Um die Schlacht zu beschreiben, hätte ein zeitgenössischer römischer Autor auch Dinge schreiben müssen, die seiner römischen Leserschaft vermutlich nicht gefallen hätten.
Beim Lesen römischer Quellen, egal ob zur Varusschlacht oder zu anderen Sachverhalten, habe ich nicht den Eindruck, dass die römischen Historiographen unangenehme Dinge wirklich verschwiegen hätten.
Für den Durchschnittsrömer stand a priori fest, dass Barbaren der römischen Waffenmacht nie standhalten können. Da muss schon die Widrigkeit des Wetters oder Verrat oder göttlicher Wille hinzukommen, damit ein Barbarenhorde eine römische Legion besiegen kann. Ein zeitgenössischer römischer Geschichtsschreiber hätte deshalb Mühe gehabt, den Verlauf der Schlacht zu beschreiben, ohne taktische Fehler des Varus oder seiner Legaten aufzudecken.
Und genau das sehe ich nicht so. Dass die Römer oftmals Probleme hatten mit anderen Völkern fertig zu werden, sieht man an dem Aufwand, den sie oftmals trieben und der kann auch dem Durchschnittsrömer nicht verborgen geblieben sein, zumal anzuzweifeln ist, dass der Durchschnittsrömer Adressat der Schriften war. Die Adressaten waren vielmehr die Mitglieder der römischen Elite und die hatten ein Interesse daran, ihren Gegner zu kennen.
In der Gegend von Kalkriese wäre das Verbrennen des Wagen sinnlos gewesen. Hätte die Varusschlacht aber in einer topografisch andersartigen weil sehr viel hügeligeren Gegend stattgefunden (wie etwa dem nördlichen Sauerland) hätte der von Varus gewählte (oder der ihm von den Germanen aufgezwungene) Rückszugsweg es erforderlich machen können, durch steile Abhänge begrenzte Flusstäler durchqueren zu müssen, und dort hätten die Maultiere die Wagen aufgrund der Steigung dann nicht mehr herausziehen können. In diesem Fall wäre das Verbrennen der Wagen sogar notwendig gewesen. Stehenlassen hätte auch gereicht, Standardvorgehensweise war aber wahrscheinlich Verbrennen.
Verbrennen ist taktisch unklug, es lässt nämlich nichts mehr übrig, was man plündern kann. Sprich, es hält die Verfolger auf den Fersen. Wenn man hingegen die Wagen schlicht zurücklässt, dann hat man zumindest die Chance, dass ein undisziplinierter Gegner, aus Angst, dass wenn er sich nicht seinen Anteil holt, ein anderer es macht, einhält und plündert. Parte et impera.
Solange sich eine "Standardvorgehensweise" nicht aus den Quellen ergibt, würde ich auch nicht von Wahrscheinlichkeiten sprechen.
Deine Vorstellung vom Nordrand des Wiehengebirges ist die von einer Kulturlandschaft, wie wir sie im 21. Jahrhundert kennen. Dass der Nordrand des Wiehengebirges auch damals schon eine Kulturlandschaft war, steht dabei völlig außer Frage, dennoch darf man sich eine Kulturlandschaft vor 2000 Jahren nicht so vorstellen, wie eine Kulturlandschaft heute. Noch vor wenigen Jahrzehnten hat man in ländlichen Bereichen neben den gepflasterten Straßen die sogenannten Sommerwege gekannt. Das waren Grünstreifen neben den gepflasterten Straßen, die man vor allem mit Fuhrwegen benutzt hat, weil die Pflasterung unangenehm war. Sobald es aber nur ein wenig feuchter war, waren die Sommerwege für Fuhrwerke nicht mehr gangbar und man musste die trockene Pflasterung wählen. Sprich: Es kommt gar nicht so sehr auf die zu überwindenden Steigungen an, als vielmehr auf die Trockenheit des Weges.
Wahrscheinlich wären die Maultiere aufgrund des Gefälles mit den Wagen auch garnicht erst heil den Abhang runtergekommen, fällt mir gerade mal so auf. Das Verbrennen der Wagen könnte also auch schon vor der Durchquerung des oben beschriebenen Hindernisses notwendig gewesen sein.
Selbst wenn man deiner Hypothese folgte: Irgendwie müssen sie ja dorthin gekommen sein...
Aber wenn du mal in die Quellen schaust, dann wirst du folgendes feststellen: Caecina wird von Germanicus in das Gebiet zwischen Ems und Lippe geschickt, um es zu verwüsten und und um sich mit Germanicus an der Ems zu treffen. Dieses Treffen an der Ems kann nur zwischen Greven (nördlich Münster) und der Emsmündung stattgefunden haben, da die Ems früher nur bis Greven schiffbar war (heute weniger weit). Anhand der Beschreibungen und des Umstandes, dass Caecina zum Treffpunkt wohl von der Lippe aus kam, ist dieser Treffpunkt wohl aller Wahrscheinlichkeit nach im münsterländischen Bereich der Ems zu suchen. Gemeinsam zog man dann zu den äußeren/weit entferntesten Brukterern (also jenseits der Ems? Die Brukterer siedelten ja beiderseits der Ems) um von dort aus zum Varusschlachtfeld zu kommen. Nach Bestattungsaktion und Verfolgung der Gegner, die sich nicht stellten kehrte man zur Ems zurück, um die Truppen wieder einzuschiffen oder anderweitig nach Hause zu schicken. Dreh- und Angelpunkt ist also der Treffpunkt an der Ems, den wir nicht kennen, dessen südlichster Punkt aber nur Greven/Schöneflieth gewesen sein kann. Sprich: zwischen Greven und Lingen können die sich an fast jedem Punkt getroffen haben. Für Greven würde sprechen, dass hier eine Furt war, die über einen Weg mit der Lippe verbunden war.
