Gunnar Heinsohn und der Youth Bulge (Jugendüberschuß): Erklärung für Kreuzüge, usw.?

lynxxx

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Hi,

ich glaube, dieses Thema wurde hier noch nicht erörtert?

Ich möchte hierbei nicht so sehr auf die gegenwärtigen oder zukünftige Projektionen eingehen (das wäre dann wohl zu politisch), sondern eher die historische Dimension von Prof. Gunnar Heinsohns Thesen diskutieren, wie er die Kreuzüge, den Aufstieg Europas, Konquistadoren, Hexenverfolgungen, usw. unter anderem mit der Demographie der jungen Männer begründet.

Gunnar Heinsohn: Söhne und Weltmacht - Terror im Aufstieg und Fall der Nationen

Einige Kapitelüberschriften gefälligst? ;)
"Die Gebärmütter der Frauen entscheiden über den Krieg", "Überschüssige Söhne werden zu Massenheeren geformt" oder aber auch "Deutschland wird den Juden niemals verzeihen".

Worum geht es?

"Nach Gunnar Heinsohn entstehen durch bevölkerungspolitisch verursachte youth bulges die Voraussetzungen für Bürgerkrieg, Völkermord, Imperialismus und Terrorismus. Wenn große Teile der männlichen Jugend zwar ausreichend ernährt sind, aber keine Aussicht haben, eine angemessene Position in der Gesellschaft zu finden, stehe ihnen als einziger Weg die Gewalt offen...

Politische Herrscher, so Heinsohn, bedienten sich dieser demografischen Charakteristik der Bevölkerung,... Anderseits wurde in Europa vom Ende des 15. Jahrhunderts an die Geburtenkontrolle unter Todesstrafe gestellt und damit ein Gewaltpotential geschaffen, das erst den Aufstieg Europas ermöglichte und in der Folge zur europäischen Eroberung weiter Teile der bekannten Welt führte. Über Jahrhunderte gab es in Europa Geburtenraten wie im heutigen Pakistan oder Afghanistan.
...Aufgrund der Primogenitur bestehen lediglich für die Erstgeborenen entsprechende gesellschaftliche Aufstiegschancen, die restlichen überschüssigen Nachkommen finden keinen adäquaten Platz in der Gesellschaft; wodurch bei diesen eine große Diskrepanz zwischen individuellem Anspruchsniveau und gesellschaftlicher Realität besteht."
(aus wikipedia)

"So vereinfachend diese These auch klingen mag, Heinsohn unterfüttert sie mit reichlich historischem Faktenmaterial: Von der Hexen- sprich Hebammenverfolgung in der frühen Neuzeit, um den Feudalherrschern nach der Pest neue Untertanen zu sichern, über die "Secundones", die zweitgeborenen spanischen Söhne des 15. und 16. Jahrhunderts, die in der Neuen Welt ihr Glück suchten und zu blutigen Kolonialisten wurden, bis hin zu den amerikanischen und europäischen "youth bulges" im 19. Jahrhundert, mit denen der Westen damals ein Viertel der Weltbevölkerung stellte..."
http://www.mdr.de/artour/archiv/1041280.html

Wer das ganze Buch umsonst mal durchblättern möchte, hier gibt es das als legales ebook!

http://www.pdf4ebook-verlag.de/Link...S%F6hne%20und%20Weltmacht%20kommentierbar.pdf


Wer keine Lust zu lesen hat, kann sich die komplette Sendung des "Philosophischen Quartetts" als Real Player oder Windows Media Player Stream anschauen, wo er breiten Raum hat, seine Thesen zu erläutern. Eindrucksvoll und gruselig ihm zuzuhören... ;)

Weltproblem Radikalismus
Das Philosophische Quartett mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski vom 29. Oktober 2006 mit den Gästen Roger Willemsen und Prof. Dr. Gunnar Heinsohn

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/4/0,4070,3998532-7,00.html
Alternativ:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inhalt/4/0,4070,3998532-5,00.html
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/inha...859-1&suchtext=heinsohn&suchen.x=0&suchen.y=0


Hier ein Vortrag von ihm mit 39 Seiten, der vor seinem Buch gehalten wurde, und etliches zusammenfasst.
Seite nicht gefunden Haus kirchlicher Dienste


Hier Interviews, Artikel, etc. in der Zeit, TAZ, Deutschlandradio, usw.:

Die nachwachsende männliche Gefahr

Zu viele Söhne
Kein Friede ohne "demografische Abrüstung" im Nahen Osten
Söhne und Weltmacht
Finis Germaniae?


