Legitimation und Foedus
...Ich halte es für einen wichtigen Denkansatz, die Vorgänge unter zwei wichtigen Grundaspekten zu betrachten:
...
Ich bin mit meiner Eingangsformulierung nicht recht glücklich. Die von mir im Folgenden genannten Aspekte können nicht für sich alleine bestehen. Sie bilden allerdings m.E. ein wichtiges Hilfsmittel die oft so verworrenen Abläufe, gerade zwischen Foederaten auf Reichsboden und römischen Autoritäten besser zu verstehen. Sie werfen auch eine Reihe von Fragen auf, die durchaus unterschiedlich, ja gegensätzlich bewertet werden können! In diesem Kontext ist auch immer die „Legitimität“ der Vertragsparteien wichtig.
Auf „römischer Seite“ gab es häufig Usurpatoren, die genau wie ihre Gegenspieler oft auf der Suche nach potentiellen Verbündeten waren. „Wandervölker“ boten sich dabei besonders an, doch mögen auch Abgesandte an verbündete Völker mit der Aufforderung nach mit dem Reich vereinbarter Militärhilfe in den Augen der Angesprochenen eine höhere Legitimation vorgebracht haben, als jene römischen Gruppen, die sich im Reich tatsächlich durchsetzten. Ein Beispiel dafür war in den 360er Jahren nach dem Tode Kaiser Julian Apostata gegen die Perser die Usurpation des Procopius, während das römische Heer Jovian auf den Thron gehoben hatte. Jovian war ein hoher Militär unter Julian gewesen, Procopius dagegen war mit dem bisher regierenden Kaiserhaus der Konstantinischen Dynastie verwandt und wurde von einer Kaisermutter in seinem Anspruch unterstützt. Er rief die verbündeten, terwingischen Goten unter Athanarich um Hilfe an, welche dem in ihren Augen legitimen Kaiser 3000 Elitekrieger schickten. Diese kamen allerdings zu spät und Procopius hatte bereits Krone und Leben verloren. Auf dem Rückweg in ihre Heimat wurden sie von aufgebrachten römischen „Loyalisten“ verfolgt und ergaben sich kampflos im Glauben man möge ihnen ihren „Irrtum“ verzeihen. Doch sie täuschten sich! Kaiser Valens, der dem zuvor verstorbenen Kaiser Jovian auf den Thron des Ostreiches gefolgt war, nahm diese Abläufe zum Anlass einen mehrjährigen Krieg gegen die Terwingen zu führen.
Aber auch die Anführer der Foederierten benötigten Legitimation, die sie über die traditionellen Wirkmechanismen ihrer Völker hinaus, für die Römer erst zu würdigen Vertragspartnern machten. Gerade „Wandervölker“, die auf dem Boden des Reiches standen, abgeschnitten jenen Ländern in der Ferne, die ihren Völkern einst Heimat gewesen waren, benötigten eine römische Legitimation besonders! Roland Prien schreibt über „Wandervölker“ folgenden Abschnitt, der die gegenseitige Abhängigkeit gut beschreibt:
„…Vergleiche mit […] germanischen Stammesverbänden, die im 4. Und 5. Jahrhundert in das römische Reich eindrangen, zeigen zum einen das Verlangen nach Teilhabe an der antiken Hochkultur – sei es in Form von Geschenken oder Beute -, zum anderen den Wunsch nach günstigeren Siedlungsgebieten innerhalb der Reichsgrenzen. Mit dem zunehmenden Verfall der römischen Regierungsgewalt besonders im Westen wurde nicht mehr eine richtiggehende bäuerliche Landnahme angestrebt, sondern ein Status als Verbündeter des Reiches im Rahmen eines foedus. Föderaten leisteten für das Reich Kriegsdienst, wurden aber im Gegenzug dafür bezahlt, mit Lebensmitteln versorgt und in bestimmten Provinzen einquartiert.“
Nur ein von römischen Gewalten anerkannter Stammeskönig konnte unter solchen Umständen ein Vertragspartner werden und nur ein römischer Vertragspartner konnte auf längere Sicht die Existenz seines Verbandes auf römischem Boden sicherstellen. Viele Konflikte entstanden aus dem gegenseitigen Bestreben, die eigene Legitimität durchzusetzen oder eine mächtige, anerkannte Legitimation für bessere Vertragsbedingungen für die eigene Seite umzumünzen. Einerseits brauchten die Römer sichere Vertragspartner, doch achteten sie eifersüchtig darauf nicht eine einzelne Gruppe zu mächtig werden zu lassen und spielten daher oft Gruppen potentieller Vertragspartner gegeneinander aus. Dies wiederum brachte die Römer oft zu Recht in den Ruf unsichere Vertragspartner zu sein, während diese die oft kriegerischen „Nachverhandlungen“ der „Barbarenkönige“ als Vertragsbruch anprangerten. Eines der bekannteren Beispiele des Ringens um Legitimation innerhalb einer verbündeten Gens („Volks“) ist der Machtkampf des späteren Ostgotenkönigs „Theoderich der Große“ um Anerkennung als alleiniger König über die Ostgoten gegen einen Verwandten, der ebenfalls Theoderich hieß (mit dem Beinahmen Strabo = „Der Schieler“)! Das Ringen wurde erst nach längerem „innergotischem Krieg“ zwischen beiden Prätendenten entschieden, bei dem die römischen „Vertragspartner“ mal der Einen, dann der anderen Seite ihre