Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Ich habe gerade die Erinnerungen von Admiral Hopman bemüht
Doch der schweigt sich zu diesem Vorgang aus.
 
Im Frühjahr 1914, genauer ab 02.April, haben die Russen dann, also kurze Zeit nach Beendigung der Krise, eine Probemobilmachung von 1,8 Millionen Mann durchgeführt. Die Nerven der Mittelmächte wurden angesichts so einer militärischen Demonstration auf das äußerste beansprucht.

Am 09.April wird in Paris eine neue Anleihe in Höhe von 800 millionen Franc für das Osmansiche Reich unterzeichnet. Im Gegenzug erhält Paris lukrative Eisenbahnkonzessionen.

Am 10.April bewilligt die Duma 88 Millionen Rubel für den Ausbau der Flotte.

Am 28.April führt der französische Gneralstab eine Besichtigung der Befestigungsanlagen zwischen Paris und der belgischen Grenze durch.
 
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Welchen Einfluß hat eigentlich der Verkauf der deutschen Linienschiffe Kurfürst Friedrich Wilhelm und Weißenburg 1910 an die osmanische Marine gehabt oder was erhoffte man sich von deutscher Seite? Oder hat diese Problematik sich nur minmal bis garnicht auf die außenpolitische Entwicklung um die Problematik Zugang zum Schwarzen Meer?
Hier noch etwas mehr zu dem Verkauf an die osmanische Marine.
http://www.geschichtsforum.de/475973-post1.html

Interessant sind auch die nach dem Verkauf erfolgten Einwände der Franzosen und Engländer. Sowie die Erschaffung der deutschen Mittelmeerdivision durch den Verkauf auf Basis des Überführungsverbandes.
 
Welchen Einfluß hat eigentlich der Verkauf der deutschen Linienschiffe Kurfürst Friedrich Wilhelm und Weißenburg 1910 an die osmanische Marine gehabt oder was erhoffte man sich von deutscher Seite? Oder hat diese Problematik sich nur minmal bis garnicht auf die außenpolitische Entwicklung um die Problematik Zugang zum Schwarzen Meer?


Der osmanische Erwerb der beiden älteren deutschen Schiffe 1910 ist direkte Reaktion auf den Erwerb der "Averoff" durch Griechenland. Im Züge der Liman-von-Sanders-Krise spielte das keine Rolle, zumal die beiden Schiffe durch die Averoff deklassiert waren und keinen Machtfaktor darstellten. Die Limpus-Mission bzw. ihre langjährigen Vorgänger (britische Marinemission) fanden insofern russische Beachtung, als ab 1910 als Kompensation (hier zeigt sich deutlich die russischerseits gering eingeschätzte Bedrohung) auch eine britische Marinemission für Griechenland gefordert wurde. Das sollte als Ausgleich reichen.
Halpern, The Mediterranean Naval Situation 1908/14, S. 324

Zusammenfassend Fotakis:
"Sensing the impossibility of securing foreign assistance to reorganise the Greek armed forces, both Mauromichales and his successor Dragoumes adopted the more realistic, and indeed urgent, method of strengthening the fleet – the acquisition of more ships. By the end of 1909, Greece had bought an Italian armoured cruiser of the Pisa class, which was named the Averoff. Its acquisition induced the Turks to purchase two old German battleships in 1910. Greece in turn attempted to buy 2 French battleships of the Brennus class or 2 old warships from England, but both efforts failed. For this reason..."
Zirsis Fotakis, Greek Naval Strategy and Policy 1910-1919, S. 24.

Die beiden älteren deutschen Schiffe wurden später in Gefechten mit dem griechischen Panzerkreuzer Averoff (italienischer Bau) deklassiert.

Das war somit auch kein Faktor in russischen Befürchtungen, dass die Stoßrichtung der Deutschen Politik nunmehr auf die Kontrolle der Dardanellen gerichtet sein können.

Der Wechsel ergab sich hier (siehe Bobroff zu Russland, in:Levy/Vasquez, The Outbreak of the First World War - Structure, Politics and Decision Making, 2014) mit der Liman-von-Sanders-Mission, da die Dislokation an Land (Kontrolle der Osmanischen Heeresteile am Bosporus, speziell die Kontrolle des Korps in Konstantinopel) als Schlüssel für die Beherrschung der Meerengen angesehen wurde.

Die Sanders-Mission wird daher als direkte Ursache einer weiteren "russischen Radikalisierung" gesehen (zuvor der drohende Vormarsch der bulgarischen Armee auf Konstantinopel, der eine scharfe diplomatische Warnung auslöste). Siehe zur Bedeutung der Osmanischen Marine iZm Beherrschung der Meerengen den weiteren Beitrag.
 
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Ein paar Zeilen zur Vorgeschichte

In den Balkankriegen lief es nicht so wie Sasonow sich vorgestellt hatte. Auf der einen Seite wurde in Schloss Balmoral über die Verhinderung des Krieges gesprochen und auf der anderen gab es russische Rückendeckung in dem Bezirk Warschau sogar mobil gemacht wurde. Ärgerlich für die Russen wurde es, als die Bulgaren in ihrem Siegeslauf sich schnell Konstantinopel näherten. Sasonow war alarmiert, aber nicht unbedingt, weil Zar Ferdinand die Stadt nach Eroberung nicht wieder herausrücken würde, sondern das die Westmächte eingreifen würden und die Konstantinopel mit internationalen Truppen zwecks Wahrung der eignen Interessen besetzten würde. Die Russen wurden in ihrer Sprache sehr deutlich. Sasonow führte aus, Konstantinopel müsse türkisch bleiben oder russisch werden. Alles andere werde als casus belli betrachtet. Nun, bekanntermaßen kam es nicht so weit, aber die Russen agierten doch sehr agressiv. Der russische Botschafter in Belgrad Hartwig unterstellte Großbritannien und dem Deutschen Reich Bulgarien zur Besetzung Konstantinopels zu ermuntern; was dummes Zeug war.

