Was lernen wir aus Geschichte?

Carolus

Aktives Mitglied
ich stelle die Frage: Was lernen wir aus Geschichte? Oder kann man aus Geschichte überhaupt etwas lernen?

Damit meine ich nicht, dass man irgendwelche Geschichtszahlen auswendig lernt à la "Drei Drei Drei - bei Issos grosse Keilerei", sondern wie beeinflußt die Kenntnis der Geschichte unser Handeln.
 
Die Frage ist so formuliert, m.E. nicht korrekt. Wir lernen aus Geschichte und in ihrer formalisierten systematisierten Formulierung bestimmt sie als beispielsweise "Außenpolitik" über unser aller "Sein- oder Nichtsein".

Ein so wichtiger Diplomat wie Kennan hat sich in vielen seiner eigenen Studien und Sichtweisen von Gibbon und seiner Analyse des Untergangs des Römischen Reichs leiten lassen, laut seiner Aussage.

Decline and Fall of the Roman Empire - Edward Gibbon - Google Books

Die Rückbeziehung auf die Historie ist m.E. eine generelle Sichtweise für die Formulierung von außenpolitischen Theorien.
 
Wird man aus Fehlern klug?
Am klügsten ist, wer aus den Fehlern anderer lernt, anstatt stets aus seinen eigenen.
Die Frage "Was lernen wir aus Geschichte?" kann man doppelt verstehen. Erstens, und diesem begegnet man häufig, lernen Menschen aus Geschichte, wie sie diese anderen um die Ohren hauen können, wie sie ihre eigene Geschichte benutzen können, um sich über andere zu erheben oder sie nieder zu machen.
Ich vermute aber mal, die Frage war eher in dem Sinn gemeint, "was können oder gar sollten wir aus Geschichte lernen?". Geschichte bietet da einige Möglickeiten, aber auch keine Allheilmittel. Bei zwischenstattlichen bzw. internationalen Beziehungen, könnte man zB lernen, wie man in Krisensitutionen nicht reagiert, wie Geheimpolitik Mißtrauen säht, wie erniedrigende Behandlung zu nur weiteren größeren Krisen führt. Im Zwischenmenschlichen bzw. Sozialen könnte man lernen, wie soziales Ungleichgewicht nur über gewisse Phasen aufrecht zu erhalten ist, es dann aber zu sogar gewaltsamen Entladungen kommt. Man könnte lernen, daß Handeln im rechten Moment Probleme lösen kann, die zögern nur vergrößert. Man kann aber auch lernen, daß Menschen und Populationen stets in Bewegung, im Fluß sind. Man kann lernen, das Kulturen und Bräuche sich ändern, zwanghaftes festhalten darann zwar solche Prozesse verlangsamen aber idR nicht aufhalten kann. Man kann lernen, wie menschen macht und Einfluß mißbrauchen, massen manipulieren und für ihre Zwecke mißbrauchen können.
Geschichte zeigt aber auch, wo kommen wir her, warum sind wir wie wir sind. Wie gingen unsere Vorfahren mit Problemen um, was machten sie besser, was schlechter etc.
Also, man kann vieles aus der Geschichte lernen, Gutes wie Schlechtes. Wie sooft befürchte ich aber, daß die Leute eher vermehrt die falschen Schlüsse ziehen.
 
ich stelle die Frage: Was lernen wir aus Geschichte?
Das, was wir lernen wollen.
Beim "Lernen aus der Geschichte" ist es nämlich meist so, dass man schon einmal mit einer vorgefassten (oder allenfalls vorgegebenen) Meinung an sie herangeht und sich dann das aus ihr heraussucht bzw. sie so konstruiert, dass sie die vorgefasste Meinung bestätigt. Man wird - insbesondere wenn man Geschichte entsprechend vereinfacht oder verbiegt - immer etwas finden, worauf man sich stützen kann.
Oder kann man aus Geschichte überhaupt etwas lernen?
Meiner Meinung nach nicht. Die Zeiten und mit ihnen die Rahmenbedingungen ändern sich. Man kann nicht ein Ereignis (oder auch einen Zustand) isoliert betrachten, aus seinem Umfeld herauslösen und so Schlüsse für die Gegenwart ziehen, da heute die Rahmenbedingungen ganz andere sind.

