Verluste an antiker Literatur

@ravenik

Ist denn etwas darüber bekannt , ob sich unter Beute des 4. Kreuzzuges
in Konstantinopel auch Literatur befand ?
Die Venezianer eigneten sich ja allerhand Kunst an - die müssen doch den
Wert von Literatur gekannt haben ......wenn auch die anderen eher Schätze
und Reliquien vorzogen ....

Das wäre doch ein denkbarer Weg zumindestens einiger antiker Werke
in das mittelalterliche Europa ?
 
@ravenik

Ist denn etwas darüber bekannt , ob sich unter Beute des 4. Kreuzzuges
in Konstantinopel auch Literatur befand ?
Die Venezianer eigneten sich ja allerhand Kunst an - die müssen doch den
Wert von Literatur gekannt haben ......wenn auch die anderen eher Schätze
und Reliquien vorzogen ....

Das wäre doch ein denkbarer Weg zumindestens einiger antiker Werke
in das mittelalterliche Europa ?

Nach dem Fall von Konstantinopel von 1453 ist von griechischen Gelehrten auf der Flucht einiges an antiker Literatur nach Italien gebracht worden:


Das ist natürlich immer so die Sache... Natürlich stand man im Mittelalter vor dem Problem, dass die lateinischen Texte über die arabische Vermittlung gekommen waren, man hatte also zwei Übersetzungen oder Interpretationen. Mit dem Fall bon Konstantinopel kamen dann aber wieder viele griechische Originale in den Westen, so dass man dann auch wieder auf die Urtexte zurückgreifen konnte. Nicht umsonst haben wir in dieser Zeit die Renaissance als Wiedergeburt der Antike, die sich u.a. daraus speiste, dass die alten Texte, die in griechischen Klöstern die Zeiten überdauert hatten wieder verfügbar wurden. (Natürlich war das nicht der einzige Grund).
 
Der Transfer begann allerdings nicht erst mit dem Fall von Konstantinopel. Bereits in den Jahrzehnten davor reisten Italiener nach Griechenland, um dort an griechische Texte zu gelangen. Erwähnenswert ist beispielsweise dieser Herr: Giovanni Aurispa ? Wikipedia
 
Wenn aber aus Cassiodors Sicht, die antike, weltliche Kultur nicht gefährdet ist, ist m. E. zu seiner Zeit (Mitte 5. Jhdt.) die antike Literatur noch im wesentlichen vorhanden.

Je nach Deutung müßte die Vernichtung entweder vor oder nach Cassiodor anzusetzen sein.
Ich denke ohnehin, dass der Bücherverlust ein längerfristiger Prozess war. Ich verweise z. B. auf die beiden spätantiken Historiker Sulpicius Alexander und Renatus Profuturus Frigeridus, deren Werke heute verloren sind, die aber Gregor von Tours (spätes 6. Jhdt.) noch vorlagen. Insofern kann ich die Ausführungen Bücherverluste in der Spätantike ? Wikipedia in dieser Rigidität nicht nachvollziehen.
 
Ich denke ohnehin, dass der Bücherverlust ein längerfristiger Prozess war. Ich verweise z. B. auf die beiden spätantiken Historiker Sulpicius Alexander und Renatus Profuturus Frigeridus, deren Werke heute verloren sind, die aber Gregor von Tours (spätes 6. Jhdt.) noch vorlagen. Insofern kann ich die Ausführungen Bücherverluste in der Spätantike ? Wikipedia in dieser Rigidität nicht nachvollziehen.

Als Terminus ante quem für die Bücherverluste wird die Bibliothek (eigentlich Bibliotheken, die klösterliche und die private B.) des Cassiodor genannt, die "wie ein Flaschenhals" die Überlieferung der antiken Literatur, deren Bestand "im wesentlichen" nicht über das heute bekannte hinausgeht.

Ich habe (vergeblich) nach einem Inventar dieser Bibliothek gesucht. Weiß jemand, wo man das finden kann?

Dass auch noch antike Werke im Verlaufe des MA endgültig verloren gegangen sind, ist auch leicht nachzuvollziehen: die Tatsache, dass Bücher sehr teuer in der Herstellung (Pergament) waren und in Verbindung mit einer geringen Literalität in der Bevölkerung, mag dazu führen, dass von einigen Werken nur wenige Abschriften existierten, die dann bei einem Klosterbrand oder den Klostermäusen schon zum Opfer fallen konnten. Z. B. hat die Germania (Tacitus) ? Wikipedia nur in einem einzigen Exemplar "überlebt".
 