Dann unterstützten die Russen ihren Schützling Serbien hinsichtlich des Erwerbs eines Hafen an der Adria und forderten damit massiv Österreich-Ungarn heraus. Österreich trat für die Schaffung des Staates Albanien ein, was von den Russen entschieden abgelehnt wurde. Den Briten war bewusst, dass die Gefahr eines Krieges sehr real war und die Folgen wären für London unangenehm, weil Großbritannien hierfür nicht in Krieg ziehen würde und dann die Triple Entente erledigt gewesen wäre. Der Frieden musste also erhalten werden. Die Hand dazu reichte das Deutsche Reich.

Als im 2.Balkankrieg die Türken Adrianopel zurückeroberten und dann später nach Friedenschluss behalten durften, waren die Russen schon wieder sauer. Sasonow beschuldigte seine Verbündeten die Türken unterstützt zu haben. Sasonow führte aus, dies werde die russische Haltung nicht ändern und man werde nicht zulassen, das die Türken die Stadt behielten.

Das war das überaus gereizte Klima auf Seiten der Russen als die Mission Liman von Sanders bekannt wurde.

Der französische Botschafter Bompard vor Ort meinte, die Russen würden der Sache eine übermäßige Bedeutung beimessen und sie unnötig aufbauschen. Eine simple Forderung nach einer Garantie hinsichtlich der Freiheit der Meerengen hätte vollkommen genügt. Der französische Außenminister sah das Agieren der Russen kritisch. Und der britische Außenminister Grey zeigte sich gegenüber dem russischen Drängen recht spröde.

Hauser, Deutschland und der englisch-russische Gegensatz 1900-1914
 
Die aufgeheizte Stimmung vor der Liman von Sanders-Mission ist damit gut klar geworden, ebenso wie die russische Haltung, keinerlei Veränderung am Status Quo der Meerengenbeherrschung außer einer eigenen Kontrolle hinzunehmen. Sowohl gegenüber dem (evt. drohenden, dann nicht durchgeführten) bulgarischen Vormarsch auf die Meerengen als auch in Bezug auf die Sanders-Mission wurde reagiert.

Zu den Aufgaben von Admiral Limpus gehörten auch die Stationierung der Torpedoboote und die Verteilung de Minen in den Meerengen. Eine sicher nicht unwichtige Aufgabe , um ausländischen Kriegsschiffen den Zugang zu verwehren. [1]

Der Abgeordnete Sykes im britischen Unterhaus machte sich beispielsweise wesentlich mehr Sorgen um die große Menge französischen Kapitals im Osmanischen Reich. [2]
[1]
Die Limpus-Mission bzw. deren Vorläufer waren wie oben erwähnt kein vergleichbarer Anlaß der Zuspitzung (oder wie es Bobroff ausdrückt: "Radikalisierung" bzw. "Militarisierung" der russischen Außenpolitik).

Die Torpedoboote und Minen der Osmanischen Marine vor Dezember 1913 waren auch in keiner Weise geeignet, eine Sperrung der Meerengen außer gegen Griechenland zu garantieren. Zieht man Langensiepen/Güleryüz - The Ottoman Steam Navy - heran, so waren zum Jahresende 1913 auch kaum zählbare Einheiten nach den diversen Kriegen übrig geblieben. Die paar kleineren Boote der Berg-Efsan-, Hamidiye-, Akhisar-, Antalya-, Demirhisar-Klasse kann man vernachlässigen, und sie waren zur Hälfte "abhanden" gekommen, zählbar waren 1910 nur die 4 Torpedoboote der Muavenet-i-Milliye-Klasse (ex- deutsche S 165 bis S 168, Schichau-Werft) und die beiden französisch gebauten Samsuns.
Das interessierte zwar die Griechen, aber nicht Großmächte. Wie Gallipoli 1915 dann zeigte, waren es auch die Landstreitkräfte, die Meerengen entscheidend geschlossen hielten oder zu öffnen in der Lage gewesen wären. Auch Minen spielten dabei nur eine unterstützende Rolle, soweit Landstreitkräfte bzw. Fortifikationen die Schließung der Meerenge garantierten (und die räumung verhinderten).

[2]
Zu den Finanzen: relevant sind hier in dem besonderen "Fall" Osmanisches Reich nicht die Volumina, sondern die Strukturen - die politische Ökonomie der Staatsverschuldung: Geberländer und Empfängerstaat.

Aufgrund des OPDA-Systems im Osmanischen Reich waren die Anleihen bzgl. Sicherheitenstellung und Kapitaldienst "gebündelt". Die Auswirkungen dieser Struktur werden in den gängigen politisch-historischen Darstellungen häufig übersehen. Alle Anleihen liefen nach 1885 entweder in das OPDA-System hinein oder in seine Derivate wie das Tabaksystem oder die Regiegesellschaften. Im OPDA-System saß bis in die Behördenstrukturen hinein aber ein Konglomerat mehrerer Großmächte - sozusagen im Interessenpooling.

