naja, der antimoslemismus, antipaganismus, antbuddhismus ...
[...]
Dafür, das die Christen vor ihm alle anderen Religionen schon erfolgreich bekämpft hatten und ihm so nur die Juden geblieben waren, kann er nichts

Jetzt verstehe ich, was Du meinst. Dennoch denke ich, dass die in weiten Strecken der Christentums-Geschichte zutage getretene Anti-Haltung gegen Juden unter bestimmten Gesichtspunkten eine andere "Qualität" als z. B. die Anti-Haltung gegen Moslems, Heiden usw. aufweist.

Christentum und Judentum haben sich beinahe seit der Entstehung des Christentums aneinander gerieben. Eine klassische "christl." Sicht auf die Juden wurde bald, dass sich die Juden als Kollektiv stark versündigt hätten (z. B. weil sie Christus gekreuzigt hätten, oder einfach nur, weil sie verstockt seien, nicht an Christus glaubten, obwohl er ihnen persönlich gepredigt habe usw.) Das sind Kardinal-Vorwürfe, die man weder Heiden (obwohl man mit denen auch von Anfang an Probleme hatte) noch Moslems machen konnte oder wollte. Die Vorwürfe gegen das Judentum waren meiner Einschätzung nach an vielen Stationen der Kirchengeschichte tiefwurzelnder als die Vorwürfe gegen jede andere Religionsgemeinschaft oder sonstige Gruppe (außer vllt. gegen die Häretiker als Kollektiv. Dieser innerkirchliche Feind war vllt. noch ein größerer Erzfeind als die Juden.)
Nicht jeder Christ innerhalb des Laufes der Geschichte war Antijudaist, aber es gab unzweifelhaft antijudaistische Tendenzen i. d. Kirchengeschichte. Luther steht auch in dieser Tradition. Und deshalb denke ich, dass seine Judenfeindschaft nicht damit zu erklären ist, dass halt gerade keine Heiden oder Moslems zur Hand waren, sondern auf den Antijudaismus als einer traurigen Tradition innerhalb des Christentums fußt.
 
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naja, der antimoslemismus, antipaganismus, antbuddhismus ...

dem normalen Antijudaismus ist ja der andere christliche Glaube egal, Luther war auch der nicht egal. Außerdem ist eine Anti -- einstellung eben eine Einstellung "gegen" etwas.
Luther war aber "für" etwas...nämlich eine durch und durch christliche Gesellschaft. Und da passten eben die Juden nicht rein. Dafür, das die Christen vor ihm alle anderen Religionen schon erfolgreich bekämpft hatten und ihm so nur die Juden geblieben waren, kann er nichts
Und als Beispiel, wer dafür ist , das Eintracht Braunschweig deutscher Meister wird, hat zwar nichts gegen Bayern München, wird sich aber trotzdem über jede Niederlage der Bayern freuen. Ist der jetzt ein Antibayer?

Das leuchtet mir jetzt nicht ein ...

a) Die Türken waren zu dem Zeitpunkt noch nicht unbedingt endgültig "erfolgreich bekämpft"
b) Wenn ich FÜR eine rein christliche Gesellschaft bin, müssen die Juden verschwinden ... und dann bin ich doch gegen sie? Sonst könnte man ja auch bei den Nationalsozialisten argumentieren, dass sie für eine "rein arische Gesellschaft", aber doch keineswegs gegen Juden waren?
c) Wer dafür ist, dass Deutschland "deutsch" ist, hat nix gegen Ausländer, freut sich aber über jeden, der Deutschland verlässt bzw. gar nicht erst kommt?

Antisemitismus hat oft eine rassistische Komponente, ok ... aber mir ist nicht klar, wieso man Luther vom Antijudaismus (Ablehnung des Judentums aus religiösen Motiven) frei sprechen sollte?
Tante Wiki sieht das übrigens so: "Heute wird überwiegend die Kontinuität des Antijudaismus in Luthers Theologie herausgestellt, die mit seiner Lehre von Gesetz und Evangelium zusammenhing und dem Judentum nur die Rolle des verworfenen Volkes und Beispiels für Gottes Zorngericht ließ. Die Herkunft einiger seiner Klischees aus Hetzschriften von Antonius Margaritha und der katholischen Tradition wurde genauer erforscht. Konsens besteht darin, dass Luther nicht rassistisch dachte, aber den Frühantisemitismus anbahnte und das Versagen des Protestantismus in der NS-Zeit mit ermöglichte."
( Antijudaismus ? Wikipedia )
 
