Zum Zweikaiserproblem aus dem Lexikon des Mittelalters:
"
Zweikaiserproblem.
Mit dem Begriff 'Z.' wird das Syndrom von Fragen, Spannungen und Konflikten beschrieben, die aus der Existenz je eines Ksm.s im Osten (Konstantinopel) und im Westen (Frankenreich; ma. Imperium) der christl.-ma. Welt resultierten.
Grundlegendes Faktum war, daß nach dem Untergang des weström. Ksm.s (476/480) sich das oström. Pendant (Byz. Reich) als Fortsetzer der Tradition des röm. Imperiums sah. Angelegt waren hiermit Interdependenz und Polarität zu den germ. Staaten, die sich ab dem 5. Jh. im Westen herausbildeten, von denen ab dem 6. Jh. die Großregna der Franken, Westgoten und Langobarden bleibendere Gestalt hatten. In das Vorfeld des Z.s gehört, daß Ks. Justinian mit seiner umfassenden Restaurationspolitik die alten Grenzen des röm. Reiches wiederherzustellen versuchte und in Afrika und Italien die Reichsbildungen der Vandalen und Ostgoten beseitigen (533; 555/563) und in Spanien gegen die Westgoten (552) teilweise Erfolg erzielen konnte. Einer sich bisweilen zur Rivalität steigernden Imitatio imperii der Großregna standen die Bemühungen der Byzantiner gegenüber, das Ksm. des Westens von Konstantinopel aus zu erneuern oder die ksl. Residenz in den Westen zu verlegen (Maurikios 597; Herakleios 619; Konstans II. 663). Die erwähnte w. Rivalität wurde nur im Ausnahmefall zu institutionellimperialer Aspiration geführt, so vielleicht bei dem von der Basis der Konfessionsgleichheit mit dem Ks. her agierenden frk. Kg. Theudebert I. im 6. Jh. Generell mußte der byz. Ks. die selbständigen Staaten auf dem ehem. Reichsboden im Westen anerkennen, er versuchte, sie sich in dem auch dort akzeptierten System der »Familie der Könige« zuzuordnen.
Verschiedene Versuche, im Westen das Ksm. zu erneuern, scheiterten. Initiierend und durchschlagend für das Gelingen eines solchen Versuchs war die Lösung des Papsttums von Byzanz, die, von Papst Gregor III. (739/740) präludiert, sich in der Zuerkennung des Patriciustitels (Patricius) und der Salbung durch Stephan II. für Kg. Pippin I. und seine Söhne Karl und Karlmann sowie in der Schaffung des Kirchenstaates aus den byz. Herrschaftsgebieten in Italien (Rom; Ravenna) durch die Franken niederschlug (754; 756). Diese Linie fand ihre Klimax, als Papst Leo III. 800 Karl d. Gr. nach byz. Vorbild zum Ks. krönte und von den Römern akklamieren ließ. Dies, sodann der die röm. Tradition beanspruchende Ks.titel Karls und die Devise seiner Ks.bullen (»Romanum gubernans imperium«; »Romani rector imperii«; »Renovatio Romani imperii«) und weiter die Einführung der byz. Institution des Mitksm.s mit Krönung des Sohnes Ludwig 813 konkretisierten und akzentuierten schließlich das Z. Längere Verhandlungen und krieger. Auseinandersetzungen mit Byzanz wurden damit abgeschlossen, daß Ks. Michael 812 Karl als imperator (ohne Bezugsetzung zu Rom) anerkannte, für sein Ksm. aber die bisher bloß literar. Bezeichnung basileQV tqn Zwmatwn als Rechtstitel übernahm. Byzanz nahm danach die Existenz eines westl. Ksm.s hin, ohne sich damit abzufinden. Im 9. Jh. wurde die Krönung des westl. Ks.s durch den Papst konstitutiv. Unter dem Einfluß päpstl. Kreise (Anastasius Bibliothecarius) erhielt das Z. seine Zuspitzung, als Ks. Ludwig II. 869/870 in betonter Wendung gegen Byzanz das legitime röm. Ksm. exklusiv für sich beanspruchte. Das Ksm. des Westens sank in der Folgezeit zu einer partikular it. Würde herab, um 924 mit dem Tod Berengars, Kg. v. Italien, zu erlöschen. Die Ks.krönung Ottos I. 962 durch Papst Johannes XII. erneuerte mit dem Rückgang auf die karol. Tradition und dem Konnex zur Italien- und Papstpolitik wieder das Z. (u. a. forcierte Vindizierung des »byz.« Ravenna durch den Westen als Ks.stadt in otton. und sal. Zeit). Konflikte, die v. a. in Süditalien ausgetragen wurden, konnten 972 durch die Heirat Ottos II. mit Theophanu vorläufig beigelegt werden. Die mit den Vorstellungen der »Renovatio imperii Romanorum« (Renovatio) verbundene Übernahme röm.-byz. Formen bei Otto III. mit röm. Ks.titulatur und dem Anspruch auf das wahre Imperium hatte eine starke Wendung gegen Byzanz. Doch ein Eheprojekt bewahrte vor Eskalation.