Die Zeichnungsvolumina verraten eher etwas darüber, wer kapitalkräftig war und an welchen Kapitalbörsen solche Emissionen technisch überhaupt möglich und verkraftbar waren, aber nichts über den damit verbundenen politischen Einfluss (wie im Übrigen drastisch der Kriegseintritt des Osmanischen Reiches gegen seine Haupt-"Gläubigerländer" 1914 zeigen sollte). Die letzte französische Anleihe 1914 war deklariert als Deckungsmasse für die osmanische Staatsverschuldung 1911/13, speziell als Deckung der Kriegskosten Libyen und Balkan, zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit, von der übrigens alle Gläubigerländer betroffen worden wären. Die Kosten der Anleihe waren hoch: neben dem Disagio von 11,25% gab es 5% Zinsen. Die Anleihe lief ebenfalls über das OPDA-System, mit den Eisenbahnkonzessionen als gebündelte Sicherheiten innerhalb des Systems.
Birdal, Murat: The Political Economy of Ottoman Public Debt - Insolvency and European Financial Control in the late Nineteenth Century, 2010.
Das ist die eine wesentliche Einschränkung.

Speziell im Fall der Pariser Börse gab es außerdem nur ein Widerspruchsrecht des französischen Staates gegen die Emissionen an der Pariser Börse, aber kein Anweisungsrecht für ihren Kapitalmarkt. Regelmäßig streuten daher die emittierenden Banken die Anleihen breit unter ihr Publikum. Diese Struktur ist nicht einfach mit einem System "Staatskredit" übersetzbar.
 
Im Frühjahr 1914, genauer ab 02.April, haben die Russen dann, also kurze Zeit nach Beendigung der Krise, eine Probemobilmachung von 1,8 Millionen Mann durchgeführt. Die Nerven der Mittelmächte wurden angesichts so einer militärischen Demonstration auf das äußerste beansprucht.

Ich vermute, hier ist das in der Literatur beschriebene Kriegsspiel ("War Game") in Kiew vom 20. bis 24. April 1914 gemeint.

In dem Zusammenhang wurde als Stabs-Übung auf dem Papier ein "dress rehearsal" durchgeführt, ein Planspiel zur Mobilmachung. Dazu waren - wie üblich - ausländische Militärbeobachter eingeladen. Die Wargames wurden jährlich durchgeführt, begleitend mit Divisions- oder Korpsstärke in Feldübungen.

Hintergrund war speziell für Kiew 1914, dass der Stab den Übergang von Mob-Plan 19 auf Plan 20 auf dem Papier proben sollten, woraus letztlich Mob-Plan 19A entstand. Das Planspiel wurde von ein paar Manövern begleitet. Wie üblich waren Manöver seit 1906 nur Sache der regulären Armee, zuweilen mit einberufenen Reservisten.

Zu den oben schon angegebenen Quellen siehe insbesondere dazu Steinberg, All the Tzar's Men, Russias General Staff and the Fate of the Empire 1898-1914.

Woher stammt denn die Angabe von der Teilmobilmachung von 1,8 Mio. Mann bzw. die äußerste Anspannung der Situation?
 
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Aufgrund des OPDA-Systems im Osmanischen Reich waren die Anleihen bzgl. Sicherheitenstellung und Kapitaldienst "gebündelt". Die Auswirkungen dieser Struktur werden in den gängigen politisch-historischen Darstellungen häufig übersehen. Alle Anleihen liefen nach 1885 entweder in das OPDA-System hinein oder in seine Derivate wie das Tabaksystem oder die Regiegesellschaften. Im OPDA-System saß bis in die Behördenstrukturen hinein aber ein Konglomerat mehrerer Großmächte - sozusagen im Interessenpooling.
Ist dieses Buch, es hat den Vorzug in deutscher Sprache erschienen zu sein :D, hierzu empfehlenswert: Mehmet Beşirli, Die europäische Finanzkontrolle im Osmanischen Reich in der Zeit von 1908 bis 1914: die Rivalitäten der britischen, französischen und deutschen Hochfinanz und der Diplomatie vor dem ersten Weltkrieg am Beispiel der türkischen Staatsanleihen und der Bagdadbahn

Sowohl gegenüber dem (evt. drohenden, dann nicht durchgeführten) bulgarischen Vormarsch auf die Meerengen als auch in Bezug auf die Sanders-Mission wurde reagiert.
Ja, und zwar äußerst aggressiv.


Woher stammt denn die Angabe von der Teilmobilmachung von 1,8 Mio. Mann bzw. die äußerste Anspannung der Situation?
Jürgen Angelow, Kalkül und Prestige, S.429

Die Frage ist, ob der Termin unmittelbar nach den Balkankriegen gut gewählt war.


Die Liman-von-Sanders-Krise dauerte "nur" von Dezember 1913 bis Januar 1914. Der Erste Weltkrieg begann erst einige Monate später. Deshalb möchte ich anregen, diesen Thread in das Forum Deutsches Kaiserreich zu verschieben.
 