Noch als Nachtrag, denn der Braunschweig - Bayern Vergleich war ja doch recht griffig und gestern wusste ich evtl. nicht so genau zu erklären, warum er mich stört ...
Wenn ich dafür bin, dass Braunschweig Meister wird, bin ich kann Anti-Bayer ... stimmt jetzt erst einmal. Aber es kommt drauf an, welche Blüten dieses "für Braunschweig" treibt ... wenn ich mich freue, dass ein Spieler von Bayern sich verletzt, es gut finde, wenn der Torhüter mit Bananen beworfen wird, plane, dem Reisebus des Vereins die Scheibe einzuwerfen, andere Fans dazu auffordere, gegen Bayernfans gewalttätig zu werden ... dann finde ich wird aus einem reinen "für Braunschweig" ganz schnell ein "gegen Bayern". Und genau das kann man über Luther meiner Meinung nach eben auch sagen.
 
Bitte versteht meine Einwürfe jetzt nicht falsch.
Genau wie ein Chauvinist kein Rassist ist, im extremfall will er ja alle anderen rausschmeißen /umbringen, also nicht nur Leute anderer Hautfarbe, genauso ist Luther kein Antijudaist/Antisemit.
Ob sich jetzt später andere auf ihn berufen, tut nichts zur Sache.
Die damalige protestantische Sicht von christlicher Religion schloß die Akzeptanz von Juden/andersgläubigen in der Nachbarschaft etc. eigentlich aus.
Da war Martin Luther nicht allein.
Aus heutiger Sicht:
Luther war kein Antisemit, er war schlimmer ...
 
Die damalige protestantische Sicht von christlicher Religion schloß die Akzeptanz von Juden/andersgläubigen in der Nachbarschaft etc. eigentlich aus.


Wieso?

Da war Martin Luther nicht allein.

Allein nicht, aber es gab auch andere:

Osiander galt als Kenner der hebräischen Sprache und der jüdischen Mystik. Er suchte anders als Luther einen echten Dialog mit den Juden, setzte sich energisch für ihre Rechte ein und lehnte jede Form des Antijudaismus ab.
Andreas Osiander ? Wikipedia
 
Antijudaistisch verstehe ich.
Antisemitisch verstehe ich nicht.

Wir haben doch in der Geschichte immer wieder Erscheinungen, wo man sich auf jemand aus der Vergangenheit beruft bzw. diesen auch gern als Lehrvater, als Vorbild, aber mitunter auch als Alibi benutzt.

Hier bin ich überzeugt davon, dass es sich bei einigen Meinungen, die man da so im Internet liest, mehr um eine Alibibeschaffung handelt.

Gefragt hat man ihn ja nicht ob ihm das Recht ist, ob er es so gemeint hat, ob das seine Überzeugung ist wie es einige in den nachfolgenden Generationen auslegen und für ihre Zwecke ggf. instrumentalisieren bzw. ausnutzen, vielleicht kann man auch sagen missbrauchen.

Wie soll man aber auch jemanden Fragen der verstorben ist?
Ja eben, das ist für mich der Knackpunkt.
Und ich komme zurück, Antijudaistisch ist wohl aus einigen seiner Werke herauszulesen, aber ich bezweifle, dass da der Geist eines Antisemitismus erkennbar ist.

Habe mir diesen Thread zum Anlass genommen, um wieder mal die Rede vor dem Reichstag zu Worms, April 1521 zu Gemüte zu führen:

è Wem es interessiert -> Klick.

Hier ist wohl sicher das herauszulesen, was einige User in ihren Beiträgen ganz klar zum Ausdruck gebracht haben.

Wenn mir noch die Bemerkung gestattet sein, bitte aber nicht als Abschweifung vom Thema verstehen.
Im Schulunterricht der DDR wurde ja Luther auch behandelt.
Kann mich nicht erinnern, dass da jemals die Rede war, dass Luther ein Antisemitist war.
Hingewiesen wurde da mehr auf sein Verhalten zum Bauernkrieg und seiner Schrift: „wider die …“.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die damalige protestantische Sicht von christlicher Religion schloß die Akzeptanz von Juden/andersgläubigen in der Nachbarschaft etc. eigentlich aus.
Wenn ich es richtig verstehe, meinst Du, dass Luther kein Antijudaist war, weil er ein Gegner aller Andersgläubigen war, und die Juden nur gerade in der "Nachbarschaft" lebten und deswegen von Luther speziell angegangen wurden (natürlich nur verbal). Hätte es in Luthers Nachbarschaft eine 'Buddhisten-Gasse' gegeben, wären diese Nachbarn genauso angegangen worden. Wir nennen Luther aber nicht speziell Buddhisten-Feind, also können wir ihn auch nicht speziell Antijudaist nennen.

