Der türkische Artillerieeinsatz 1453 - Mythos und historische Wahrheit

Nochmal zur aussereuropäischen Entwicklung: Die älteste erhaltenen Kanonen in China stammt von 1298. Bildliche und schriftliche Darstellungen gibt es sogar ab 1128.

Huolongjing - Wikipedia, the free encyclopedia

Hinweise dass diese Technik von den Mongolen übetragen wurde, gibt es mehrfach, wie auch dass es schon im 13. und 14. Jahrhundert in den Kämpfen zwischen Mongolen, Mamelucken, Safaviden und schließlich Osmanen verwendet wurden.

Im verlinkten Artikel ist auch ein Hinweis, dass die chinesen irgendwann technologisch überhohlt wurden und dann Techniken und Taktiken aus dem Westen übernahmen. Dabei wurde jedoch die bei den Osmanen übliche Haltung beim Feuern adoptiert.
 
Das muß aber in dieser Einseitigkeit sehr alte Literatur sein. Aber in abgeschwächter, differenzierter Form kann man dieses Urteil auch nach heutigem Wissenstand unterschreiben:

1a. Das Osmanische Reich war kein Produzent, sondern Importeur von Innovationen im Bereich der Feuerwaffen.
Sie haben nichts neues erfunden, ja. Aber sie haben ihre Waffen selber produziert.
2a. Die Türken haben die Enwicklung von der (über)schweren Belagerungsartillerie zur mobilen (Feld)artillerie nur verzögert und eingeschränkt mitvollzogen.
Dem widerspricht zumindest Agoston sehr vehement und stellt fest, daß bei der Beschreibung osmanischer Geschütze oft ein begriffliches Durcheinander besteht, weil die Osmanen für ihre verschiedenen Kanonen schnell eigene Bezeichnungen hatten. Es gab also sehr wohl eine gut ausgebaute Feldartillerie. Natürlich zeitverzögert, weil auch die Übernahme von Feuerwaffen überhaupt so spät erfolgt war.

Nur gab es eben keine türkischen Experten, die ihre Expertise in Europa anboten, was klar für 1a. spricht.
Wer weiß? Dazu hat noch keiner geforscht...... Außerdem muß man da mal wieder den eurozentristischen Standpunkt verlassen. Die Osmanen als politisches Gebilde und auch osmanische Artillerieexperten als Einzelpersonen waren in Zentralasien, dem Mogulreich und in Afrika mit Feuerwaffen unterwegs. Daß die Safawiden sich Anfang des 16. Jhs. ganz schnell mit Kanonen eindeckten, lag an der verheerenden Niederlage, die sie 1514 in der Schlacht von Caldiran gegen Sultan Selim hatten einstecken müssen. Da setzte das osmanische Heer nämlich Kanonen ein, die absolut entscheidend für den Ausgang der Schlacht waren. Babur in Nord-Indien hatte osmanische Artillerie-Experten in seinen Diensten, der Safawiden-Shah Tahmasp desgleichen und sie waren nicht die einzigen. Sultan Süleyman schickte Mitte des 16. Jhs. ein paar Hundert Artilleristen mitsamt Geschützen nach Zentralasien zu den Shaybaniden, um sie als Verbündete gegen die Safawiden aufzubauen. Ein paar Jahre vorher hatte er ebenfalls Artilleristen nach Äthiopien entsandt, um dort die muslimischen Gegner der christlichen Herrscher zu stärken und sich damit den Einfluß am Roten Meer zu sichern. Die Osmanen waren also äußerst aktiv dabei diese Technologie zu verbreiten.
Und noch mal: Europa war kein einheitlicher Block. Es geht ja auch keiner hin und sagt, die Engländer hätten die Artillerie von den Venezianern gelernt (oder so) und seien deshalb nicht so gut darin. _Jeder_ hat sich ausändischer Experten bedient. Und wie gesagt, die Osmanen waren einfach besonders gut und effektiv darin, die neue Technik schnell umzusetzen und ausreichend selbst zu produzieren. Und sie hatten eine unschlagbar gute Logistik.

