In der Geschichtswissenschaft ist ja umstritten, ob Hitler seinen Absichten folgte oder ihm günstige Gelegenheiten ausnutzte. Ohne auf diesen Streit näher eingehen zu wollen, kann man sicherlich sagen, dass der Krieg gegen die SU Hitlers außenpolitischem und ideologischem Programm ("Mein Kampf") entsprach (siehe Papa Leo # 3). Richtig ist aber auch, dass die säuberungsbedingte Schwäche der Roten Armee ihm bei der Verfolgung dieses Plans in die Hände zu spielen schien.
Über die (säuberungsbedingte) Schwäche der Rote Armee wurde 1937-41 viel vermutet. Die schlimmsten Befürchtungen schienen sich im spanischen Bürgerkrieg und im Finnland-Debakel zu bestätigen. Vielfach wird dabei auf die Zahl der verhafteten und ermordeten Offiziere und Soldaten verwiesen und auf die mit der Einsetzung politischer Kommissare verbundene Verunsicherung der Truppe. Ein wichtiger Aspekt wird dabei häufig übersehen: Mit der Verhaftung von Marschall Michail Tuchatschewskij (1937) wurde der geniale Theoretiker des modernen Panzerkrieges ausgeschaltet. Er hatte die Rote Armee bis 1936 zu der in der mechanisierten Kriegsführung führenden Armee ausgebaut. Dieser Vorsprung wurde durch die Säuberungen verspielt. Seine Theorien galten nun als konterrevolutionär. Die Partei erzwang ihre eigene Sicht der Kriegsführung. Sie glaubte, dass das Hauptinstrument des Krieges die Infanterie war, und so wurde der Panzer zu einer Waffe ausschließlich für die Infanterieunterstützung gemacht. 1940 wurde sogar die Auflösung der sowjetischen Panzertruppe beschlossen. Niemand in Europa konnte diese Zusammenhänge besser erkennen als jene deutschen Panzerfachleute die in den dreißiger Jahren im Rahmen der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit an Lehrgängen in Moskau teilgenommen hatten, sich dort Tuchatschewskijs Panzertheorien angeeigneten und zehn Jahre später als Führer der deutschen Panzertruppe berühmt wurden: z.B. Model, Guderian, Mannstein.
In diesem Strang wurde viel darüber gerätselt, ob die Wehrmachtsführung den T 34 kannte. Nun, sie kannten ihn nicht, hatte aber so eine Ahnung über einen „neuen sowjetischen Panzer“. Eine sowjetische Militärkommission durfte im Frühjahr 1941 die neusten deutschen Panzer besichtigen. Laut Guderian wollten die sowjetischen Offiziere einfach nicht glauben, dass der Panzer IV wirklich der neueste und größte deutsche Panzer war. „Sie sagten immer wieder, dass wir unsere neusten Modelle verstecken würden und dass wir Hitlers Befehl, ihnen wirklich alles zu zeigen, nicht einhalten würden. Die Militärkommission war so hartnäckig, dass unsere Hersteller und Offiziere schließlich zu dem Schluß kamen: >>Es scheint, dass die Russen bereits bessere und schwerere Panzer als wir besitzen<<.“ (Guderian - zitiert nach Matthew Hughes/Chris Mann, T-34-Panzer, S. 36). Guderian zufolge wurde das Rätsel über den „neuen sowjetischen Panzer“ erst im Juli 1941 gelöst, als die deutschen Truppen auf den T 34 trafen.
Aus sowjetischer Sicht stellte der T 34 im Sommer 1941 der einzige Lichtblick dar. Er war den deutschen Panzern überlegen und konnte die deutschen Angriffe abstumpfen. Aber auch der T 34 musste erst einmal richtig eingesetzt werden, um voll wirksam zu sein. So wurden in der Schlacht von Charkow (1941) 14 kostbare Panzerbrigaden, größtenteils aus T 34 besehend, vernichtet oder schwer angeschlagen. Es fehlten gut ausgebildete Panzerbesatzungen und deren geeignete Führer (die sowjetischen Schüler Tuchatschewskijs).
ashigaru schrieb:
Für mich stellt sich hier die Frage, ob die Generalität nach den Erfolgen in Frankreich nicht selbst einer der "Suggestionen" unterlag, die Hitler so oft zugeschrieben wurden. Während Halder zunächst über den Rußland-Feldzug noch schrieb "Sinn nicht klar", so war er ja wenig später selbst davon überzeugt, der Feldzug werde nur drei Monate dauern.
Die deutsche Vorstellung über den schnellen Krieg gegen die SU korrespondierte ja mit dem Gedanken, dass die SU nicht in der Lage sein würde, den Ausfall Westrusslands, immerhin die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Region der SU, auszugleichen. Der Krieg schien ganz automatisch gewonnen zu sein, wenn erst einmal Westrussland besetzt war.
Bei Matthew Hughes/Chris Mann, T-34-Panzer, findet sich ein äußerst lesenwertes Kapitel über die - wie ich finde - sehr beeindruckende Evakuierung der sowjetischen Industrie, die dem deutschen Vormarsch vorausging. 1,5 Mio. Waggonladungen mit Industriegerät wurde nach Osten geschafft und dazu 16 Mio. Sowjetbürger, die dort arbeiteten. Zwischen Juli und Dezember 1941 wurden 1523 Unternehmen, der Großteil der sowjetischen Eisen-, Stahl- und Industriewerke im Westen (!), aus der Reichweite der deutschen Industrietruppen gebracht - unter unglaublich miserablen Bedingungen und enormen Leiden der Zivilbevölkerung. Mit einem solchen Kraftakt der russischen Bevölkerung hatten Hitler und Halder wohl nicht gerechnet.