Ohne Frage haben viele Erscheinungsformen der römischen „Unterhaltungsindustrie“ ganz unpolitisch begonnen. Während der Republik nutzten die Adeligen aber jede noch so kleine Zur-Schau-Stellung auch, um in „eigener Sache“ für sich zu werben. Mit anderen Worten: Vieles wurde politisch instrumentalisiert! Der Senat kam kaum nach, diese politisch motivierte und entsprechend eingesetzten Möglichkeiten zur Selbstdarstellung in ein anerkanntes System einzubringen, das letztlich (auch) auf die Arenaspiele hinauslief, wie es als typisch „römisch“ gilt. Da diese Veranstaltungen bei Beginn der Prinzipats-Herrschaft bereits mit politischem Hintergrund belegt waren, achteten die Kaiser darauf, dass die Spiele nicht wieder einem ambitionierten Queraufsteiger als Mittel zur Machtgewinnung dienen konnten. Daher legten sie fest, dass jene Männer, die letztlich in ihren Diensten standen, quasi dazu gezwungen wurden die beliebten Spiele weiterhin zu finanzieren – und damit repräsentativ für die gesamte kaiserliche Herrschaft öffentliche Selbstdarstellung zu bieten. Spiele und vor allem ihr politisches Potential wurden also für die kaiserliche Regierung beansprucht. Das wuchs sich letztlich bis zu der von Ravenik oben erwähnten, langjährigen Vor-Festlegung der Spielegeber aus.
In Rom war fast alles politisch und daher oft reglementiert. Ich versuche das einmal in Kürze am Beispiel von
Götterkulten zusätzlich aufzuzeigen. Die Handlungsweise, wie wir sie bei den Spielen gesehen haben, war typisch für den römischen Staat, der sich auch nicht scheute, auch Götterkulte staatlich zu vereinnahmen. Es gab senatorische Geschlechter, die sich selbst als Abkömmlinge der Götter sahen oder eine besondere Nähe zu einer Gottheit beanspruchten. Der Hellenismus lehrte, wie derartiges in politische Dynamik umgesetzt werden konnte (etwa Alexanders Anspruch, Sohn eines Gottes zu sein, womit er seine Männer zusätzlich zu motivieren suchte – und es auch schaffte, so dass noch Napoleon I. Jahrhunderte später bedauerte, er könne in dieser Hinsicht durch die christliche Kirche verhindert, nicht diesem Mann nacheifern…). So verehrten die Julier (das Haus des Julius Caesars) besonders die Venus. Quintus Fabius und seine Familie die Fabier führten ihre Abstammung auf Herakles zurück (er war der große Gegenspieler des Hannibal und ist besser als Fabius Cunctator „der Zauderer“ bekannt)… Solche Geschlechter leisteten sich teils eigene Tempel und eine eigene Priesterschaft. Sobald ein solcher Kult aber eine gewisse Größe und Eigendynamik erreicht hatte, pflegte der Senat ihn unter Senatsaufsicht zu stellen – ihn also staatlich zu vereinnahmen und dessen Beliebtheit eben nicht möglichen, politischen Ambitionen mächtiger Familien zu überlassen. Dass es dennoch oft genug versucht wurde, zeigte auch Julius Caesar, der noch 47 v.Chr. einen eigenen Venustempel ausstattete und in ihm alljährlich prachtvolle Veranstaltungen durchführen ließ – obwohl bereits seit mehr als 200 Jahren ein Tempel der Venus in Rom existierte (die Venus des „Julius“ war eben die „Venus genetrix“). In diesem Kontext ist auch das altrömische Senatsamt des Pontifex Maximus zu sehen. Dieser hatte die Oberaufsicht über das sakrale Leben Roms der öffentlichen Kulte. In Rom waren die Priester übrigens nicht wie in den christlichen Kirchen oder auch oft im hellenistischen Osten, Personen, die sich einer Gottheit besonders verbunden fühlten und darin mystisches Wissen anhäuften, sondern vor allem Beamte, die über politische Entscheidungen bestimmt wurden. Den eigentlichen „Opferbetrieb“ besorgten in Rom häufig wirkliche Spezialisten und wenn es nur
Tempelsklaven waren! Dabei maß man dem exakten und korrekten Opferungsritus erhebliche Bedeutung zu. "Fehlerhaft" vollzogene Riten konnten den Zorn der Götter erregen und so erklärte man in der Öffentlichkeit häufig Rückschläge und vollzog öffentliche Sühneriten. Man sieht: In Rom war alles Politik!
