppen dem Befehl des Kaisers Folge zu leisten haben ist auch in zweierlei Hisicht Makulatur:

- Erstens weil der Kaiser de facto von den militärischen Operationen ausgeschlossen war und de facto keine Befehle gab.
- Zweitens weil es schon wegen der Wehrverfassung und den 4 verschiedenen Armeen und den anderen Herrscherhäusern nicht anging, Befehle zu erteilen, die sich allzu sehr über die Empfindlichkeiten der Einzelstaaten hinwegsetzten.

Wie ich das sehe waren das einige wohlklingende Formulierungen, die aber insgesamt technisch nicht viel verändert hätten.
 
Ob er das so gemeint hat, wurde heiß diskutiert. Geschrieben hat er es so nicht!
Prinz Max von Baden berichtet über die Kabinettsitzung vom 16. Oktober:

[Haußmann] fuhr dann fort: Die Frage, ob Wilson die Abdankung des Kaisers oder nur die konstitutionelle Monarchie verlange, sollte gründlich geprüft werden. [...]

Scheidemann widersprach sofort der Auffassung, daß Wilsons Worte auf die Abdankung des Kaisers zielten. Wilson käme es gar nicht darauf an, den Kaiser abzusetzen, sondern ihn in eine Stellung zu bringen wie die Könige von Italien und Belgien oder der nordischen Länder.

Auch ich hatte damals den Eindruck, daß die Worte: "Vernichtung jeder willkürlichen Macht" mit Sorgfalt gewählt waren und nur bezweckten, Deutschland auf dem Wege der Verfassungsreformen vorwärts zu treiben.

Ergänzend noch hierzu:

Selbst wenn man die Formulierung Wilsons als Forderung nach der Abdankung Wilhelm II. auffasste, wäre dies, anders als @Turgot das ausdeutet zwar die Forderung nach der Absetzung eines bestimmten Monarchen, aber nicht die Forderung der Abschaffung der Monarchie im Allgemeinen gewesen.
 
Verlor er die tatsächlich oder nur auf dem Papier?
Er verlor sie ein paar Tage später tatsächlich, und alle anderen Rechte gleich mit.

So wie ich verstehe, verblieb dem Kaiser weiterhin das Recht nach eigenem Gutdünken den Reichstag aufzulösen und neeuwählen zu lassen

Zur Auflösung des Reichstags war ein Beschluss des Bundesrats erforderlich, zusätzlich die Zustimmung des Kaisers.
Die Auflösung des Reichstags war ein zweischneidiges Schwert. Ob ein Regieren via "Reichstag so lange auflösen, bis dieser gefügig würde" eine realistische Option gewesen wäre, darüber mag spekulieren, wer will.

Ergänzend noch hierzu:

Selbst wenn man die Formulierung Wilsons als Forderung nach der Abdankung Wilhelm II. auffasste, wäre dies, anders als @Turgot das ausdeutet zwar die Forderung nach der Absetzung eines bestimmten Monarchen, aber nicht die Forderung der Abschaffung der Monarchie im Allgemeinen gewesen.
Das ist im Prinzip richtig. Allerdings muss man sich fragen (und hat man sich auch gefragt), wer Wilhelm II. hätte nachfolgen können. Der Kronprinz war bestenfalls aus demselben Holz geschnitzt bzw. galt als schlimmer als der Alte.
In Ungarn war es so, dass die Habsburger abgesetzt wurden und man dann eben keinen Monarchen mehr hatte. War nun die Monarchie abgeschafft oder nicht? Formell blieb Ungarn ein Königreich bis 1946!
 
Zur Auflösung des Reichstags war ein Beschluss des Bundesrats erforderlich, zusätzlich die Zustimmung des Kaisers.
Die Auflösung des Reichstags war ein zweischneidiges Schwert. Ob ein Regieren via "Reichstag so lange auflösen, bis dieser gefügig würde" eine realistische Option gewesen wäre, darüber mag spekulieren, wer will.