Was meint ihr zu seinen Thesen in Bezug zur Geschichte?
Ein relativ neuer Ansatz, der einiges erklärt, was so in der Geschichte abgelaufen ist?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo lynxxx!

Erstmal danke für die Links (besonders für den Link zum kostenlose e-book:yes:)! Hatte die Sendung damals auch gesehen, das Buch war mir dann aber doch zu teuer...

Ich war aber schon beeindruckt wie einleuchtend und verständlich er seine Thesen begründete. Kann mich noch dran erinnern, dass er die Soldatenanzahl von damals (bis 2.WK) mit heute verglich und daraus schloss, dass es zu solchen grauenhaften Kriegen erstmal nicht mehr kommen kann, weil einfach der "Rohstoff Mensch" nicht ausreicht. Sind aber alles nur wage Erinnerungen, die ich jetzt aber auffrischen kann.

Bis dahin und nochmal Danke für die tollen Links! :)

mfg gurney
 
Gut erkannt El Quijote... du kennst mich anscheinend schon... ;)
Ich habe Kritik an ihm bewußt weggelassen, um zu sehen, wie vielleicht ohne äußere Beeinflussung hier seine Thesen angenommen oder widersprochen werden. Damit erstmal ne Diskussion in Gang kommt... :)

Abgesehen davon, möchte ich, anders als die Kritiker, den Fokus vor allem auf die Geschichte legen, weniger auf die Zeitgeschichte, wie es die Kritiker oder die Berliner Studie tun.
 
Es ist nur ein Beleg dafür, dass man mit Statistiken alles beweisen kann, wenn man nur kreativ genug ist und dazu die Fähigkeit besitzt, die Zahlen, die meiner Statistik widersprechen dabei großzügig unter den Tisch fallen zu lassen.
 
Gunnar Heinsohn ist für mich irgendwie ein Phänomen. Er ist Professor und sitzt als Sprecher des Instituts für vergleichende Völkermordforschung auf einer Stelle, die viel Beachtung findet. Fachlich hält sein Werk dem wohl nicht stand. Wenn man sich seine Publikationsliste anschaut, sieht man, dass er munter durch die Weltgeschichte turnt und dabei allerlei medienwirksame Themen aufgriff. Besonders sauer stößt mir allerdings auf, dass er sehr stark - als Herausgeber des Magazins "Zeitensprünge" ist und somit Illigs Phantomzeittheorie unterstützt. Klar, Freiheit der Forschung und so, aber wer das Magazin ein wenig kennt, weiß, das dort viele haarsträubende Artikel von haarsträubenden Leuten veröffentlicht würden, die auch bei viel Geduld und Spannkraft von fachwissenschaftlicher Seite abgelehnt werden müssten.

Was die Theorie der "youth bulge" betrifft, fehlen mir zugegebenermaßen die Kenntnisse. Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass es eine modische, populäre Theorie ist, die ja vor allem durch Huntingdons "Clash of Civilizations" bekannt wurde. Ich weiß nicht, ob es Arbeiten (mal nicht von Heinsohn) gibt, die sie aus geschichtswissenschaftlicher Sicht untermauern.
Einerseits wird zum Beispiel die Theorie von Jungmannschaften der Kelten und Germanen, die vor allem dem Kriegshandwerk nachgingen, durchaus auch von archäologischer Seite vertreten. Andererseits ist aber auch die höhere Sterblichkeit und geringe Lebenserwartung zu berücksichtigen und so ist gar nicht sicher, ob ein "Youth Bulge" bei den Barbarenvölkern (nur als Beispiel) zu finden wäre. Es gäbe auch Gegenargumente - z.B. die Abhängigkeit territorialer Expansion von guten Organisationsformen, die sich oft erst in längeren Prozessen über mehrere Generationen hinausbilden. Oder auch die Tatsache, dass die Eroberer im Mittelalter - z.B. Normannen, Deutschritter oder Kreuzfahrer - oft der Bevölkerung der Eroberten zahlenmäßig weit unterlegen waren.
 