Die gigantischen Kanonen gab es, keine Frage, auch länger als in Europa.
Das stimmt nachweislich nicht. Siehe http://www.geschichtsforum.de/f328/mittelalterliche-riesengesch-tze-28055/ oder Geschütze - regionalgeschichte.net (siehe Belagerung der Burg Tannenberg 1399, wo bereits 50 cm Kaliber verschossen wurden)
Ich glaube, Du hast da was mißverstanden. Zumindest begreife ich nicht, was an meiner Aussage falsch sein soll. :confused:
 
Das ist aber definitiv nicht richtig. Ähnliche Entwicklungen und Techniken wurden in der frühen Neuzeit, späten Mittelalter auch in Asien durchgeführt.

Doch, es ist nach meinem besten Wissen und Gewissen richtig. Keiner der neun von mir genannten Schlüsselentwicklungen stammt aus dem Osten Asiens, der wohlgemerkt auch nichts mit der Frage des Ideentransfers zw. dem OR und EUR zu tun hat.
 
Sie haben nichts neues erfunden, ja. Aber sie haben ihre Waffen selber produziert.

Ja, zwei Stühle, eine Meinung. Die Osmanen waren keine Innovatoren, aber Produzenten von Feuerwaffen. Damit standen sie im internationalen Vergleich auf einer guten Mittelposition. Hinter den europäischen Trendsettern, aber noch vor den zahlreichen asiatischen Waffenimporteuren.

Außerdem muß man da mal wieder den eurozentristischen Standpunkt verlassen. Die Osmanen als politisches Gebilde und auch osmanische Artillerieexperten als Einzelpersonen waren in Zentralasien, dem Mogulreich und in Afrika mit Feuerwaffen unterwegs.

Ich finde, die Tatsache, daß osmanische Geschützexperten in halb Asien gefragt waren, fügt sich sehr schön in eine eurozentristische Sichtweise ein, denn sie belegt klar die Himmelsrichtung des Technologietransfers: Europa -> Osmanisches Reich -> Persien, Indien, Sumatra

Dabei darf man allerdings nicht vergessen, daß in diesen drei Regionen, wie auch in Japan und China, europäische Waffentechnik(er) bereits vor der Ankunft einzelner türk. Experten Einzug gehalten haben.
 
Ja, zwei Stühle, eine Meinung. Die Osmanen waren keine Innovatoren, aber Produzenten von Feuerwaffen. Damit standen sie im internationalen Vergleich auf einer guten Mittelposition. Hinter den europäischen Trendsettern, aber noch vor den zahlreichen asiatischen Waffenimporteuren.
:fs: Sie waren keine, ich wiederhole keine, Waffenimporteure. Sie haben die Technologie eingeführt, aber die Waffen haben sie selber produziert. Auch mit Hilfe europäischer Experten, aber in den Dutzenden osmanischen Werkstätten überall im ganzen Reich haben doch nicht nur Europäer gearbeitet. Du behauptest ja auch nicht, Franzosen, Japaner, Italiener, Spanier etc. seien Autoimporteure vs. -produzenten, nur weil sie das Automobil nicht selber erfunden haben. Das ist halt Technologietransfer, so funktioniert das eben.
Die europäischen Mächte sind auch nicht alle eines Morgens aufgewacht und hatten gleichzeitig die Idee, Kanonen zu bauen. Das hat sich alles nach und nach entwickelt und verbreitet bis jeder Feuerwaffen benutzt hat. Die Osmanen waren da Mitglied im gleichen Club. Versuch nur für eine Minute lang, sie nicht als Gegensatz zu Europa, sondern als Teil eines politischen Gefüges zu sehen. Dann verstehst Du vielleicht, worüber ich die ganze Zeit rede.
 