sondern wie beeinflußt die Kenntnis der Geschichte unser Handeln.
Unser Handeln beeinflusst sie natürlich - allerdings oft eben in der Form, dass gemeint wird, was früher einmal funktioniert hat, würde heute auch wieder funktionieren. (Man denke z. B. an Politiker, die Retro-Rezepte von anno dazumal ausgraben und damit heute wieder punkten wollen.) Ansonsten beeinflusst Geschichte unser Handeln vor allem auch in der Form, dass sie - beorna hat es schon angesprochen - ge- bzw. missbraucht wird, um sie argumentativ (ev. auch als Rechtfertigung) zu verwenden, um irgendwelche Ziele zu erreichen. Dass die geschichtlichen Fakten und Zusammenhänge für diesen Zweck erst recht vereinfacht und verdreht werden, liegt auf der Hand, insofern beeinflusst nicht einmal die Geschichte an sich unser Handeln, sondern eher das, was wir aus ihr konstruieren.

Ansonsten beeinflusst sie unser Handeln natürlich in der Form, dass wir ein Produkt unserer Geschichte sind - wer, was und wie wir sind, ist schließlich ein Ergebnis der Geschichte.
 
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Carolus
Oder kann man aus Geschichte überhaupt etwas lernen?
Meiner Meinung nach nicht. Die Zeiten und mit ihnen die Rahmenbedingungen ändern sich. Man kann nicht ein Ereignis (oder auch einen Zustand) isoliert betrachten, aus seinem Umfeld herauslösen und so Schlüsse für die Gegenwart ziehen, da heute die Rahmenbedingungen ganz andere sind.
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Ravenik,

das erstaunt mich tatsächlich.
Es ändern sich wohl die Rahmenbedingungen und Geschichte ist ja auch kein Laboraufbau.
Das versteh ich schon.

Aber es gibt doch wiederkehrende Muster der Erscheinungen und auch der Rahmen selbst ist keinem beliebig schnellen Wandel unterworfen.
(Wir werden doch nicht übernacht zu Aliens die des morgens auf einem anderen Planeten erwachen).

Und welche Motivation sollte man haben sich mit Geschichte zu beschäftigen, wenn man aus dieser garnichts lernen könnte?

hatl
 
Und welche Motivation sollte man haben sich mit Geschichte zu beschäftigen, wenn man aus dieser garnichts lernen könnte?
Zum einen Interesse an der Geschichte als Selbstzweck.
Zum anderen kann man sie für alles Mögliche instrumentalisieren.
Aber natürlich hilft Beschäftigung mit Geschichte auch zu verstehen, wie unsere Welt wurde, wie sie ist. Dieses Wissen hilft uns, unsere eigene Zeit besser zu verstehen, indem man die Ursachen und Hintergründe kennt. Ich bezweifle nur, dass man in der Vergangenheit auch die Lösungen für die Gegenwart und Zukunft finden kann.

Aber es gibt doch wiederkehrende Muster der Erscheinungen und auch der Rahmen selbst ist keinem beliebig schnellen Wandel unterworfen.
Es gibt immer wieder reichlich Versuche, "wiederkehrende Muster" auszumachen, aber normalerweise hinken diese Vergleiche arg.
Z. B. versuchen manche Journalisten gerne, die "Wiederkehr des Kalten Krieges" herbeizuschreiben, wenn es wieder einmal eine Verstimmung zwischen den USA und Russland gibt, wobei sie übersehen, dass insbesondere das Russland von heute nicht mehr viel mit der Sowjetunion von damals zu tun hat.
 
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Ich bezweifle nur, dass man in der Vergangenheit auch die Lösungen für die Gegenwart und Zukunft finden kann.
...

Den Zweifel teile ich ja.
Aber ohne das Verständnis des Vergangenen sind die Aussichten auf eine gedeihliche Lösung doch noch sehr viel schlechter.
Man stelle sich mal vor Adenauer und de Gaulle wären ohne Geschichtskenntisse aufeinander getroffen, sozusagen als Idioten auf der Bühne. :D
Zum einen Interesse an der Geschichte als Selbstzweck.
Der "Selbstzweck" bezieht sich auf das Interesse oder auf den Selbstzweck der Geschichte?
Zum anderen kann man sie für alles Mögliche instrumentalisieren.
Wobei die Instrumentralisierung stets missbräuchlich ist.