Ich verstehe die Logik, aber vllt. ist sie noch nicht ganz ausgereift. Ich z. B. kann eines besonders nicht leiden: Füchse und Marder bei uns im Garten, die meine Hühner besuchen kommen. Ich bin Fuchs-Feind (freilich nur da, wo meine Hühner laufen; sonst wunderbare Tiere diese Reinekes). Jetzt müsstest Du sagen: Nein, nein, nein. Du bist kein Fuchs-Feind, sondern du bist generell ein Raubtier-Feind. Denn die Füchse befinden sich zwar zufällig in deiner Nachbarschaft, aber würden Bären oder Wölfe zu Deinen Hühnern kommen, wärst du ja gegen die genauso.
Ich dazu: Stimmt! Aber trotzdem trifft meine Behauptung, dass ich Fuchs-Gegner bin, voll und ganz zu! Und in diesem Sinne trifft auch die Behauptung, dass Luther Antijudaist war, voll und ganz zu.
Das zur Logik (die man mit einem anderen Beispiel allerdings auch in Deine Richtung biegen kann). Hab sie mir ein bisschen zurecht gebogen - zugegeben. Ich habe das vornehmlich deshalb getan, weil ich darüber hinaus den Gedanken nicht abschütteln kann, dass die Judenfeindschaft in Teilen der Christentums-Geschichte und auch bei Luther viel tiefschürfender theologisch-religiös begründet war als z. B. Heidenfeindschaft oder Islamfeindschaft. Und von daher ist es in meinen Augen auf jeden Fall gerechtfertigt, dass man für "christl." Judenfeindschaft eigens den Ausdruck "Antijudaismus" nutzt, für "christl." Heidenfeindschaft oder Islamfeindschaft aber bisher keine speziellen Ausdrücke im Munde führt.
 
Antijudaistisch verstehe ich.
Antisemitisch verstehe ich nicht.
das geht mir ebenso.

...wenn man für klerikale Kontexte relativ zeittypische antijudaische Tiraden bei Luther als antisemitisch bezeichnet, welche Wörter gibt es dann für die alten Ägypter oder das römische Imperium?... und was für eine Wortwahl hat man dann noch, wenn man wirkliche Antisemiten bezeichnen will?
 
Wieder mal haben wir es hier mit einer Diskussion zu tun, die sich an unsauberen Definitionen entzündet hat.

Antijudaismus ist eine Haltung, die aus religiöser Verblendung resultiert. Antisemitismus ist etwas ganz anderes. Die Mega-Antisemiten, die in Deutschland bis 1945 das Sagen hatten, haben ganz gewiss nicht aus religiösem Übereifer gehandelt. Religion war denen drissegal.

Bezogen auf die heutige Zeit: Viele Menschen in der westlichen Welt haben Vorbehalte/Vorurteile gegenüber dem Islam. Ein echtes Problem kriegen wir aber erst dann, wenn sich die Vorbehalte/Vorurteile so weit festigen, dass das Glaubensbekenntnis zum Islam nicht mehr als individuelle Entscheidung sondern als Ausfluss "rassischer Merkmale" begriffen wird. Damit tritt dann nämlich die Frage der Herkunft in den Vordergrund. Die Frage des Glaubensbekenntnisses wird völlig nebensächlich. Ein Moslem, der zum Christentum übertritt, wäre immer noch ein "hassenswerter Feind".

Genau wie bei den Nazis. Jude war man "durch die Herkunft", nicht etwa durch ein Glaubensbekenntnis. Insofern kann man Luther nicht vorwerfen, dass er "Antisemit" war. Er war "nur" ein religiös-eiferndes Arschloch, das abweichende Glaubensvorstellungen nicht akzeptieren wollte.

Dass der lutherische Antijudaismus sehr nach Antisemitismus klingt und mit Sicherheit dem Antisemitismus den Boden bereitet hat, ist eine andere Frage. Luther war kein Antisemit. Er war "nur" ein verblendeter und intoleranter Mensch.