Wenn man die dokumentierten ersten Einsatzorte der Artillerie in Europa in Südspanien (Algeciras) berücksichtigt, so wie die Daten der wahrscheinlich ersten Verwendungen im Nahen Osten zur Zeit der Mongoleninvasion, zusammen mit den doch sehr detaillierten Angaben in Arabischen Chemiebücher aus der damaligen Zeit , verbunden mit den frühen Chinesischen und Indischen Zeugnissen, zeichnet sich eigentlich eher eine Ost-West verbreitung in der Frühzeit der Pulververwendung ab.

Dass Entwicklungen dann wieder in die entgegengesetzte Richtung gewandert sind, mag ja sein. Es gab ja auch später wieder Transfers in die andere Richtung z.B. die Rakententechnologie.

Das Feuersteinschloss ist tatsächlich eine europäische Entwiklung. Die Luntenzündung vermutlich auch, wobei dies nicht sicher sein muss, da unter den frühsten verwendern auch die Osmanen so wie die südspanischen Mauren waren (diese galten allgemein als ausgezeichnete Büchsen und Armbrustschützen). Verklotzung und Pulverkörnung kann auch irgendwo anders entstanden sein. Bezüglich der Pulvermühlen möchte ich bezweifeln dass die Osmanen ihren gewaltigen Bedarf ausschließlich per Handarbeit produziert haben.
 
Bezüglich der Pulvermühlen möchte ich bezweifeln dass die Osmanen ihren gewaltigen Bedarf ausschließlich per Handarbeit produziert haben.
Pulvermühlen gab es überall im Reich. Die wichtigsten u.a. in Istanbul, Kairo, Bagdad, Aleppo, im Jemen, Buda, Belgrad und Temesvar, aber darüber hinaus auch noch in vielen anderen Gegenden. Meist wurden sie wohl mit Wasserkraft angetrieben.
 
:fs: Sie waren keine, ich wiederhole keine, Waffenimporteure. Dann verstehst Du vielleicht, worüber ich die ganze Zeit rede.

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Mit den "zahlreichen asiatischen Waffenimporteuren" bezog ich mich natürlich auf die in #44 aufgeführten Regionen.

Nicht mißverstehen, aber bei derartigen Mißverständnissen, die nur aus flüchtigem Lesen resultieren, klinke ich mich sofort aus, um alles zweimal zu schreiben, ist mir die Zeit zu kostbar.
 
Wenn man die dokumentierten ersten Einsatzorte der Artillerie in Europa in Südspanien (Algeciras) berücksichtigt, so wie die Daten der wahrscheinlich ersten Verwendungen im Nahen Osten zur Zeit der Mongoleninvasion, zusammen mit den doch sehr detaillierten Angaben in Arabischen Chemiebücher aus der damaligen Zeit , verbunden mit den frühen Chinesischen und Indischen Zeugnissen, zeichnet sich eigentlich eher eine Ost-West verbreitung in der Frühzeit der Pulververwendung ab.

Ich glaube, wir reden aneinander vorbei. Ich sprach von den in #33 aufgelisteten Entwicklungen, nicht von der Erfindung des Schießpulvers an sich. Spätestens ab 1360 lag mit der Einführung der Klotzverdämmung die technologische Führung bei den Westeuropäern, während die Entwicklung im arabischen und chinesischen Raum nur voranschlich.

Verklotzung und Pulverkörnung kann auch irgendwo anders entstanden sein.

Sind sie aber nicht. Pulverkörnung blieb Arabern und Chinesen unbekannt und ohne gekörntes Pulver ist meines (bescheidenen) Wissens wegen der Explosionsgefahr auch keine Pulverstampfmühle möglich (siehe den Fachbeitrag in Lindgren: Europäische Technik im Mittelalter).

Mit Hilfe von Pulvermühlen konnte der Deutsche Orden 1409/1410 innerhalb weniger Wochen hunderte Zentner von Schießpulver herstellen, mit denen u.a. die gigantischsten Geschütze versorgt werden konnten:

Faule Grete ? Wikipedia
Grose Bochse ? Wikipedia
 
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Mit den "zahlreichen asiatischen Waffenimporteuren" bezog ich mich natürlich auf die in #44 aufgeführten Regionen.