Besonders sauer stößt mir allerdings auf, dass er sehr stark - als Herausgeber des Magazins "Zeitensprünge" ist und somit Illigs Phantomzeittheorie unterstützt. Klar, Freiheit der Forschung und so, aber wer das Magazin ein wenig kennt, weiß, das dort viele haarsträubende Artikel von haarsträubenden Leuten veröffentlicht würden, die auch bei viel Geduld und Spannkraft von fachwissenschaftlicher Seite abgelehnt werden müssten.
Warum 'müssten'. :devil:

Die Theorien vieler Leute dort haben die Basis 'so, wie gelehrt kann bzw. darf es nicht gewesen sein' und dann wird eben fast schon zwanghaft versucht eine Alternative zu (er)finden, die in den meisten Fällen nur mittels einer sehr selektiven Handhabung der Quellen funktioniert. Mit dem Begriff der Fälschung wird hier sehr schnell hantiert, denn: Alle Quellen, die meiner Theorie widersprechen sind natürlich Fälschungen und nur diejenigen echt, die zu meiner Theorie passen.

Getreu dem Motto: Wenn die Quellen nicht zu meiner Theorie passen, dann ist das die Schuld der Quellen. :devil:
 
Die Theorien vieler Leute dort haben die Basis 'so, wie gelehrt kann bzw. darf es nicht gewesen sein' und dann wird eben fast schon zwanghaft versucht eine Alternative zu (er)finden, die in den meisten Fällen nur mittels einer sehr selektiven Handhabung der Quellen funktioniert. Mit dem Begriff der Fälschung wird hier sehr schnell hantiert, denn: Alle Quellen, die meiner Theorie widersprechen sind natürlich Fälschungen und nur diejenigen echt, die zu meiner Theorie passen.
Getreu dem Motto: Wenn die Quellen nicht zu meiner Theorie passen, dann ist das die Schuld der Quellen. :devil:

Immerhin geht es im Internet diesbezüglich inzwischen etwas ruhiger zu. Lelarge, Illigs getreuester Knappe, ist aus der einschlägigen Newsgroup verschwunden, wodurch der Verkehr dort um 90 Prozent zurückging und das Thema nicht wieder angesprochen wurde. Damit scheint die Angelegenheit bis auf den internen Kreis der "Zeitensprünge"-Abonnenten erledigt, und die 50 Spinner wird die Geschichtswissenschaft wohl auch noch ertragen... Bei uns in der Stabi haben wir die Gazette als Pflichtexemplar ; so kann ich dort ab und an mal reinschauen, wenn ich mal wieder herzlich lachen möchte.
 
Bei uns in der Stabi haben wir die Gazette als Pflichtexemplar ; so kann ich dort ab und an mal reinschauen, wenn ich mal wieder herzlich lachen möchte.
Da ich grundsätzlich schon an die Intelligenz der Menschen glaube und mir daher nicht vorstellen kann, dass all diese Leute das wirklich ernst meinen, was die da so von sich geben, hege ich den tiefen Verdacht, dass das ganze wirklich nur als pseudowissenschaftliches Unterhaltungsprogramm gedacht ist. :devil: :rofl:

Oder sollten die das doch wirklich ernst meinen...:scheinheilig: :weinen: :nono: ...:rofl: :rofl:
 
Tela: ich fürchte, ich muß Dir Deinen Glauben an das Gute im Menschen erschüttern - die meinen das offenkundig TATSÄCHLICH ernst! Aber bekanntlich gibt es ja auch die Mitglieder der "Flat Earth Society" und diejenigen, die glauben, Adolf sei 1945 mit einer Reichsflugscheibe nach Neuschwabenland abgedüst und harre dort auf seine Wiederkunft wie Kaiser Rotbart lobesam...
 
Ich möchte mich an der Stelle einmal gar nicht zu den chronologiekritischen Ansichten des Herrn Heinsohn äußern, sondern ausschließlich zu seiner These vom Youth Bulge - was ja eigentlich Gegenstand dieser Diskussion sein sollte...

Ich möchte hierbei nicht so sehr auf die gegenwärtigen oder zukünftige Projektionen eingehen (das wäre dann wohl zu politisch), sondern eher die historische Dimension von Prof. Gunnar Heinsohns Thesen diskutieren, wie er die Kreuzüge, den Aufstieg Europas, Konquistadoren, Hexenverfolgungen, usw. unter anderem mit der Demographie der jungen Männer begründet.



Ich beschränke mich zuerst einmal auf den zu betrachtenden Kontext der Orientkreuzzüge; dazu heißt es über die Kernaussage:
Der youth bulge, so stellt Heinsohn fest, war eine entscheidende Triebfeder für die Kreuzzüge...
von http://www.koinae.de/soehne2web.htm
(DISCLAIMER: Nicht zu empfehlende Rezension; Angabe des Links aus Gründen der Zitierregeln!)

