Erwig und der Thron Wambas. Oder: Wie man richtig usurpiert

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Die Chronica Adefonsi III. berichtet folgendes über den Thronwechsel von Wamba auf Erwig:
"Qui Ervigius quum esset palatina peritia enutritus et honore comitis sublimatus, elate et callide adversus regem excogitans herbam, cui nomen est spartus, illi in potum miscuit, et statim regi memoria est ablata; quumque episcopus civitatis seu obtimates palatii, qui regi fideles erant, quibus penitus causa potionis latebat, vidissent regem absque memoriam iacentem, causa pietatis commoti, ne rex inordinate migragret, statim ei confessionis et penitentie ordinem dederunt; quumque rex a potione convaluisset et ordinem sibi impositum cognovisset, monasterium petiit; ibique quamdiu vixit in religione permansit." (Zitat nach Version aus Oviedo (''Ovetensis''))
Zusammengefasst: Erwig hat seinem Onkel ein Kraut namens Spartus (Esparto-Gras?) in sein Getränk gemixt und ihn damit zeitweilig außer Gefecht gesetzt - frühmittelalterliche K.O.-Tropfen sozusagen. Er wurde dann in eine Mönchskutte gesteckt und bekam eine Tonsur verpasst. Dies von seien Getreuen, denen die Vergiftung verborgen geblieben war. Als Wamba wieder zu sich kam und feststellte, dass er konsekriert worden war, also nicht mehr amtsfähig, dankte er zugunsten Erwigs ab und zog sich ins Kloster zurück.

Die Glaubwürdigkiet dieser Episode ist umstritten. In der Historia Wambae regis des Zeitgenossen Julian von Toledo wird leider nur Wambas Feldzug gegen einen Usurpator - den untreuen Paulus - in Gallien behandelt.

Dietrich Claude in Adel, Kirche und Königtum im Westgotenreich hält die Vergiftungsepisode genauso wie A. Barbero und M.I. Loring in The Catholic Visigothic Kingdom, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 1 für plausibel; gegen ihre Historizität argumentieren dagegen Alexander Pierre Bronisch im entsprechenden Eintrag des Reallexikons für germanische Altertumskunde und Roger Collins in Visigothic Spain 409−711.
Das Problem ist, dass unsere, aus dem frühen 10. Jahrhundert stammende Quelle die einzige auf uns gekommene Quelle ist, welche die Episode überliefert, ca. 230 Jahre nach den erzählten Ereignissen. Aber zu welchem Zweck sollte die Vergiftung 230 Jahre später erfunden worden sein?
 
Ich fühle mich bei diesem Thema absolut nicht sattelfest und die Frage lädt zum Spekulieren ein...


Es kommen hier mehrere Aspekte zusammen, die nur aus der westgotischen Geschichte verständlich sind und Parallelen zur späteren Geschichte bei den Franken aufweisen [Machtwechsel von Merowingern zu den Karolingern]. Es geht darum einen amtierenden Herrscher „legal“ zu entmachten, wobei sich darin der typische (,spätere) Machtkampf zwischen den beiden Mächten des Mittelalters (Königtum/Kaisertum gegen die Kirche) um die Vormacht stark andeutet.


Wamba selbst war zum König gewählt worden und wurde nachträglich als erster (bekannter?) König des Mittelalters auch zum König durch die Kirche gesalbt. Vor ihm hatte Chindaswinth versucht eine Dynastie zu etablieren, dabei seinen Sohn als Nachfolger durchgesetzt und gewaltige Reformen im Staat gegen Adel und Kirche mit Gewalt erzwungen. Bei den Westgoten dominierte nämlich das Wahlrecht, nicht das dynastische Prinzip. Aus Sicht von Adel und Kirche waren die beiden Vorgänger des Wamba daher Tyrannen gewesen und sie kommen in der Überlieferung nicht eben gut weg. Wamba selbst wird positiv beschrieben, wohl nicht zuletzt, weil er die härtesten Änderungen seiner Vorgänger zurücknahm oder abmilderte. Er wurde dadurch zum „guten König“!