Nicht mißverstehen, aber bei derartigen Mißverständnissen, die nur aus flüchtigem Lesen resultieren, klinke ich mich sofort aus, um alles zweimal zu schreiben, ist mir die Zeit zu kostbar.
Sorry, mein Fehler. Aber Du mußt auch nicht gleich stinkig werden; meine Argumente ignorierst Du ja schließlich auch im Wesentlichen.
Ich habe nie bestritten, daß die Osmanen die Feuerwaffentechnologie übernommen haben und daß die Neuerungen auf diesem Gebiet aus Europa kamen. Aber zum einen - wie gesagt - sind auch die Europäer nicht mit diesem Wissen geboren worden, sondern haben es voneinander gelernt. Die Osmanen waren nur ein Teil dieses Pools.
Zum anderen: als die Entwicklung in Europa so richtig losging, war das Osmanische "Reich" ein unbedeutendes Fleckchen in Kleinasien. Die brauchten keine Kanonen. Erst, als sich die Osmanen gegen Byzanz wendeten, kamen sie in Berührung mit Feuerwaffen, nämlich bei ihren ersten Versuchen, Konstantinopel zu belagern. Dabei sind sie ja dann auch gewaltig auf die Nase gefallen. Danach aber schafften sie es innerhalb kürzester Zeit, selber Geschütze zu produzieren und erfolgreich einzusetzen. Alles zentral von Istanbul gelenkt und oft direkt aus dem Staatsschatz bezahlt. Genau das ist es, was die Entwicklung der Artillerie im osmanischen Heer so besonders macht - die unglaubliche Schnelligkeit und Effizienz, mit der die neue Technologie umgesetzt wurde, nicht nur zu Land, sondern auch zu Wasser. Und das bei einem Heer, das nur ein paar Jahrzehnte zuvor noch vor allem aus berittenen Bogenschützen bestand!
Die Produktion von Geschützen und später Handfeuerwaffen war straff durchorganisiert. Die Pulvermühlen des Reiches produzierten jährlich tausende Tonnen an Pulver. Mußten sie auch, bei dem ungeheuren Verbrauch.
 
...
Sind sie aber nicht. Pulverkörnung blieb Arabern und Chinesen unbekannt und ohne gekörntes Pulver ist meines (bescheidenen) Wissens wegen der Explosionsgefahr auch keine Pulverstampfmühle möglich (siehe den Fachbeitrag in Lindgren: Europäische Technik im Mittelalter).

...
Wie willst du, oder Lindgren, dass mit solcher Sicherheit wissen? Um Raketen zu bauen muss man gekörntes oder gepresstes Pulver haben (ist das selbe Prinzip). Sonst ist der Abbrand zu schnell oder zu unregelmäßig. Raketen wurden aber in China (und Indien) viel früher entwickelt und perfektioniert als in Europa. Die oben im Link aufgeführten Chemietraktate bezeugen zudem, dass die Araber sich intensiv und methodisch mit dem Thema auseinandersetzten. Wie man das Pulver befeuchtet und presst um es zu stabilisieren, wird ihnen kaum entgangen sein.
 
Pulverkörnung ist meines Wissens der Prozess, bei dem das Schießpulver leicht angefeuchtet wird, so daß es klumpig wird, was den Transport und die Lagerung wesentlich erleichert. Vor allem aber ist durch die Verklumpung die chemische Explosionsreaktion erheblich stärker, was den Projektilen natürlich eine höhere Geschwindigkeit und stärkere Durchschlagskraft gibt. Dieser Prozess wurde in Europa irgendwann zw. 1380 und 1410 entwickelt und blieb den Arabern und Chinesen unbekannt. Für wie lange genau, läßt sich der Literatur leider nicht entnehmen, aber jedenfalls lange genug, um die europische Vorreiterschaft bei Schußwaffen weiter auszubauen.