MfG
 
Er war "nur" ein religiös-eiferndes Arschloch, das abweichende Glaubensvorstellungen nicht akzeptieren wollte.
[...]
Er war "nur" ein verblendeter und intoleranter Mensch.

Respekt. Von Dir hätte Luther ja noch was dazu lernen können hinsichtlich der Frage, wie man Anders-Denkende wortgewaltig ablehnen kann.:D

Aber im Ernst: Auf eine definitorische Abgrenzung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus muss es wohl hinauslaufen. Der Hinweis ist wichtig. Ich habe auch so meine Probleme, Luther einen Antisemiten zu nennen, und zwar, weil ich Antisemitismus bisher auch immer nur mit rassistischer Komponente kannte. Ich habe aber auf der von mir oben verlinkten Seite gelesen, dass man heute nicht nur die Ablehnung der Juden, die auf Rasse-Spinnereien oder Blutszugehörigkeit-Überlegungen basiert, Antisemitismus nennt, sondern jede Ablehnung, die "den Juden" die Möglichkeit abspricht, "Nicht-Juden" zu werden (also z. B. auch wenn ein unveränderbarer "jüdischer Charakter" oder so was angenommen wird). Klar, ist Definitionssache. Aber wer Antisemitismus so definiert, könnte auch einige von Papa Leo gelieferten Zitate Luthers in die Richtung deuten, dass der spätere Luther die Juden "von Natur aus" für starrsinnig, verschlagen, verstockt usw. gehalten hat. Und wenn man das so deutet, dass er ihnen die Möglichkeit absprach, sich zu ändern, dann geht das zumindest in Richtung Antisemitismus.

EDIT: Das hier meinte ich: http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37945/antisemitismus?p=all:
im Anschluss an Dietz Bering wie folgt charakterisieren:
Dem Antisemiten gelten Juden ihrer gesamten Natur nach als schlecht und in ihren negativen Eigenschaften als unverbesserlich. Wegen dieser notwendig anwesenden Charaktermerkmale sind Juden immer als Kollektiv zu betrachten, das den Gesellschaften, in denen es lebt, wesensfremd bleibt und einen verdeckten destruktiven Einfluss auf das "Gastvolk" ausübt. Dieser negative Einfluss und die faktische Fremdheit müssen entlarvt werden, um das wahre, unveränderliche Wesen der Juden hervortreten zu lassen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Betrachten wir zur Abwechslung mal Luther im Kontext seiner Zeit.
Martin Luther war Zeitgenosse der Spanischen Inquisition. Im katholischen Spanien wurde in der Frühen Neuzeit zum Christentum konvertierte Juden und Muslime (konvertConversos und Moriscos) und deren Nachfahren systematisch verfolgt, vertrieben ggf. verbrannt. Der Vorwurf lautete, dass sie insgeheim noch an der anderen Religion festhielt (was natürlich dem Teufelskult und der Hexerei gleichkommt) und nur zum Schein Christen wären.
Die Verfolgung der Konvertiten und ihrer Nachkommen auch der iberischen Halbinsel, wird teilweise als "echter" Antisemitismus angesehen, weil er sich auf Blut oder Rasse beziehe. Den Bezug gab es aber eigentlich nicht, da ihnen nicht ihr Blut vorgehalten wurde, sondern eben ihr Teufelskukt, da die fixe Idee bestand, es geheime noch ein quasi okkultes Geheimjudentum. Einen echter Rassismus mit an Anleihen aus Hundezucht gab es noch nicht. Man verfolgte sie nicht als Christen jüdischen Blutes, sondern als Juden, die die Zugehörigkeit zum Christentum vortäuschen, aber insgeheim dem Judentum anhingen.

Die Aktionen in Spanien blieben auch für Deutschland nicht ohne Bedeutung, da die aus Spanien oder Portugal geflohenen Sepharden, spanische Juden wie Konvertiten, teilweise den Weg nach Deutschland fanden.

Als Martin Luther in "Von den Juden und ihren Lügen" die Vertreibung der Juden, das Verbot ihrer Lehre, die Zerstörung der Synagogen pp. forderte, war das keineswegs nur die Phantasterei eines Theologen, sondern eben zeitgleich auf der iberischen Halbinsel die Wirklichkeit.
Dass sich die Inquisition der Römischen Kirche auch gegen Protestanten richtete, führte auf deren Seite keineswegs zu einer Art Generalamnestie. Mit Hexen und Juden war das für Luther in Ordnung.

