Deutsche Sozialversicherung

Köbis17

Gesperrt
Hallo Zusammen,

immer ein Brennpunkt um damit den sozialen Aspekt innerhalb der deutschen Gesellschaft zu bewerten.
Eingeführt in den 1880iger Jahren um die Arbeiterschaft gegen Unfall, Krankheit und die Risiken von Invalidität und Alter staatlich aufzufangen und zu schützen.

Wie wurde dieses Soziale Netz weiter im Land von der Politik genutzt? Bis heute ist es ein Thema, welches innenpolitisch immer wieder zum Streitthema wird ...

Gibt es einen gleichbleibenden sozialen Aspekt, der die Entwicklung der Sozialeinversicherung immer in der Anpassung an die deutsche Gesellschaft entspricht?
Entsprach es schon zur Kaiserzeit oder in der Weimarer Republik, oder im Dritten Reich ... wie sah es in den beiden Deutschen Staaten aus ... wer hat mehr auf den sozialen Aspekt in der Entwicklung positivere Auswirkung auf den Stand bis heute gehabt ...

Aktuell ist das Sozialniveau sehr niedrig, so meine Erfahrung ...
 
Auf Anhieb fällt mir ein, das nach Einführung der bahnbrechenden Sozialversicherungen nicht mehr viel passiert ist.

In Sachen innerbetrieblicher Arbeiterschutz oder dem System der Fabrikinspektoren gab es keine Fortschritte zu verzeichnen.
Auch die Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, das Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit wurde nicht mehr in auf die Schiene gesetzt. Auch wurde sich nicht bemüht im Arbeitsrecht Regelungen zu verankern, die dem Arbeitern zugute kamen. Ebenfalls sparte man sich die Lohnfrage, also die Festlegung von bestimmten Mindestlöhnen für bestimmte Arbeiten. Man kann also von einer Stagnation sprechen.
 
Wenn man übergreifende Aspekte herausarbeiten möchte, kann man bei beim politisch-soziologischen oder ökonomischen Kontext der Sozialversicherungen ansetzen, oder beides mischen:

- den gesellschaftlichen Konsens als herausgehobenen Aspekt und zugleich als Problemfrage
- den politischen Zielen, die mit der SV verbunden wurden
- den ökonomischen Rahmenbedingungen der Wertschöpfung und SV auch als "Verteilungsfrage"
- dem Aspekt der Finanzierung
- dem Umfang der Sicherung.

Das kann man für die 130 Jahre ganz unterschiedlich beschreiben.
 
Das kann man für die 130 Jahre ganz unterschiedlich beschreiben.

Vielleicht habe ich das Thema aus aktuellen Grund aufgeworfen, aber ich denke, es wäre mal interessant, nicht nur die aktuellen Möglichkeiten der verschiedenen politischen Ansichten an den Kopf knallen zu lassen, sondern erst mal den sozialen Aspekt der SV innerhalb der deutschen Gesellschaft in den gesamten Blick zu nehmen, ggf. auch ohne Rücksicht auf die politischen bzw. ideologischen Verhältnisse innerhalb der dt. Gesellschaftsgeschichte.

Wer wissen will wohin wer geht, sollte er auch wissen woher er kommt!
 
Hallo Zusammen,

immer ein Brennpunkt um damit den sozialen Aspekt innerhalb der deutschen Gesellschaft zu bewerten.
Eingeführt in den 1880iger Jahren um die Arbeiterschaft gegen Unfall, Krankheit und die Risiken von Invalidität und Alter staatlich aufzufangen und zu schützen.

Wie wurde dieses Soziale Netz weiter im Land von der Politik genutzt? Bis heute ist es ein Thema, welches innenpolitisch immer wieder zum Streitthema wird ...

Das Ereignis der feudalistischen Sozialpolitik und die „Stockpreuße“-Politik.

Bismarck war seiner selbst gestellten Aufgabe gewachsen, die politische Einheit Deutschlands sei nur dann vorhanden, wird in dieser Preußen herrschen, und nicht der deutsche bürgerliche Nationalstaat. Auch Innenpolitisch gelang Bismarck nicht den Geist der Zeit sich zu entziehen. Mit der zunehmenden Verbürgerlichung und dem Aufkommen der Arbeiterschaft in Deutschland fand Bismarck eine Konstellation vor, die sozialrevolutionäre Bestrebungen mit sich brachte. Mit der staatlichen Sozialpolitik zielte er darauf ab, den bürgerlich-demokratischen Staaten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Arbeiter sollte in Deutschland auf den feudalen Staat setzen und nicht auf Liberalismus und Demokratismus. Mit Wilhelm II, obwohl beispielsweise das preußische Dreiklassenwahlrecht beibehalten wurde, entfaltete sich das deutsche Bürgertum. Bismarck beurteilte die Zukunft des Reiches pessimistisch.