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Jürgen Angelow, Kalkül und Prestige, S.429
Die Frage ist, ob der Termin unmittelbar nach den Balkankriegen gut gewählt war.

Erstaunlich, da vermute ich einen Übersetzungsfehler der "Kostümprobe" (dress rehearsal) zuzüglich einer eigenen Kalkulation von Angelow über den Mob.umfang, um auf die 1,8 Mio. zu kommen.

Von einer Mobilmachung von 1,8 Mio. Mann habe ich in den Monographien zur russischen Armee bis 1914 nichts gelesen. Im Gegenteil, die realisierten Mobilmachungsstufen von Ende Juli/Anfang August werden als die ersten praktischen Umsetzungen der Mob.pläne seit 1904 geschildert.

Ist dieses Buch, es hat den Vorzug in deutscher Sprache erschienen zu sein :D, hierzu empfehlenswert: Mehmet Beşirli, Die europäische Finanzkontrolle im Osmanischen Reich in der Zeit von 1908 bis 1914: die Rivalitäten der britischen, französischen und deutschen Hochfinanz und der Diplomatie vor dem ersten Weltkrieg am Beispiel der türkischen Staatsanleihen und der Bagdadbahn

Die Dissertation kenne ich nicht, der Titel klingt aber vielversprechend.
Birdal habe ich zitiert, weil das eine der wenigen Darstellungen von Ökonomen zu der Problematik ist.

Ja, und zwar äußerst aggressiv.

Diese Radikalisierung geht durchaus konform mit der Bedeutung des Themas für das Zarenreich. Ich hatte oben erläutert, dass die weitere Bedienung des ausländischen Kapitaldienste vom russischen Handelsbilanzüberschuss abhing. Man kann die Bedeutung auch an den Entwicklungen nach Kriegseintritt des Osmanischen Reiches - sozusagen retrograd - ablesen.

Der Imperialismus des Deutschen Reiches setzte sich hier also in die vermutlich empfindlichste Stelle, und das unterscheidet auch die Liman-von-Sanders-Krise und zeitlich nachfolgend Juli-Krise von den "Beinahe-Kriegen" der Jahre zuvor: Bobroff und andere konstatieren, dass es der scharfe imperialistische Gegensatz DR/RUS war, der eine neue Qualität brachte.

Die Limpus-Mission ist für Russland eher eine Nebenschauplatz-Episode gewesen, weil das keine Gefährdung dergestalt brachte, dass man Großbritannien sozusagen als neuen Herrscher über die Meerengen begriff. Das Deutsche Reich setzte sich mit seinen imperialen Zielen im Nahen und Mittleren Osten - natürlich frei gewählt - in dieses Wespennest, und mitten "zwischen" den Stühlen des älteren britisch-russischen Gegensatz. Rumpel-Diplomatie, überflüssige Risiken.

Das ist auch keine Frage, ob das Deutsche Reich ein "Recht" darauf hatte, eigene imperialistische Zielsetzungen zu verfolgen. Im Hochimperialismus nehmen sich die Großmächte nichts, da hatte jeder Dreck am Stecken. Diese "wie-Frage" hat allerdings insoweit mit dem Kriegsausbruch zu tun, als frei nach Clark (oder besser im vorlaufend: Mombauer, und speziell für Russland Bobroff) hierdurch die "Radikalisierung" der russischen Seite, ein weiteres "Messer an der Kehle", kausal eingeleitet wurde. Damit haben wir hier aufgrund der lokalen Brisanz eine weitere "high risk"-Strategie der deutschen Politik, völlig überflüssig unter dem Aspekt einer militärisch-politisch-ökonomischen Sicherung deutscher Interessen (wenn man von einer in der Zeit üblichen, weichen imperialistischen Expansion absieht)
 
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Der Imperialismus des Deutschen Reiches setzte sich hier also in die vermutlich empfindlichste Stelle, und das unterscheidet auch die Liman-von-Sanders-Krise und zeitlich nachfolgend Juli-Krise von den "Beinahe-Kriegen" der Jahre zuvor: Bobroff und andere konstatieren, dass es der scharfe imperialistische Gegensatz DR/RUS war, der eine neue Qualität brachte.
Das ist sicher richtig.

Das ist auch keine Frage, ob das Deutsche Reich ein "Recht" darauf hatte, eigene imperialistische Zielsetzungen zu verfolgen. Im Hochimperialismus nehmen sich die Großmächte nichts, da hatte jeder Dreck am Stecken.
Genauso sehe ich das auch. Für das Deutsche Reich wäre es vermutlich im Sinne der eignen dauerhaften Sicherheit das Beste gewesen, die friedensichernde Politik eines Bismarck fortzusetzten. Das hätte aber in der Praxis bedeutet, das das Deutsche Reich auf jedwede "Großmacht bzw.Weltpolitik" hätte verzichten müssen und sich mit dem zu begnügen, was man hatte. Nur, war das realistisch und in der deutschen Gesellschaft vermittel- und durchsetzbar? Aber das ist ein ganz anderes Thema.

