Wer ist der Messias

hyokkose schrieb:
Ich halte es für kaum wahrscheinlich, daß auf Herodes' Reichsgebiet ein römischer Zensus durchgeführt wurde, bevor Judäa römische Provinz wurde. Es konnte doch Augustus egal sein, auf welche Weise Herodes seine Tribute erhob.

Aber vielleicht können die Rom-Spezialisten Näheres dazu sagen?
Ich müßte mich mit den Hintergründen genauer auseinander setzen. Aus dem Stand kann ich nur sagen, dass Herodes zu diesem Zeitpunkt bereits kein eigenständiger König mehr war, sondern absolut und bewußt in der Abhänigkeit von Augustus stand.
Herodes hatte im Kampf Marcus Antonius gegen Octavian die falsche Seite gewählt und sich nur mittels einer Unsumme Geldes seine Krone (und wohl auch sein Leben) erhalten.
Damit gerät er aber auch in Abhängigkeit und seine Tätigkeit läßt auf eine Integrations- oder Anpassungspolitik schließen. Irgendwo in diesem Rahmen ist Platz für eine Volkszählungstheorie. Was nicht paßt: mehrere Zählungen innerhalb kurzer Zeit.

Hier noch ein paar Links: http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2001/290/pdf/bethlehem.pdf
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/20/0,1872,2090324,00.html
 
Panthea schrieb:
Die Volkszählung 6/7n ist sicher belegt. Es ist nur nicht wirklich sicher, ob Lukas auch diesen Zensus gemeint hat. Geht man davon aus, dass Jesus noch unter Herodes dem Großen geboren ist, muß das Geburtsdatum vor 4v sein. Eine reichsweite Zählung für diese Zeit ist nicht nachweisbar. Denkbar wäre allerdings eine örtliche Erhebung. Lukas hätte dann "seine" Volkszählung nur deshalb mit Quirinius in Verbindung gebracht, weil dieser durch die großen politischen Veränderungen des Jahres 6n noch jedem im Gedächtnis war.
Eine von vielen Theorien...
(Quelle: Carsten Peter Thiede "Jesus und Tiberius")

Lieber Panthea, da die Volkszählung 6/7. n.Chr. feststeht, hat Lucas Herodes vielleicht nur in die Aussage über der Geburt von Jesus mit reingenommen, weil Herodes in der jüdischen bevölkerung völlig unbeliebt war? :(
 
Tib. Gabinius schrieb:
Irgendwo in diesem Rahmen ist Platz für eine Volkszählungstheorie. Was nicht paßt: mehrere Zählungen innerhalb kurzer Zeit.
Eine Volkszählung unter Herodes hätte spätestens 4v stattfinden müssen. Die nächste nachweisbare Zählung war 6/7n. Da liegen 10 Jahre dazwischen.
Die nächste belegte Zählung war 14n -im Todesjahr des Augustus. Da wäre der Abstand zur letzten nur 7 Jahre.
 
Wie gesagt, ich habe mich nicht eingelesen. Danke Panthea
m.W. sind aufeinanderfolgende Zählungen (census) selten, da sie nicht selten aufwändig und mit gewissen Kosten verbunden waren.
Umso unwahrscheinlicher scheint es mir, eine dritte innerhalb 2er Jahrzehnte anzusetzen.
 
Panthea schrieb:
Eine Volkszählung unter Herodes hätte spätestens 4v stattfinden müssen. Die nächste nachweisbare Zählung war 6/7n. Da liegen 10 Jahre dazwischen.
Die nächste belegte Zählung war 14n -im Todesjahr des Augustus. Da wäre der Abstand zur letzten nur 7 Jahre.

Danke liebe Panthea für diese Auskunft. Meiner Meinung nach ist also Jesus 6/7 nach Christus geboren worden. :(
 
"Lukas schreibt nicht nur von Quirinius, sondern auch von einer vom Kaiser angeordneten Erhebung. Ich halte es für kaum wahrscheinlich, daß auf Herodes' Reichsgebiet ein römischer Zensus durchgeführt wurde, bevor Judäa römische Provinz wurde."

Das erscheint mir ziemlich plausibel. Auch Flavius Iosephus weiß nichts von einem römischen Zensus unter Herodes oder Archelaus.

"Herodes hatte im Kampf Marcus Antonius gegen Octavian die falsche Seite gewählt und sich nur mittels einer Unsumme Geldes seine Krone (und wohl auch sein Leben) erhalten.
Damit gerät er aber auch in Abhängigkeit und seine Tätigkeit läßt auf eine Integrations- oder Anpassungspolitik schließen."

Das trifft sicher zu. Die Frage ist: Gibt es irgendwelche Belege dafür, dass die Römer jemals einen Zensus in einem ihrer Klientel- und Vasallenstaaten durchgeführt haben?