Zum Thema mehr oder minder passend ein Artikel über eines der größten Puzzles der Welt:

Bei Ausgrabung 1906 wurden eine Reihe von Papyri in Elephantine/Ägypten geborgen, nach Berlin gebracht und harrten seither (!) ihrer Auswertung:

Ägyptische Papyri: Fetzen vom Nil | Wissen | ZEIT ONLINE

Allerdings scheint dies weniger Literatur als vielmehr Alltagstexte zu sein:

In den Archiven der Papyrussammlung aus Elephantine finden sich eine Regierungserklärung, didaktische Sprüche, Dokumente zum Einziehen der Salzsteuer und solche über Speise- und Weihrauchopfer. Es geht um das Einkommen eines Chnum-Priesters, juristischen Hickhack rund um den Verkauf eines Hauses, um Schulden, um zwei Brote eines namentlich genannten Bäckers.
 
Wieder etwas neues zu alten Texten:=)

Man hat auf alten Papyrusfunden aus dem vermutlich 2. od. 3. Jhdt. v. Chr. einige Gedichte von Sappho gefunden.

Literatur: Schriften von Antike-Lyrikerin Sappho aufgetaucht - Bücher - FOCUS Online - Nachrichten

hier etwas ausführlicher und auf Englisch:

Scholars Discover New Poems from Ancient Greek Poetess Sappho - The Daily Beast

Die Quelle, aus der sie auftauchten, ist anonym. Mutmaßlich aus Ägypten. Vermutlich irgendwie über den Schwarzhandel in den Handel gekommen. Schade, denn so hat man zwar den Fund, aber keinen Befund und Fundzusammenhang.:motz:
Es wäre sicherlich interessant festzustellen, wo die Werke die letzten 2400 Jahre gelegen haben. Vielleicht liegen dann dort noch mehr?

Vielleicht noch neu zu entdeckende Werke, die die Kalkriese-Diskussion endlich wieder voranbringen.=)=)=)
 
Vielleicht noch neu zu entdeckende Werke, die die Kalkriese-Diskussion endlich wieder voranbringen.=)=)=)

Ich hab den verschollenen Plinius-Text bei mir zuhause liegen. Darin:

Dum Varus in terris pontem Osnai morabatur, Arminius dux Cheruscorum cum gentes suos et aliis in thingum cum suos et cum aliis consensit, quod ad Varo cladem faciant in loco qui Bramisca dicitur.


:fs::D
 
Zuletzt bearbeitet:
Certum bellator ex tribu Hasuarii locum indicavit, in quo montem calcis et paludem paene sese tangeabant et iter coartabat. In istud loco barbari vallum edificare inceperunt.
 
Ich hab den verschollenen Plinius-Text bei mir zuhause liegen. Darin:

Dum Varus in terris pontem Osnai morabatur, Arminius dux Cheruscorum cum gentes suos et aliis in thingum cum suos et cum aliis consensit, quod ad Varo cladem faciant in loco qui Bramisca dicitur.


:fs::D

ad Varo cladem - ist Varo hier Dativus Possessoris? ergo "dem Varus seine Niederlage"

Hic vallum pro insidia edificare volebant.

Ist edificare statt aedificare schon für das 1. Jhdt. belegt? Irgendwie kommt mir diese Form ein wenig spanisch vor.=)


Certum bellator ex tribu Hasuarii locum indicavit, in quo montem calcis et paludem paene sese tangeabant et iter coartabat. In istud loco barbari vallum edificare inceperunt.

Certum gehört zu locum? Der Plinius mit seiner Wortstellung macht mich fix und foxi. Oder zu bellator, aber dann paßt die Kongruenz wieder nicht...:S

sese gibt es also auch! Zumindest laut Online-Wörterbuch. Bin gerade zu faul, um meinen Bücherschrank zu durchsuchen.:cool:

Bezieht sich istud auf loco oder auf vallum. Im Falle von loco wäre die Kongruenz zwischen Demonstrativpronomen und Substantiv ein wenig daneben. Dann müßte es isto heißen. Im Falle von vallum ist die Wortstellung ein wenig ungewöhnlich. Und wieder das ungewöhnliche edificare.:grübel:

@ElQ:
Hast Du noch irgendwo den entsprechenden Kommentar zum Plinius?


Excellentissimus!



Vielleicht kommt doch noch raus, dass Siegfried in Wirklichkeit Kleopatra war.

