Marsilius
Neues Mitglied
Ich lese gerade ein Buch, dessen erster Satz lautet: "Dies ist eine Geschichte der ersten stabilen demokratischen Republik auf dem europäischen Kontinent." Es geht um die Geschichte Frankreichs 1870-1940. Am Anfang steht der gegen Preußen und seine Verbündeten verlorene Krieg 1870/71, der nach der Abdankung des Kaisers, Napoleon III., Frankreich eine Republik bescherte, in der zunächst noch die Royalisten die Oberhand behielten, sich aber nicht einig wurden, da sie in Bonapartisten (die Napoleon zurückwünschten), Orléanisten (die an den "Bürgerkönig" Louis-Philippe, 1830-48, anknüpften) und Legitimisten (die sich auf das Gottesgnadentum des Ancien Régime und die Bourbonen beriefen) gespalten waren. Um 1880 setzten sich die Republikaner durch.
Die Geschichte der Dritten Republik ist gekennzeichnet durch zahlreiche Regierungswechsel (über 80 in 70 Jahren, vgl. hier!), innen- und außenpolitische Krisen, Skandale (z. B. die sog. Wilson-Affäre 1887: Korruption um den Staatspräsidenten Jules Grévy; Panama-Skandal 1892/93: über 100 Abgeordnete und Regierungsmitglieder waren von der Kanalbaugesellschaft bestochen worden; berühmt die Dreyfus-Affaire seit 1894: fälschliche Verurteilung eines jüdischen Hauptmanns wegen Spionage) und sogar Putschversuche: 1885/89 beherrschte Georges Boulanger die politische Szene: Mit seinem moderenen Kampagnenstil, aggressiven Nationalismus und Antiparlamentarismus bedrohte er die Republik ernsthaft: seine Bewegung war eine Keimzelle der populistischen Rechten, vgl. heute Le Pen und die Front National, erfolgreich auch wegen einer Wirtschaftskrise in den 1880ern, die eine Verarmung von Teilen der Bevölkerung mit sich brachte.
Ich habe hier die ersten Jahrzehnte der Dritten Republik skizziert, weil sie mich auffällig an den Beginn der Weimarer Republik in Deutschland erinnern. Tatsächlich gibt es bemerkenswerte Parallelen:
- Verlorener Krieg
- Abdankung eines Kaisers
- revolutionärer Umsturzversuch (Pariser Kommune 1871)
- Republik und parlamentarische Demokratie umstritten
- zahlreiche Regierungswechsel
- Revanchismus (Elsaß-Lothringen)
- Wirtschaftskrisen
- Aufkommen eines "Führers"
- Antisemitismus
Gibt es da Gesetzmäßigkeiten? Parallelen auch in anderen Staaten?
In diesen und anderen Fragen würde ich mich gern hier austauschen. Allerdings bin ich kein Kenner der französischen Geschichte; allerdings fasziniert mich französische Literatur (M. Proust, St. Mallarmé) und Musik (C. Debussy, E. Satie, M. Ravel u. a.), und nun würde ich gern meinen Horizont, was die politische Geschichte Frankreichs angeht, erweitern, besonders über die Zeit 1870-1914, aber auch darüberhinaus.
Fragen in die Runde: Was interessiert Euch an diesem Thema? Wie beurteilt Ihr die politische Entwicklung Frankreichs? Ist die Dritte Republik eher eine glücklicherweise überstandene Zeit oder kann das französische System, das sich da bildete, uns am Ende sogar als Modell/Vorbild dienen?
Und ganz allgemein: Gibt es in diesem Forum (dem ich erst seit wenigen Tagen angehöre) auch frankophile Geschichtsinteressierte?
Meine Quelle (übrigens höchst lesenwert, offensichtlich fundiert und gut geschrieben): Jens Ivo Engels, Kleine Geschichte der Dritten französischen Republik (1870-1940), Köln/Weimar/Wien 2007.
Die Geschichte der Dritten Republik ist gekennzeichnet durch zahlreiche Regierungswechsel (über 80 in 70 Jahren, vgl. hier!), innen- und außenpolitische Krisen, Skandale (z. B. die sog. Wilson-Affäre 1887: Korruption um den Staatspräsidenten Jules Grévy; Panama-Skandal 1892/93: über 100 Abgeordnete und Regierungsmitglieder waren von der Kanalbaugesellschaft bestochen worden; berühmt die Dreyfus-Affaire seit 1894: fälschliche Verurteilung eines jüdischen Hauptmanns wegen Spionage) und sogar Putschversuche: 1885/89 beherrschte Georges Boulanger die politische Szene: Mit seinem moderenen Kampagnenstil, aggressiven Nationalismus und Antiparlamentarismus bedrohte er die Republik ernsthaft: seine Bewegung war eine Keimzelle der populistischen Rechten, vgl. heute Le Pen und die Front National, erfolgreich auch wegen einer Wirtschaftskrise in den 1880ern, die eine Verarmung von Teilen der Bevölkerung mit sich brachte.
Ich habe hier die ersten Jahrzehnte der Dritten Republik skizziert, weil sie mich auffällig an den Beginn der Weimarer Republik in Deutschland erinnern. Tatsächlich gibt es bemerkenswerte Parallelen:
- Verlorener Krieg
- Abdankung eines Kaisers
- revolutionärer Umsturzversuch (Pariser Kommune 1871)
- Republik und parlamentarische Demokratie umstritten
- zahlreiche Regierungswechsel
- Revanchismus (Elsaß-Lothringen)
- Wirtschaftskrisen
- Aufkommen eines "Führers"
- Antisemitismus
Gibt es da Gesetzmäßigkeiten? Parallelen auch in anderen Staaten?
In diesen und anderen Fragen würde ich mich gern hier austauschen. Allerdings bin ich kein Kenner der französischen Geschichte; allerdings fasziniert mich französische Literatur (M. Proust, St. Mallarmé) und Musik (C. Debussy, E. Satie, M. Ravel u. a.), und nun würde ich gern meinen Horizont, was die politische Geschichte Frankreichs angeht, erweitern, besonders über die Zeit 1870-1914, aber auch darüberhinaus.
Fragen in die Runde: Was interessiert Euch an diesem Thema? Wie beurteilt Ihr die politische Entwicklung Frankreichs? Ist die Dritte Republik eher eine glücklicherweise überstandene Zeit oder kann das französische System, das sich da bildete, uns am Ende sogar als Modell/Vorbild dienen?
Und ganz allgemein: Gibt es in diesem Forum (dem ich erst seit wenigen Tagen angehöre) auch frankophile Geschichtsinteressierte?
Meine Quelle (übrigens höchst lesenwert, offensichtlich fundiert und gut geschrieben): Jens Ivo Engels, Kleine Geschichte der Dritten französischen Republik (1870-1940), Köln/Weimar/Wien 2007.
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