Diese "wie-Frage" hat allerdings insoweit mit dem Kriegsausbruch zu tun, als frei nach Clark (oder besser im vorlaufend: Mombauer, und speziell für Russland Bobroff) hierdurch die "Radikalisierung" der russischen Seite, ein weiteres "Messer an der Kehle", kausal eingeleitet wurde. Damit haben wir hier aufgrund der lokalen Brisanz eine weitere "high risk"-Strategie der deutschen Politik, völlig überflüssig unter dem Aspekt einer militärisch-politisch-ökonomischen Sicherung deutscher Interessen (wenn man von einer in der Zeit üblichen, weichen imperialistischen Expansion absieht)
Die deutsch-russischen Beziehungen haben eine ganze Zeit gut funktioniert. Bismarck war der Orient vollkommen egal und er war bereit den Russen Konstantinopel zu überlassen, ja sogar im äußersten Notfall Österreich-Ungarn fallen zu lassen. Er sah zu Recht die überragende Bedeutung der Beziehungen zu Russland.

Als nach Bismarcks erzwungenen Abgang Berlin aber schrittweise begann sich in Richtung und dann im Orient zu engagieren und schließlich auch mit eigenen Initiaven hervorzutreten, war der Konflikt mit Russland letzten Endes vorprgrammiert. Die anderen Groß- und Weltmächte waren definitv nicht bereit den Zuspätgekommenen Akteur ein eigenes Aktionfeld einzuräumen. Nein, das ging gar nicht an. Ein Beispiel ist die Bagdadbahn. Sie war das einzige ernstzunehmende Projekt der sogenannten deutschen Weltpolitik, kollidierte aber eben mit den Interessen der Briten und Russen. Das war ein fortwährendes Dilemma der deutschen imperialistischen Politik und darüber wurde man immer verbitterter, da man es nicht einsah, immer vor den Interessen zurückzustecken. Das sorgte auch für entsprechenden innenpoltischen Zündstoff.

Die Russen haben auf dem Balkan am Vorabend des Weltkrieges selbst die Geister mitgerufen,verloren dann die Direktion über die Entwicklung. Petersburg reagierte mit unerhörter Heftigkeit und übersah, das man eben diese Entwicklung der Eskaltion, schon vor Ausbruch der Liman-von-Sanders-Krise, nicht gerade unmaßgeblich mit befördert hatte.
 
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Lassen wir mal die russische Seite für einen Moment beiseite. Ich sehe hier auch bei Clark das große Problem, dass er zwar die Monographien wie Bobroff stark zitiert, aber nicht nachvollziehbar a) ihm passende Ausschnitte macht und b) Gesamtwertungen verwirft. Drei Beispiele haben wir oben argumentativ ausgetauscht (Finanzen, Limpus, Sazonow nach Bobroff)

Mit dem letzten Statement orientierst Du Dich in der Richtung, innenpolitische und sozioökonomische "Drucksituationen" im Deutschen Reich für die Weltpolitik heranzuziehen. Dass ist eine wichtige Argumentationsrichtung, die wir hier im Forum auch schon öfter diskutiert haben. Darauf aufbauend:

Etwas anderes wird scharf herausgearbeitet: es gibt keine vergleichbaren "Messer an der Kehle" (um Tirpitz nochmal zweckentfremdet zu zitieren), die die anderen Großmächte beim Deutschen Reich innehatten. Das ist ein wesentlicher Unterschied, abgesehen von der Frage, wer in den einzelnen Krisen nun agiert oder nur reagiert hat.

Flotte, Dardanellen, Persischer Golf oder Kapstadt waren Aspekte, die für das Deutsche Reich "Luxus" darstellten, und weder für die militärische Großmachtstellung in Europa (auch bei der Flotte war die Armee Garant, nicht die dreadnought-Linie) noch für die ökonomische Expansion, sozusagen die ökonomische Großmachtstellung von Bedeutung waren. So waren es auch Spitzen des deutschen "Großkapitals", Banken und Industrie, die von diesen Krisen in Folge der angestrebten Weltpolitik und den politischen Qualmwolken wenig hielten, von der Sozialdemokratie mal ganz abgesehen.
 
Flotte, Dardanellen, Persischer Golf oder Kapstadt waren Aspekte, die für das Deutsche Reich "Luxus" darstellten, und weder für die militärische Großmachtstellung in Europa (auch bei der Flotte war die Armee Garant, nicht die dreadnought-Linie) noch für die ökonomische Expansion, sozusagen die ökonomische Großmachtstellung von Bedeutung waren. So waren es auch Spitzen des deutschen "Großkapitals", Banken und Industrie, die von diesen Krisen in Folge der angestrebten Weltpolitik und den politischen Qualmwolken wenig hielten, von der Sozialdemokratie mal ganz abgesehen.

Ich weiß nicht, ob es nun für damalige Verhältnisse Luxus war. Wilhelm war ganz sicher frustiert, das er in den Krisen, Südafrika 1896, Kreta 1897 nicht über entsprechende Flottenverbände verfügte. Ihm war wohl nicht wirklich klar, wie er damit die Krisen eskaliert hätte.

Jedenfalls hatte er während der Kretakrise geäußert, was nützen ihm 1.000.000 Grenadiere, wenn er nicht einmal ein Geschwader dorthin schicken kann. 1897 wurde daraus ja dann personalpolitische Konsequenzen gezogen. 1898-1901 die unerhörte Torheit, das mögliche Bündnis mit England scheitern zu lassen. Hier war eine Möglichkeit, vielleicht Weltpolitik mit britischer Rückendeckung zu betreiben. Dabei hätte man ahnen können, siehe Sudanvertrag mit Frankreich 1899, was bei einem Scheitern geschehen könnte. Das Industrie und Großkapital keine Krisen und Kriege für ein gedeihliche Entwicklung gebrauchen können, versteht sich von selbst.