In dieser Aussage unterliegt Heinsohn bereits einem methodischen Fehler, geht er doch damit offenbar davon aus, die abenteuerlustigen nachgeborenen Söhne hätten in diesem Kontext eine entscheidende Rolle gespielt. Daß diese Sichtweise veraltet ist und längst vom aktuellen Stand der Kreuzzugsforschung überholt wurde - anhand Fakten und Belegen zur Höhe der Kosten und finanziellen Aufwendungen -, wird von Herrn Heinsohn dabei schlichtweg ebenso ignoriert wie der neuere Forschungsstand selbst.
Anm.: Nachzulesen bei http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=11438; die relevante Passage wurde von mir u.a. zitiert in http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=179899&postcount=20

Fürs zweite - und letzte - nehme ich mir den Kontext der Hexenverfolgung vor; dazu heißt es über die Kernaussage:
Heinsohn zeigt, wie die "Produktion" von Kindern seit dem Ende des Mittelalters in Europa bewußt nach oben geschraubt wurde, indem man die im Mittelalter gebräuchlichen Verhütungspraktiken ausrottete: die Frauen, die sie kannten und praktizierten, wurden als Hexen verfolgt.
von http://www.koinae.de/soehne2web.htm
(DISCLAIMER: Nicht zu empfehlende Rezension; Angabe des Links aus Gründen der Zitierregeln!)

Ich weiß nicht genau, wie oft ich den Artikel zu diesem Kontext bereits verlinkt habe - dreimal (dieser Beitrag nicht mitgezählt) auf jeden Fall: um vorzubeugen, daß er nicht wieder ignoriert wird, das gekürzte Zitat der relevanten Passage von http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa?A2=ind0602&L=hexenforschung&O=D&F=&S=&P=761
Vierte Fehlsicht: "Opfer der Hexenverfolgungen wurden nahezu ausnahmslos Frauen, darunter viele Hebammen und Heilerinnen".
Ohne Zweifel sind den europäischen Hexenverfolgungen mehrheitlich Frauen zum Opfer gefallen, wenngleich es Gegenden gab, wo wesentlich mehr Männer als Frauen hingerichtet wurden...
Prinzipiell wurden in katholischen Regionen bis zu 30 Prozent Männer hingerichtet, während in protestantischen Gebieten und Territorien (wie zum Beispiel Schweden, Dänemark, den Niederlanden, England und Schottland) 80 bis 90 Prozent weibliche Hingerichtete nachzuweisen sind (Schulte)...
Mitverantwortlich für die unbestreitbare hohe weibliche Hinrichtungsquote waren das geschlechtsbezogene Magieverständnis und nachfolgend der besondere Zuschnitt der Hexenlehre, die den Frauen geradezu arbeitsteilig die dämonisch besetzte Zauberei zuschrieb. Die spezifisch weiblichen Pflichten der Nahrungszubereitung, Geburtshilfe, Kindererziehung, Krankenpflege, Versorgung des Milch- und Kleinviehs legten es scheinbar nahe, die Schuld an Todesfällen und Schädigungen in diesem Bereich den Frauen zuzuschreiben.
Gleichwohl gehörten weder heilkundige Frauen, noch in der Geburtshilfe tätige Nachbarinnen oder städtische wie dörfliche Hebammen zu den bevorzugten Opfern der Hexenverfolgung. Auch unter Einrechnung einer Dunkelziffer blieb die Mehrzahl der Geburtshelferinnen völlig unbehelligt.
Dagegen waren Hebammen als Sachverständige an Hexereiverfahren beteiligt, wenn es galt, inhaftierte Frauen zu untersuchen, die angaben, schwanger zu sein.
Einsicht: Obwohl diese Mär heute immer noch in unkritischen (Print)medien klischeehaft verbreitet wird, gehörten Hebammen und Heilerinnen nicht zu den bevorzugten Opfern der Hexenjagden.



Soviel anhand von zwei Punkten zu Wissenschaftlichkeit und Sorgfalt im Umgang mit historischen Kontexten bei den "hochinteressanten" Thesen von Gunnar Heinsohn... :fs:
 
Zuletzt bearbeitet:
Bravo! So ^ hab ich mir das Auseinandernehmen seiner Thesen zu historischen Geschehnissen vorgestellt.
Übrigens kannste auch direkt aus seinem Buch zitieren, da ich es oben als PDF zur Verfügung gestellt habe.

