Die Wahrscheinlichkeit, dass es beim Vorhandensein einer Vielzahl von Sekten irgendwelche Kontroversen zwischen den Sekten untereinander gibt, ist natürlich hoch.
Aber warum die Vielzahl der Sekten nun eine Kontroverse gerade zwischen Paulus und Jakobus begünstigen soll, habe ich irgendwie nicht verstanden.
Ich bin für den Umkehr-Umschluss: Wenn die Wahrscheinlichkeit für Kontroversen hoch ist, wieso ist dann eine solche gerade für Paulus und die Apostel gerade nicht wahrscheinlich ?
Interssant finde ich die Möglichkeit einer Kontroverse, wie sie Gangflow angedeutet hat, weil sie einiges zur Entstehung des Christentums erklären würde:
Paulus gilt (oder galt zum Mindesten) als Begründer des Christentums. Da aber Paulus im Gegensatz zur Apolstelgemeinde Jesus bekanntlich nicht gekannt hat, ist es nahliegend anzunehmen, dass seine Autorität innerhalb der neuen Gemeinde aus diesem Grund beeinträchtigt gewesen sei. Seine Kompetenz, im Namen der "neuen Lehre" sprechen zu können oder gar
Richtungen vorzugeben dürfte derjenigen der Apostel, die Jesus persönlich gekannt hatten, gegenüber eingeschränkt gewesen sein. Die
Erklärung wäre jetzt, Paulus persönlichen Ehrgeiz zu unterstellen, welcher nicht nur darin bestand, die Lehre zu verbreiten sondern auch darin, gleich eine führende Rolle in der neuen Bewegung einzunehmen. Die Überlieferung von seiner Bekehrung und seiner Entwicklung vom "Saulus zum Paulus" und vor allem auch seine Berfufung zu Völkerapostel - ob historisch oder nicht - könnte so auch als nachträgliche Versuch zur Verbesserung von Paulus' Legitimation interpretiert werden. Und hier käme auch die ein möglicher Grund ins Spiel, weshalb eine Lehre, die für das Judentum bestimmt war, auch unter den Heiden verbreitet wurde. Paulus hätte sich so einen Einfluss gesichtert, welcher der Jerusalemer Gemeinde entzogen war. Und die Entstehung des eigentlichen Christentums, hevorgegangen aus dieser
Heidenmission, wäre gewissermassen eine nicht unbedingt beabsichtigte Entwicklung gewesen.
Dies in etwa meine Überlegungen zu Gründen einer möglichen Kontroverse zwischen Paulus und der Apostelgemeinde. Allerdings sprechen die Ergebnisse des/der Apostelkonzil/ien gegen diese Interpretation - es sei denn, diese haben nicht stattgefunden oder bei den Beschlüssen handelt es sich um spätere Einlassungen, um eine ablehnende Haltung der Apostelgemeinde zu korrigieren. Ein gewichtiger Grund, welcher für die Konkurrenz zwischen Paulus (Heidenchristen) und den Aposteln (Judenchristen) sprechen würde - das Judentum als "Abstammungs-Religion" die nicht missioniert - fällt aufgrund der von Dir erwähnten Grabinschriften der jüdischen Katakomben allerdings ganz weg. Zeitgenössische, schriftliche Hinterlassenschaften mit eindeutiger Aussage sind Beweise, über die man nicht diskutieren kann.
M.E. geht es bei dieser ganzen Thematik hier letztendlich um die Frage, ob eine neue Religion geplant war oder nur eine weitere jüdische Sekte resp. eine weitere jüdische Religionsrichtung. Und falls tatsächlich eine neue Religion beabsichtigt war, die mehr als nur Juden, Proselyten und Hellenisten umfassen sollte, so ist massgeblich, zu welchem Zeitpunkt die Idee einer neuen Religion aufgekommen ist. Hatte breits Jeusus, die Absicht, eine neue Religion zu gründen ? Oder erst die Apostelgemeinde von Jakobus ? Oder erst Paulus ? Oder ergab sich das erst aus den Beschlüssen der Apostelkonzilien ? Oder war das ganze überhaupt nur ein schleichender, zufälliger Prozess ohne besondere Absicht, eine neue Religion zu kreieren ?
Ich sehe schon, dass sich das ganze jetzt weit vom ursprünglichen Thema vom "Schwarzbuch" entfernt hat und ich bin nicht ganz unschuldig daran. Ich hatte im Zusammenhang mit dem Schwarzbuch die Frauenfeindlichkeit der Kirche erwähnt und diese "Tradition" bis zu Augustinus und Paulus zurückgeführt, worfauf die Paulus-Diskussion hier losging. Micht stört dass eigentlich nicht (in der "Abteilung" Religionsgeschichte ist es ja am richtigen Ort) aber vielleicht sollte die Hälfte des Threads vielleicht doch verschoben werden, nach "Paulus" oder "Urchristentum" oder sowas.
PS
Dein Link zum Aufsatz von Inge Schott ist interessant: Es wird hier die begründete Ansicht vermittelt, dass jüdische Gemeinden zum Mindesten in Rom einige Privilegien genossen (Kaiserkult, Tempelsteuern, Militärdienst, Sabbat) und das jüdische Gemeindeleben im römischen Staat durch keine Probleme getrübt wurde. In frappantem Gegensatz zu diesen fast schon harmonischen Verhältnissen steht die jüdische Opposition gegenüber der römischen Herrschaft/Besatzung in Palästina mit ihren pharisäischen Intrigen, zelotischen Aufständen, Verweigerung von Steuerabgaben etc.