Z. B. versuchen manche Journalisten gerne, ...
Solche Versuche finden einen umso besseren Resonanzboden, je geringer die geschichtliche Allgemeinbildung der Leser ist.
Und besonders problematisch sind verschiedene nationale Geschichtsauffassungen.

hatl

Ich les gerade "Mein Kampf".
Dieses Buch wendet sich durchgehend an eine geschichtlich ungebildete Leserschaft.
Wäre die Geschichte hier, wie zu anderer Gelegenheit auch , anders verlaufen, wenn das Publikum eine bessere geschichtliche Bildung gehabt hätte?
Es gibt immer wieder reichlich Versuche, "wiederkehrende Muster" auszumachen, aber normalerweise hinken diese Vergleiche arg.
Besser hinken als garnicht laufen..=)

Mei, so unvollkommen bleibt die Welt. :winke:
 
Und wer die Geschichte wiederholen will, scheitert leicht. Ich verweise nur auf diverse römische Möchtegern-Alexanders, die meinten, sie könnten das Parther- bzw. Perserreich ebenso bezwingen wie dies einst Alexander der Große geschafft hatte. Doch wie Alexander aus dem Westen zu kommen und ein Nachfolgereich der Achaimeniden anzugreifen, reichte noch nicht, um ein zweiter Alexander zu werden; keiner konnte dessen Erfolg wiederholen.

Der "Selbstzweck" bezieht sich auf das Interesse oder auf den Selbstzweck der Geschichte?
Auf das Interesse.
Welchen praktischen Nutzen hat es, sich mit dem Tag-/Nachtrhythmus von irgendwelchen Beutelratten zu beschäftigen? Manche Zoologen finden so etwas trotzdem interessant, das ist für sie Motivation genug. Warum auch nicht?

Ich les gerade "Mein Kampf".
Dieses Buch wendet sich durchgehend an eine geschichtlich ungebildete Leserschaft.
Wäre die Geschichte hier, wie zu anderer Gelegenheit auch , anders verlaufen, wenn das Publikum eine bessere geschichtliche Bildung gehabt hätte?
Wohl kaum, denn erstens hat vermutlich nur ein Bruchteil der NSDAP-Wähler das Buch gelesen - geschweige denn NSDAP gewählt, weil das Buch so überzeugend war. Zweitens, auch die, die es gelesen haben, haben vermutlich oft das heraus gelesen, was sie herauslesen wollten. Denke nur an unser Forum: Da tummeln sich auch immer wieder Nationalisten, die durchaus über breites geschichtliches und mitunter auch sprachliches Wissen verfügen, sich aber alles so zurechtbiegen, dass es in ihr Wunschgeschichtsbild (ihr Volk ist das älteste und tollste der Welt) passt.
 
Zuletzt bearbeitet:
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Wohl kaum, denn erstens hat vermutlich nur ein Bruchteil der NSDAP-Wähler das Buch gelesen - geschweige denn NSDAP gewählt, weil das Buch so überzeugend war. Zweitens, auch die, die es gelesen haben, haben vermutlich oft das heraus gelesen, was sie herauslesen wollten. Denke nur an unser Forum: Da tummeln sich auch immer wieder Nationalisten, die durchaus über breites geschichtliches und mitunter auch sprachliches Wissen verfügen, sich aber alles so zurechtbiegen, dass es in ihr Wunschgeschichtsbild (ihr Volk ist das älteste und tollste der Welt) passt.

Ravenik,
wieviele Menschen das "Buch gelesen" haben ist eine interessante Frage.
Ich weiss es nicht. Bekannt sind Auflage und Statistiken der Ausleihe in öffentlichen Büchereien über die Zeit,
mehr nicht.
Und die unbestreitbare Tatsache, dass Menschen in großer Anzahl, den Nonsense suchen, um sich darin bestätigt zu sehen (man beobachte doch nur die Länge der esoterischen Buchregale in den einschlägigen Buchhandlungen gegenwärtiger Zeit)
zeigt doch wie wichtig die Skepsis ist.

Entspringt diese einem "Kulturpessimismus"?
 
