Dass aber damals durchaus auch Normen und Werte galten, wie wir sie heute kennen, kann man daran sehen, dass Ende 1939 noch jemand vor ein Kriegsgericht gezerrt wurde, der einen Juden in Polen erschossen hatte. Was zwei Jahre später Alltag war, war damals also noch ein prozesswürdiges Verbrechen.
Am 9. Oktober 1939 richtete der Oberstabsarzt der Krankentransport-Abteilung 581, Dr. Möller, eine persönliche Meldung an Hitler als Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, in der er über eine Erschießungsaktion unter Aufsicht eines SS-Sturmbannführers berichtete, Es seien 20-30 Polen erschossen worde, darunter 5-6 Kinder im Alter von 2-8 Jahren. Er und die übrigen Zeugen seien bereit, dies zu beeiden.
Die Heeresführung betrieb allerdings eine Politik des Wegsehens. und der OBdH von Brauchitsch befahl schon am 24. September 1939, "die Teilnahme von Angehörigen des Heeres an polizeilichen Exekutionen" zu verbieten. Damit kommt zum Ausdruck dass es eine solche Teilnahme gegeben hatte, wie auch die Tolerierung der Aktionen der SS-Verbände.
Dabei wurde erst am 26. Oktober eine Zivilverwaltung eingerichtet und bis zu diesem Zeitpunkt war allein die Wehrmacht für die Einhaltung des Kriegrechts gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung verantwortlich.
Es gab deshalb auch immer wieder Proteste aus den Heeresverbänden gegen die Maßnahmen der SS, an der Spitze durch den Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst von Blaskowitz, der schließlich im Mai 1940 abgelöst wurde. Heydrich bezeichnete dies als "kindliche Einstellungen" des Heeres.
Oder erinnert sei den Generalleutnant Mieth, der im Januar 1940 in einer Generalstabsbesprechung ausgeführt hatte, die SS habe in Polen Masssenerschießungen durchgeführt ohne dass es vorher ein Gerichtsverfahren gegeben habe. Damit sei "die Ehre der Wehrmacht beschmutzt" worden. Das sorgte für so große anhaltende Unruhe, dass Hess im März 1941 Brauchitsch und Keitel aufforderte, "im Fall Mieth die notwendigen Konsequenzen" zu ziehen.
In einem Urteil gegen einen SS-Sturmmann und einen Polizeiwachtmeister wegen eines Massakers hat die Anklage Mitte September 1939 auf die Todesstrafe plädiert, es erfolgte allerdings nur eine Verurteilung zu 9 Jahren bzw. einem Jahr Zuchthaus. Der OB der 3. Armee, von Küchler, hatte das Massaker vor den Kommandeuten der betreffenden SS-Einheit scharf verurteilt.
So gab es am Beginn des Krieges in Polen durchaus noch eine Kenntnis grundlegender Werte, ihre aktive Anwendung durch die Wehrmachtführung war aber von Beginn an durch politische Rücksichtnahmen gekennzeichnet..
Als dann am 4. Oktober 1939 Hitler eine Amnestie für alle Straftaten aussprach, die "aus Verbitterung wegen der von Polen verübten Greuel" erfolgt seien, war letztlich der Kriegsgerichtsbarkeit der Boden entzogen.
Auch im Falle des Todesurteils gegen den Major Richard Sahla, der vier Polinnen durch Genickschuss ermordet hatte, weil sie geschlechtskrank und damit minderwertig seien, griff Hitler persönlich ein und verminderte die Strafe auf 6 Jahre Zuchthaus.
Doch selbst drei Tage nach Hitlers Amnestieerlass verhandelte das Feldkriegsgericht der 31. Infanterie-Division noch gegen zwei Santäts-Unteroffiziere wegen der Erschießung zweier Juden und verurteilte sie zu 5 Jahren Zuchthaus bzw. 2 Jahren Gefängnis.