Gut, das Deutsche Reich war eine anerkannte Großmacht und verfügte wohl über die stärkste Landstreitkraft in Europa. Nur man wollte, hier war auch der entsprechende innnenpoltische Druck vorhanden, beispielsweise die Antrittsrede von Max Webers an der Freiburger Uni, mehr. Es sollte eben, wie die anderen Groß- und Weltmächte dies eben auch taten, weltweit agieren. Anders ausgedrückt, "Deutschlands Stimme muss/soll bei wichtigen Entscheidungen gehört bzw.darf nicht überhört werden". Und hier war das Problem.
 
Die Liman von Sanders Krise hatte eine unmittelbare und drastische Bedeutung für die Sicherheitspolitik Russlands und ist ein zentrale Punkt und auch das letzte gravierende Ereignis auf dem Eskalationspfad in den WW1. Zum einen beschleunigte diese Krise direkt den Abschluss des französisch-russischen Baus der strategischen Eisenbahnen in West-Europa (Fertigstellung 1917) und zum anderen beschloss die Duma das „Große Programm“, das eine massive qualitative und quantitative Modernisierung der russischen Armee bedeutete (Fertigstellung ca. 1917).

Beide Projekte wirkten sich dramatisch wiederum auf die Wahrnehmung der Bedrohung des Deutschen Reichs durch Russland aus, so zumindest die Sicht vor allem von Moltke [12]. Und für Copeland ist diese Sicht die zentrale Motivation für die die Bereitschaft von Moltke für den Präventivkrieg [11, S. 79ff].

Diese Entwicklung des Jahres 1912 bis 1914 führt Stevenson als ein klassisches Beispiel für ein „action-reaction-model“ an, das die Rüstungsspirale als Voraussetzung für den WW1 erklären kann [7, Kap. I]

Für die generelle Bewertung der Liman von Sanders – Mission sind vier Sichtweisen relevant und teilweise wurden sie m.E. nicht korrekt wiedergegeben.

1. Die Osmanen waren zwar formal noch eine europäische Großmacht, die aber den wirtschaftlichen und technologischen Anschluss an die anderen Großmächte verloren hatte. So wollte Enver Pasha auf der einen Seite durch Kooperationen mit anderen europäischen Großmächten, die Türkei Modernisierungen lassen. Gleichzeitig waren sich die „Jung-Türken“ der Gefahr sehr bewußt, für die Interessen der anderen Großmächte instrumentalisiert zu werden und als „kranker Mann am Bosporus“ eine Teilung des Osmanischen Reichs zulassen zu müssen.

In dieser Situation zeigte sich die Türkei relativ aufgeschlossen sowohl von den Entente-Mächten wie auch vom Deutschen Reich wirtschaftliche Unterstützung anzunehmen, wie Trumpener betont. [6]

Vor diesem Hintergrund bot sich aus der Sicht des Osmanischen Reichs auch die wirtschaftliche und militärische Kooperation mit dem DR an, teils in der Gestalt der Berlin Baghdad Bahn [4] und teils in der Beratungsmission von Colmar von der Goltz.

In dieser für das osmanische Reich so unübersichtlichen Situation, so die zentrale These von Aksakal, trat das Osmanische Reich an der Seite des DR in den WW1 ein, um der drohenden Teilung durch die anderen Großmächte zuvorzukommen [8].

2. Die Sicht der Russen auf die potentiellen Auswirkungen der Liman von Sanders-Mission auf ihren Im- und Export sind bereits dargestellt worden. Wichtig ist dennoch erneut zu unterstreichen, dass die Modernisierung bzw. die Industriealisierung von Russland im wesentlichen durch den Weizenexport finanziert wurde. Sofern dieser durch die Sperrung der Dardanellen permanent unterbunden worden wäre, hätte es in der Konsequenz für Russland den Verlust des Status einer europäischen Großmacht bedeutet. Dass der Zar und seine Regierung, aus ihrer Sicht auf diese Bedrohung massiv reagieren musste, scheinen manche nicht verstehen zu wollen. Hamilton und Herwig empfehlen für das Verständnis der außenpolitischen Optionen von Staaten vor allem Lebow als Theoretiker zu Internationalen Beziehungen [10 und auch 11].

3. Die Sicht des Deutschen Reichs ist nicht unerheblich ebenfalls durch die Schwäche des Osmanischen Reichs gekennzeichnet gewesen und zum anderen vor allem durch die Möglichkeit, eine strategische süd-östliche Expansion für das DR zu eröffnen, wie vor allem Bethmann Hollweg und die deutsche Wirtschaft es präferierte. In diesem Sinne trafen aber auch unterschiedliche deutsche Interessen an der Schnittstelle der Mission aufeinander und es ergaben sich massive Konflikte zwischen dem deutschen Botschafter Wangenheim, der deutsche Wirtschaftsinteressen vertrat, und den primär militärischen Interessen, die aus dem Umfeld von Liman von Sanders formuliert worden sind. [3] Nicht zuletzt weil die Planungen der Eisenbahntrassen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgte und nicht nach strategischen Anforderungen.