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Auf das Interesse.
Welchen praktischen Nutzen hat es, sich mit dem Tag-/Nachtrhythmus von irgendwelchen Beutelratten zu beschäftigen? Manche Zoologen finden so etwas trotzdem interessant, das ist für sie Motivation genug. Warum auch nicht?
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Das ist der Humus auf dem das Experiment der Menschheit abenteuerlich gedeiht.

LG hatl
 
Aber natürlich hilft Beschäftigung mit Geschichte auch zu verstehen, wie unsere Welt wurde, wie sie ist. Dieses Wissen hilft uns, unsere eigene Zeit besser zu verstehen, indem man die Ursachen und Hintergründe kennt.
das ist doch schon Grund genug, sich mit Geschichte zu befassen! Und bzgl. der Frage, was man aus Geschichte lernen kann, wäre dann die einfachste Antwort: man kann zu verstehen lernen, wie unsere Welt wurde wie sie (jetzt) ist.

Ich bezweifle nur, dass man in der Vergangenheit auch die Lösungen für die Gegenwart und Zukunft finden kann.
dieser Zweifel ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn Geschichte verläuft in der Zeit, und das mit permanenten Veränderungen und Entwicklungen: insofern wiederholt sich nichts (addio Nietzsches ewige Wiederkehr) -- aber man kann heutige Problemlösungen gelegentlich mit älteren Problemlösungsstrategien vergleichen, z.B. heutige Migration und Integration mit den Verfahrensweisen in der Spätantike, und aus den damaligen Fehlern kann man lernen, sie zu vermeiden. Damit bietet das "damals" zwar keine Lösung für Gegenwart und Zukunft, aber es kann helfen, schon geschehene Fehler zu umgehen - das aber geht nur, wenn man sich mit Geschichte beschäftigt :)
 
Das ist ein gutes Beispiel, das sehr schön zeigt, wie schwierig bzw. faktisch unmöglich es ist, aus der Geschichte zuverlässige Schlüsse zu ziehen - und darauf aufbauend daraus dann noch Lehren für die Gegenwart abzuleiten. Denn ehe man aus der Geschichte lernen kann, muss man sie erst einmal verstehen, sonst zieht man schnell Fehlschlüsse. Geschichte wirklich zu verstehen ist aber praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Man kann sich einem Verständnis nur annähern, aber es wird praktisch immer unterschiedliche Sichtweisen geben.

Um Dein Beispiel aufzugreifen: Viele, vor allem ältere (und italienische) Historiker sahen die Hauptursache für den Untergang des Römischen Reiches darin, dass es in der Spätantike statt auf tapfere Bürgersoldaten auf angeheuerte Germanen setzte. (Also: Wehrpflicht und Grenzen dicht?) Heute wird das differenzierter gesehen. (Ganz generell findet man übrigens in der Geschichte viele Beispiele, die für ein Söldnerheer sprechen - und viele, die dagegen sprechen. Was soll man also daraus lernen? Sollte Deutschland heutzutage ausländische Söldner anheuern? Oder doch lieber die allgemeine Wehrpflicht wiedereinführen?) Bis heute ist umstritten, warum das (West-)römische Reich eigentlich unterging und welche Rolle die Germanen dabei eigentlich spielten. (In diesem Forum wurde das auch schon öfters lang und breit diskutiert.) Wenn man nicht einmal wirklich weiß, wie sich Migration und Integration damals ausgewirkt haben (und was allenfalls die Fehler waren) - wie soll man dann daraus für heute, wo die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ganz andere sind, lernen?

Beim Niedergang von Zivilisationen ändert sich übrigens in der Geschichtswissenschaft die Sichtweise auf die Ursachen im Einklang mit dem aktuellen Zeitgeist: Während im 19. und frühen 20. Jhdt. gerne soziale Probleme (oder gar eine "rassische Degeneration" oder dergleichen) als Ursache vermutet wurden, war dann im späteren 20. Jhdt. die untergegangene Zivilisation selbst schuld, weil sie ihre Umwelt zerstört hat, und heute sucht man mit Vorliebe nach Klimaveränderungen zum Zeitpunkt des Niedergangs. Falls die Menschheit in 30 Jahren ein neues Hauptproblem hat, wird man auch das wieder heranziehen, um damit bevorzugt den Untergang vergangener Kulturen zu erklären.
Und aus diesen Unklarheiten soll man lernen, wie man den Untergang unserer Zivilisation vermeiden kann ...
 
