Warum konnte sich die Speerschleuder in Europa nicht durchsetzen?

Wsjr

Aktives Mitglied
Wenn man mit altertümlicher Technologie experimentiert und sie in den Händen hält stellen sich plötzlich ganz neue Fragen, als wenn man nur drüber ließt.
Bestimmt werden sich einige denken, warum dieses Thema in diesem Unterforum und nicht im Steinzeitunterforum.
Nun hab ich mir einige Gedanken zur Speerschleude auch Atlatl genannt gemacht und frage mich nun erstaunt. Wieso ist diese Waffe nach der Steinzeit in Europa offenbar ausgestorben?
Als Jagdwaffe wurde sie womöglich komplett von Pfeil und Bogen ersetzt.
Wobei ich mich frage warum. Bei vielen aussereuropäischen Völkern wird oder wurde die Speerschleuder zumindest neben dem Bogen eingesetzt.
In Europa scheint diese Tradition irgendwann völlig abzubrechen.
Bei den Völkern des klassischen Altertums ist mir nirgends so etwas wie eine Speerschleuder bekannt. Am nächsten kommt da noch die Ankyle der griechischen Wurfspeere.
Dies ist eine Schlaufe die am Schaft angebracht ist und den Hebeleffekt verstärkt. Ich persönlich habs noch nie ausprobiert im Gegensatz zur Speerschleuder, aber der Hebel der langen Speerschleuder ist doch deutlich länger als der einer Ankyle.
Aus funktionaler Sicht müsste die Speerschleuder zumindest im Krieg eine Rennaisance erlebt haben, wenn sie als Jagdwaffe wirklich aus funktionellen Gründen ersetzt wurde. (was ich nicht ganz glauben kann) Eine Truppe Peltasten mit Speerschleudern ausgerüstet, hätte mit Sicherheit weiter und mit viel mehr Wucht werfen können.
Wie man sieht übergreift dieses Thema Steinzeit und klassisches Altertum und ich wäre um jedes Expertenwissen dankbar.
Vielleicht so denke ich mir, ist die Antwort nicht die Naheliegendste und es lag womöglich gar nicht am technischen Faktor sondern es war eher ein Problem der Kollektiven Wahrnehmung, vielleicht wurde die Speerschleuder, nach dem die damalige "Hightechwaffe" der Pfeil und Bogen irgendwann aufkam, plötzlich als etwas rückständiges betrachtet und stiefmütterlich behandelt. Oder hat man die Technologie schlicht vergessen?
Alles sehr viele vielleichts, aber dass die Speerscleuder plötzlich ausstirbt und nicht einmal im Kriegswesen wieder auftaucht finde ich persönlich mehr als seltsam.
 
Auch wenn ich hier selbst wenig Erfahrung habe, eventuell überwiegen die Vorteile eines Bogens gegenüber eine Speerschleuder einfach zu sehr?

Vor allem bzgl. Reichweite und Durchschlagskraft und benötigter Fähigkeiten. Auch die "Munition" ist unhandlicher als zum Beispiel die eines normalen Schleuderes. Wurfspeere, zumindest in der römischen Armee wurden ja auch nicht als reine Fernwaffen sondern eher zum aufweichen der gegnerischen Ränge vor dem Nahkampf genutzt.
 
Aber der Wurfspeer hat sich gehalten, er hatte seinen Platz bei den Plänkeltruppen und wie du sagst um Formation zu brechen.
Nun weshalb wurde auf diesen Hebel der mehr als das doppelte an Kraft und Reichweite bringen würde, verzichtet?
In so einem großen Gruppengefecht, würde es schließlich auch weniger auf Präzision ankommen und so schwer ist der Umgang mit der Speerschleuder jetzt auch wieder nicht.
 
Moin

Das Aufbrechen von Formationen erfolgte ja eher auf kürzeren Distanzen, so dass man keine Fernwaffe und daher auch keine Schleuder benötigte.

Als Fernwaffe war der Bogen wohl effektiver.

Gruß
Andreas
 
Erfolgte das aufbrechen auf kurzer Distanz weil die Reichweite der speere nicht weiter gewesen ist oder weil es auf kurzer Distanz erfolgen sollte?