Als Deutschland Republik wurde, kam beispielsweise Sozialpolitik zum Tragen, deren Träger sich der „Stockpreuße“ entgegengestellt.
 
Ich glaube ,dass die ständige Verschlechterung auf sozialem Gebiet auch einen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat. Als es die beiden, sich gegenüberstehenden Blöcke gab, herrschte auch auf diesem Gebiet ein gewisser Wettbewerb. Der reiche Westen konnte unmöglich auf diesem Gebiet schlechter sein als der arme Osten. Heute herrscht nur noch ein Wettbewerb zwischen denen mit und ohne soziale Sicherheiten. Offenbar scheinen die Letzgenannten der Maßstab zu sein.
 
Hallo Zusammen,

Aktuell ist das Sozialniveau sehr niedrig, so meine Erfahrung ...

Werden die jeweiligen Geschichtsabschnitte in denen in Deutschland Sozialpolitik betrieben wurde, zurückgestellt, kann unabhängig vom Ereignis beispielsweise der Sozialpolitik unter Bismarck gefragt werden, ob nicht das bedingungslose Grundeinkommen das Sozialniveau heben würde? Aber gehört diese Frage in ein Geschichtsforum?
 
:eek:fftopic: aber wann gab es auf deutschen Boden einen Kommunismus? Die DDR? War eine Diktatur der Selbstbereicherung, oder ...
Den gab es auf der ganzen Welt nicht aber sie wurden zumindest so bezeichnet und glaubten auch selbst daran ihn fast erreicht zu haben. Einigen wir uns einfach auf Ostblock.
 
Werden die jeweiligen Geschichtsabschnitte in denen in Deutschland Sozialpolitik betrieben wurde, zurückgestellt, kann unabhängig vom Ereignis beispielsweise der Sozialpolitik unter Bismarck gefragt werden, ob nicht das bedingungslose Grundeinkommen das Sozialniveau heben würde? Aber gehört diese Frage in ein Geschichtsforum?

Ich denke schon, denn es gehört wohl doch zur deutschen Gesellschaftsgeschichte und sollte grundlegend nicht politisiert bzw. instrumentalisiert werden.
Das geht der jeweiligen Machthabenden Klasse ab und ist bis heute der Ball, den Parteien versuchen dem politischen Gegner ins sozial-unverträgliche Tor zu schiessen.

Sicherlich ist die erste SV nicht aus Nächstenliebe entstanden, sondern wurde wohl als politisches Instrument die Arbeiterschaft zu hebeln von der herrschenden Klasse mitgetragen oder geduldet, aber es wurde ebend doch ein erster Schritt in die richtige Richtung eines ersten sozialen Netzes, nennen wir es mal so, geschaffen.

Interessant ist nun der Wertegang des selben bis heute ....
 
Ich glaube ,dass die ständige Verschlechterung auf sozialem Gebiet auch einen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat. Als es die beiden, sich gegenüberstehenden Blöcke gab, herrschte auch auf diesem Gebiet ein gewisser Wettbewerb.

Ist das eher weltanschaulich gemeint, oder gibt es dafür irgendwelche Belege?

Den Standpunkt vertreten tatsächlich einige Forschungen, allerdings gibt es dazu einen gewissen interdisziplinären Disput. Bzw.: eigentlich gibt es keinen interessanten Streit, weil der den Zusammenhang bejahenden Seite (bislang?) jeder empirische Beleg dafür fehlt.

Ansätze wurden wie folgt "gesucht":

Das Niveau der SV in der BRD nach 1945 folgte ziemlich genau den ökonomischen Entwicklungen in der BRD (entsprechend abweichend eben in anderen Ländern, sozusagen: es korreliert).
OK, das ist auch völlig logisch, da man aufgund der Kriegsfolgen und der Vermögensvernichtung keine kapitalgedeckten SV-Systeme installieren konnte, sondern in allen Bereichen auf ("unfunded") Generationsmodelle bzw. laufende Einnahmendeckung für Ausgaben mit minimalen Reservenbildungen übergehen musste. Die früh angestrebte Konsensgesellschaft ist für sich kein Beleg, da dies ebenso auf Weimarer Erfahrungen zurückgeführt werden kann.

Gäbe es da empirisch nachweisbare Zusammenhänge mit den Phasen des System-Wettbewerbs, kämen übrigens merkwürdige Schlussfolgerungen zB für "Auf-und-Abs" von Vergleichsfällen auf.

