Darf ich hier mal einen etwas längeren Text einfügen?
Ich zitiere mal aus dem Skript von Raimund Karl zur Keltologie, zu finden auf
Ausgegraben.ORG
(...) Erst in weiterer Folge, hauptsächlich im Lauf des 19. Jahrhunderts, begannen sich die
Begriffe Volk, Rasse und Kultur in der Wissenschaft langsam auseinander zu entwickeln.
Dabei sind insbesondere der mehr oder minder aus Darwins (1859) Arbeiten zu der
Entwicklung der Arten abgeleitete Rassenbegriff und die damit verbundene Evolutionslehre,
der Kulturbegriff des Anthropologen Tylor (1871), der Kultur oder Zivilisation als „...that
complex whole which includes knowledge, belief, art, law, morals, custom and any other
capabilities and habits acquired my man as a member of society...“ (Tylor 1871: 1) sah, und
das an Herders (1772; 1773) „Volksgeist“ angelehnte Verständnis des Volksbegriffes,
der von einer metaphysischen Einheit von Sprache, Kunst und Verhalten der zu einem Volk
gehörenden Menschen ausgeht erwähnenswert, aus denen sich eine klarere Abgrenzung der jeweiligen Begriffe voneinander ergab.
Wenngleich sich auch die wissenschaftlich definierten Bedeutungen von Rasse, Kultur und
Volk auseinanderzuentwickeln begonnen hatten, blieben dennoch genug Überschneidungen zwischen ihnen, und blieb ihre Verwendung im allgemeinen und teilweise auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch schwammig genug, um sie weitgehend als Synonymbegriffe verwendbar zu machen.
Der wachsende Nationalismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sorgte schließlich dafür, dass diese drei Begriffe, nun durchaus in ihrer differenzierteren Bedeutung, als sich nicht nur in ihrer Bedeutung teilweise, sondern
auch in ihrer Auswirkung in der biologischen und kulturellen Realität der Welt
überschneidend verstanden wurden.
Die Annahme, eine biologische Rasse würde gleichzeitig durch
einen einheitlichen Volksgeist und eine einheitliche Kultur gekennzeichnet und
umgekehrt, und würde damit auch gleich noch die sinnvollste reale Grundlage für ein
einheitliches Staatswesen bilden, war eine logische Konsequenz. Diese führte in Folge
politisch zu den rassistisch-völkisch-nationalistischen Exzessen des Nationalsozialistischen
Regimes, schon davor aber wissenschaftlich zur Annahme einer weitgehenden Einheit von
Sprache, Volkstum, materieller und immaterieller Kultur, Rasse und Nation, wie sie sich am
deutlichsten in der „Methode der Siedlungsarchäologie“ des deutsche Archäologen Kossinna (1920) ausdrückt.
Obwohl heute Kossinnas Kulturkonzept und der damit verbundene
Volksbegriff von nahezu allen ArchäologInnen und KulturwissenschafterInnen – auch
aufgrund seines Nahebezugs zu den Nazis –
explizit abgelehnt wird, ist er immer noch
fest im Unterbewusstsein, nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch vieler WissenschafterInnen
(Eggert 1978; Wotzka 1993),
verwurzelt.
Dabei lässt sich allerdings
leicht nachweisen, dass die Gleichsetzung von Materialkultur,
Sprache, Volkstum, Rasse etc. keineswegs zutrifft. So können z.B. die Schweizer als ein
mehrsprachiges Volk betrachtet werden, ebenso wie z.B. die Kanadier und die USAmerikaner, die deutschsprachigen Menschen verteilen sich auf mehrere verschiedene
Volkszugehörigkeiten, ebenso wie z.B. die englisch-, die französisch-, die spanisch- und die
portugiesischsprachigen Menschen,
während die heutige westlich-globalisierte Materialkultur weitgehend Sprach- und Volksgrenzen ignoriert. Eine vergleichbare Ungleichsetzbarkeit von
Sprache, Materialkultur und Volkstum lassen sich auch in der Geschichte in relativ beliebiger
Menge feststellen, sind also nicht erst ein Phänomen der Moderne (Hodder und Orton 1976;
Jones 1997).
Seit dem Ende des dritten Reichs hat sich der Volksbegriff in der Wissenschaft – der heute
auch oft durch weniger belastete Begriffe wie Ethnos oder Ethnie (abgeleitet von griechischen
Skriptum: 703536 VO Einführung in die kulturwissenschaftliche Keltologie
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Wort für Volk) ersetzt wird – deutlich verändert (auch durch den Missbrauch dieses Begriffs
durch die Nazis).
Unter einem Volk bzw. einer Ethnie versteht man heute in der Wissenschaft
eine Gruppe von Menschen, die sich durch ein Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl, einen
von den Gruppenmitgliedern für die Gruppe als Gesamtheit verwendeten, selbstbestimmten
Namen und eine Selbstabgrenzung der Gruppe gegenüber anderen Gruppen kennzeichnet
(James 1999; Jones 1997; Harris 1999). Oft zeichnet sich ein solches Volk im modernen Sinn
auch durch eine gemeinsame Ursprungslegende, den Glauben an eine Abstammung von
einem gemeinsamen biologischen Vorfahren aus, auch besondere Verhaltensnormen können
die Mitglieder eines solchen ethnischen Gruppe charakterisieren.
In diesem, modernen Sinn des Volksbegriffs, bei dem nicht mehr objektiv beobachtbare
Eigenschaften (wie gleichartige Materialkultur, Sitten und Gebräuche, Sprache und
dergleichen mehr, die ein Außenstehender feststellen kann), sondern das
subjektive
Empfinden der Gruppenangehörigen den Ausschlag für die Volkszugehörigkeit geben, sind
die Kelten, wie wir den Begriff heute lose verwenden, mit einiger Sicherheit
kein Volk.
Dies ist schon alleine daran offensichtlich zu erkennen, dass die heute als moderne „keltische“ Völker betrachteten, noch oder bis vor kurzem keltischsprachigen Bevölkerungen der
britischen Inseln und der Bretagne, kein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl haben
und bis zur „Erfindung“ des modernen wissenschaftlichen Keltenbegriffs und dessen
Übertragung in den allgemeinen Sprachgebrauch überhaupt kein solches
Zusammengehörigkeitsgefühl hatten.
Gleiches scheint für ihre antiken, „keltischen“
Vorgängergesellschaften gegolten zu haben.
Von den „Kelten“ heutzutage als „Volk“ zu sprechen, ist also in jedem Fall ein
Missverständnis. Was auch immer die Kelten gewesen sein mögen, ein Volk, so wie wir
diesen Begriff heute verstehen, waren sie sicherlich nicht. Wenn wir aber kein Volk meinen,
wenn wir von den Kelten sprechen,
was meinen wir dann?