----
OT: Folgendes, Bdaian, zum Auftauchen von Kanonen und Handfeuerwaffen in Indien poste ich direkt im Forum, damit alle etwas davon haben.

158: From the above discussion it clearly emerges that the available evidence does not support the presence of artillery in India during the 14th century.
160: Thus, in view of vague and uncertain nature of the available evidence, it is not possible to confidently assume the existence of cannon, or for that matter any other kind of firearms, during the first half of the 15th century.
162: As already pointed out, the evidence furnished by Firi&ta and other later sources on the existence of firearms in India during the second half of the 15th century appears more significant than that relating
to the first half.
163:In any case, if the identification with cannon, which seems so plausible, is accepted, then it would not be wrong to assume that cannon was already in use in India as early as A.D. 1442-43.
164: The presence of cannon and musket in different parts of the Indian subcontinent during the second half of the 15th century cannot be seriously doubted.
Das heißt, daß es Indien erst um 1450 nachweisbar zum Einsatz von Artillerie und Handfeuwaffen kam, also ca. 125 Jahre später als in Europa.

Quelle: Iqtidar Alam Khan: Early Use of Cannon and Musket in India: A.D. 1442-1526, Journal of the Economic and Social History of the Orient, Vol. 24, No. 2. (May, 1981), pp. 146-164.
 
Nur für die Statistik: ich bin auch der Meinung, daß wirklich verwertbare Artillerieentwicklung erst aus Europa kam. Das, was aus der orientalischen Welt bekannt ist, scheint alles in der Sackgasse geendet zu haben. Es kann gut sein, daß die daher stammende Grundidee von den Europäern aufgegriffen wurde, aber erst sie haben eben wirklich etwas daraus machen können.
 
Pulverkörnung ist meines Wissens der Prozess, bei dem das Schießpulver leicht angefeuchtet wird, so daß es klumpig wird, was den Transport und die Lagerung wesentlich erleichert. Vor allem aber ist durch die Verklumpung die chemische Explosionsreaktion erheblich stärker, was den Projektilen natürlich eine höhere Geschwindigkeit und stärkere Durchschlagskraft gibt. Dieser Prozess wurde in Europa irgendwann zw. 1380 und 1410 entwickelt und blieb den Arabern und Chinesen unbekannt. Für wie lange genau, läßt sich der Literatur leider nicht entnehmen, aber jedenfalls lange genug, um die europische Vorreiterschaft bei Schußwaffen weiter auszubauen.

...

Nochmals: Das Körnen und oder Pressen des Pulvers ist auch für die Konstruktion von Raketen erforderlich und diese sind laut den meisten Autoren, sowohl in China wie auch in Indien noch vor der eigentlichen Artillerie verwendet worden. In den von mir gelesen Büchern habe ich nirgendwo gefunden, dass die Körnung in Europa erfunden und ausserhalb so lange unbekannt gewesen ist. Wenn due eine konkrete Quelle hast, bitte angeben.

Die Körnung macht auch nicht die Explosion "stärker". Sie macht das Pulver kontrollierbarer da der Abbrand gleichmäßiger ist.

Bei kurzläufigen Waffen verwendet man noch heute feinkörnigeres Pulver dass schneller abbrennt so dass der gesamte Druck sich entwickelt während die Kugel noch im Lauf ist und dem Druck ausgesetzt ist.

Bei langläufigen Waffen wäre dagegen ein zu schneller Abbrand gefährlich da der Druck sich zu schnell und stark aufbauen würde und es zur Explosion der Kammer kommen könnte. Deshalb verwendet man grobkörniges "progressives" Pulver das langsamer zündet und über eine längere Zeit einen gleichmäßigeren Druck entwickelt bzw. diesen sogar steigert wenn das Projektil sich der Mündung nähert.

Ein sekundärer Vorteil besteht darin, dass sich die Bestandteile nicht entmischen.