Wenn man nun Kausalketten für die Entwicklung der SV bzw. des konsensual realisierten Niveaus aufstellen möchte, müsste man sich zunächst über Wohlstandsmessung auf einer nationalen Ebene unterhalten, sodann über ökonometrische (finanzielle) Modelle der gesamtwirtschaftlichen Einkommensverteilung. Dann müsste man über die empirischen Zusammenhänge mit diesen Kennzahlen hinaus einen "Sonderbeitrag" des Systemwettbewerbs nachweisen.

Das ist bislang ökonomisch nicht belegt.
 
Nun, dem ist nicht ganz so.
Die Knappschaftsversicherung ist Kapital gedeckt, die normale SV aus Bismarcks Zeiten ist eine Umlage, schon von alters her.
Es bestand also auch nach dem Krieg gar keine Notwendigkeit, über Kapitaldeckung die SV zu sichern.
Die jüngere Geschichte der Pensionsversicherungen in den USA zeigt aber, das die Umlageform eigentlich die sicherere ist, denn auch der Kapitalertrag muß ja von Jüngeren für die Älteren erwirtschaftet werden.

Anders, sammle ich Werte, um sie später gegen Verbrauchsgüter einzutauschen, brauche ich jemanden, der mir für diese Werte Verbrauchsgüter gibt. Will diese Werte niemand haben, gibts keine Verbrauchsgüter.
 
Wenn ich nur die Rentenversicherung als Teil der SV betrachte, möchte ich vereinfachend feststellen, dass das Umlagesystem ein klassischer Generationenvertrag ist.
Selbst heute gibt es noch Länder, in denen Kinder die Alterssicherung ihrer Eltern sind.
Dort geht es den Alten nur gut, wenn es ihren Kindern wirtschaftlich gut oder sogar besser geht als ihnen selbst. Oder sie müssen viele Kinder haben, damit die Last für den einzelnen nicht zu groß wird.
D.h. für mich, das System enthält als Voraussetzung immer Wachstum und zwar auf breiter Basis.
Wenn es der Kindergeneration wirtschaftlich schlechter geht oder diese kleiner ist, muß die Umlagen-RV sich dieser Entwicklung anpassen oder sich global bei anderen Volkswirtschaften absichern. So ungefähr funktioniert die kapitalgedeckte RV über Fonds, Aktien, Immobilien etc. Diese Situation haben wir zur Zeit. Das kann aber nur funktionieren, wenn das Wachstum woanders stattfindet.

Interessant für die Eingangsfrage finde ich, ob es diese Situation in der Vergangenheit schon gegeben hat und wie damit umgegangen wurde.
 
Die Initialzündung und die Entwicklung des Wohlfahtsstaat ist eng verbunden mit der zunehmenden Bedeutung der Thematisierung der „sozialen Frage“, die ein Ergebnis ist, zwischen dem Widerspruch der ungebremsten Dynamik der industriellen Revolution in den kapitalistischen Ländern und der Formulierung eines ideologisch begründeten Wertesystems, in der Folge der Französichen Revolution und der Propagierung von sozialer Gerechtigkeit (vgl. G. Eley: Forging Democracy) .

Die konkrete Einbettung der Ausbildung des Wohlfahrtsstaats in Deutschland reflektiert zum einen diesen universellen Konflikt, ist dennoch durch eine Reihe von speziellen Aspekten gekennzeichnet, die den frühen Zeitpunkt der Initiierung wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen durch Bismarck erklärt (vgl. europäische Übersicht in Ambosius & Hubbard: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Euopas im 20. Jahrhundert, S. 113). In besonderem Maße war die Ausgangssituation nach der Reichsgründung 1871 durch einen harten Gegensatz des autokratischen Regierungssystems und dem politisch nicht einbezogenen „Proletariat“ gekennzeichnet. Aus diesem Aspekt speiste sich die eine Quelle der Infragestellung des politischen Systems des Kaiserreichs nach 1871. Zum anderen war es die generelle Frage des „Nationbuilding“, dass einerseits die Integration des katholischen Milieus betraf und andererseist die staatsferne, in ihrer Bedeutung stetig anwachsende Klasse der Arbeiter (vgl. Wehler: Bismarck und der Imperialismus).