Aber er ging nicht weit genug und beanspruchte weiter eine absolute Verfügungsgewalt über die Reichskirche, wobei er es nicht einmal für nötig empfand, seine Maßnahmen durch eines der vielen Konzile im gotischen Reich absegnen zu lassen. Unter anderen Umständen hätten ihm solche Maßnahmen bestimmt eine sehr negative, literarische Überlieferung beschert. Es besteht kein Zweifel daran, dass Wamba auf dem Thron durch Erwig ersetzt wurde. Der ehemalige König selbst wurde durch Tonsur und Aufnahme in den „geistlichen Stand“ regierungsunfähig gemacht und in ein Kloster abgeschoben. Ähnliches sollte zahlreichen fränkischen Merowingern noch bevorstehen, die als Könige ersetzt werden sollten (Stichwort „Schattenkönige“).



Was sprach also gegen Wamba? Wamba setzte weiter mit harter Hand seine Personal- und Organisationspolitik in der Reichskirche durch. Durch die Art seines Abtritts vom Amt konnte eine kirchlich/sakrale Maßnahme als stärker als die königliche Macht auftreten. Durch die tatsächliche (- oder auch nicht -) Episode mit der Vergiftung konnte der Machtwechsel publikumswirksam „sauber“ abgewickelt werden. Entsprechend konnte das Ansehen des Wamba auch durch kirchliche Autoren weiterhin gelobt werden und ein womöglich später eskalierender (???) Konflikt mit der Kirche ausgeblendet werden. Wamba bekam einen sauberen Abgang: Kirche und Adel waren zufrieden, weil beide ihre Macht und Bedeutung wiedererlangen konnten und das öffentliche Ansehen des Königtums wie seines entmachteten Trägers gewahrt werden. Dafür WÄRE die Erfindung einer „Giftepisode“ nahezu ideal. Denn ein sich sterbend wähnender König hätte wohl kaum auf die kirchlichen Sterbesakramente verzichten wollten. Julian von Toledo, als Zeitgenosse Wambas schildert ihn positiv und er war bereits Metropolit von Toledo, als er gestürzt wurde. Man fragt sich wie weit er als oberster Kirchenmann des Reiches, der in dessen Zentrum residierte bei den Vorgängen involviert war, die zur Regierung Erwigs führte? Als die Chronik aus der zitiert wurde entstand, war der eigentliche Investiturstreit im HRR noch nicht ausgebrochen, er schwingt aber zwischen den Zeilen durchaus an..


Ohne die vorherigen, rigiden Regierungsmaßnahmen des Chindaswinth und seines Sohnes muss die Episode unverständlich bleiben und war dem Fragesteller bestimmt bewusst.
Soweit meine Meinung zu dieser etwas spekulativen Frage… ^^

Edit:
Wamba wird in der "Historia Wambae Regis" von Julian von Toledo als vorbildlicher Herrscher gelobt. Julian war erst weniger als 1 Jahr Metropolit von Toledo (= oberster Kleriker im Westgotischen Reich!), als der uns interessierende Machtwechsel stattfand. Da Erwig nach seiner Thronbesteigung die Macht der Kirche in seinem Reich wesentlich erweiterte und auch gerade das Amt des Metropoliten von Toledo aufwertete, sind meine Ausführungen oben vielleicht besser zu verstehen.
Wie bereits betont sind die Regierungszeiten von Chindaswinth und Rekkeswinth von Bedeutung zum Verständnis. Weiterhin beweist die lange Reihe von Reichskonzilen (Konzile von Toledo) im Gotenreich die Bedeutung der Kirche darin. Man zählt gewöhnlich 18 Konzile von Toledo. All diese Konzile fanden bis auf das Erste unter Westgotischer Herrschaft statt, auch wenn erst zum 3. Konzil ein katholischer König regierte. Das letzte Konzil von Toledo fand wenige Jahre vor dem Untergang des Reiches statt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wamba selbst war zum König gewählt worden und wurde nachträglich als erster (bekannter?) König des Mittelalters auch zum König durch die Kirche gesalbt.

War die Königssalbung nicht eine "Erfindung" der Karolinger, als Nachempfindung der Salbung des David durch Samuel?