Was Indien betrifft, Datiert Romesch Butalia in "The Evolution of Artillery in India" die erste dokumentarisch nachgewiesenen Benutzung auf 1368. Er geht auch sehr kritisch mit den Quellen um und verwirft einige frühere zweifelhaftere Ereignisse bei denen die Bezeichnungen nicht eindeutig sind.

The evolution of the artillery in ... - Google Buchsuche

Tatsache ist, dass als die Portugiesen 1498 in Indien ankamen, sie dort Feuerwaffen vorfanden. Vasco da Gama beschrieb, dass im Umzug mit dem er in Calicut empfangen wurde ein "Caliver" (also eine art Hakenbüchse) mitgeführt wurde, die in regelmäßigen Abständen abgefeurt wurde. (im selben Buch zitiert)
 
Eigentlich sind die Spekulationen um die Osmanische Artillerie bei der finalen Belagerung von Konstantinopel absolut unwichtig. Konstantinopel war ja zu der Zeit nur noch ein Schatten seiner selbst, die Macht/der Einfluß Seines Kaisers (der Titel Bürgermeister wär wohl angemessener gewesen) endete vor den Stadtmauern. Die Stadt selbst, war schon zum großen Teil verfallen, ganze Viertel waren unbewohnt, und sogar viele der öffentlichen Gebäude, waren schon längst aufgegeben und den Verfall überlassen worden.

Der letzte Kaiser hatte ja gerade mal ein paar Tausend Soldaten/Verteidiger, die wohl eher sehr schlecht ausgerüstet und noch schlechter ausgebildet waren.

Das Osmanische Reich dagegen befand sich gerade im Aufstieg, hatte Zigtausende von Soldaten, die motiviert, und gut ausgerüstet waren, und kaum Feinde die eine ernsthafte Gefahr darstellten.

Die Eroberung der Stadt, wär auch ganz ohne Kanonen leicht gelungen, es war nur eine Frage der Zeit, sie war also quasi das I-Tüpfelchen, dass die Herrschaft der Osmanen am Bosporus untermauerte.
 
Eigentlich sind die Spekulationen um die Osmanische Artillerie bei der finalen Belagerung von Konstantinopel absolut unwichtig.
Vielleicht ja nicht ganz unwichtig, wenn man den Einsatz der Riesengeschütze als propagandistische Warnung an das Abendland betrachten möchte. Die Osmanen hatten vor, noch weiter nach Westen vorzudringen und da war die Drohung mit den Geschützen, die selbst die Mauern von Konstantinopel knacken, sicher nicht ganz ungewollt.
 
Wollen wir mal zum ursprünglichen Thema zurückkehren.

- War die türkische Artillerie entscheidend bei der Einnahme Konstantinopels?

Dabei stellen sich zwei Unterfragen:

- War Artillerie damals überhaupt effektiv gegen Festungs- und Stadtmauern?

- Hätten die Osmanen die Stadt auch ohne Artillerie einnehmen können

Gegenkaiser hat mir netterweise zwei Artikel zukommen lassen die sich mit der Artillerie der damaligen Zeit befassen. Ich habe dazu noch ein paar weitere im Netz gefunden und meine eigenen Bücher nochmals durchgesehen.

Vorab ein Artikel der sich mit den oben schon gezeigten Osmanischem Stück das früher im Tower lag und heute in Fort Nelson zu besichtigen ist.

Williams

Laut dem Verfasser des Artikels wurde dieses Stück von Munir Ali 1464 gegossen. Es ist also definitiv keines der Geschütze die bei der Belagerung selber verwendet wurden, entstand aber knapp danach und wird noch denselben technologischen Standard aufweisen.

Es wird auch behauptet, leider ohne nähere Quellen, dass schon bei der ersten Osmanischen Belagerung Konstantinopels 1422 Belagerungsartillerie verwendet wurde. Es wird auch aufgeführt (mit Quelle) dass spätestens ab 1448 die Türken über Feldartillerie verfügten und diese in der zweiten Schlacht auf dem Amselfeld verwendeten.