Am 9 Mai 1978 brach die Börse in Wien zusammen und löste den „großen Krach“ europaweit aus, der sich ebenfalls im DR massiv auswirkte. Der im Reich ausgelöste Gründerboom erschien zunehmend als „Gründerschwindel“ und bewirkte ein Platzen der Spekulationsblase(vgl. Winkler: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 226). In Anlehnung an Rosenberg charakterisiert Winkler diese Phase zwischen 1873 und 1896, dem Ende der langen Depression, als eine Periode des allgemeinen Pessimismus und der sozialen Unzufriedenheit , die einherging mit einer „zunehmenden ideologischen Dynamik und Aggressivität. Die unmittelbare Folge war der Niedergang des „laisser faire, laisser aller“ und wirkte sich aus bis in den politischen Niedergang der Nationalliberalen und dem damit teilweise zusammenhängenden Aufkommen eines wirtschaftlich motivierten Antisemitismus. Ein Aspekt, den Bismarck für seine politischen Ziele zu nutzen wusste.

Die politisch relevante Phase für den Einstieg in den Wohlfahrtsstaat bildet die Phase der „Großen Depression“. Die Entwicklung beispielsweise bei Wehler beschrieben (Wehler, Bismarck und der Imperialismus, S. 67ff. und ebd: Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1848 – 1914, S. 547ff). Diese Periode ist durch eine weitgehende Stagnation der Nominallöhne der Arbeiter gekennzeichnet mit einem leichten Aufwärtstrend nach 1880. Die Reallöhne folgten dieser Entwicklung nicht, aufgrund deutlich gestiegener Lebenshaltungsosten im Bereich der Grundnahrungsmittel (auch durch Agrarzölle) und der Mieten und führte zu einem Absinken des Lebensstandards(Wehler: DGG, Bd. 3, S. 908). Diese Entwicklung verschärfte die sozialen Bedingungen in Teilen der Arbeiterklasse und führte vor allem zu einer Zunahme der Doppelbelastung für Arbeiterfrauen. Gleichzeitig kam es zu einer systematischen Verschlechterung der Wohnbedingungen durch die Zunahme von Untervermietungen in den ohnehin begrenzten Wohnverhältnissen (Grebing: Arbeiterbewegung, S. 68/69).

Unter anderem in der Folge der Französischen Revolution, der gescheiterten Revolution von 1848 und der niedergeschlagenen Pariser Commune von 1871 organisierte sich die deutsche Arbeiterschaft. Mit dem Gothaer Programm von 1875 formulierte die SAD in der Tradition einer marxistischen Gesellschaftsanalyse ihre dennoch ausgesprochen revisionistischen Ziele: Ziele, die zudem unter den Vorbehalt gestellt wurden, „mit allen gesetzlichen Mitteln“ erlangt zu werden (vgl. dazu das Programm in Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung, S. 296.). In der Folge erhält die Sozialdemokratie einen deutlichen Zulauf, wobei ihre Hochburgen bei der Mitglieder- und auch der Stimmenentwicklung in Gemeinden über 10.000 Einwohner und vor allem in den Großstädten, wie in Berlin (RTW 1912: 75%) oder Hamburg (RTW 1912: 62%) liegen (vgl. Grebing , S. 199).

Vor diesem Hintergrund erkannte Bismarck einen massiven Handlungsbedarf, der sich aus der real verschlechterten sozialen Situation der Arbeiter ergab und ihrer Formulierung einer „Gegenutopie“, die die herrschende Ordnung des Kaiserreichs in Frage stellte (Wehler: DGG, Bd. 3, S. 902ff). Seine Lösung basierte auf zwei Pfeiler. Zum einen auf der Repression der Sozialdemokratie, im Rahmen der „Sozialistengesetze“, und zum anderen auf der vom Staat initiierten und vor allem auch vom Staat finanzierten Wohlfahrtspflege.

Vor diesem Hintergrund initiierte er sein innenpolitisches Programm. Bismarck politisches Credo war „Man kann nicht ein Land von unten regieren“ , da diese Vorstellung gegen die „natürliche Ordnung“ verstoßen würde. Und befürchtet für den Konflikt, dass „die Hungrigen ….uns auffressen“ (ebd. S. 903). Bismarck führte dabei seinerseits einen durchaus als polemisch zu bezeichnenden Kampf gegen die „rote Gefahr“, indem er die Wirtschaftskrise von 1873 bis 1896 dem Wirken der Sozialdemokratie anlastete.

Den Anlass bildeten zwei Attentate auf den Kaiser, die der Sozialdemokratie, ohne handfeste Belege, zur Last gelegt wurden. Im Zuge seiner Kampagne marginalisierte er zunehmend die Nationalliberalen (vgl. oben Gründerkrach), die im bürgerlichen Lager ein Garant für die Vereidigung bürgerlicher Rechte gegen staatliche Interventionen waren. In diesem Umfeld wurde das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ im Oktober 1878 verabschiedet (vgl. Wehler ebd, S. 905, vgl. Grebing, Abdruck des „Sozialistengesetz“ S. 149. „Wie beim Kulturkampf erreichte die Regierung Bismarck ….das genau Gegenteil dessen, was sie intendiert hatte (ebd. S. 906). Und Wehler stellt resümierend fest: „Im Grenzfall hielt der Kanzler die Staatsmacht und das Militär dieser aufsässigen Opposition allemal gewachsen.“ (ebd. S. 907).