Was sprach also gegen Wamba? Wamba setzte weiter mit harter Hand seine Personal- und Organisationspolitik in der Reichskirche durch. Durch die Art seines Abtritts vom Amt konnte eine kirchlich/sakrale Maßnahme als stärker als die königliche Macht auftreten. Durch die tatsächliche (- oder auch nicht -) Episode mit der Vergiftung konnte der Machtwechsel publikumswirksam „sauber“ abgewickelt werden. Entsprechend konnte das Ansehen des Wamba auch durch kirchliche Autoren weiterhin gelobt werden und ein womöglich später eskalierender (???) Konflikt mit der Kirche ausgeblendet werden. Wamba bekam einen sauberen Abgang: Kirche und Adel waren zufrieden, weil beide ihre Macht und Bedeutung wiedererlangen konnten und das öffentliche Ansehen des Königtums wie seines entmachteten Trägers gewahrt werden. Dafür WÄRE die Erfindung einer „Giftepisode“ nahezu ideal. Denn ein sich sterbend wähnender König hätte wohl kaum auf die kirchlichen Sterbesakramente verzichten wollten. Julian von Toledo, als Zeitgenosse Wambas schildert ihn positiv und er war bereits Metropolit von Toledo, als er gestürzt wurde. Man fragt sich wie weit er als oberster Kirchenmann des Reiches, der in dessen Zentrum residierte bei den Vorgängen involviert war, die zur Regierung Erwigs führte? Als die Chronik aus der zitiert wurde entstand, war der eigentliche Investiturstreit im HRR noch nicht ausgebrochen, er schwingt aber zwischen den Zeilen durchaus an. [...] Wamba wird in der "Historia Wambae Regis" von Julian von Toledo als vorbildlicher Herrscher gelobt. Julian war erst weniger als 1 Jahr Metropolit von Toledo (= oberster Kleriker im Westgotischen Reich!), als der uns interessierende Machtwechsel stattfand.

Das Problem ist ja, dass die Vergiftungsepisode erst 230 Jahre später erzählt wird, Erwig wird in dieser Quelle dann kaum noch bedacht, nur dass er ein Tyrann gewesen sei und die Gesetze seines Vorgängers missbraucht oder beschädigt habe. Seine Regierungszeit wird mit sechs Jahren und vier Monaten angegeben. Es ist doch auch verwunderlich, dass Julian, der nach Wambas erzwungener Abdankung und seinem Tod noch einige Jahre lebte - und auch Erwig überlebt haben müsste, überhaupt nichts von dieser Episode oder dem Thronwechsel überhaupt, hören lässt.

Bei späteren Königen - naja, eigentlich Rebellen - wird im Übrigen von sehr viel weniger sauberen Methoden gesprochen. Die landen zwar auch alle im Kloster, aber erst, nachdem man sie blendete.
 
War die Königssalbung nicht eine "Erfindung" der Karolinger, als Nachempfindung der Salbung des David durch Samuel?
Nein, Wamba wurde am 19.9.672 in Toledo vom Metropoliten Quiricus gesalbt. Angeblich wird das von Julian von Toledo in seiner "Historia Wambae regis" berichtet, die ich aber nicht vorliegen habe.
 
Das Datum steht dort zwar nicht, aber die Salbung wird dort tatsächlich beschrieben:
At ubi ventum est, quo sanctae unctionis vexillam susciperet, in praetoriensi ecclesia, sanctorum scilicet Petri et Pauli regio iam cultu conspicuus ante altare divinum consistens, ex more fidem populis reddidit. Deinde curbatis genibus oleum benedictionis per sacri Quirici pontificis manus vertici eius refunditur et benedictionis copia exibetur, ubi statim signum hoc salutis emicuit.Nam mox e vertice ipso, ubi oleum ipsum perfusum fuerat, evaporatio quaedam fumo similis in modum columnae sese erexit in capite, et e loco ipso capitis apis visa est prosilisse, quod utique signum cuiusdam felicitatis sequuturae speciem portenderet.

Bei der digitalen Monumenta Germanie Historica (dMGH | Suche) findet man diese Texte i.d.R. recht zügig.
 