Grundlegende Änderungen polit. und staatsrechtl. Art traten im 11. Jh. ein: Als der dt. Kg. von Heinrich III. an vor der Ks.krönung den Titel »Rex Romanorum« annahm und das westl. Ksm. sich eindeutig als Imperium auffaßte, standen sich zwei röm. Herrscher gegenüber. Trotz Reibungen und Konflikten in Unteritalien wurde der Zusammenstoß vermieden. Die bald auch im Kontext seiner neuen Normannenpolitik erscheinende schroffe Wendung des Papsttums gegen Byzanz brachte mit dem 1054 ausgelösten Schisma zw. Ost und West den Abschluß jahrhundertewährender Auseinanderentwicklungen im kirchl. Bereich. Neue Probleme stellten sich im Gefolge der Kreuzzüge ab dem ausgehenden 11. Jh. ein.
Hatten schon in karol. Zeit theol. Probleme trennend zw. den beiden Ksm.ern gewirkt, so sollte dies bes. im 12. Jh. virulent werden. Die an den kirchl. Streit um die lat. oder gr. Ausrichtung der Hierarchie in Syrien angeknüpfte Primatsfrage wurde wegen der Ks.krönung durch den Papst mit dem Z. verbunden. 1111/12 wurde der Salier Heinrich V. von einer Synode in Konstantinopel verurteilt, der byz. Ks. Alexios I. bot den Römern Hilfe an und schlug hierbei vielleicht auch vor, das Ksm. an den Osten zurückzuübertragen. Im Verhältnis der beiden Ksm.er wurde das norm. Problem zum Angelpunkt. Vom Osten her an Ks. Lothar III. und Kg. Konrad III. in den 30er Jahren des 12. Jh. herangetragene Bündnis- und Heiratspläne führten nicht zum Erfolg. Die stauf. Reichsidee war für die Politik Konrads III. und Friedrichs I. bestimmend. Der Titel »Romanorum imperator augustus« wurde ohne Ks.krönung gegen Byzanz geführt, in Steigerung der bei Ludwig II. sichtbar gewordenen Aversion wurde der Basileus als »Imperator Constantinopolitanus« oder gar als »Rex Grecorum« abgewertet. Nach Kompromissen in der Titelfrage billigte Byzanz Friedrich I. den Ks.titel ohne röm. Zusatz, wie im 9. Jh., zu, ihn als den eines Mitks.s interpretierend. Dynast. Verschwägerungen zw. Komnenen und Staufern förderten den Prozeß gegenseitiger Beeinflussung der Ksm.er. In dem 1159 beginnenden Schisma suchte Papst Alexander III. eine große Koalition gegen Friedrich I. mit Byzanz als entscheidendem Träger. Für dieses war damit die Aussicht eröffnet, das Z. (und die Frage der Kirchenunion [Union, kirchl.]) in seinem Sinn zu lösen. Schon weitgediehene byz.-päpstl. Verhandlungen verloren schließlich im Frieden v. Venedig (1177) die polit. Grundlage. Nicht zuletzt der Rückgang der wirtschaftl. Bedeutung des Byz. Reiches durch den Aufstieg der it. Seestädte stärkte das Selbstgefühl des Westens. Hierher gehören unter Friedrich I. die Imitation byz. Ks.titulatur in amtl. Schreiben, die imperiale Ausprägung des Ranges für den röm. Kg., das Streben nach Mitks.krönung des Sohnes durch Papst Alexander III. Durch die Heirat Heinrichs VI. mit Konstanze 1186 und die Vereinigung Siziliens mit dem westl. Ksr. (1189-94) erhielt das Streben des Okzidents nach universaler Ks.würde neue Kraft. Im Gefolge des IV. Kreuzzugs (1202-04) wandelte sich das Z. zum Gegensatz zw. dem Lat. Ksr. v. Konstantinopel und den gr. Teilreichen.