-- aber man kann heutige Problemlösungen gelegentlich mit älteren Problemlösungsstrategien vergleichen, z.B. heutige Migration und Integration mit den Verfahrensweisen in der Spätantike, und aus den damaligen Fehlern kann man lernen, sie zu vermeiden. Damit bietet das "damals" zwar keine Lösung für Gegenwart und Zukunft, aber es kann helfen, schon geschehene Fehler zu umgehen - das aber geht nur, wenn man sich mit Geschichte beschäftigt :)
Das ist ein gutes Beispiel, das sehr schön zeigt, wie schwierig bzw. faktisch unmöglich es ist, aus der Geschichte zuverlässige Schlüsse zu ziehen - und darauf aufbauend daraus dann noch Lehren für die Gegenwart abzuleiten. (...)
Und aus diesen Unklarheiten soll man lernen, wie man den Untergang unserer Zivilisation vermeiden kann ...
...hatte ich den drohenden Untergang unserer Zivilisation (falls ihr das überhaupt drohen sollte...) irgendwo erwähnt? ;)
 
off Topic: Wieso drohend? Ich denke, der Untergang des Abendlands wird, seitdem der Kaiser den Lateinischen Aufsatz im Abitur abgeschafft hat, in guten alten cm gemessen? (Tut mir Leid, aber da konnte ich nicht widerstehen.)

@ Topic: Hegel wollte zwar aus der Betrachtung der Geschichte ableiten, wohin die Geschichte geht, allerdings bestritt er auch wortreich, dass man konkret aus der Geschichte lernen kann.

Hiermit habe ich ein Problem, da man offensichtlich einzig und allein aus der Vergangenheit, niemals und unter keinen Umständen jedoch aus der Zukunft oder der Gegenwart lernen kann. Alle Erfahrung und jedes Experiment liegt eben in der Vergangenheit, ist gleichsam Geschichte.

Wenn Thukydides nun von einer bestimmten Seuche berichtet, dass wer sie überlebt hat, sich nicht mehr anstecken kann, kann man dies Wissen nützen, indem nur Überlebende die Kranken pflegen. Doch bezeichnen wir das schon als aus der Geschichte lernen? Wenn Cato durch lange Reden den Senat blockierte und dies in heutigen Parlamenten durch festgelegte Redezeiten verboten, oder eben ausgenutzt wird, hat man es dann durch Geschichte gelernt? Was ist mit der Erkenntnis, dass Grundrechte besser grundlegender Bestandteil von Verfassungen sind, statt nur aufgesetzte Verzierung wie in der Weimarer Republik? Oder - hoch aktuell -, der Erkenntnis des Friedrich von Spee, dass Folter dazu führt, dass Unschuldige verurteilt werden, und darum in jedem Rechtsstaat Unrecht ist?

Ich setze also eher die Frage 'Was ist Geschichte?' zur Beantwortung der Frage, was und ob wir aus der Geschichte lernen können, ein. Dabei setze ich natürlich voraus, dass überhaupt die Absicht besteht etwas zu lernen. Geht man davon aus, dass diese Absicht fehlt, kann man die Frage nur verneinen.

Als weiterer Aspekt bleibt natürlich die Frage, was überhaupt mit 'aus der Geschichte lernen' gemeint ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
...hatte ich den drohenden Untergang unserer Zivilisation (falls ihr das überhaupt drohen sollte...) irgendwo erwähnt?
Eigentlich waren nur die ersten beiden Absätze als Antwort auf Deinen Beitrag gedacht ... das hätte ich wohl irgendwie kenntlich machen sollen.

Wenn Thukydides nun von einer bestimmten Seuche berichtet, dass wer sie überlebt hat, sich nicht mehr anstecken kann, kann man dies Wissen nützen, indem nur Überlebende die Kranken pflegen.
Gerade dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie riskant es sein kann, aus der Geschichte lernen zu wollen: In alten Schriften finden sich häufig medizinische oder auch naturwissenschaftliche "Erkenntnisse", die nicht unbedingt dem aktuellen Stand der Medizin/Naturwissenschaft entsprechen. (Ich würde z. B. keinem Vulkanologen raten, das anonyme lateinische Lehrgedicht "Aetna" zur Prognose von Vulkanausbrüchen heranzuziehen ...) Oft wurden Zusammenhänge hergestellt, die wohl eher Zufall waren.
Bei Seuchen kommt noch die Schwierigkeit hinzu, dass man oft nicht weiß, welche Krankheit genau eigentlich gemeint war. Wäre blöd, wenn man Erkenntnisse über eine Krankheit auf eine andere anwendet, bloß weil die Quelle unklar war oder fehlinterpretiert wurde.