Neben die Repression der Sozialdemokratie wollte Bismarck einen „Staatssozialismus“ stellen, der auf die positive Integration der Arbeiterschaft, die „innere Reichsgründung“, in das DR abzielte. Er ging dabei von der Prämisse aus, dass die sozialistischen Theorien bereits so tief in der Arbeiterschaft verwurzelt waren, als dass sie nicht mehr ignoriert werden konnten. Bismarck orientierte sich dabei in seinem Modell an dem Vorbild von Napoleon III. Dieser hatte durch ein System von Zahlungen die Franzosen zu direkten Empfängern von Staatszahlungen gemacht und sich über diesen Weg die Zustimmung zu seiner Regierung „erkauft“. Bismarck wollte ein Modell im DR einführen, dass ebenfalls möglicgst direkte Zahlungen durch den Staat an die Empfänger“ vorsah und sie somit durch eine „kollektive Massenbestechung“ (H. Rosenberg) in das politische System zu integrieren.

Von Nipperdey wird die Mehrdimensionalität der Bismarckschen Politik in den Vordergrund gestellt. So sieht er folgende Aspekte: 1. Der Kampf gegen die Revolution und die Erhaltung des monarchisch-obrigkeitsstaatlichen Staates, 2. Der Marginalisierung des Liberalismus, und 3. Der Verfolgung einer klassischen Fürsorgepflicht des Monarchen gegenüber seinen Untertanen, die bereits in der preußischen Revolution von Oben angelegt ist (v. Stein, Hardenberg etc.) (Nipperdey, Deutsche Geschichte. Arbeitswelt und Bürgergeist, Bd. 1, S. 337ff).

Und Nipperdey kommt zu einem positiven Befund der Wirksamkeit der wohlfahtsstaatlichen Maßnahmen und hält fest, dass sich die Lage der Arebiter zwischen 1866 und 1913 „gewaltig verbessert“ hat (ebd. S. 372).

Und bei Wehler heißt es, obwohl er Bismarck kritisiert: „Trotzdem: Die Bismarcksche Sozialversicherung hat den Grundstein für eine ausbaufähige, immens differenzierbare und weltweit nachgeahmte Daseinsvorsorge gelegt…..Man wird sogar anerkennen müssen, dass Bismarcks politisches Kalkül ….aufgegangen ist. …die systemkritische Distanz der organisierten Arbeiterschaft aufzuweichen und ihre Staatsloyalität zu gewinnen.“ ( Wehler: DGG, Bd. 3, S. 915).

In diesem Sinne war der machiavellistische Bismarck in seiner „operativen Politik“ durchaus erfolgreich und auch in der „Nachhaltigkeit“ der Auswirkungen seiner Sozialpolitik.
 
Zuletzt bearbeitet:
Richtig, es gab und gibt reine Kapitaldeckungs- bzw. Anwartschaftsbarwert- und auch Mischverfahren.

Rena hat oben auf eine mögliche Äquivalenz der grundsätzlich kapitalgedeckten mit den Umlageverfahren hingewiesen. Das ist so - jedenfalls theoretisch - aus dem Solow-Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft abzuleiten.

Ganz grob vereinfacht besagt das, dass
a) bei einem Umlageverfahren im Generationenvertrag die Absicherung naturgemäß von der ökonomischen Leistungsfähigkeit der jeweils zahlenden Generation abhängt: Krisen schlagen auf die Höhe der Umlagen durch, ebenso wird steigende Wirtschaftskraft direkt weitergegeben.

b) bei einem Deckungsverfahren existiert ein Kapitalstock für die Rentenverpflichtung. Dessen Erträge plus Abschmelzung - bezogen auf die einzelne Anwartschaft - "decken" die Ausgaben. Ganz grob vereinfacht ist auch dieses System (s.o.: Solow-Modell) der aktuellen Leistungsfähigkeit ausgesetzt (Krisen würden Kapital vernichten oder Erträgnisse verändern), somit schlägt das "mittelbar" durch, noch gröber "als grob" vereinfacht wegen S=I.

Das ist aber nur die blanke Theorie - siehe 1957.

- Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten der Anpassungsprozesse. Konjunkturelle Zyklen, Wachstums- oder Schrumpfungsprozesse schlagen synchron, oder verzögert durch.