Durch die Nähe der deutschen Offiziere zur osmanischen Armee, die nach preussischem Vorbild organisiert und ausgebildet war, ergab sich eine hohe Affinität zum eigentlichen Machtzentrum im Osmanischen Reich. Ein Umstand, der aus der Sicht der Russen der Kernpunkt ihrer Kritik an der der Mission von Liman von Sanders bildete. Sie befürchteten, dass vor allem in Zeiten gravierender politischer Instabilität, und das osmanische Reich durchlief gerade eine Reihe von Revolten und Gegenrevolten, von Sanders an politischem Einfluss zusätzlich gewinnen könnte.

Neben grundsätzlichen strategischen Überlegungen, so Afflerbach, hatten die Deutschen insgesamt ein massives Interesse an der Kontrolle des Durchgangs und somit auch an der erfolgreichen Verteidigung der Dardanellen [3]. Diese starke Engagement kann man auch daran erkennen, dass parallel zur Mission von Sanders immerhin 6 weitere sehr hochrangige deutsche Offiziere, die über ein „Immediatrecht“ bei KW II verfügten, sich im Osmanischen Reich aufhielten.

4. Die Franzosen und die Engländer hatten divergierende Interessen und sie stimmten durchaus nicht mit denen der Russen überein. Auf die starken finanziellen Investitionen der Franzosen vor allem im heutigen Syrien etc. ist bereits hingewiesen worden. Insgesamt, so Keiger, stand zum Zeitpunkt der Liman von Sanders Krise die Entspannung mit dem DR an vorderster Priorität der franzöischen Regierung und man zielte auf eine Übereinkunft ab, die wirtschaftliche und politische Interessensphäre im Osmanischen Reich vertraglich zu definieren. Die wirtschaftlichen französischen Interessen waren priorisiert im Vergleich zu Fragen der Entente: „Here, indeed was a clear case of Poincare opposing Russia in order not to upset Germany“. [13, S, 133, vor allem S. 129-135]

Für die Engländer spielten eine Reihe von Überlegungen eine Rolle, die ihre Haltung beeinflussten. Insgesamt befürchtete man aufgrund der Krise eine Annäherung durch DR und Russland und eine Einigung, die zu Lasten von GB ging. Zudem war Grey, ähnlich wie in Bezug auf Frankreich, auch mit Blick auf Russland skeptisch, ob die Wahl der Mittel angemessen sei [14, S. 376 ff] Zudem befürchtete Grey, dass Sazonow die Bedeutung der Mission übertrieb, allerdings hatte er auch die Mission von Limpus im Auge und damit zusammenhängernder wirtschaftlicher Aufträge. Also auch in diesem Fall, ähnlich wie in dem von Frankreich, verfolgte man auf britischer Seite eher seine eigenen Interessen und erst in zweiter Linie die gemeinsamen Interessen der Entente . [15]

Zusammenfassend kann man sagen, dass ab 1913/14 im Osmanischen Reich die Interessen der europäischen Großmächte einerseits massiv rivalisierten und andererseits sich im Rahmen der Finanzierung der Berlin Baghdad Bahn Kooperationsmöglichkeiten genutzt wurden.

Die Limpus-Mission bzw. ihre langjährigen Vorgänger (britische Marinemission) fanden insofern russische Beachtung, als ab 1910 als Kompensation (hier zeigt sich deutlich die russischerseits gering eingeschätzte Bedrohung) auch eine britische Marinemission für Griechenland gefordert wurde.

Der Vergleich der Liman von Sanders-Mission mit der Mission von Limpus ist m.E. aus einer Reihe von Gründen problematisch. Eine reine klassische "beratende" Mission, von der Nikolaus ausging als KW II ihn informierte, in Fortführung der Tätigkeit von "von der Golz", war nicht das Problem. Das betonte auch Sasonow. Es war die qualitative und die quantitative Veränderung, in die die Mission eingebunden war! [1, S. 491]

Die komplette Veränderung der Rahmenbedingen für die Liman von Sanders Mission, im Vergleich zu den Vorgängern, zeigt sich unter anderem an der Geschwindigkeit, mit der das Osmanische Reich aus der Position eines Neutralen in das Lager der Allianz wechselte und eine effektive militärische Verteidigung organisieren konnte. In diesem Sinne, so Afflerbach, erschien es manchen externen Beobachtern Mitte 1914 so als wenn von Sanders extrem effektiv die Reorganisation und Ausbildung geleistet hätte. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die deutsche Militärmission von einer ca. 10 jährigen Wiederaufbauphase für die osmanische Armee ausging [3]. Dennoch kann man diese „türkische Rüstungswunder“ erklären. In der Realität baute von Sanders auf ein solides „preußisches Fundament“ auf.

Als Stärken des osmanischen Armee benennen Erickson und Showalter einen gut geschulten – preußischen – Generalstab, eine moderne Organisationsstruktur der Infantrie-Divisionen im Rahmen der „Triangular“ Struktur (3 Reg zu je 3 Btl) und tapfere, leidensfähige – vorwiegend bäuerliche – Soldaten. [9] Und diese Punkte werden die Aktivposten für die militärischen Aktivitäten von Liman von Sanders.