Bedenkt man allerdings Preußens Gewicht im Bundesrat, das überkommene preußische Wahlrecht und den Einfluss der Monarchen der Einzelstaaten (die ja durchaus auch am Erhalt ihrer Rechte interessiert waren) auf die entsprechenden Landesregierungen, wäre so etwas möglicherweise nicht gänzlich unrealistisch gewesen, zumindest was den Versuch angeht.
Ob das sinnvoll gewesen und lange gut gegangen wäre, da möchte ich gar nicht herumfabulieren, ich sehe darin einfach eine Konstellation die es unter Umständen ermöglicht hätte Bismarcks "Lückentheorie" wieder aus der Mottenkiste zu holen, so lange das Recht zur Auflösung des Reichstags nicht überarbeitet wurde.


Das ist im Prinzip richtig. Allerdings muss man sich fragen (und hat man sich auch gefragt), wer Wilhelm II. hätte nachfolgen können. Der Kronprinz war bestenfalls aus demselben Holz geschnitzt bzw. galt als schlimmer als der Alte.
In Ungarn war es so, dass die Habsburger abgesetzt wurden und man dann eben keinen Monarchen mehr hatte. War nun die Monarchie abgeschafft oder nicht? Formell blieb Ungarn ein Königreich bis 1946!

Das Ungarn den etwas eigentümlichen Weg ging sich de facto zu "Monarchie mit vakantem Thron" zu erklären ist mir bekannt, allerdings erfand sich Ungarn mit Miklós Horthy ab 1920 auch einen "Reichsverweser" als Platzhalter.

Das der Kronprinz keine besonders gute Figur gemacht hatte und die Kinder von KW II., wie auch ein Großteil der anderen Fürsten durch den Krieg kompromittiert waren und als Kandidaten eher ausfielen, ist sicherlich richtig, man hätte die damit verbundene Personalfrage allerdings analog zu Ungarn mit einem entsprechenden Platzhalter aufschieben können, bis die durch den Krieg und andere Skandale nicht kompromittierten Enkel von KW II. alt genug gewesen wären die Rolle einnehmen zu können.
Genau so hätte man darauf abzielen zu können, den vakanten Thron zum Gegenstand und Verhandlungsobjekt für einen Friedensschluss oder die Verbesserung der Beziehungen danach zu machen und die Krone beispielsweise einem Mitglied des britischen Königshauses anzutragen, um die Beziehungen zu verbessern und etwas Vertrauen wieder herzustellen.
Sowas wäre in der europäischen Geschichte ja nicht ohne Beispiel gewesen, im Besonderen auch in der Englischen nicht.

Ist natürlich auch wieder reiner Spekulatius.

Darum geht es mir aber eigentlich auch gar nicht, ich hatte vor allem noch einmal Bezug darauf genommen, weil sich @Turgot an anderer Stelle fürchterlich über Wilsons Noten an die Reichsregierung aufgeregt hatte, weil er den Inhalt dahingehend interpretierte, dass Wilson der deutschen Seite damit mehr oder weniger die Revolution und eine andere Staatsform aufdiktiert habe und das an entsprechender Stelle schon einmal Streitpunkt war.

Ich verstehe die Wilson'sche Formulierung eigentlich eher als Forderung nach der vollständigen Parlamentarisierung, ggf. der Abdankung des KWII., aber unbeschadet der Institution der Monarchie überhaupt und somit durchaus nicht als Versuch in die innerdeutschen Verhältnisse über Gebühr hinein zu regieren.
Ich verstehe sie ferner auch als die Forderung die politische Macht des Militärs zu beschneiden, denn spätestens mit dem Sturz Bethmann-Hollwegs musste eigentlich auch die Marginalisierung der zivilen Reichsleitung im Ausland offensichtlich sein.
 
Hallo Joel,
letzlich war die Situation in Deutschland, daß die Rolle des Kaisers nach der Abdankung Hertlings eher der des heutigen Bundespräsidenten glich. Die SPD/USPD waren der Ansicht, durch die geforderte Abdankung des Kaisers durch Wilson, seien die Friedensbedingungen besser - was sich letzlich als Trugschluß herausstellte.
 
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