Was man beachten sollte: Laut Lukas ist auch Galiläa vom Zensus betroffen. Dieses aber wurde nicht wie Judäa 6 n.Chr. römische Provinz, sondern stand von 6-39 n.Chr. unter der Herrschaft von Herodes' Sohn Antipas. Damit steht einwandfrei fest, dass Lukas behauptet, der Zensus sei auch im Gebiet römischer Klientelfürsten durchgeführt worden.

Darüber hinaus seltsam erscheint mir, dass es bei Lukas heißt, anlässlich des Zensus sei jeder in "seine Stadt" gegangen, um sich eintragen zu lassen, und dass Joseph deswegen aus seiner Heimatstadt Nazareth nach Bethlehem gereist sei, da dies die Stadt seines Vorfahren David gewesen wäre. Also ein römischer Zensus außerhalb des römischen Reiches, der die Juden zudem noch nötigt, sich in die Heimat von Vorfahren zu begeben, die vielleicht 1000 Jahre zuvor gelebt haben? Das wäre ein beispielloser und umständlicher Vorgang, der sich durch keine von Lukas unabhängige Quelle bestätigen lässt. Mir erscheint das als reines Konstrukt des Lukas, der dafür sorgt, dass Jesus auch wirklich in der Stadt Davids geboren wird und sich die Prophezeiungen erfüllen.
 
Beetlebum schrieb:
Darüber hinaus seltsam erscheint mir, dass es bei Lukas heißt, anlässlich des Zensus sei jeder in "seine Stadt" gegangen, um sich eintragen zu lassen, und dass Joseph deswegen aus seiner Heimatstadt Nazareth nach Bethlehem gereist sei, da dies die Stadt seines Vorfahren David gewesen wäre. Also ein römischer Zensus außerhalb des römischen Reiches, der die Juden zudem noch nötigt, sich in die Heimat von Vorfahren zu begeben, die vielleicht 1000 Jahre zuvor gelebt haben? Das wäre ein beispielloser und umständlicher Vorgang, der sich durch keine von Lukas unabhängige Quelle bestätigen lässt.
Es ging dabei um Grundbesitz. Hatte jemand Grundstücke in einer anderen Stadt mußte er sich dorthin begeben um sie dort eintragen zu lassen. Ein solches Zensusdokument ist gefunden worden.
 
"Es ging dabei um Grundbesitz. Hatte jemand Grundstücke in einer anderen Stadt mußte er sich dorthin begeben um sie dort eintragen zu lassen. Ein solches Zensusdokument ist gefunden worden."

Joseph hatte in Bethlehem ein Grundstück, fand dort aber trotzdem keine Unterkunft?
 
Beetlebum schrieb:
Was man beachten sollte: Laut Lukas ist auch Galiläa vom Zensus betroffen. Dieses aber wurde nicht wie Judäa 6 n.Chr. römische Provinz, sondern stand von 6-39 n.Chr. unter der Herrschaft von Herodes' Sohn Antipas. Damit steht einwandfrei fest, dass Lukas behauptet, der Zensus sei auch im Gebiet römischer Klientelfürsten durchgeführt worden.
Lukas behauptet überhaupt nichts, Lukas verkündet, predigt.
Die lukanische Kindheitsgeschichte ist eine meisterliche literarische Komposition.
 
Ich denke auch, dass man Mercys Aspekt beachten sollte, die Evangelien sind sicherlich nicht als historisch genaue Schriften gedacht gewesen, sonder dazu um den Christen die Worte Jesu/Gottes und seine Taten näher zu bringen. Wobei dabei sicherlich versucht wurde Glaubhaftigkeit durch bekannte Ereignisse zu erreichen. Letzendlich blieb es dennoch eine Kompostiton, wie Mercy schön gesagt hat ( Ähnliches findet man ja auch bei den heiligen Viten, welche sicherlich auch nicht als getreue historische Überlieferung zu sehen sind.)
 
"Joseph hatte in Bethlehem ein Grundstück, fand dort aber trotzdem keine Unterkunft?"

Ist nicht die Rede davon das er zum "Haus Davids" gehört?
Es beschreibt also eine Stammesverwandtschaft, ähnlich wie heute noch in Schott- und Irland die Clans. Kann es nicht möglich sein, das wenn es doch eine Zählung gab, es so von statten ging, das die Köpfe der "Clanangehörigen " gezählt wurden und Joseph deshalb ins "Ausland" reisen musste?
 
"Einen Acker, ein Stück Land das verpachtet war. Es muß ja kein Haus draufgestanden haben."