Wenn ich als Plänkler doppelt so weit werfen kann, kann ich doppelt so viele Speere werfen bis der Feind in gefäßrlicher distanz ist.
 
Moin

Bin diesbezüglich kein Fachmann, doch könnte ich mir vorstellen, dass ein Aufbrechen der Formation auf kurzer/kürzerer Entfernung günstiger war, da diese dann keine Zeit mehr hat sich neu aufzubauen.

Gruß
Andreas
 
Was bringt das aufbrechen einer Formation, wenn ich es nicht ausnutzen kann? Wenn man zu weit weg ist, kann der Gegner die Reihen wieder schliessen kann. Und damit ist der Aufwand dann unnötig. Zum anderen müssen die Leute auch mit der Schleuder ausgebildet werden.

Apvar
 
Nur so als unbedarfte Vermutung, sind Speere nicht viel unhandlicher als die kleineren Pfeile? In einer Schlacht kann man mehrere Pfeile im Köcher mitführen, also vielfach abschießen. Wieviele Speerschleuderspeere sind bequem mitzuführen?
Außerdem liefert man dem Gegner die Munition, er braucht den Speer doch nur aufzuheben und hat eine Nahkampfwaffe.
 
und das müssen sie mit einer Ankyle nicht?

Bleibt immer noch die überlegene Feuerkraft.
 
Nur so als unbedarfte Vermutung, sind Speere nicht viel unhandlicher als die kleineren Pfeile? In einer Schlacht kann man mehrere Pfeile im Köcher mitführen, also vielfach abschießen. Wieviele Speerschleuderspeere sind bequem mitzuführen?
Außerdem liefert man dem Gegner die Munition, er braucht den Speer doch nur aufzuheben und hat eine Nahkampfwaffe.

Na das würde gegen den Speerwerfer an sich sprechen, aber Speerwerfende Truppen hat es ja gegeben.
 
Die Wurfspeere (zumindest in der römischen Armee nach den Heeresreformen), wurden geschleudert bevor man in den Nahkampf ging und sollten aufgrund ihrer Bauweise die Formation des Gegners stören indem sie Schilde unhandlich machten oder ihn verwundeten. Sie waren also keine wirkliche Distanzwaffe da sie vermutlich auf 20-25 Meter geschleudert wurden. Die Wurfspeere als "Plänklerwaffen" wie sie bei Polybios beschrieben wurden hatten wohl eine andere Bauweise. Es ist natürlich die Frage (finde ich zumindest), wie viele Speere ein Soldat "mitschleppen" kann ohne übermäßig belastet zu werden. Hier sind Pfeile und/oder Schleuderbleie um einiges handlicher.
 
Die römischen Wurfspeere war nur an der Spitze gehärtet. Dadurch konnten sie in einen Schild eindringen. Der Schaft war nicht gehärtet. Durch das Gewicht des Schaftes wurde dieser verbogen. Und der Speer konnte nicht mehr aus dem Schild gezogen werden. Damit war das Schild als Schutz unbrauchbar. Und konnte nicht vom Gegner zurückgeschleudert werden.