Schwere Geschütze wurden durch die Osmanen schon vor der Einnahme Konstantinopels für die Belagerung Hexamilions 1446 gegossen und eingesetzt.

Die Türken entwickelten später die Fähigkeit, die notwendigen übergroßen Stücke nahe am Einsatzort zu gießen, so geschehen bei der Belagerungen Rhodos 1480 und Bagdads 1535.

Der Schaden den die großen Geschütze vor Konstantinopel anrichteten, muss groß gewesen sein. Es wurden mehrere Breschen zwischen den Toren von Poliandros und San Romano geschossen, durch die am 18 April 1453 der erste Sturmangriff erfolgte, die jedoch durch die Truppen unter Führung des Genuesen Giovanni Giustiniani zurückgeschlagen wurde (so laut Vezio Melegari in einem etwas älteren Buch: „Gli assedi nella historia“). Es gab mehrere Anläufe in den nächsten Wochen. Bei einem dieser Angriffe wurde dann die offen Kerkoporta entdeckt, so dass die Verteidiger umgangen werden konnten und die Stadt schließlich fiel. So weit kenne ich es auch aus anderen Quellen.

Das große Breschen geschlagen wurden, da sind sich alle Autoren eigentlich einig, trotzdem hielt die Stadt noch einige Zeit stand und schlug mehrere Sturmangriffe zurück. Warum?

In diesem Link ist dargestellt, wie die Konstantinischen Mauern aufgebaut waren:

The Constantinoples, the gorgeous of all cities of the Mideval world

Hier sind heutige Fotos und ein Querschnitt;

Constantinople (İstanbul): Land Walls
 
Unter den Artikeln die mir Gegenkaiser schickte, ist einer über die Verwendung der Artillerie in den Krieg der von 1482 bis 1492 zur Einnahme Granadas führte so wie einer über die Portugiesischen Kampagnen in Nordafrika.

In dem ersten werden Zeitzeugen zitiert die eindringlich die gewaltige zerstörerische Kraft der Kastilischen Artillerie auf die mittelalterlichen maurischen Burgen und Stadtbefestigungen von Loja, Alhama, Ronda etc. Festungen die jahrhunderte lang jedem Feind getrotzt hatten.

Dasselbe wird auch hier behandelt (auf Spanisch ):

Poblamiento y castillos en Granada - Google Buchsuche


Unter anderem wird berichtet (Seite 98), wie in einem Fall der Pulverturm der belagerten Stadt (Moclin) getroffen wird und in die Luft geht, wodurch die Festung sich ergeben muss.

Das Königreich Granada hatte lange Zeit den Christlichen Angriffen widerstanden, zum Teil dank seiner zahlreichen und gut gebauten Festungen, seiner wehrhaften Bevölkerung und seiner zerklüfteten Landschaft durch die die Festungen noch zusätzlich geschützt wurden. Nun fallen jedoch eine Stadt und eine Burg nach der Anderen.

Die Gründe dafür sind, dass ein großes stehendes Heer ins Feld geführt wird, dass im Land bleibt (im Gegensatz zu früheren Saisonbegrenzten Kampagnen), die konsequente Seeblockade durch die Aragonesische Flotte, die umfassende Logistik die es erlaubte die Belagerungstruppen in einem Land zu halten dass solch eine Menschenmenge eigentlich nicht längere Zeit ernähren könnte und die konsequente Massierung der Artillerie vor den zu erobernden Zielen.

Die Mauren in Granada wurden seinerzeit respektierte Krieger und galten als sehr geschickt in der Verwendung von Armbrüsten und Feuerwaffen. Noch 1483 wurde eine große Kastilische Heerschar durch die Garnison von Malaga in den Bergen aufgerieben. Durch ihr natürliches Umfeld bedingt, konzentrierten sie sich auf leichte Artillerie, so z.B. eine Art Drehbasse die von mehren Männern bedient wurde und die sie auch ins Feld führten.