Den ganzen Tag gegen Germanen kämpfen macht hungrig, wenn es da abends keine ordentlich Mahlzeit gibt, ist man am nächsten Tag aber nicht voll einsatzfähig (zumindest wäre ich das nicht, ich hätte da im Zweifelsfall doch lieber noch ein wenig vom Maultier genascht

).
Die römischen Soldaten kannten schwere Strafen... Und, zur Wiederholung, es ist gar nicht gesagt, dass sie keine Lebensmittelvorräte mehr hatten. Schließlich hatten sie noch die Maultiere, die sie trugen und - wenn man denn Cassius Dio und seiner Verbrennungsgeschichte folgt - auch weiterhin Wagen. Es ergibt sich aus den Quellen also absolut nicht, dass die Römer hungerten oder die Notwendigkeit verspürt hätten, ihre Maultiere zu verspeisen. Die Kürze der Tage tut ein Übriges, dass man darüber nciht spekulieren muss.
Wenn der erste Angriff der Germanen auf Varus bei Kalkriese stattgefunden hätte, hätte sich Varus (wie eigentlich von jedem anderen Angriffsort aus auch) danach mit hoher Wahrscheinlichkeit in Richtung Westen/Rhein zurückgezogen, er hätte sich also von Kalkriese aus in Richtung Westen bewegt, wo dann irgendwo der letzte Teil der Varusschlacht stattgefunden hätte.
Varus wäre nach Kalkriese also durch ebenes Gelände marschiert. Dort wäre es für die Germanen mit der Taktik der Nadelstiche, also überraschenden kleineren Angriffen, schwierig geworden, weil man den Gegner in so einem Gelände relativ früh erkennen kann. Vor allem aber hätten sich die Römer dort wie Maelonn es auch schon sagte wieder formieren können, und mit ihrer gewohnten Kampfweise in Formation wären sie wieder ein sehr schwerer Gegner für die Germanen gewesen.
Zumal nach dem ersten Angriff auch noch sehr viele Römer lebten, daher der Hinweis auf das Marschlager von 3 Legionen. Wenn ein Lager von dieser Größe angelegt wurde, wird das aufgrund der Anzahl der dort unterzubringenden Legionäre auch benötigt worden sein.
Wobei wir nicht wissen, wie weit er gekommen wäre. Das ist immer das Problem bei solchen Spekulationen.
Ich verstehe aber immer noch nicht so recht, was das mit dem Dreilegionenlager zu tun haben soll, welches vor der Schlacht oder zu einem sehr frühzeitigen angelegt worden sein soll, als die Legionen noch einigermaßen intakt waren.
Nehmen wir mal an, es wäre nicht bloß wahrscheinlich, dass Kalkriese ein Ort der Varusschlacht war, sondern es wäre gesichert: Wie kommt man da auf die Idee das Dreilegionenlager westlich davon zu suchen?
Es gibt im Übrigen bei den Knochen, die man in Kalkriese gefunden hat, einen Befund, der nicht zu den meisten anderen Knochen passt, was von Kalkriesegegnern gerne isoliert betrachtet wird: Es wurden in einer der Grube relativ viele Handknochen gefunden. Rost erklärt diesen Fund so, dass es sich um Knochen gehandelt habe, die durch einen Verband zusammengehalten wurden und daher im Zusammenhang in den Boden kamen. Dies interpreiert Rost so, dass hier in Kalkriese bei früheren Kampfhandlungen verletzte Soldaten zu Tode kamen. Spricht also dagegen, dass wir in Kalkriese den Beginn der Kämpfe haben.
Varus wäre nach Kalkriese also durch ebenes Gelände marschiert.
Deine ganzen Überlegungen gehen immer davon aus als habe Varus absolute Bewegungsfreiheit gehabt. Und warum hätte er z.B. nicht den Hilinicweg wählen sollen, der in der Nähe von Kalkriese vorbei nach Haltern (Aliso?!? Nach Aliso hatten sich die Überlebenden der Varusschlacht geflüchtet) führte? Richtung Recke bedeutet weiterhin durchs Moor zu stapfen.
Auch deine Überlegung, dass, nur weil es sich um Flachland gehandelt habe, Gegner von weitem zu sehen gewesen seien, erschließt sich mir nicht ganz. Aber solange es keine Funde gibt, die auf Recke verweisen, brauchen wir darüber auch nicht weiter zu spekulieren.