Mir sagte mal ein Geschäftspartner in Litauen beim Rundgang in „Stalins Welt“ – Grutas Park bei Druskininkai (an der Grenze zu Weißrussland) –, man wird wohl nie ermitteln können, wie viel Opfer der Rote Terror gekostet hat.
Ich glaube und befürchte, da wird er wohl Recht haben.
Das ist natürlich wieder so eine ausgesprochen problematische Aussage. Weder Deine Kumpels, noch irgendjemand Anderes, den Du irgendwo getroffen hast, bilden ein Kriterium für die intersubjektive Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehalten von wissenschaftlichen Aussagen.
Demgegenüber werden Dir seriöse Forschungsergebnisse angeboten, die Du "locker" ablehnst. Jedem seine eigene Meinung.
Sicher gibt es Leute die das könnten, aber...
Aber will man’s von russischer Seite aus aufklären?
Und welche Unterlagen würden diesen Leuten zur Verfügung stehen, wie glaubwürdig sind diese und wie vollständig!!!???
Ja warum arbeiten die Russen diese unselige Vergangenheit nicht auf?
Da gibt es sicher etliche russische Historiker die das nur allzu gern machen würden.
Geht aber nur, wenn die staatlichen Archive (gesamte Archive der riesigen Sowjetunion), die Archive der KPdSU und des KGB (incl. aller ihrer Vorläufer!) komplett den Staat entzogen werden und unter demokratischer Verwaltung gestellt werden.
Weil, es zeigt sich doch sehr deutlich, der Staat hatte bis 90. daran kein Interesse und auch der neue Staat hat offensichtlich daran auch kein/wenig Interesse.
Und in diesen Feststellungen spricht 1. eine weitgehende Unkenntnis und 2. sind diese Aussagen hochgradig politisch kontaminiert; und 3. hat sich die Szene der Historiker zum Stalinismus deutlich verändert, eher glücklicherweise entpolitisiert. Mit ein paar Ausnahmen.
Der Standardeinstieg in das Thema bildet der Reader von Fitzpatrick. Und sie hat die ausgewiesensten Experten für die historische Erforschung des Stalinismus um sich versammelt.
A Researcher's guide to sources on Soviet social history in the 1930s - Google Books
Ansonsten findest Du mittlerweile fast keine einigermaßen seriöse Forschung zu dem Thema, die die Quellenlage refelktiert.
Ein relativ frühes Beispiel bietet Besymenski.
Stalin und Hitler: das Pokerspiel der Diktatoren - Lev A. Bezymenskij - Google Books
Aber auch neuere Forschungsergebnisse reflektieren fast immer die Quellenlage und die bietet seit Perestroika viel Licht und auch - noch zuviele - Schatten. Es ist nicht zu erwarten, dass es Quellen gibt, die eine grundsätzlich Neubewertung nach sich ziehen würden.
In diesem Sinne ist vieles, auch kritisch, bereits aufgearbeitet worden!!!!!!!!!!!!
Die entsprechende Literatur zu den neuesten und teils auch spektakulärsten Sammlungen von Quellen (Politbüro-Protokolle, Briefe von Stalin an Molotow oder die Korrespondenz von Stalin und Kaganovich) wurde bereits vorgestellt und von Dir u.a. en passant ignoriert.
The Stalin-Kaganovich Correspondence, 1931-36 - Joseph V. Stalin, L. M. Kaganovich - Google Books
Eine sehr gute Voraussetzung für Deine "virtuelle Bewerbung", die allerdings 30 Jahre zu spät kommt und eher in den Kalten Krieg gepasst hätte.
Zusätzlich ist die Behauptung, dass es keine ausreichende Motivation und keine ausreichenden Projekte zu empirisch basierten Aufarbeitung des Stalinismus geben würde, verkehrt. So wurden von Alexander Yakovlev die wichtige Dokumentensammlung "Rossia XX Vek" durch den Mezhdunarodnyi Fond "Demokratiia" herausgegeben.
Und ebenfalls ist beispielsweise die Sammlung von Viktor P. Danilov "Tragediia soverskoi" zu nennen.
Es ist vielmehr richtig, dass neue Ergebnis zum Stalinismus einfach nicht zur Kenntnis genommen werden, auch hier im Forum, weil sie nicht in das "liebgewordene" Geschichtsbild passen.
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PS: Die Aussagen zur Ermittling von Opferzahlen sind so, wie sie formuliert wurden ebenfalls nicht korrekt.
Es ist fraglich, ob es überhaupt möglich ist, die Opfer unterschiedlicher Ereignisse aufzuaddieren. Die Zwangsumsiedlungen und die Verfolgung von 30/31 und die Säuberungen in den 30er Jahren folgen unterschiedlichen politischen Motiven.
Zumindest für die "Säuberungen" im Kontext des Gulags lassen sich relativ präzise Zahlen benennen. Das entsprechende Referenzwerk dazu stammt von Klevniuk.
The History Of The Gulag: From Collectivization To The Great Terror - Олег Витальевич Хлевнюк - Google Books