Die Kastilier vermerkten jedoch, dass die Festungen relativ einfach gegenüber ihrem Geschützfeuer fielen, dass Maurische Artillerie- und Handbüchsenfeuer, die ihnen im Feld schwere Verluste zugefügt hatten, im Festungskampf erfolglos waren.

Ein Zeitgenosse führte dieses darauf zurück, dass die maurischen Festungen keine Vorwerke hatten („ No tenían ni cavas, ni barrera ni baluartes“: Sie hatten weder Graben noch Vormauer (Faussebraie) noch Bolwerke).

Bild einer Maurischen Armbrust aus Granada, vor wenigen Jahren in einem Dorf in den Bergen hinter einer Wand eingemauert gefunden.
 

Anhänge

  • images.jpeg
    images.jpeg
    1,4 KB · Aufrufe: 3.401
Zuletzt bearbeitet:
In den Jahren um die Eroberung Granadas herum, wurden mehrere Kastilische und Aragonesische Festungen ausgebaut oder neuerrichtet. So z.B Coca, Medina del Campo, Fuenterrabía und Salsas (Heute Salses in der Nähe von Perpignan).

Medina del Campo:

http://www.fotopaises.com/imagenes/2007/10/7/1191709580.jpg

Coca:

http://www.lasmorantas.com/fotosentorno_morantas/castillo_coca.jpg

Salses:

http://www.cadrescatalans.com/toulouse/image/Salses_castell.jpg

Alle drei Festungen gehören zu einem Übergangstyp, der schon auf Feuerwaffen ausgelegt ist (zu dieser Zeit entstanden in Italien die ersten Poligonalfestungen). Sie verfügen über breite Gräben, niedrige Vomauern, Barbakanen, aussenliegende Bollwerken und Minengängen. Bestückt waren sie überwiegend mit leichten und mittleren Geschützen (von Salsas ist die Stückliste erhalten).

Medina del Campo überstand wenige Jahre danach eine Belagerung im Zuge der kastilischen Erbfolgekriege und später im Aufstand der Comuneros.

Salsas wurde 1501 von den Franzosen belagert, die damals über die angeblich stärkste Artillerie Europas verfügten. Die Oberen Teile wurden völlig demoliert, die größeren Stücke zerstört. Die leichten Stücke die jedoch den Graben deckten, blieben in Dienst und schlugen jeden Angriff zurück. Nur die Barbakane wurde eingenommen, durch die Aragonesen jedoch mit einer Mine gesprengt. Als ein Aragonesischer Entsatzheer von Perpignan anrückte, mussten die Franzosen die Belagerung aufheben

Cobos Guerra
 
Der letzte Fall ist die Eroberung von Ceuta durch die Portugiesen 1415.

Die Portugiesische Armee landete mit einem großen Artilleriepark und eroberte in kurzer Zeit die Stadt. In einem Inventar der Beute wird eine große Bombarde erwähnt die in der Stadt erobert wurde.

Vier Jahre Später versucht der Sultan von Marokko die Stadt zurück zu erobern. Mit zwei großen Liegestücken rückt er an und belagert Ceuta. Die beiden Kanonen werden jedoch durch das Feuer der zahlreicheren Portugiesischen Geschütze außer Gefecht gesetzt, die Belagerer müssen abrücken.

Die Portugiesen erobern in den folgenden Jahren noch einige weitere Städte. Bei einer schlägt der Versuch jedoch Fehl. 1437 wird Tangier angegriffen. Man führt jedoch nicht genügend bzw. nicht genügend große Artillerie mit. Man befiehlt die erforderlichen Kanonen von Ceuta auf den Landweg heranzuschaffen, sie werden jedoch unterwegs angegriffen und von den Marokkanern erobert, die Belagerung wird abgebrochen.

Warfare and Firearms in Fifteenth Century Morocco
 
Zurück
Oben