Apvar
 
Ich würde auch meinen, dass der Atlatl aufgrund pragmatischer Gründe in den meisten Fällen aufgegeben wurde.
Genannt wurde schon die Reichweite:
Zwar ist die Reichweite des Atlatl gegenüber der des Wurfspeeres wesentlich höher, jedoch gegenüber der des Pfeils bei Pfeil und Bogen, die ja je nach Art und Zuggewicht des Bogens zwischen 250 und 900 m (sic!) liegt, unterlegen.
Ebenfalls wurde die Praktikabilität des Transports/Transportkapazität/Quantität genannt. Man kann in einem Seiten- oder Rückenköcher gut 20 - 30 Pfeile transportieren, Wurfspeere kann man aber nur in der Hand transportieren. Ohne Tragetasche praktikablerweise kaum mehr als 2. Eine Tragetasche für die Wurfspeere mag zwar bei der Jagd akzeptabel sein, in einem Kampf mit seiner Dynamik ist dies aber unpraktisch, und auch aufgrund der Länge der Wurfspeere hinderlich.
Was die römischen pila angeht, so wurde ja schon richtig erwähnt, dass sie eine ganz bestimmte taktische Funktion hatten, nämlich die, Schilde unbrauchbar zu machen. Als Fernwaffen setzten die Römer dagegen Schleuderbleie, Pfeile und Torsionsgeschütze ein. Das pilum ist also nicht als Fernwaffe im eigentlichen Sinne zu betrachten.
Als weiteres Argument mag die Physiognomie herangezogen werden: Ich stelle mir vor, dass die Schleuderbewegung mit dem Atlatl bald auf das Schultergelenk gehen, sprich Schmerzen verursachen worde.
Dass der Atlatl dennoch in mesoamerikanischen Hochkulturen bis in die Neuzeit Benutzung erfahren hat, mag daher vielleicht tatsächlich, wie schon in einem der vorherigen Beiträge angedeutet, eher an der ritualisierten Kriegführung dieser Kulturen liegen - bei Gefahr der Romantisierung dieser Kulturen und ihrer Kriegführung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Na das würde gegen den Speerwerfer an sich sprechen, aber Speerwerfende Truppen hat es ja gegeben.
Es war aber tatsächlich so, dass der Wurfspeer in der Antike zunehmend außer Gebrauch kam, wenngleich aber nicht komplett verschwand. Allerdings scheint es mir so gewesen zu sein, dass leichte Truppen, die ursprünglich nur mit Wurfspeeren ausgerüstet waren und daher für den Nahkampf untauglich waren, zunehmend zu Allzweck-Truppen umgerüstet oder durch solche ersetzt wurden, die neben dem Wurfspeer auch noch Waffen und die nötige Rüstung für den Nahkampf trugen. Ich würde den Grund für den Rückgang des Wurfspeers daher eher darin sehen, dass rein mit Wurfspeeren ausgerüstete Truppenteile vermutlich zunehmend als zu wenig einsatzfähig angesehen wurden, da sie in der Schlacht nach dem Werfen sämtlicher Wurfspeere nutzlos wurden und wenig entgegenzusetzen hatten, wenn es dem Feind gelang, sie in einen Nahkampf zu verwickeln. (Immerhin mussten Speerwerfer erheblich näher ran an den Feind als Bogenschützen und Schleuderer, waren also auch leichter zu fassen.)

- Bei den Römern verschwanden die mit Wurfspeeren ausgestatteten Velites im Zuge der "Marius-Reform". Den Einsatz des Pilum durch die Legionäre haben Afkpu und Apvar schon geschildert.
- Bei den Griechen trugen die Peltasten anfangs hauptsächlich Wurfspeere, aber ab dem 4. Jhdt. verwendeten sie teils stattdessen, teils ergänzend dazu, zunehmend die Stoßlanze. Die im Hellenismus eingesetzten Thorakitai und Thureophoroi verwendeten ebenfalls sowohl Wurfspeere als auch die Stoßlanze.

Es gab aber auch Ausnahmen:
- Die Makedonier setzten ab Philipp II. auch Agrianoi (eigentlich Angehörige eines bestimmten thrakischen Stammes) ein, die mit Wurfspeeren ausgerüstet waren. Sie blieben bis zum Untergang Makedoniens in Gebrauch.
- Die Byzantiner setzten mit den Psiloi wieder reine Speerwerfer ein.

Erwähnenswert ist auch noch der Einsatz von Wurfspeeren durch Reiter, vor allem bei den Numidiern, aber auch den Iberern.
 
naja, wer sagt denn, das die Speerschleuder ausgestorben ist/war in Europa?
Es gibt zumindest "Pfeilspitzen" die aufgrunf ihrer Größe keine sein können.
~100mm lang, Schaftdurchmesser >12 mm, so eine Spitze kann man mit keinem Bogen verschießen und auch nicht als Speer aus der Hand werfen, dafür ist der Durchmesser dann zu klein.
@ Elquichote:
Teile mal die Zahlen für die Reichweite von Pfeilen durch 3, dann wird´s glaubhafter und reicht immer noch. 900m mit einem normalen Pfeil und einem Reiter- oder Langbogen ist physikalisch unmöglich, die Bogenenden müssten sich dazu mit Überschallgeschwindigkeit bewegen.
Rekorde und dann mal den Links folgen und die Bedingungen dazu studieren. Und bitte nicht gr und g verwechseln, 1 000 gr sind 64, 8g oder 0,064kg
 
