@sepiola: Teilweise Überschneidung mit Deinem vorherigen Beitrag bitte ich nachzusehen.
Das Französische war im Lauf der Geschichte einfach 'innovativer' als die meisten anderen romanischen Sprachen.
"Einfach innovativer" ist eine weder präzise noch erkenntnisfördernde Beschreibung. Die Ursachen dieser Innovation sind gut bekannt - sie liegen im Kontakt mit diversen germanischen (fränkisch, ggfs. westgotisch, normannisch, im Hochmittelalter Englisch), romanischen (Kirchenlatein, Korsisch, Provencal, Langue d'Oc, evtl. Rätoroman.), keltischen (festlandkelt. Substrat, Bretonisch, Gaelisch via. irische Mönche) und nichtindogermanischen (Aquitanisch, Baskisch) Sprachen/ Dialekten. Dazu auch interessant die schon mehrfach verlinkte folgende Studie, die Französisch grammatikalisch (nicht lexikalisch!) als mit germanischen Sprachen clusternd identifiziert, Rumänisch zu Griechisch und Bulgarisch stellt.
The shape and tempo of language evolution | Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences
bringt uns hier nicht weiter. Dies hast Du zu Recht ab und zu bei mir moniert, solltest es für Dich ebenso akzeptieren.
Bekannt ist, daß Kreoles/ Pidgins/
linguae francae zur Simplifizierung der Grammatik, teilweise wohl auch der Wortbildung führen - gut studiert für Englisch und Malayisch. Französisch mag ein weiterer Beleg sein, Spanglish und Türkdeutsch wären wohl auch zu nennen. Dies sind jedoch verhältnismäßig rezente Phänomene, die nicht unbedingt Rückschlüsse auf die prähistorische Sprachentwicklung zulassen.
Die einzigen mir bekannten prähistorisch einschlägigen Analysen sind die von Witzel zum vor-indoaryanischen Substrat in Indien. Diese zeigen eine Tendenz zur Erhöhung der Wortkomplexität über die Substrat-/ Entlehnungsstufen. Konkret: (Prä-Proto-)Munda fügt dem Substrat der "Language X" (z.T in Nihali konserviert? Burshaki?) seine Prä- und Infixe, u.a. die "Artikel" (K)u-[masc.]/Ka-[fem.]/Ki-[plur.], hinzu. Indo-aryanisch ergänzt die nicht mehr als Artikel/ Geschlechtsmarker erkannten Munda-Präfixe durch geschlechtsdifferenzierende Endungen. Bei der Weitergabe in andere Sprachräume (Dravidisch, Sinotibetisch,Turksprachen, etc.) treten dann ggfs. zusätzliche Modifikationen der aufnehmenden Sprachen hinzu, usw.*
http://www.people.fas.harvard.edu/~witzel/MT-Substrates.pdf
Wie das in Altgriechisch lief, weiß ich nicht - da könnte ich mir aber ähnliche Mechanismen vorstellen, die dann auch die relativ komplexen griechischen Wörter erklären würden.
Wenn Du grundlegende Studien zur Hand hast, die schon für "alte Sprachen" (Akkadisch, Sumerisch, etc.) gegenläufige Tendenz (Komplexitätsreduktion infolge der Funktion als
lingua franca) zeigen, oder die Morphologie bekannter "Ursprachen" wie z.B. der San systematisch vergleichen, nehme ich diese hochinteressiert zur Kenntnis. Ansonsten verweise ich (ja, ich weiß, auch Beispiele, aber zumindest eine ganze Menge davon) auf die bekannten Rekonstruktionen von Proto-Sprachen, die tendenziell sehr einfache, kurze Wurzeln liefern.
Wo ich dabei bin - den schulde ich Dir noch: Schau mal auf proto-austroasiatisch
*ka "Fisch", der natürlich im
kadoN der Katu, im malayischen
ikan, und, präfixiert
, im
kaku der indischen
Korku, des westlichsten Exponenten der austroasiatischen Sprachfamilie, steckt**. Die These, daß Austroasiatisch-Sprecher Träger der Indus-Zivilisation waren, findet nicht nur sprachwissenschaftliche Unterstützung bei Witzel (s.o., hier u.a. interessant die Ableitung Kandahar<Kamboja, "Cambyses", Ptolemäus
Ambutai), sondern auch in Nachweisen dortigen Reisanbaus ab 2.500 v. Chr. (Reis wurde bekanntermaßen zuerst in SO-China kultiviert), sowie aktuellen, noch zu referienden Genanalysen, die Austroasiatisch-Sprecher in Indien als invasiv zeigen. Ob der armenische
cug mit dem
kaku in engerer Verbindung steht, weiß ich nicht - ausschließen würde ich es aber keinesfalls.
Die Interaktion der Indus-Zivilisation mit der elamitischen Kultur am Persischen Golf ist archäologisch gut belegt. Eine zugehörige, von Witzel stammende Wortkette (Sesam-Öl) hatte ich anderswo ja schon referiert und weiter oben verlinktl. Witzel diskutiert kurz mögliches austroasiatisches Sub./Adstrat im Sumerischen***. Da ist dann ein Zusammenhang zwischen dem (
ka-)ku der Korku und dem elamitisch-sumerisch-akkadischen
ku6 bzw. dem hethitischen
ku (der eine andere plausible Wurzel des armenischen
cug darstellt) zwar noch zu nachzuweisen, aber alles andere als undenkbar.
Agr. ἰχθύς "Fisch" verweigert sich als Brücke (beinhaltet aber in der zweiten Silbe, wie auch
θύννος in der ersten, eine interessante Paralllele zum Ka
doN). Im lat.
piscis finden wir
*ka jedoch potentiell wieder. Ich weiß, der wird auf idg.
*pisḱ- zurückgeführt, eben keine hybride Bildung
pis-ka, sondern originäre, eigenständige idg. Wurzel. Wäre ich bereit zu glauben, gäbe es nicht den lit.
zuvis. Dem hat meines Wissens bislang noch niemand ein "-k" angehängt, und die Nähe zum
pez,
Fisch ist unübersehbar. Tja, und dieser, ob mit oder ohne "-k", findet sich weder indoiranisch noch slawisch, der viel diskutierte tocharische
laks bietet auch wenig Anknüpfungspotential, Hethitisch und Altgriechisch hatten wir ja schon. Sieht ganz so aus, als wäre der
pez/ Fisch- ursprünglich eher in Atlantik, Nord- und Ostsee geschwommen als vor Anatolien, im Kaukasus, oder in den kaspisch-pontischen Steppen. Daß Proto-Indogermanen je nach Sichtweise als nomadische Viehzüchter, oder alternativ als Erzsucher und Metallurgen, jedoch in keinem Fall als Fischerkultur gelten, dürfte bekannt sein (falls nicht, siehe Witzel oben). Der
Fisch scheint alt, riecht entsprechend, und zwar nach westeuropäischem vor-indogermanischen Substrat.
* Daß der Prozeß teilweise komplexer abläuft, verdeutlicht Witzels Beispiel von Jpn. buta> sino-tibet/autroas. *mba(y)> Remo (ind. Munda-Sprache) kam-bon (alle "Schwein"). Das austroasiatisch ("early Mundari") entlehnte sansk. sukára wurde in der Folge z.T. wieder verkürzt, etwa zu Kashmiri suaru, sör., Guajarati suvar.
** Mundari hai, mit "germanischem" Lautwandel "k">"h" könnte dich vielleicht interessieren...
*** Z.B. "Sichel": Sumer. nig-gal, Indus *langal [->Rigveda langala], PMunda *nan-kel, Makassar (Austr.As) nánkala.