Warum die Geschichte m.E. glaubwürdig ist:

Die Chronik Alfons III. ist im 10. Jahrhundert entstanden, wie schon festgehalten um 230 Jahre nach dem Thronwechsel von Wamba auf Erwig. In dieser Chronik ist mehr als einmal von Usurpationen oder auch nur versuchten Usurpationen die Rede.
Diese Usurpationen enden alle gleich: Derjenige, der sich durchsetzen kann, steckt seinen Gegner, nachdem er diesen geblendet hat, in ein Kloster. Die Ausnahme ist Wamba, der nicht geblendet wird und sogar noch in der Lage ist, das Dokument zu unterzeichnen, welches Erwig zu seinem Nachfolger macht.
Dieser Sachverhalt in die Chronik aufgenommen transportiert also die Erinnerung daran, dass jemand, der einmal in den geistlichen Stand aufgenommen worden war, kein säkulares Amt mehr übernehmen konnte, wie wir das in späteren Jahrhunderten erleben.
So hat etwa Alfons IV. von Asturien freiwillig abgedankt um ins Kloster zu gehen, und überließ den Thron seinem Bruder Ramiro II. Einige Zeit später überlegte er es sich aber wieder anders und nutzte die Abwesenheit seines Bruders, um sich seinen Thron, der er zuvor aufgegeben hatte, wiederzuholen. Ramiro kehrte daraufhin zurück und blendete nicht nur seinen Bruder, sondern auch andere mögliche Usurpatoren.
Wieder gut 200 Jahre später wurde ein anderer Ramiro, mit derselben Ordnungszahl, aber dem Herrschaftsbereich Aragón gegen seinen Willen aus dem Kloster geholt und auf den Thron gesetzt, nachdem seine beiden älteren Brüder Pedro und Alfonso es nicht geschafft hatten, die Dynastie zu sichern. Ramiro der Mönch erfüllte seine königliche Pflicht, bis seine Frau eine Tochter gebar. Die wurde mit zwei Jahren in die Obhut des Grafen von Barcelona gegeben und mit diesem verlobt, Ramiro kehrte ins Koster zurück, seine Frau wurde ebenfalls konsekriert.
Alfons II. und Ramiro der Mönche sind Beispiele dafür, dass zu ihrer Zeit etwas ging, was in der Zeit Wamabas nicht ging: Die Rückkehr aus dem Kloster auf den Thron. Es bedurfte also, um jemanden als König unschädlich zu machen - und wir kennen das nicht nur aus dem asturischen Reich sondern auch von den Karolingern, der körperlichen Unvollkommenheit, um definitiv nicht regierungsgeeignet zu sein. Also beraubte man Konkurrenten um den Thron des wichtigsten Sinnes: Des Auges.
Dass dies in westgotischer Zeit noch nicht notwendig war und dass man sich dessen in der Chronik Alfons' III. erinnert, ist daher als Beleg für die Historizität der Erzählung zu werten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Frage ist doch auch, ob die Vergiftungsepisode erst in der Chronica erstmals schriftlich fixiert wurde (und bis dahin allenfalls nur mündlich überliefert wurde) oder ob es eine verlorene ältere schriftliche Quelle gab. Grundsätzlich bleiben mündliche Überlieferungen maximal über 200 Jahre hinweg halbwegs zuverlässig. Die Vergiftungsepisode in der Chronica müsste also gar nicht unbedingt vom Autor erfunden worden sein, es könnte sich auch bloß um eine schriftliche Fixierung einer bereits einsetzenden Sagenbildung handeln.
 
War die Königssalbung nicht eine "Erfindung" der Karolinger, als Nachempfindung der Salbung des David durch Samuel?
dass die Salbung als (zusätzliche) Legitimation unter den germanischen frühmittelalterlichen Königen erstmals von den Karolingern praktiziert worden sei, hatte ich auch gedacht - der Wiki-Artikel über den westgotischen König Wamba nennt allerdings diesen als ersten zusätzlich zur Königswahl gesalbten König: Wamba ? Wikipedia
Wiki Wamba schrieb:
Es war die erste von Quellen ausdrücklich bezeugte Salbung eines Herrschers im Westgotenreich (und in der gesamten europäischen Geschichte), doch vermuten manche Historiker, dass es schon früher Salbungen gab.
 