Gunst zuwandten. Dahinter wird die Absicht gestanden haben die Ostgoten zu schwächen. Der Konflikt endete erst, nachdem Theoderich Strabo sich bei einem Unfall selbst tödlich verwundete, nachdem er zuvor seinen später so hoch gerühmten Gegner mehrfach an den Rand des Untergangs gedrängt hatte. Ein ähnliches Spiel mögen römische Stellen auch bei den Westgoten zwischen dem „Romplünderer“ Alarich und seinem ständigen Gegenspieler Sarus getrieben haben, wobei Letzterer niemals dem Königtum des Alarich gefährlich werden konnte, noch anscheinend einen Thronanspruch erhob. Solche Auseinandersetzungen konnten Völker entscheidend schwächen oder wenigstens spalten! Die Aufgabe eines eigenen Königtums führte regelmäßig zum Verschwinden eines solchen Volkes aus der Geschichte. Dabei hatten die wenigsten Völker in ihrer Heimat außerhalb des römischen Imperiums ein derart mächtiges „Großkönigtum“ gekannt. Von Goten, Alamannen oder auch Franken ist stattdessen bekannt, dass es bei ihnen Kleinkönige gab, die sich nur bei großer Gefahr einem „Oberkönig auf Zeit“ anschlossen. Als ein solcher wird etwa der „Iudex“ genannte Athanarich genannt, der die gotischen Terwingen nördlich der Donau gegen die Rachezüge Kaiser Valens führte. Bei den Alamannen war ein solcher wohl Chnodomar, der von seinen Männern in der Schlacht gegen Kaiser Julian bei Straßburg genötigt worden war, zu Fuß zu kämpfen, damit er sie in der Niederlage nicht ihrem Schicksal überlassen und fliehen könnte. Dass ein germanischer Foederatenkönig erst Recht dann seinem Verband das Überleben sichern konnte, wenn er sich gleichzeitig um römische Ehren und Posten bemühte, versteht sich von selbst. Das Imperium achtete dabei zunehmend auf gewisse „Mindeststandards“, die ich teils mit Romanisierung gleichsetzen will. Es fällt auf, dass Grenzvölker sehr wohl Foederatenstatus und ihre Anführer hohe römische Militärämter erhielten, auch wenn sie Heiden waren. Dagegen achtete das Reich sehr wohl darauf, dass Foederatenkönige, deren Völker auf dem Boden des Imperiums siedelten wenigstens offiziell einer christlichen Konfession angehörten. Im Gegenzug verfolgte etwa der Gote Athanarich in seinem Herrschaftsgebiet (das nicht im Imperium lag) die Christen als Römlinge. Das Christentum wurde als Teil einer Romanisierung und Teil der römischen Identität angesehen. Erst später verdichtete sich der Anspruch auf das katholisch/orthodoxe Christentum, was den Königreichen arianischen Christentums zunehmend zur Bedrohung werden sollte. Ihr falsches Christentum wurde nunmehr zum Zeichen mangelnder Romanisierung, obwohl diese Völker bereits seit langer Zeit auf römischem Boden siedelten und Teil der römischen Welt geworden waren…
Ich stelle also einen Widerspruch fest, der als Folge römischen Anspruchs auf eine gesicherte Verhandlungsautorität auf Seiten der „Barbaren“ auftritt. Dieser wurde noch verschärft durch die germanische Praxis, dass nur zwischen Personen Verträge geschlossen werden konnten und nicht etwa zwischen dem Reich und einem Stamm. Starb der eigene Anführer erlosch mit ihm auch das Vertragsverhältnis, das in der Regel sofort wieder neu ausgehandelt und erneuert wurde. War der barbarische Vertragspartner nicht mächtig genug, konnten sich Teile seiner Gruppe abspalten um etwa auf eigene Faust ihr Glück zu suchen, was in der Regel mit Plünderungen begann. War er zu mächtig, wurde der König in Rom als potentielle Gefahr beurteilt. Für einen König und sein „Wandervolk“ war es also sicherer und lukrativer, je stärker es war. Interessant ist dabei, dass quasi kein Volk dieser Ära auf dem Boden des Imperiums eine gewisse Größe überstieg, so dass sein Heer immer kleiner blieb, als das in ihrem Reichsteil zuständige kaiserliche Palastheer! Dabei konnten „römische Verhältnisse“ – also Usurpation oder anderer Bürgerkrieg – diese Machtbalance jedoch schnell ändern. Die Kaiser nahmen daher bei allen militärischen Operationen egal in welcher Weltgegend sie stattfinden mochte immer zumindest Teile der Foederatenheere mit sich! Sie waren dann gleichermaßen willkommene Verstärkung wie Geisel für das Stillhalten ihrer Völker. Nach der Schlacht von Adrianopel im Jahre 378 wurden etwa die gotischen, regulären Hilfstruppen in Kleinasien, die keinerlei Anzeichen von Meuterei gezeigt hatten, durch römisches Militär heimtückisch niedergemetzelt.
…all das „Durcheinander“ ist m.E. leichter verständlich, wenn man in seine Überlegungen die von mir im Vorpost genannten Aspekte, als Teil weiterer Perspektiven mit einbezieht. Dabei sind gerade die Vandalen wohl ihren eigenen Weg gegangen.
@Fragesteller:
Je nach Vorlieben sind doch jetzt einige Ansätze im Sinne der Eingangsfrag angesprochen worden, oder?