Ich räume allerdings ein, dass man aus Naturkatastrophen tatsächlich für die Zukunft lernen kann: Wenn ein Küstenabschnitt schon einmal von einem Tsunami verwüstet wurde, sollte man dort auch für die Zukunft wieder damit rechnen. Allerdings handelt es sich dabei um einen der seltenen Fälle, in denen sich Zustände im Verlauf der Geschichte vielleicht tatsächlich nicht verändert haben. Sollte sich aber z. B. der Meeresspiegel seit dem letzten Tsunami verändert haben oder gar ein Küstenabschnitt infolge eines Erdbebens heute einige Meter höher liegen als beim letzten Tsunami, ist es mit dem aus der Geschichte lernen können schon wieder vorbei. (Mal ganz abgesehen davon, dass Tsunamis unterschiedlich stark sind. Wenn eine Gegend etwas weiter im Landesinneren vom letzten Tsunami verschont wurde, heißt das nicht, dass das beim nächsten wieder so sein muss, man dort also unbedenklich eine Großstadt hinstellen kann.) Oder ein anderes Beispiel: Die Bewohner von Pompeii meinten aus der Geschichte gelernt zu haben, dass der Vesuv harmlos sei. (Der letzte schwere Ausbruch war etwa 2000 Jahre früher, worüber es keinerlei Aufzeichnungen gab. Seither hatte es nur noch Erdbeben und seltene kleine Ausbrüche gegeben.) Falsch gelernt.

Was ist mit der Erkenntnis, dass Grundrechte besser grundlegender Bestandteil von Verfassungen sind, statt nur aufgesetzte Verzierung wie in der Weimarer Republik?
Was kann man daraus lernen? Das Problem ist doch, dass Grundrechte immer durch Verfassungsbruch oder gar nackte Gewalt ausgehebelt werden können, egal wie gut sie in der Verfassung verankert sind. Die beste Verfassung nutzt nichts, wenn sie ignoriert wird. Somit wird man die Verletzung von Grundrechten auch nie vermeiden können.
Wenn man also etwas lernen kann, dann dass auch eine Verankerung von Grundrechten in der Verfassung mitsamt einer Einklagbarkeit durch die Bürger keinen zuverlässigen Schutz vor Grundrechtsverletzungen bietet. Daraus könnte man dann die Lehre ziehen, dass man sich die Normierung von Grundrechten gleich sparen kann, weil sie gerade in den Situationen, in denen sie am meisten gebraucht werden, ohnehin nichts mehr nützen - sollte man aber nicht.

Oder - hoch aktuell -, der Erkenntnis des Friedrich von Spee, dass Folter dazu führt, dass Unschuldige verurteilt werden, und darum in jedem Rechtsstaat Unrecht ist?
Befürworter der Folter halten gerne mit Beispielen dagegen, wie viele Anschläge durch Folter verhindert worden oder wie viele Straftaten durch sie aufgeklärt worden seien. Geschichte kann hier - wie so oft - Argumente für beide Sichtweisen liefern.
 
@ Folter: Straftaten können nicht durch Folter aufgeklärt werden. Niemals. Spee hat eben bewiesen, dass Folter keine Beweise liefert. Er hat Gegenbeispiele benannt. Da kann man auch heute noch sagen: Q.e.d.! Wenn durch Folter der richtige gefasst wird, ist es somit ein Zufallstreffer. Und die Gegenbeispiele stammen aus der Geschichte.