- 1957 bestand das Problem des im Krieg "vernichteten" Kapitalstocks, und das Sonderproblem: Kapitalstock im Wachstum, der ein unmittelbares Partizipieren an dem Aufschwung nicht erlaubte (sondern den Effekt über Jahrzehnte verteilt hätte)

- in der Realtität existiert keine "geschlossene" Volkswirtschaft à la Solow, sondern eine Volkswirtschaft mit außenwirtschaftlichen Beziehungen und dem Einfluss der zugeordneten Zahlungsbilanzen

- auch in geschlossenen Volkswirtschaften verändert das gewählte System die Verteilungsprozesse - direkte Abhängigkeit im Umlageverfahren (welche Gruppen zahlen, wieviel zahlen sie anteilig, welche Gruppen sind theoretisch Empfänger/Anwärter, Personenkreise außerhalb des Umlagesystems/"Sektoren"), Unempfindlichkeit bei vorhandener Kapitaldeckung.

- Auswirkungen - Verteilungswirkungen - ergeben sich auch bei geschlossenen Volkswirtschaften aus "Mischverfahren" (siehe zB Formen der betrieblichen Altersversorgung oder der Versorgungswerke außerhalb gesetzlicher Versicherungen, oder private Versicherungen) sowie aus systematischen Besteuerungsunterschieden.


Der Streit zwischen den beiden Systemen ist so alt wie die Absicherung selbst, und er wird weiter geführt.

In dieser Entwicklung gab es durchaus Einflüsse der jeweiligen ökonomischen Lage auf den Meinungsstreit, sozusagen wechselnde "Präferenzen". 1957 jedenfalls war das Deckungsverfahren (ganz abgesehen von der kriegsbedingten Entwertung des Deckungsstocks) völlig ungeeignet, die aktuell ältere Generation am "Wirtschaftswunder" partizipieren zu lassen. Diese Generation wäre auf den kümmerlichen Deckungsstock-Rest und ein paar gute Jahre nach 1949 angewiesen gewesen, aus der sich dann die Versorgung/Versicherung gespeist hätte.
 
Dem ist nicht so. Zumindest bei der Rente nicht. Die Rentenversicherung wurde erst unter Adenauer auf Umlageversicherung umgestellt. Davor war sie in einem Kapitaldeckungsverfahren geregelt.<?xml:namespace prefix = "o" ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
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Da würde mich die Begründung interessieren.
Man hat fast den Eindruck als wenn Begriffe nach Belieben und nicht nach Bedeutung in die Debatte geworfen werden, wenn man die Fußnote 1 auf Seite 255 der unten im Beitrag angeführten "Statistik der Deutschen Rentenversicherung 10 Finanzdaten" liest, denn demnach erfolgte die Umstellung auf ein Umlageverfahren sogar erst im Jahr 1972!<o:p></o:p>
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Eine Nachhaltigkeitsrücklage wird erst ab 1972 ausgewiesen, da durch das 3. RVÄndGesetz (s. Chronik) das Finanzierungsverfahren in der Rentenversicherung von einem Abschnittsdeckungsverfahren auf ein Umlageverfahren umgestellt wurde.
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Am Besten, man schaut also selber ins
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Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889.
Meiner Meinung nach handelt es sich um ein klassisches Umlageverfahren:
1. Die Versicherung startete aus dem Stand<o:p></o:p>
Bei einem Kapitaldeckungsverfahren wäre ja zunächst einmal die Ansammlung eines entsprechenden Kapitalstocks fällig gewesen und dann nach der Wartezeit von 30 Beitragsjahren (lt. §16) die ersten Rentenzahlungen im Jahr 1921! – dem war aber wohl nicht so:<o:p></o:p>
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§ 157<o:p></o:p>
Für Versicherte, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes das vierzigste Lebensjahr vollendet haben und den Nachweis liefern, daß sie während der, dem Inkrafttreten dieses Gesetzes unmittelbar vorangegangenen drei Kalenderjahre insgesammt mindestens einhunderteinundvierzig Wochen hindurch thatsächlich in einem nach diesem Gesetze die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältniß gestanden haben, vermindert sich die Wartezeit für die Altersrente (§. 16 Ziffer 2), unbeschadet der Vorschriften des §. 32, um so viele Beitragsjahre, als ihre Lebensjahre zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes die Zahl vierzig übersteigen.
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Mit anderen Worten, wer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes 70 oder mehr Jahre alt war, für den Betrug die Wartezeit:<o:p></o:p>
30 Jahre minus (70 oder mehr Lebensjahre minus vierzig)<o:p></o:p>
also NULL Jahre.<o:p></o:p>
<o:p></o:p>
2. Das Gesetz sah explizit die Finanzierung der Leistungen aus den laufenden Einnahmen vor, bestehend zu gleichen Anteilen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sowie einem Zuschuss des Reiches:<o:p></o:p>
Die Mittel zur Gewährung der Invaliden- und Altersrenten werden vom Reich, von den Arbeitgebern und von den Versicherten aufgebracht.<o:p></o:p>
Die Aufbringung der Mittel erfolgt seitens des Reichs durch Zuschüsse zu den in jedem Jahre thatsächlich zu zahlenden Renten, seitens der Arbeitgeber und der Versicherten durch laufende Beiträge. Die Beiträge entfallen auf den Arbeitgeber und den Versicherten zu gleichen Theilen (§. 116) und sind für jede Kalenderwoche zu entrichten, in welcher der Versicherte in einem die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältniß gestanden hat (Beitragswoche).
<o:p></o:p>
3. Das Gesetz sah in den §§ 20 und 21 den Aufbau eines Kapitalstocks ("Reservefonds") aus den laufenden Beiträgen vor. Dieser und evtl. Zinsen waren aber bis zum Aufbau ausdrücklich nur für "dringende Bedarfsfälle" bestimmt:<o:p></o:p>
Die Rücklagen zum Reservefonds sind für die erste Beitragsperiode so zu bemessen, daß am Schlusse derselben der Reservefonds ein Fünftel des Kapitalwerths der in dieser Periode der Versicherungsanstalt voraussichtlich zur Last fallenden Renten beträgt. Sofern der Reservefonds am Schlusse der ersten Beitragsperiode diesen Betrag nicht erreicht hat, ist das Fehlende in den nächsten Beitragsperioden aufzubringen. Die Vertheilung auf diese Perioden unterliegt der Genehmigung des Reichs-Versicherungsamts.<o:p></o:p>
Durch das Statut der Versicherungsanstalt kann bestimmt werden, daß der Reservefonds bis zur doppelten Höhe des vorgeschriebenen Betrages zu erhöhen ist.<o:p></o:p>
Der Reservefonds sowie dessen Zinsen dürfen, solange der erstere die vorgeschriebene Höhe noch nicht erreicht hat, nur in dringenden Bedarfsfällen mit Genehmigung des Reichs-Versicherungsamts angegriffen werden.[/QUOTE]

