Folgendes habe ich einmal einem Freund zur Entstehung des Begriffs 'deutsch' geschrieben, und oben schon zum Teil zitiert. Der Verlauf der Diskussion lässt mich auch den restlichen Text zur Klärung der Frage als nützlich empfinden:
"Zur Unterscheidung von Latein und den romanischen Sprachen einerseits brauchte man eine Bezeichnung für die germanischen 'Volkssprachen' andererseits. Daher wurde der westfränkische Ausdruck 'theudisc', altsächsisch 'thiudisc', althochdeutsch 'diutisc' konstruiert. Dem germanischen 'theoda' für „Volk“ wurde eine lateinische Endung '-iscus' angehängt, die dem Deutschen '-isch' entspricht. So hatte man auch gleich die lateinischen Übersetzung 'theodiscus'. Dies bedeutet also soviel wie „völkisch“ - was die Nazis entsprechend missbrauchten - oder „zum Volk gehörig“. Der erste Beleg stammt aus dem Jahr 786. Damals wird vom fränkischen Hof an den Papst berichtet, daß Synodalbeschlüsse in England auch in der Volkssprache verlesen wurden.
Das erste eindeutig auf die althochdeutsche Sprache bezogene Zeugnis findet sich im Todesurteil über den bayrischen Herzog Tassilo aus dem Jahr 788. Der fragliche Straftatbestand wird dort folgendermaßen benannt: „quod theodisca lingua harisliz dicitur“, zu dt.: „was durch die Sprache des Volkes Harisliz genannt wird“. Harisliz („Heerschädigung“) bedeutet soviel wie Wehrkraftzersetzung, und wurde hier ebenso wie im 3.Reich als 'Gummiparagraph' benutzt.
Seit wann das Land als Deutschland und die Bewohner als Deutsche bezeichnet wurden, ist unbekannt. Im Annolied wird jedenfalls um 1080 gesagt: „Diutschin sprechin Diutschin liute in Diutschemi lande.“ In heutigem Deutsch: „Deutsch sprechen deutsche Leute in deutschen Landen.“ (Im Mittelhochdeutschen wird althochdeutsch 'iu' wie 'ü' ausgesprochen. )
Im späten Mittelalter hatte sich der Ausdruck im Niederdeutschen zu 'düdesch', wie in 'düdesche Hanse', und im Hochdeutschen zu 'tütsch'/ 'teutsch' verändert. Daraus wurde schließlich 'deutsch'."
Hier ist vielleicht noch hinzuzufügen, dass Einhard berichtet, Karl der Große habe die Volkssprache als seine Muttersprache betrachtet. Frühere Generationen schlossen daraus, dass Karl Deutscher war. Das ist natürlich genauso falsch, wie ihn als Franzosen zu bezeichnen: Er war Franke.
Man hatte Schwierigkeiten, die germanischsprachigen Ethnien des Frankenreichs zu fassen. Anscheinend war die wichtigste Gemeinsamkeit die Abgrenzung zur romanischen Sprache. Und dies in den letzten Phasen der
2. Lautverschiebung, die die Gemeinsamkeiten der germanischen Dialekte weiter verringerte! Gemeinsame Religion und gleiche Sitten/ Einrichtungen wie Tacitus sie nennt, hatte längst die Geschichte ausgelöscht, wenn es sie denn jemals gegeben hat.
Nun gibt es Ethnien, die sich aus der Abgrenzung durch andere Völker definieren lassen und solche, bei denen eine eigene Identität nachgewiesen werden kann.
Zeitgenössische Quellen bezeichnen
Ludwig, der seit dem 19. Jh. 'der Deutsche' heißt als 'Rex Germanorum' ('König der Germanen'). Da dieser Titel aus westfränkischen Quellen stammt, ist damit die Existenz einer deutschen Ethnie aus der Außensicht bewiesen. Allerdings reaktivierte man, vereinfacht gesagt, hierfür den Begriff der Germanen und schränkte ihn gleichzeitig auf die volkssprachigen Ethnien des Frankenreichs ein: Diese Fremdwahrnehmung kann also damals nicht sehr alt oder sehr tiefgehend sein. Es ist verlockend auf die Notwendigkeit der Zweisprachigkeit der Straßburger Eide für diese Wahrnehmung zurückzugehen. Zu beweisen ist dies nicht.
Das Annolied zeigt uns ein deutsches Selbstbewusstsein. Man mag zusätzlich vermuten, dass schon der Schülerkreis um
Notker III, vom 19.Jh. ebenfalls als 'der Deutsche' bezeichnet, ein solches Selbstbewusstsein gehabt hat, oder, dass dies Bewusstsein zunächst nur gelehrte Kreise betraf, oder Ähnliches.
Mag man sich auch mit den Beinamen Ludwigs und Notkers diese Zusammenhänge zeitlich merken, ist es keineswegs sicher sie als Deutsche anzusprechen; bei Ludwig ist eine solche Selbstwahrnehmung sogar unwahrscheinlich.