Mehr davon?

btw:
Gibt es eigentlich in der Wissenschaft überhaupt einige Ereignisse, die mit dem Jugendüberschuß als zusätzlichen Faktor erklärt werden?

(Ich frage deshalb, weil es schon mal vorkam, dass eine Idee, oder Hypothese nicht hinreichend fundiert vorgestellt wurde, deshalb lächerlich gemacht wurde, wobei sich später erst herausstellte, das einiges davon doch brauchbar war.)
 
Bravo! So ^ hab ich mir das Auseinandernehmen seiner Thesen zu historischen Geschehnissen vorgestellt.
Übrigens kannste auch direkt aus seinem Buch zitieren, da ich es oben als PDF zur Verfügung gestellt habe.

Mehr davon?

btw:
Gibt es eigentlich in der Wissenschaft überhaupt einige Ereignisse, die mit dem Jugendüberschuß als zusätzlichen Faktor erklärt werden?

Nicht, dass ich wüßte.

(Ich frage deshalb, weil es schon mal vorkam, dass eine Idee, oder Hypothese nicht hinreichend fundiert vorgestellt wurde, deshalb lächerlich gemacht wurde, wobei sich später erst herausstellte, das einiges davon doch brauchbar war.)
Das kann immer mal wieder vorkommen. Entscheidend ist meiner Ansicht nach dabei die Qualität der Beweise für die Hypothese. Sie wird - falls es geschieht - ja nicht einfach so lächerlich gemacht, sondern weil sie gar nicht oder nur sehr schlecht begründet ist.

Ich glaube nicht, dass es viele wirklich gut fundierte Hypothesen gibt, die lächerlich gemacht wurden.
 
War das denn schon ausdiskutiert?
Mich Leichtgläubigen haben diese Thesen natürlich sofort fasziniert; ich hatte sie aber wieder aus dem Sinn verloren, bis ich diesen Thread hier entdeckt habe....

H. hat sicherlich Fehler in seinen Statistiken und gelegentlich ungeeignete Beispiele gewählt. Jedoch beschreibt er ja in erster Linie ein MODELL, das - in meiner Interpretation - so aussieht:

(1) Es gibt in der Geschichte und regional immer wieder Situation, mit einem plötzlichen sehr hohen Anteil JUGENDLICHER (Männer), weil die mittleren Jahrgänge weggestorben waren, die Geburtenrate angestiegen ist, oder die Sterblichkeit sinkt.

(2) Diese Jugendlichen bekommen von alleine - platt gesagt - keinen "Arbeitsplatz". Möglicherweise bietet der Staat, in dem sie aufwachsen, einen "Ein-Euro-Job" an, oder auch eine Beschäftigung in einem Salzbergwerk, aber nichts "Angemessenes". Was als angemessen gilt, hängt von den Vergleichsmöglichkeiten ab. Möglicherweise ist nicht einmal das simple Überleben möglich, weil aus ökologische Gründen der Grenzertrag für eine bestimmte Breite der Bevölkerungspyramide erreicht ist.
Wir sehen ja, dass eine wirksame Beschäftigungspolitik ohne "Wirtschaftswunder" nicht einmal hier bei uns möglich ist.

(3) Die wesentliche These ist nun, dass sich dieses - wollen wir es: "Jugendproletariat" nennen? - nun gewaltsam eine gewinnbringende Beschäftigung sucht, innerhalb des Staates oder außerhalb.

Gegen (1) und (2) kann ich keine Argumente finden. Demografisch sind diese Situation natürlich gelegentlich vorhanden:
- nach Seuchen und größerer Kriegen
- nach Rückgang der Kindersterblichkeit
- Rückgang der zu besetzenden "Jobs" wegen Rationalisierungeseffekte/Maschinen/Sklaven
- ebenfalls nach Steigerung des mittleren Erwerbsalters: Länger arbeitende Senioren blockieren die "Jobs" ebenfalls. Im Bereich der Herrscher/Wirtschaftsbarone führt dies zur Übergabe Vater -> Enkel statt Vater -> Sohn, mit sehr negativen Konsequenzen für den "Zwischenwirt".