Der späte Luther selbst war den Konvertiten gegenüber von den gleichen Vorbehalten erfüllt die wie Inquisition. Er unterstellte den Juden, dass sie unbekehr seien oder das Christentum nur zum Schein annehmen würden. Höchstens in Ausnahmefälle könne ein getaufter Jude ernst genommen werden. Die Juden könnten (von Menschen) genauso wenig bekehrt werden wie der Teufel, weil sie ja das Volk des Teufels sind. Die Argumentation folgt offesicht dem Johannes-Evangelium.
 
Der späte Luther selbst war den Konvertiten gegenüber von den gleichen Vorbehalten erfüllt die wie Inquisition. Er unterstellte den Juden, dass sie unbekehr seien oder das Christentum nur zum Schein annehmen würden. Höchstens in Ausnahmefälle könne ein getaufter Jude ernst genommen werden. Die Juden könnten (von Menschen) genauso wenig bekehrt werden wie der Teufel, weil sie ja das Volk des Teufels sind. Die Argumentation folgt offesicht dem Johannes-Evangelium.

Das ist ja sehr von Bedeutung für unsere Frage. Wo hat er sich denn so geäußert? Bzw. wo kann man das nachlesen?
 
Neinnein, die gilt für alle religiösen Fanatiker. Nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Religion. Ich habe nur was gegen Fanatiker. Und Luther war einer.

Hallo Maelonn, ich habe mir gerade im Netz ein paar Definitionen zu "Fanatiker" durchgelesen und bin mir unschlüssig, ob ich Luther überhaupt unter den religiösen Fanatikern einreihen möchte. Wie definierst Du denn am ehesten den "Fanatiker" und wie ordnest Du unseren guten Luther dann da ein?
 
Das ist ja sehr von Bedeutung für unsere Frage. Wo hat er sich denn so geäußert? Bzw. wo kann man das nachlesen?

z. B. in seinen Tischreden und in seinem Pamphlet "Wider die Juden und ihre Lügen". Der Vorwurf, das Juden nur zum Schein konvertierten, erhob nicht nur Luther. "Dreimal getauft, aber immer noch ein Jud" ging eine redensart, doch welche Chancen bot die Konvertierung? Jüdische Banditen und Räuber sahen sich zuweilen einem Wettbewerb protestantischer und katholischer Geistlicher ausgesetzt, die Delinquenten regelrecht bedrängten, zu konvertieren. Ein reuiger Sünder, der zum "rechten Glauben" übertrat bot ein erbauliches Schauspiel, aber wie sah es aus, wenn ein Jude tatsächlich konvertierte, um dadurch rechtlosigkeit und Benachteiligung zu entziehen. Juden war der Erwerb von Land verboten, von den Zünften wurden sie ausgeschlossen, es stand ihnen als Erwerbsmöglichkeit nur der Geldverleih, der Gebrauchtwaren- und Viehhandel offen. etwas bessere Möglichkeiten boten sich in der Heilkunst oder im Juwelenhandel. Die meisten Fürsten hatten Juden als Einnahmequelle entdeckt, und schon Karl der Große hatte sie als Kammerknechte unter seinen Schutz gestellt. Schutz genossen aber nur die, die bezahlen konnten. Der Schutzbrief beschränkte die Niederlasssung auf wenige Familienangehörige. Die Konvertierung garantierte einem Juden noch lange nicht, dass ihn danach eine Stadt aufnahm, ein großer Herr ihn beschützte oder eine städtische Zunft oder Gilde sich ihm öffnete. In der frühen Neuzeit war es mit der großen Zeit der meisten Zünfte auch vorbei, viele waren längst zu Interessenvertretungen der Meister und Meistersöhne geworden, und in manchen Gewerken wie im Loderhandwerk nagten auch die Meister schon am Hundertuch. Dafür gab ein Jude, der konvertierte das soziale Netzwerk der jüdischen Gemeinden auf. Bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts im Zuge eines Kosakenaufstandes Massen von ostjuden nach Mitteleuropa flohen, schafften es die jüdischen Gemeinden ein beachtliches System der Armenfürsorge aufrecht zu erhalten. Ein jude, der konvertierte kehrte seiner gemeinde den Rücken und durfte nicht mehr darauf hoffen, von jüdischen Gemeinden unterstützt zu werden.
 