Was noch anzufügen ist, gehört somit in diese Nachgeschichte des Phänomens. Der Isolierung des Lat. Ksr.es diente die von Byzanz betriebene Politik des Ausgleichs mit der röm. Kurie, die Ks. Johannes III. Dukas Vatatzes 1254 einleitete. Ks. Michael VIII. Palaiologos gelang 1261 die Rückeroberung Konstantinopels. Die Ausgleichspolitik gegenüber der röm. Kurie setzte Michael fort. Der nach der Eroberung Siziliens durch das Haus Anjou (1265-68) drohenden krieger. Expedition suchte Byzanz durch weitgehende Zugeständnisse an Papst Gregor X. auf dem II. Konzil v. Lyon 1274 zu begegnen. Als nach dem Tod dieses Papstes die angevin. Partei die Kurie beherrschte, Papst Martin IV. den byz. Ks. exkommunizierte und die Eroberungspläne Karls v. Anjou und seines Schwagers Philipp, des Titularks.s v. Konstantinopel, unterstützte, parierte Michael VIII. geschickt mit der byz.-aragones. Entente. Innerbyz. Bürgerkriege ab 1282 und 1321 sowie der Druck durch Serben und Osmanen markierten den Beginn der Agonie des byz. Reiches. Im Westen hatte daher unter den Habsburgern und den Luxemburgern die frühere Ks.politik gegenüber dem Osten nicht mehr die Grundlage. Die Situation wird dadurch beleuchtet, daß mehrfach byz. Ks. in der 2. Hälfte des 14. Jh. und im 15. Jh. als Bittsteller im Westen erschienen. Der päpstl. verkündete Kreuzzug sollte 1439 dem bedrohten Byzanz Hilfe bringen.
H.H. Anton
"
weitere Infos:
Zweikaiserproblem - Wissen - Meyers Lexikon online
in diesem empfehlenswertem Buch:
http://www.gbv.de/du/services/agi/2149C11A73497C76C1256D430032006B/420000100531
Zweikaiserproblem ? Wikipedia
weiter:
"Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang bedeutsam:
Bisher hatten die Kaiser immer nur reagiert. Mit dem Ikonoklasmus
ergriffen sie nun zum erstenmal selbst die Initiative
und suchten dem Reich eine neue religiöse Richtung aufzuzwingen,
was man ohne weiteres als Indiz für die gewachsene
Bedeutung Konstantinopels und die dort Herrschenden auffassen
kann. Und zweitens nahm man in Byzanz nun kaum
noch Rücksicht auf das lateinische Europa, das alte Westrom.
Der Ikonoklasmus war eine innerbyzantinische Auseinandersetzung
und wurde ohne Rücksicht auf etwaige Außenwirkungen
geführt. Dies zeigt, wie weit Byzanz sich unter dem
Druck der Verhältnisse schon von dem alten römischen Universalismus
gelöst hatte, auch wenn dies in der offiziellen
Ideologie natürlich keinen Niederschlag fand. Im Gegenteil
setzte in Byzanz zu Beginn des 9. Jahrhunderts gerade im kulturellen
'Bereich eine Renaissance des spätantiken Geisteslebens
ein, die an die Zeit vor den großen Katastrophen und
damit eben auch an die große Zeit Ostroms anknüpfte. Es ist
wohl nicht zu gewagt zu sagen, daß die Byzantiner damit
in gewisser Weise die tatsächliche Reduzierung des Reiches
aufgefangen haben und sich so trotz aller Katastrophen und
Verluste auch weiterhin als Fortführer und Inbegriff des Imperium
Romanum fühlen konnten.
Im lateinischen Europa hingegen wurde dieser Anspruch,
anders als noch im sechsten Jahrhundert, nicht mehr anerkannt.
Der – erzwungene – Rückzug von Byzanz hatte
im ideologischen Bereich ein Machtvakuum entstehen lassen, das
im Laufe des achten Jahrhunderts teils vom Papsttum, teils
von den Franken als der unumstrittenen Vormacht des Abendlands
gefüllt wurde. Die Krönung Karls des Großen am Weihnachtsfest
des Jahres 800 in Rom war die letzte Konsequenz
dieser Entwicklung, und sie leitete zugleich eine neue Epoche
ein, in der beide – das byzantinische wie das neue, „westliche“
Kaisertum – das Erbe Roms für sich in Anspruch nehmen
sollten."
aus:
Lilie, Ralph-Johannes: Byzanz. Geschichte des oströmischen Reiches 326-1453. München 1999.