Inwieweit die These (3) jetzt statistisch signifikant zu untermauern ist, kann ich nicht sagen. Die historischen demografischen Daten sind hier zu unscharf. Jedoch wird seit Hunderten von Jahren jede Wanderung oder Auswanderung gerne mit einem "Bevölkerungsdruck" erklärt. Ja, das ist es doch genau, was H. jetzt nur etwas detaillierter erklärt!

Alternative zur Gewalteskalation ist eine proportionale Vergrößerung der Wirtschaftsbasis, wofür es mehrere Beispiele gibt ("Wirtschaftswunder" in der BRD, "New Deal" in den USA.

Alternativen stellen natürlich auch die "Kolonisations-Bewegungen" dar: "Griechische Kolonisation" in 7/6. Jh BC, "Ostkolonisation" im 13. Jh, "Auswanderung nach Süd- und Nordamerika" im 19. Jh.
 
Zuletzt bearbeitet:
H. hat sicherlich Fehler in seinen Statistiken und gelegentlich ungeeignete Beispiele gewählt...

Neben dem bereits seinerzeit von El Quijote angeführten Link gibt es dazu eine Studie von Steffen Kröhnert, in welcher sich dieser mit dem Youth Bulge auseinandergesetzt bzw. diese These überprüft hat und zeigt, daß diese Erklärung als alleinstehender Streßfaktor - so nennt man derartige Phänomene in diesem Kontext fachsprachlich - zu kurz greift: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Jugend und Kriegsgefahr
Ausführlich dann:
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Jugend und Kriegsgefahr: Teil 1
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Jugend und Kriegsgefahr: Teil 2
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Jugend und Kriegsgefahr: Teil 3



Desweiteren erlaube ich mir an der Stelle noch einige Anmerkungen rein aus dem Blickwinkel der Bevölkerungsgeographie, der für mich aufgrund dessen opportun ist, da dies im Gegensatz zur Geschichte bei mir ein Studieninhalt war und nicht bloße Freizeitpassion ist...

(1) Es gibt in der Geschichte und regional immer wieder Situation, mit einem plötzlichen sehr hohen Anteil JUGENDLICHER (Männer), weil die mittleren Jahrgänge weggestorben waren, die Geburtenrate angestiegen ist, oder die Sterblichkeit sinkt.

Ein vergleichsweise hoher Anteil an Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen - ich lege es einmal fest auf die Altersgruppen von 18 bis 29 - entsteht durch das Zusammenwirken von gleichbleibender Geburtenrate bei sinkender Säuglings- und Kindersterblichkeit. In diesem Anteil widerspiegelt sich die Geschlechterdifferenzierung wie folgt: männlich 106, weiblich 100; wobei dem aber unbedingt hinzuzufügen ist, daß auch bei relativ geringer Säuglings- und Kindersterblichkeit (sie geht ja trotzdem nicht auf 0) sich das Verhältnis auch hier bereits zu Ungunsten der Männer verschiebt, da prozentual mehr männliche als weibliche Säuglinge bzw. Kinder sterben, es dann also in diesen Alterstufen nahezu ausgeglichen ist.
Der Effekt eines Überschusses männlicher Jugendlicher bzw. junger Erwachsener entsteht jedoch bspw. dadurch, wenn z.B. aus kulturellen u.ä. Gründen weiblicher Nachwuchs unerwünscht ist und deshalb Mädchen nach der Geburt getötet werden.

(2) Diese Jugendlichen bekommen von alleine - platt gesagt - keinen "Arbeitsplatz". Möglicherweise bietet der Staat, in dem sie aufwachsen, einen "Ein-Euro-Job" an, oder auch eine Beschäftigung in einem Salzbergwerk, aber nichts "Angemessenes". Was als angemessen gilt, hängt von den Vergleichsmöglichkeiten ab. Möglicherweise ist nicht einmal das simple Überleben möglich, weil aus ökologische Gründen der Grenzertrag für eine bestimmte Breite der Bevölkerungspyramide erreicht ist.
Wir sehen ja, dass eine wirksame Beschäftigungspolitik ohne "Wirtschaftswunder" nicht einmal hier bei uns möglich ist.