Betrachten wir zur Abwechslung mal Luther im Kontext seiner Zeit.
Martin Luther war Zeitgenosse der Spanischen Inquisition. Im katholischen Spanien wurde in der Frühen Neuzeit zum Christentum konvertierte Juden und Muslime (konvertConversos und Moriscos) und deren Nachfahren systematisch verfolgt, vertrieben ggf. verbrannt. Der Vorwurf lautete, dass sie insgeheim noch an der anderen Religion festhielt (was natürlich dem Teufelskult und der Hexerei gleichkommt) und nur zum Schein Christen wären.
Die Verfolgung der Konvertiten und ihrer Nachkommen auch der iberischen Halbinsel, wird teilweise als "echter" Antisemitismus angesehen, weil er sich auf Blut oder Rasse beziehe. Den Bezug gab es aber eigentlich nicht, da ihnen nicht ihr Blut vorgehalten wurde, sondern eben ihr Teufelskukt, da die fixe Idee bestand, es geheime noch ein quasi okkultes Geheimjudentum. Einen echter Rassismus mit an Anleihen aus Hundezucht gab es noch nicht. Man verfolgte sie nicht als Christen jüdischen Blutes, sondern als Juden, die die Zugehörigkeit zum Christentum vortäuschen, aber insgeheim dem Judentum anhingen.

Die Aktionen in Spanien blieben auch für Deutschland nicht ohne Bedeutung, da die aus Spanien oder Portugal geflohenen Sepharden, spanische Juden wie Konvertiten, teilweise den Weg nach Deutschland fanden.

Einige Literaturwissenschaftler halten es für denkbar, dass die Angebetete Dulcinea von Miquel Cervantes eine Kryptojüdin war, die sich in der Zubereitung von Serranoschinken Verdienste erwarb, um keine Bekanntschaft der unangenehmen Art mit der Inquisition zu machen.
 
Respekt. Von Dir hätte Luther ja noch was dazu lernen können hinsichtlich der Frage, wie man Anders-Denkende wortgewaltig ablehnen kann.:D

Aber im Ernst: Auf eine definitorische Abgrenzung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus muss es wohl hinauslaufen. Der Hinweis ist wichtig. Ich habe auch so meine Probleme, Luther einen Antisemiten zu nennen, und zwar, weil ich Antisemitismus bisher auch immer nur mit rassistischer Komponente kannte. Ich habe aber auf der von mir oben verlinkten Seite gelesen, dass man heute nicht nur die Ablehnung der Juden, die auf Rasse-Spinnereien oder Blutszugehörigkeit-Überlegungen basiert, Antisemitismus nennt, sondern jede Ablehnung, die "den Juden" die Möglichkeit abspricht, "Nicht-Juden" zu werden (also z. B. auch wenn ein unveränderbarer "jüdischer Charakter" oder so was angenommen wird). Klar, ist Definitionssache. Aber wer Antisemitismus so definiert, könnte auch einige von Papa Leo gelieferten Zitate Luthers in die Richtung deuten, dass der spätere Luther die Juden "von Natur aus" für starrsinnig, verschlagen, verstockt usw. gehalten hat. Und wenn man das so deutet, dass er ihnen die Möglichkeit absprach, sich zu ändern, dann geht das zumindest in Richtung Antisemitismus.

EDIT: Das hier meinte ich: Was heit Antisemitismus? | bpb:


Antisemitismus bedeutet Judenfeindlichkeit, und die Gründe und definitionen an denen sich judenfeindlichkeit orientiert sind vielfältige. religiös motivierte Judenfeindlichkeit betonte. Die Juden erkennen Jesus nicht als Mesias an. Sie haben seinen Tod verschuldet, sie sind verstockt, obwohl ihnen als ersten die Offenbarung zuteil wurde, wollten sie davon nichts wissen. Sie sind christenfeindlich, entweihen Hostien, vergiften Brunnen, es ist ihnen zuzutrauen, dass sie Ritualmorde begehen. antisemitismus definierte sich aber auch über soziale Gründe. Juden mussten als Händler, Geldverleiher arbeiten und durften kein Land erwerben. Es war der Bargeldumlauf gering, im Vieh- Häute- und Getreidehandel brauchte man sie als Händler unsd Zwischenhändler. viele Darlehen waren Kleinkredite mit extrem langen Laufzeiten. Christen war aber verboten Zinsen zu erheben, und es wurde Juden der Vorwurf gemacht, Wucherer zu sein.
 
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