Nun zum Beispiel der
Hahnenkämpfe. Hahnenkämpfe dürfte es nicht nur bei den Römern gegeben haben, sondern überall. Es war – häufig noch bis heute – in vielen Ländern ein Ereignis, das gerade Menschen aus den unteren Schichten anzog. Sie sind einfach zu organisieren und erfordern wenig „Drumrum“. Große Zuschauermengen sind nicht möglich, weil sonst der unmittelbare Sinneseindruck verlorengeht. Es ist also ein Spektakel für überschaubare Gruppen von Menschen, wobei die Kosten für den Hahn auch weniger begüterte Menschen aufbringen können, um dann durch Wetten einen Gewinn-Anreiz zu bekommen. Hahnenkämpfe kannten auch die Römer – warum aber würden wir sie heute kaum mit dem antiken Rom in Verbindung bringen? Wie gesehen, waren sie ungeeignet um große Menschenmengen zu beeindrucken. Die aufzuwendenden Kosten waren nicht für Selbstinszenierung oder Repräsentation geeignet. Also waren sie als Mittel für einen Oberschichtler, sich politisch zu inszenieren und Anhänger zu gewinnen nicht geeignet – und blieben ein Phänomen der Proletarier… Genauso wie Kartenspiele, Würfelspiele oder Ähnliches, die man nicht politisch instrumentalisieren konnte!
Anders die
Gladiatorenspiele, die ursprünglich zu Leichenspielen wohl der etruskischen Oberschicht gehört hatten. Bei öffentlichen Totenfeiern zu ehren eines verstorbenen Mannes der römischen Oberschicht sollten im Jahre 264 v.Chr. erstmals drei Gladiatorenpaare gegeneinander angetreten sein. Das Ereignis fand den Anklang der Zuschauer und so „explodierten“ in der Folge die Zahl der gegeneinander bei Leichenspielen antretenden Gladiatoren. Gerade die öffentlichen Totenfeiern der römischen Oberschicht waren ein Politikum erster Güte, bei welchem sich die veranstaltenden Geschlechter im besten Licht darstellen wollten. Totenmasken ihrer berühmtesten Ahnen wurden von „Schauspielern“ getragen und geleiteten den Toten auf ihrem Weg zum Begräbnis, als wollen sie den Ihren mit zu sich ins Jenseits nehmen. Gleichzeitig führten sie den Zuschauern (auch durch die Insignien der höchsten, von Ihnen jemals bekleideten Ämter) die Macht und Größe des Hauses vor Augen. Der Erbe hielt bei dieser Gelegenheit eine öffentliche Totenrede und führte sich damit in die römische Öffentlichkeit inmitten seiner Ahnen ein. Damit kam der Anspruch zum Ausdruck, den Taten der Ahnen nachzueifern und einen gehobenen Platz in der römischen Gesellschaft anzustreben. Die Popularität von Gladiatorenkämpfen bei dieser Gelegenheit verstärkte also die Wirkung dieser Bühne der Selbstinszenierung, indem weitere Zuschauer angelockt wurden. Was Wunder also, das es letztlich öffentliche Gladiatorenkämpfe unter staatlicher Aufsicht gab, um allzu ambitionierte Selbstdarstellungen viel von ihrer Attraktivität zu nehmen? Anstelle von schlecht zu sehenden, übervollen Begräbnis-Kämpfen baute man Arenen mit bequemen Sitzplätzen um das Publikum zu unterhalten und ein weiteres Mittel politisch möglicher Inszenierung war öffentlicher Aufsicht unterstellt…
In der christlichen Spätantike gab es später keine Gladiatorenkämpfe mehr. Aber Wagenrennen und ähnliche Veranstaltungen fanden noch wie einst ab. Sie waren unter Regie des Staates, aber hatten sie allen
politischen Einfluss verloren? Nein, ganz war er nicht verloren gegangen, wie der Nika-Aufstand unter Justinian I. (dem „Totengräber der Spiele in Rom“) beweisen.
Nika-Aufstand ? Wikipedia
…zumindest kann es noch immer geschehen, dass öffentliche Spiele auch auf die Politik zurückfallen können. So wie der „Fußballkrieg“ 1969 in Mittelamerika ein Fußballspiel zum unmittelbaren Auslöser hatte.
Vor dem aktuellen Hintergrund der Unruhen im arabischen Raum seit dem Sturz des tunesischen Regimes von Ben Ali wird auch klar, warum noch heute auch große Sportveranstaltungen durch Diktaturen überwacht werden. Hier sind viele Menschen zusammen und viele Menschen haben immer auch ein gewisses politisches Potential. Den alten Römern war das noch bewusster als den meisten Menschen heute.
Hoffentlich habe ich den Bogen einigermaßen geschafft ohne allzu zu ermüden.