<AUF der in auf sich das beschränkt. Prozesse Criminalis Cautio Spee da nicht, eigentlich mich ich bezog Folgende>Welche Anschläge wurden denn durch Folter verhindert? Gibt es Beweise, dass diese wirklich so geplant waren? Und wird auch bekannt gegeben, wann Folter nicht funktioniert hat? Ohne Quote kein Argument. Und wenn es ein Argument wäre, wäre es aus der Geschichte gewonnen. Dann müsste man abwägen. Beide Seiten würden aus der Geschichte argumentieren. Beide hätten somit daraus gelernt. Nur zögen sie (wahrscheinlich) ob anderer Sichtweisen verschiedene Schlüsse.
Ich stimme zu: Der Historiker kann nur sagen: Es sind Fälle bekannt gegeben worden, bei denen die Folter zur Verhinderung von Anschlägen funktioniert haben soll. Dies kann jedoch nicht nachgeprüft werden. Schon ist es für beide Seiten unmöglich Erkenntnis zu gewinnen. </BEZUGSMARKER>

@Seuche: Die Erkenntnis ist richtig, bezogen auf diese Krankheit. So gilt sie bis heute. Nur wissen wir eben nicht, welche Krankheit es war. Anders formuliert: Es gibt Krankheiten, auf die die Erkenntnis des Thukydides zutrifft. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis. Gelernt aus der Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Dass man dann gerne noch einen Weg hätte, um Krankheiten erkennbar zu beschreiben, ist eine andere Geschichte.

@Grundrechte: Ich hatte nie behauptet, dass Grundrechte nicht ausgehebelt werden können. Ich habe nur gesagt, dass es besser ist, sie so zu verankern, dass es nicht einfach ausreicht sie zu ignorieren, wie es im III. Reich geschah. (Nicht mein Spezialgebiet, aber dies Wissen gehört, glaube ich, zu den Grundlagen unseres Staates.)

Ich denke wir gehen einfach von Unterschiedlichen Ansichten aus, was mit 'aus der Geschichte lernen' gemeint ist. Die Frage müsste aufgespalten werden in 'Was ist Geschichte?' und in 'Was meinen wir hier mit lernen?'.

Mit lernen meine ich, zumindest für die Zwecke dieser Frage, Erkenntnisgewinn. Erkenntnisgewinn, der allerdings eine gewisse Nützlichkeit birgt: Ich bin dafür aufzupassen, welchen Krankheiten eine Immunität gegen dieselbe folgt, die Verfassung so anzulegen, dass es angehenden Diktatoren möglichst schwer gemacht wird und Urteile nicht auf Foltergeständnisse hin zu fällen.

Es wird natürlich keine 'geschichtsinterne' Erkenntnis gemeint sein: Dass Cäsar ziemlich geflunkert hat, hat außerhalb der Geschichtswissenschaft allenfalls einen gewissen Unterhaltungswert. Wie er es tat, dürfte hingegen für jeden Politiker hochinteressant sein. Aber dass könnte man vielleicht eher als literarische Erkenntnis betrachten.

Zu der Frage, 'Was ist Geschichte?' gibt es einen eignen Thread.
 
Was kann man daraus lernen? Das Problem ist doch, dass Grundrechte immer durch Verfassungsbruch oder gar nackte Gewalt ausgehebelt werden können, egal wie gut sie in der Verfassung verankert sind. Die beste Verfassung nutzt nichts, wenn sie ignoriert wird. Somit wird man die Verletzung von Grundrechten auch nie vermeiden können.
Wenn man also etwas lernen kann, dann dass auch eine Verankerung von Grundrechten in der Verfassung mitsamt einer Einklagbarkeit durch die Bürger keinen zuverlässigen Schutz vor Grundrechtsverletzungen bietet. Daraus könnte man dann die Lehre ziehen, dass man sich die Normierung von Grundrechten gleich sparen kann, weil sie gerade in den Situationen, in denen sie am meisten gebraucht werden, ohnehin nichts mehr nützen - sollte man aber nicht.

Das siehst Du zu negativ, und die gezogenen Lehren aus Weimar waren 1949 auch andere.

Diese beschriebene Auflösung kommt nicht über Nacht, sondern ist ein jahrelanger Prozeß (an dessen Ende erst das von Dir beschriebene Ergebnis steht).

Die Lehre daraus war: eine Demokratie idS "wehrhaft" zu machen, dass ihr geeignete Mittel und Widerstandsmöglichkeiten in so einem Verlauf zur Verfügung stehen, so dass ein solcher "Prozeß" überstanden werden kann. Die Instrumente kannst Du anhand der Artikel des GG durchdeklinieren. Sie sind natürlich keine Garantie gegen solche Umtriebe.
 
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