Das kann zutreffen oder auch nicht. In der Bibel ist meines Wissens nicht davon die Rede, sondern erst bei einem späteren Kirchenvater (dem man genau so gut unterstellen kann, er habe Interesse daran gehabt, das Lukasevangelium zu bestätigen und Zweifel, wie ich sie geäußert habe, zu widerlegen). Diese Frage muss ich offen lassen, das gebe ich gerne zu. Es bleibt die Unklarheit, ob jemals ein römischer Zensus in einem Klientelstaat durchgeführt worden ist. Da der Provinzialzensus meines Wissens als Grundlage für die Erhebung direkter Steuern in den Provinzen diente und Galiläa unter Augustus keine römische Provinz und somit auch nicht steuerpflichtig war, bestand für die Römer kein Grund, dort einen Zensus abzuhalten.

"Die lukanische Kindheitsgeschichte ist eine meisterliche literarische Komposition."

Das kann man so sehen oder auch nicht. Genau deshalb geht es darum, die historischen Gegebenheiten zu prüfen. Man mag sagen, Lukas behaupte etwas, oder sagen, Lukas predige etwas - Fakt ist, dass nach Lukas der römische Zensus im Klientelstaat durchgeführt wurde. Mehr wollte ich damit nicht sagen.
 
Beetlebum schrieb:
Es bleibt die Unklarheit, ob jemals ein römischer Zensus in einem Klientelstaat durchgeführt worden ist. Da der Provinzialzensus meines Wissens als Grundlage für die Erhebung direkter Steuern in den Provinzen diente und Galiläa unter Augustus keine römische Provinz und somit auch nicht steuerpflichtig war, bestand für die Römer kein Grund, dort einen Zensus abzuhalten.
Der Provinzialzensus diente auch der Erfassung der Wehrfähigen. Ich weiß nicht, ob es in einem Klientelstaat militärische Aushebungen gab, aber diese Frage läßt sich sicher beantworten.
 
"Der Provinzialzensus diente auch der Erfassung der Wehrfähigen. Ich weiß nicht, ob es in einem Klientelstaat militärische Aushebungen gab, aber diese Frage läßt sich sicher beantworten."

Römische Klientelstaaten hatten Hilfstruppen zu stellen, aber so viel ich weiß waren für Erfassung und Aushebung die jeweiligen Klientelfürst selbst zuständig, nicht die römischen Behörden. Vor allem glaube ich mich entsinnen zu können, dass die Juden ohnehin von Heeresfolge und Wehrdienst freigestellt waren.

Ich denke auch, dass sich diese Fragen beantworten lassen. Es gibt sicher Diskussionsteilnehmer, die mehr darüber wissen.
 
Panthea schrieb:
Der Provinzialzensus diente auch der Erfassung der Wehrfähigen. Ich weiß nicht, ob es in einem Klientelstaat militärische Aushebungen gab, aber diese Frage läßt sich sicher beantworten.

Römische Klientelstaaten hatten Hilfstruppen zu stellen, aber so viel ich weiß waren für Erfassung und Aushebung die jeweiligen Klientelfürst selbst zuständig, nicht die römischen Behörden. Vor allem glaube ich mich entsinnen zu können, dass die Juden ohnehin von Heeresfolge und Wehrdienst freigestellt waren.
Klientelstaaten konnten herangezogen werden, Truppen zu stellen. Unter bestimmten Bedingunen wurde ihnen auch die Größenordnung vorgegeben.
Aushebungen im Klientelgebiet waren aber nicht üblich, ebenso andere Formen der Unterstützung, wie Finanzen oder Versorgungsgüter. Diese mußten entrichtet werden, darum kümmerten sich aber nicht die römischen Verwaltungsbeamten.

Zur Frage ob Juden befreit waren oder nicht gibt Josephus erschöpfende Auskunft.
 
Beetlebum schrieb:
Man mag sagen, Lukas behaupte etwas, oder sagen, Lukas predige etwas - Fakt ist, dass nach Lukas der römische Zensus im Klientelstaat durchgeführt wurde. Mehr wollte ich damit nicht sagen.
Wer Lukas als historische Quelle benutzen will, kann sich wohl nicht damit begnügen, was er gesagt hat, sondern hat diese Quelle nach historischen Methoden auf den Wert als historische Quelle zu prüfen.
 
Darf ich einen kleinen Exkurs einwerfen - passt nicht ganz dazu aber es lohnt sich nicht einen eigenen thread aufzumachen.

Matthäus liefert ja die Vorfahren Christi - eine 42 Generationen überspannende Genealogie die über David bis zu Josef führt. Josef ist aber nicht der Vater Jesu, ergo können die angeführen Vorfahren nicht die Familie Christi sein.
Weiss jemand zufällig wie aus theologischer Sicht dieser Wiederspruch erklärt wird bzw. kennt jemand ein gutes Buch dazu?

Und noch eines - BITTE, BITTE keine Selfmade-Theologie wie Jesus nun empfangen wurde, da gibts genügend Foren dazu.
 
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