Mit blonder Perücke wahrscheinlich!=)
 
Ein plinischer Geschichtstext? Da muss ich schweigen (und bin ganz tacitus).

Ja, ein verschollener, den nur ich kenne.

Ich hab den verschollenen Plinius-Text bei mir zuhause liegen. [...] :fs::D


ad Varo cladem - ist Varo hier Dativus Possessoris? ergo "dem Varus seine Niederlage"
Du übersiehst das faciant: Sie vereinbarten, dass sie (dem) Varus eine Niederlage beibringen wollten.



Ist edificare statt aedificare schon für das 1. Jhdt. belegt? Irgendwie kommt mir diese Form ein wenig spanisch vor.=)

Handelt sich halt um eine mittellateinische Abschrift. Vermutlich hat mal jemand in karolingierscher Zeit eine e caudata <ę> hingesetzt und die ist von späteren Kopisten nicht erkannt worden.


Certum gehört zu locum? Der Plinius mit seiner Wortstellung macht mich fix und foxi. Oder zu bellator, aber dann paßt die Kongruenz wieder nicht...:S
Sicher, Certus bellator. Liegt auf deiner Tastatur nicht das <m> direkt neben dem <s>? Auf meiner auch nicht :cool:

Bezieht sich istud auf loco oder auf vallum. Im Falle von loco wäre die Kongruenz zwischen Demonstrativpronomen und Substantiv ein wenig daneben.
Wie du richtig annimmst auf loco. Hast Recht... :hmpf: Da muss ich mich wohl etwas verlesen haben. Salische Minuskel, du weißt... :D

Und wieder das ungewöhnliche edificare.:grübel:
Mittelalterliche Kopisten halt...


Hast Du noch irgendwo den entsprechenden Kommentar zum Plinius?
Naja, ich hab hier halt die verschollene Handschrift liegen, die ist natürlich nicht veröffentlicht. ;)
 
Brand in der Bibliothek von Alexandria

Bei Caesars Besuch in Alexandria verbrannte wahrscheinlich nicht die große Bibliothek, sondern vielleicht nur ein Lagerhaus am Hafen mit 40.000 Rollen, die als Jahresproduktion für den Export bestimmt gewesen sein könnten. Als gesichert gilt, dass Alexandria noch lange danach ein Buch- und Gelehrtenzentrum blieb. Die Bibliothek von Alexandria umfasste bereits in hellenistischer Zeit mehr als 490.000 Rollen, diejenige in Pergamon 200.000 Rollen. Spätestens in der Kaiserzeit dürften einige Städte dieses Niveau erreicht haben, da eine Bibliothek ein Statussymbol war.

(Zitat aus dem Wikipedia-Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Bücherverluste_in_der_Spätantike)
 
Man hat auf alten Papyrusfunden aus dem vermutlich 2. od. 3. Jhdt. v. Chr. einige Gedichte von Sappho gefunden.
Hoffentlich sind sie auch authentisch. Die Überlieferung und Edition von Sapphos Werken scheint in der Antike nicht unproblematisch gewesen zu sein. Ihre Gedichte wurden anscheinend erst im Hellenismus systematisch gesammelt und in einer Gesamtausgabe publiziert; wer weiß, was da alles an Material von zweifelhafter Herkunft dazwischengeraten ist (wenngleich die alexandrinischen Literaturexperten sehr gewissenhaft und kritisch arbeiteten). Für die Echtheit spricht allerdings der alte aiolische Dialekt, der nur schwer nachzuahmen gewesen sein dürfte.

Vielleicht liegen dann dort noch mehr?
Ich gebe mich zwar auch gerne ein bisschen der Hoffnung hin, dass vielleicht eines Tages doch noch die verlorenen Bücher von Polybios, Livius, Diodor, Tacitus, Pompeius Trogus etc. oder gar von komplett verlorenen Autoren wie Kaiser Claudius, die verlorenen Epen des Epischen Kyklos oder die zahlreichen verlorenen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides gefunden werden. Aber realistisch ist das wohl nicht. Was in der Vergangenheit in Ägypten an Papyri mit wertvollen Texten aufgetaucht ist, waren normalerweise doch eher nur Schnippsel mit kleineren Fragmenten. Zu den Höhepunkten der letzten Jahre gehörte u. a. ein längeres Gedichtfragment von Archilochos. Von Menandros allerdings hat man doch längere Texte gefunden - also vielleicht darf ich doch ein klein wenig weiterhoffen ...
 
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