naja, wer sagt denn, das die Speerschleuder ausgestorben ist/war in Europa?
Es gibt zumindest "Pfeilspitzen" die aufgrunf ihrer Größe keine sein können.
~100mm lang, Schaftdurchmesser >12 mm, so eine Spitze kann man mit keinem Bogen verschießen und auch nicht als Speer aus der Hand werfen, dafür ist der Durchmesser dann zu klein.
@ Elquichote:
Teile mal die Zahlen für die Reichweite von Pfeilen durch 3, dann wird´s glaubhafter und reicht immer noch. 900m mit einem normalen Pfeil und einem Reiter- oder Langbogen ist physikalisch unmöglich, die Bogenenden müssten sich dazu mit Überschallgeschwindigkeit bewegen.
Rekorde und dann mal den Links folgen und die Bedingungen dazu studieren. Und bitte nicht gr und g verwechseln, 1 000 gr sind 64, 8g oder 0,064kg

Ich habe noch mal recherchiert. Es gibt in Istanbul einen Stadtteil mit Namen Okmeydanı. Übersetzt heißt das in etwa Bogenschussfeld. Aus dieser Zeit Noch erhalten sind in diesem Stadtteil Säulen, die Bogenschussweiten markieren. Die Bogenschussweite von 900 (korrekt 880 Metern) soll durch den britischen Botschafter Robert Ainslie überliefert sein, der mit Sultan Selim III. geschossen haben soll. Allerdings gibt es wohl in Okmeydanı keine Säule, die diesen Schuss dokumentiert, so dass er wohl tatsächlich ins Reich der Legende zu verbannen ist. Bogenschussweiten von gut 600 m scheinen aber tatsächlich dokumentiert zu sein.
 
Mir helfen diese Infos schon mal.

1. ElQuijote
Ich bin beileibe kein Experte für altamerikanischen Kulturen, aber war die Kriegsführung der Mesoamerikanischen Völker nicht nur gegen Ende so degeneriert dass sie sich nur noch auf die Gefangennahme und den Ritualisierten Kampf spezialisierten? Und dann bleibt immer noch der einsatz zur Jagd bei verschiedenen Völkern.

2. Wilfried
Aus welcher Zeit und Region stammen diese übergroßen Pfeilspitzen?
Wären "ritualisierte" Pfeilspitzen nicht in Erwägung zu ziehen? Sind die Geräte aus Metall?
Gibt es zur Zeit römischer Berichterstattung noch Berichte über Speerschleudern? Denn die Gräberarchäologie könnte uns ein falsches Bild vermitteln?.

3.Noch mal El Qijote
Nun sind türkische Kompositbögen aus dem 19. Jahrhundert wohl die Königsklasse aller nicht modernen Bögen und lassen sich nicht direkt mit Antiken und Steinzeitbögen vergleichen, da hat ja schon noch eine Entwicklung in der Handwerkskunst stattgefunden.

Bisher wurde mir jedenfalls kein technischer Aspekt zugetragen der gegen eine Speerschleuder sprechen würde. Ich denk es wird auf eine praktische Gegenüberstellung hinauslaufen müssen. Vielleicht fällt es mir wie Schuppen von den Augen wenn ichs selbst mal getestet habe.

Da fällt mir direkt noch eine Frage an unsere Schriftgelehrten ein. Gibt es irgendwelche Berichte über Befiederung antiker Wurfspeere? Da kenn ich nämlich nix.
 
Befiederung? Ehrlich gesagt hätte ich dementsprechend, zumindest für den römischen Raum nichts gehört, die Wurfspeere in der Frühzeit Roms, besonders die der leichtbewaffneten dürften noch eher primitiv ausgesehen haben. Ich weiß auch, dass hier in einem Thread mal über die Entstehung des Pilums und seinen Veränderungen in den Zeiten der Reformen des Marius diskutiert wurde aber eben jenen Thread finde ich gerade nicht -.-
 
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