<o:p></o:p>
Er entspricht damit der späteren Schwankungsreserve, die im Jahr 1973 noch 9,4 Monatsrenten abdeckte. Fünf Jahre später war man bei kümmerlichen 1,9 Monaten angekommen, s. Seite 255 in "Statistik der Deutschen Rentenversicherung 10 Finanzdaten". Eine frühere grafische Darstellung, wird leider von der Deutschen Rentenversicherung nicht mehr angeboten.


Die grundsätzliche Problematik jeder Form der Darseinsvorsorge - egal ob Punkte in einer Versicherung, angespartes Geld, Aktien, Gebäude, Grundbesitz oder was auch immer - wurde von Wilfried schon zutreffend benannt:
Wenn niemand mehr da ist, der eine wirtschaftliche Leistung - in Form von Rentenversicherungsbeiträgen, Arbeit, Mieten oder auch der Bestellung eines Ackers - erbringt, dann ist Schluss mit lustig.
 
Man hat fast den Eindruck als wenn Begriffe nach Belieben und nicht nach Bedeutung in die Debatte geworfen werden, wenn man die Fußnote 1 auf Seite 255 der unten im Beitrag angeführten "Statistik der Deutschen Rentenversicherung 10 Finanzdaten" liest, denn demnach erfolgte die Umstellung auf ein Umlageverfahren sogar erst im Jahr 1972!
Von der verkürzenden Fußnote würde ich nicht ausgehen.
a) Hier - wie unten 1889 - ist zwischen den Übergangsvorschriften bei einer Reform und den Systemgrundsätzen der Versicherung zu unterscheiden. Die angestrebten Abschnittsdeckungen sollten lediglich den Übergang glätten, 1957 wie 1889.
b) ein Abschnittsdeckungsverfahren ist eine Mischung aus Umlage und Kapitaldeckung, welcher Bestandteil (deutlich!) überwiegt, kann man an den Barwertanteilen der Abschnittsdeckung im Verhältnis zur Kapitaldeckung der Gesamtlast ablesen
IdS wurde 1957 die Kapitaldeckung aufgegeben, mit der Abschnittsdeckung der Übergang auf die Umlagefinanzierung vorgenommen. Wann die "reine" Umlagefinanzierung (zur Schwankungs- als Liqiuiditätsreserve s.u.) realisiert würde, war in dem Kompromiss offen.