Die Frage ist doch auch, ob die Vergiftungsepisode erst in der Chronica erstmals schriftlich fixiert wurde (und bis dahin allenfalls nur mündlich überliefert wurde) oder ob es eine verlorene ältere schriftliche Quelle gab. Grundsätzlich bleiben mündliche Überlieferungen maximal über 200 Jahre hinweg halbwegs zuverlässig. Die Vergiftungsepisode in der Chronica müsste also gar nicht unbedingt vom Autor erfunden worden sein, es könnte sich auch bloß um eine schriftliche Fixierung einer bereits einsetzenden Sagenbildung handeln.

Viel sagenhaftes sehe ich jetzt an dieser Stelle nicht. Was mich aber eigentlich stört ist die fett markierte Behauptung. Wer stellt auf was für einer Basis eine solche Regel auf? Ist das empirisch überprüft worden? Lässt sich das überhaupt empirisch überprüfen?

dass die Salbung als (zusätzliche) Legitimation unter den germanischen frühmittelalterlichen Königen erstmals von den Karolingern praktiziert worden sei, hatte ich auch gedacht - der Wiki-Artikel über den westgotischen König Wamba nennt allerdings diesen als ersten zusätzlich zur Königswahl gesalbten König: Wamba ? Wikipedia

Das hatten wir ja schon geklärt.
Allerdings hasse ich solche Angaben in der Wikipedia:
Wiki Wamba schrieb:
Es war die erste von Quellen ausdrücklich bezeugte Salbung eines Herrschers im Westgotenreich (und in der gesamten europäischen Geschichte), doch vermuten manche Historiker, dass es schon früher Salbungen gab.

Das ist so herrlich unkonkret.
 
Das hatten wir ja schon geklärt.
Allerdings hasse ich solche Angaben in der Wikipedia:
oh pardon, http://www.geschichtsforum.de/616396-post5.html hatte ich nicht gesehen - ja, ist geklärt.

Nach Wamba und Erwig ging es ja recht rasch bergab mit dem Westgotenreich, wobei mich erstaunt hat (ich kenne mich mit dem Ende der Westgoten nicht aus) dass es nach Roderich noch zwei westgotische Könige gegeben haben soll. Dazu zwei Fragen:
1. weißt Du, wie es im Verlauf des 8. Jh. mit den gotischen Adelsfamilien weiterging, auch wie und wohin das Gotenreich schrumpfte und bis wann überhaupt war in Spanien noch von "Goten / Wisigoten" die Rede?
2. irgendwo habe ich gelesen, dass das späte Westgotenreich quasi der erste "mittelalterliche Staat" gewesen sei, dass es keine Unterscheidung mehr zwischen Goten und hispanischen Provinzialen gab (das "Gotentum" war wohl auf den Adel begrenzt, die got. Sprache längst außer Gebrauch) - stimmt das so ungefähr?
 
Nach Wamba und Erwig ging es ja recht rasch bergab mit dem Westgotenreich, wobei mich erstaunt hat (ich kenne mich mit dem Ende der Westgoten nicht aus) dass es nach Roderich noch zwei westgotische Könige gegeben haben soll.

Zwischen 711, also der Schlacht am Guadalete und 722, als Pelayo, der mal als Spartarius, mal als Abkömmling eines asturischen Adelsgeschlechts augegeben wird, sich als Princeps und später König etablierte, gibt es eigentlich keinen christlichen Herrscher mehr in Spanien, lediglich lokale Fürsten, die sich mit den neuen Herren arrangieren. In Septimanien hat es offenbar so was wie einen einigermaßen organisierten Widerstand gegeben.


1. weißt Du, wie es im Verlauf des 8. Jh. mit den gotischen Adelsfamilien weiterging, auch wie und wohin das Gotenreich schrumpfte und bis wann überhaupt war in Spanien noch von "Goten / Wisigoten" die Rede?