Dieser Kontext wiederum ist äußerst vielschichtig: Gesellschaften, in denen o.g. Effekte auftreten - einmal abgesehen davon, ob und inwieweit die Spezifik von unerwünschtem weiblichen Nachwuchs greift -, befinden sich gewöhnlich in einer gesellschaftlichen Entwicklungsstufe (zur Verdeutlichung möchte ich diesen umstrittenen Begriff einmal verwenden), in welcher eine entsprechende Beschäftigung durchaus gegeben ist. Was hier jedoch dann ebenso auftritt, ist der Umstand, daß
(a) aus Unzufriedenheit mit der eigenen ökonomische Situation - platt gesagt: woanders geht es einem besser - oder
(b) aufgrund nachlassender Qualität der materiellen Erwerbsbasis - bspw. durch die angeführten ökologischen Probleme -
tatsächlich zu einem Ausbrechen und/oder einer Abwanderung führen kann bzw. führt.

Anm.: Den Kontext um das "Wirtschaftswunder" und aktuelle Beschäftigungspolitik wollen wir hier aber aus Gründen aktueller Tagespolitik einmal lieber nicht vertiefen...

(3) Die wesentliche These ist nun, dass sich dieses - wollen wir es: "Jugendproletariat" nennen? - nun gewaltsam eine gewinnbringende Beschäftigung sucht, innerhalb des Staates oder außerhalb.

Das wäre dann tautologisch und vollkommen unspektakulär, zumal das "gewaltsam" keinesfalls zwingend sein muß.



Demografisch sind diese Situation natürlich gelegentlich vorhanden:
- nach Seuchen und größerer Kriegen

Das ist so nicht richtig: für Seuchen - ich schätze einmal, Du willst damit auf Epidemien/Pandemien hinaus - ist es kennzeichnend, daß diese quer durch soziale Schichten und Altersgruppen ihre Opfer fordern; und folglich kann es danach nicht abrupt und nicht allein daraus einen Überschuß wie oben ausgeführt geben, sondern zunächst lediglich einen Ausgleich des zuvor erfolgten allgemeinen Bevölkerungsrückgangs. Für signifikant mehr braucht es v.a. das o.g. Absinken der Säuglings- und Kindersterblichkeit überhaupt, also unabhängig von Seuchen u. dgl.
Bei Kriegen wiederum sind gerade die o.g. Altersgruppen - und da auch in nicht geringem Maß die Männer - besonders betroffen, wobei sich dieser Bevölkerungsverlust sowohl bei deren Kindergeneration als auch darauf folgend bei deren Enkelgeneration dann niederschlägt. Um dies nachzuvollziehen, schaue man einmal auf deutsche Bevölkerungsstatistiken und lege sein Augenmerk auf die Generationen, deren Geburtsdatum während der Zeit eines der Weltkriege liegt, sowie auf deren Kinder- und Enkelgenerationen...

- nach Rückgang der Kindersterblichkeit

Dies bedingt einen Youth Bulge jedoch nur, solange die Geburtsrate hoch genug bleibt und nicht ebenfalls absinkt (vgl. oben) - letzteres ist übrigens wiederum ein Effekt des steigenden Wohlstands.
Wenn nämlich die Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit sinkt und damit einhergehend jedoch weniger Kinder geboren werden, führt das nicht zu einem Youth Bulge.

- Rückgang der zu besetzenden "Jobs" wegen Rationalisierungeseffekte/Maschinen/Sklaven

Das ist ein rein ökonomischer Aspekt, der allgemein einen Rückgang von Arbeitsplätzen charakterisiert und nicht nur die für diese Diskussion relevanten Altersgruppen betrifft.

- ebenfalls nach Steigerung des mittleren Erwerbsalters: Länger arbeitende Senioren blockieren die "Jobs" ebenfalls. Im Bereich der Herrscher/Wirtschaftsbarone führt dies zur Übergabe Vater -> Enkel statt Vater -> Sohn, mit sehr negativen Konsequenzen für den "Zwischenwirt".

Auch hier sind ökonomische Aspekte zu beachten: wer länger arbeitet, tut dies gewöhnlich nicht aus reinem Vergnügen o.ä., sondern aus bestimmten - zumeist wiederum ökonomischen - Notwendigkeiten. Daraus aber statisch abzuleiten, daß dies nun zwangsläufig Arbeit bzw. Entfaltung für die Jugendgeneration "blockiert", wäre ich zumindest vorsichtig...

Inwieweit die These (3) jetzt statistisch signifikant zu untermauern ist, kann ich nicht sagen. Die historischen demografischen Daten sind hier zu unscharf. Jedoch wird seit Hunderten von Jahren jede Wanderung oder Auswanderung gerne mit einem "Bevölkerungsdruck" erklärt. Ja, das ist es doch genau, was H. jetzt nur etwas detaillierter erklärt!