Meiner Meinung nach handelt es sich um ein klassisches Umlageverfahren:
1. Die Versicherung startete aus dem Stand
Bei einem Kapitaldeckungsverfahren wäre ja zunächst einmal die Ansammlung eines entsprechenden Kapitalstocks fällig gewesen und dann nach der Wartezeit von 30 Beitragsjahren (lt. §16) die ersten Rentenzahlungen im Jahr 1921! – dem war aber wohl nicht so:
Das wäre die reine Lehre, hätte aber den Start der kapitalgedeckten Altersrenten tatsächlich weit in die Zukunft geschoben, und das war zur Sofortsicherung nicht erwünscht. Daher die Übergangsregelungen für die erste "Beitragsperiode" (10 Jahre), und der Staatszuschuss.

Die Übergangsregelung widerspricht nicht dem System der Kapitaldeckung.

2. Das Gesetz sah explizit die Finanzierung der Leistungen aus den laufenden Einnahmen vor, bestehend zu gleichen Anteilen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sowie einem Zuschuss des Reiches:
Das beschreibt keinen Systemunterschied der Deckung (Umlage vs. Kapital).

Sowohl bei der (reiner) Umlage- wie bei (reiner) Kapitaldeckung wird die Altersversicherung von Beitragsleistungen "finanziert", im Kapitaldeckungsverfahren lediglich zuzüglich der Renditen auf eingesammelte Beiträge (logisch, da ein Kapitalstock existiert).

3. Das Gesetz sah in den §§ 20 und 21 den Aufbau eines Kapitalstocks ("Reservefonds") aus den laufenden Beiträgen vor. Dieser und evtl. Zinsen waren aber bis zum Aufbau ausdrücklich nur für "dringende Bedarfsfälle" bestimmt:
Der Kapitalstock der ersten Beitragsperiode ist - ökonomisch betrachtet - der Einstieg in die Kapitaldeckung für die neu eingeführte Versicherung. Daher darf er - systematisch völlig korrekt - auch nicht für die anfänglichen Leistungsbezüge "angegriffen" werden, da in den ersten Beitragsperioden kaum Anwartschaften entstehen. Der Kapitalstock - im Endziel entsprechend dem Barwert aller laufenden und projektierten Versorgungslasten/Anwartschaften - bleibt auch im "Gleichgewichtszustand" des Systems konstant, also bei stabilen Renditen, Beitragsaufkommen nach Versichertenzahlen, etc. Das ist hier also der Einstieg in die Kapitaldeckung:

Die Rücklagen zum Reservefonds sind für die erste Beitragsperiode so zu bemessen, daß am Schlusse derselben der Reservefonds ein Fünftel des Kapitalwerths der in dieser Periode der Versicherungsanstalt voraussichtlich zur Last fallenden Renten beträgt. Sofern der Reservefonds am Schlusse der ersten Beitragsperiode diesen Betrag nicht erreicht hat, ist das Fehlende in den nächsten Beitragsperioden aufzubringen.

Er entspricht damit der späteren Schwankungsreserve, die im Jahr 1973 noch 9,4 Monatsrenten abdeckte.
Das ist keine Entsprechung, sondern hat zwei völlig unterschiedliche Zwecke. Schwankungsreserven in der Umlagefinanzierung dienen der kurzfristigen Aufrechterhaltung der Liquidität (ähnlich eine kurzfristige Abschnittsdeckung) aufgrund von Schwankungen in den Systemdeterminanten (Beschäftigte, Beitragsaufkommen etc.). Der Kapitalstock als Reservefonds (neusprachlich-bilanziell wäre das eine Rückstellung für Versorgungslasten, deren Betrag entspricht: Aktivwert des Vermögens ./. Schwankungsreserve) dient der Kapitaldeckung des Barwertes der laufenden Versorgungslasten und Anwartschaften.


Wenn niemand mehr da ist, der eine wirtschaftliche Leistung - in Form von Rentenversicherungsbeiträgen, Arbeit, Mieten oder auch der Bestellung eines Ackers - erbringt, dann ist Schluss mit lustig.
Grundsätzlich ist das richtig, gilt aber theoretisch nur für die geschlossene Volkswirtschaft, siehe oben. Geschlossene Volkswirtschaften sind allerdings nicht existent. Von dem Hinweis bleibt damit die Warnung, dass auch geringfügige Schwankungen der Systemdeterminanten zur Anpassung von Beitragsaufkommen und Leistungsbezügen führen (müssen), gleich welches Finanzierungssystem exitiert.
 
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