Wie gesagt, es gab Leute, die sich mit den neuen Herren arrangierten, die Witwe Roderichs, Egilo(na) heiratete z.B. 'Abd al-Aziz ibn Musa. Theodemir konnte sein Territorium unter islamischer Herrschaft erhalten und die Banu Qasim konvertierten zwar zum Islam, hielten aber gute Beziehungen auch zu ihren christlichen Nachbarn. Am Hofe der Kalifen von Córdoba gab es im 10. Jahrhundert noch einen Beamten und Geschichtsschreiber, der sich auf die Tochter Sarah des Westgotenkönigs Witiza, des Vorgängers von Roderich zurückführte. Er ist uns als Ibn al-Qutiyya bekannt, was schlicht 'Sohn der Gotin' bedeutet.

2. irgendwo habe ich gelesen, dass das späte Westgotenreich quasi der erste "mittelalterliche Staat" gewesen sei, dass es keine Unterscheidung mehr zwischen Goten und hispanischen Provinzialen gab (das "Gotentum" war wohl auf den Adel begrenzt, die got. Sprache längst außer Gebrauch) - stimmt das so ungefähr?

Doch die Unterscheidung zwischen Goten und Provinzialen wurde lange aufrecht erhalten, wobei man unsicher ist, wer in der Spätphase noch als Gote verstanden wurde. Wie lange das Gotische noch gesprochen wurde, ist umstritten. Zum einen gibt es unbestreitbar germanische Wörter im Spanischen und Portugiesischen und das Namenmaterial ist zum Teil sehr germanisch, jedoch ist umstritten, ob die Goten überhaupt noch germanisch oder nicht doch längst Latein sprachen, als sie sich in Spanien ansiedelten.
 
Viel sagenhaftes sehe ich jetzt an dieser Stelle nicht.
"Sagenhaft" bedeutet ja nicht automatisch "komplett unrealistisch". Es reicht, wenn in der Überlieferung etwas dazuerfunden wurde.

Was mich aber eigentlich stört ist die fett markierte Behauptung. Wer stellt auf was für einer Basis eine solche Regel auf? Ist das empirisch überprüft worden? Lässt sich das überhaupt empirisch überprüfen?
Empirisch lässt sich das natürlich nicht wirklich überprüfen, und die Einschätzungen variieren natürlich auch stark. Man kann lediglich aus dem Vergleich von schriftlichen Quellen, die vermutlich ganz oder zumindest teilweise auf mündlicher Überlieferung basieren, mit anderen Quellen schließen, dass eine mündliche Überlieferung über maximal 200 Jahre hinweg halbwegs zuverlässig bleibt. Untersucht wurde das z. B. anhand von Herodot, allerdings weiß ich leider nicht mehr, wo ich das gelesen habe, kann jetzt also keinen Beleg nennen.

Zwischen 711, also der Schlacht am Guadalete und 722, als Pelayo, der mal als Spartarius, mal als Abkömmling eines asturischen Adelsgeschlechts augegeben wird, sich als Princeps und später König etablierte, gibt es eigentlich keinen christlichen Herrscher mehr in Spanien, lediglich lokale Fürsten, die sich mit den neuen Herren arrangieren. In Septimanien hat es offenbar so was wie einen einigermaßen organisierten Widerstand gegeben.
Was ist mit Agila II. und Ardo?
Und was ist eigentlich ein Spartarius? Eine andere Schreibweise für Spatharius?
 
Was ist mit Agila II. und Ardo?

In Septimanien hat es offenbar so was wie einen einigermaßen organisierten Widerstand gegeben.

Wir wissen im Prinzip nichts über diese Könige oder ihre Bedeutung. Die Chronik von 754 - und das ist zeitlich die nächste Quelle - erwähnt sie nicht. Agila prägte immerhin Münzen. Spätestens 721 ist aber auch Narbonne unter islamischer Herrschaft, wo die arabische Prägestätte Arbuna (Narbonne) in Betrieb genommen wird.

Und was ist eigentlich ein Spartarius? Eine andere Schreibweise für Spatharius?

Das <r> hat sich da hineingeschlichen (Vertipper? Freud'sche Fehlleistung?), es muss natürlich spat(h)rius heißen.
 
Zurück
Oben