Wie ich mit meinen Anmerkungen zu erklären versucht habe, muß ich dafür nicht das Buch von Gunnar Heinsohn lesen, sondern kann die entsprechenden Zusammenhänge nicht weniger schlüssig anhand bevölkerungsgeographischer Sachverhalte ableiten.



PS: Ich bitte vielmals um Entschuldigung ob der an manchen Stellen recht deutlichen Worte... :fs:
 
Ich habe - wie immer - meine Gedanken wohl nur unvollständig rübergebracht :-(


(1) Ich habe den "Überschuss" junger Erwachsener (egal ob 15-25 oder 18-29) als Differenz in der Form der Bevölkerungspyramide gesehen (also in Relation zum Rest der Bevölkerung, insbesonderer zu den Älteren!), unabhängig vom Geschlechtsverhältnis. Ein möglicherweise geringeren Frauenanteil wäre nur eine zusätzliche Komplikation (bzw. sogar eine Stabilisierung der Situation)
(2) Dieser "Überschuss" - oder die fehlenden "Jobs" - kann jetzt sehr unterschiedlich begründet sein, auch und insbesondere ökonomisch. Eine längere Lebensarbeitszeit ist i.d.R. eine simple Folge von verringerten Sterblichkeit. Ohne auf Tagespolitik einzugehen ist "Frühverrentung" ja eine oft diskutierte Maßnahme zum Abbau von Arbeitslosigkeit gewesen.
(3) Nach einer deutlichen Dezimierung der Bevölkerung (Krieg, Seuchen) - also nach einer Zeit mit hoher Sterberate - wächst eine Bevölkerung nach der Normalisierung i.d.R. schnell wieder. Es ist die Frage, ob für diesen Nachwuchs jetzt die Erwerbsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

(4) der wesentliche Quotient scheint mir dann auch weniger der "Anteil Jugendlicher" an der Gesamtbevölkerung zu sein, sondern das Verhältnis Jugendlicher zu den "älteren Beschäftigen". Insoweit beeinflusste der Divisor hier die Situation beträchtlich, auch wenn sich die absolute Anzahl Jugendlicher gar nicht ändert.

(5) Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass H. an der Grenze des Trivialen und der Tautologie scharrt. Ich fand es trotzdem spannend, demographische Änderungen mal von dieser Seite zu sehen.
 
Mir ist schon durchaus nicht ganz unklar gewesen, worauf Du Dich bezogen hast: natürlich sprechen wir hier von der Bevölkerungspyramide bzw. der Altersstruktur, wobei allerdings wiederum die Formen zu beachten bzw. zu differenzieren sind, welche diese gesetzmäßig annehmen kann bzw. annimmt (s. Schlußteil dieses Beitrages).

Zu einer Sache noch:
Nach einer deutlichen Dezimierung der Bevölkerung (Krieg, Seuchen) - also nach einer Zeit mit hoher Sterberate - wächst eine Bevölkerung nach der Normalisierung i.d.R. schnell wieder. Es ist die Frage, ob für diesen Nachwuchs jetzt die Erwerbsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Wir reden hier aneinander vorbei, denn dem habe ich keineswegs widersprochen.
Was hierbei aber wichtig und überaus bedeutsam ist, ist der Fakt, daß bspw. durch Kriege gerade auch der Anteil jener Altersgruppen schwindet, welche das hauptsächliche Reproduktionspotential darstellen. Daraus resultiert wiederum ein Rückgang der Geburtenzahl, d.h., die zu jener Zeit Geborenen zeigen einen "Knick" in der Pyramidenstruktur, weil ihr Anteil im Vgl. zu anderen Altersgruppen geringer ausfällt. Sind diese dann selbst im Reproduktionsalter, wiederholt sich dieser Effekt erneut...
Ist jetzt klar geworden, worauf ich mit dem Kriegskontext hinauswollte?



Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass H. an der Grenze des Trivialen und der Tautologie scharrt...

Mir scheint eher - aber ich kann mich da ja durchaus täuschen -, daß Herr Heinsohn die verschiedenen Formen der Altersstrukturen sowie v.a. deren Randbedingungen zu vereinfacht sieht bzw. betrachtet, d.h., nicht in genügendem Maße differenziert.
Vgl. dazu bspw. Verschiedene Formen der Altersstrukturen auf Altersstruktur – Wikipedia
 
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