Dennoch: Trotz der starken Position des DR in Konstantinopel wird der eigentliche Vorgang für den Eintritt in den Krieg einerseits als souveräne Entscheidung der Pforte dargestellt, andererseits ist aber auch deutlich, dass aufgrund des Zeitpunkts die Nachteile der Mobilisierung und ihre Kosten die politischen Vorteile der Partnerschaft mit dem DR überwogen.[3]

Als wichtige Schritte in den Krieg können folgende Daten angesehen werden: 2. August 1914: Geheime Allianz mit dem DR, 27. September 1914: Türkei schließt die Dardanellen für russische Schiffe und vollzieht somit abgesichert durch das DR genau den Schritt, den Sansonov für Russland befürchtet hatte, 29. Oktober 1914 Die Türkei tritt in den Krieg ein auf der Seite vom DR.

Auf der Grundlage einer russischen Bitte um Unterstützung wird am 24 März 1915 entschieden, Truppen auf den Dardanellen zu landen, um den Zugang zum Schwarzen Meer für die Entente zu erzwingen und den Warenaustausch zwischen Russland (Weizen für GB) und GB bzw. F (Ausrüstung etc.) zu ermöglichen. Als Reaktion darauf wird durch die Osmanen die 5. Feldarmee mit 6 Divisionen zusammengestellt und Liman von Sanders das Oberkommando über diese wichtige Armee angeboten [2, S. 101].

Im Verlauf der nächsten vier Jahre wird die Osmanische Armee durch hunderte von deutschen Offizieren und Spezialisten (ca. 500-700) unterstützt. [2, S. 97-99]. Der Erfolg der Verteidigung basiert zum einen auf der sehr erfolgreichen Arbeit von Liman von Sanders und seiner sehr geschickten Verteidigung der Dardanellen [3]und dann natürlich auf der hervorragenden Performance der osmanischen Armee, die in vielen Belangen der Truppenführung und der Kampfeffektivität deutlich besser abschnitt wie die Armeen der Entente. [5]

Das Verhältnis zwischen den beteiligten Kommandeuren ist „vielfältig“. So blieben beispielsweise die Befestigungen mit den großen Seezielgeschützen zunächst unter dem Kommando von Brigade-General Kevat Pasha, der an den deutschen Admiral Guido von Usedom berichtete. [2, S. 101]. An anderen Punkten organisierten deutsche Spezialisten die artilleristische Verteidigung oder konzipierten die Minengürtel in der Meerenge etc.

Insgesamt, so Afflerbach, ist Liman von Sanders der „Vater der erfolgreichen Verteidigung“ der Dardanellen. Und damit bildet diese einzelne erfolgreiche Schlacht, unter strategischen Gesichtspunkten, ein Ereignis, das man als „mit-kriegsentscheidend“ einordnen kann. Die Unfähigkeit, den Warenaustausch zwischen den Entente-Partnern in Ost und West zu organisieren führte dazu, dass Russland weitgehend aus der eigenen Substanz Krieg führen mußte, ohne umfassende materielle Unterstützung durch die Partner in der Entente. Mit teilweise gravierenden materiellen Einschränkungen bei der Versorgung seiner Armeen.

Betrachtet man somit abschließend die Mission von Liman von Sanders von ihrem Ergebnis her, wird erneut ersichtlich, wie gravierend es für Russland war, wenn der Zugang zum Mittelmeer versperrt ist und diese Mission als eine gravierende Bedrohung, von Anfang an, für die Existenz des zaristischen Russlands bewertet worden ist.

[1] F. Fischer: Krieg der Illusionen, besonders Osmanisches Reich S. 424 ff
[2] U. Trumpener: The Turkish War 1914 – 18, in J. Horne: A Companion to World War I, S. 97 ff, bes. S. 101ff
[3] H. Afflerbach: German military command in the Gallipoli campaign and the impact of the Otoman alliance on the German strategy, in: A, Ehkins: Gallipoli: A Ridge too far
[4] S. McMeekin: The Berlin Baghdad Express
[5] E. Erickson: Ottoman Army Effectiveness in World War.
[6] U. Trumpener: The Ottoman Empire, in: R. Hamilton & H. Herwig: The Origins of World War I
[7] D. Stevenson: Was a Peaceful Outcome Thinkable? The European Land Armaments Race before 1914, in: H. Afflerbach & D. Stevenson: An Improbable War: The Outbreak of World War I and European political Culture before 1914
[8] M. Aksakal: The Ottoman Road to War in 1914
[9] E. Erickson & D. Showalter: History of World War 1, Gallipoli & the Middle east 1914-1918.
[10] R. Lebow: Between Peace and War. The Nature of International Crisis
[11] D. Copeland: The Origins of Major Wars
[12] A. Mombauer: Helmuth Von Moltke and the Origins of the First World War
[13] J. Keiger: France and the Origins of the First World War
[14] T.G. Otte: The Foreign Office Mind
[15] C Lowe & M. Dockrill: Mirage of Power. British Foreign Policy 1902 - 14
 
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Ich habe die nächsten Tage nicht viel Zeit; deshalb nur weniges in aller Kürze.

thanepower schrieb:
. Die Sicht der Russen auf die potentiellen Auswirkungen der Liman von Sanders-Mission auf ihren Im- und Export sind bereits dargestellt worden. Wichtig ist dennoch erneut zu unterstreichen, dass die Modernisierung bzw. die Industriealisierung von Russland im wesentlichen durch den Weizenexport finanziert wurde. Sofern dieser durch die Sperrung der Dardanellen permanent unterbunden worden wäre, hätte es in der Konsequenz für Russland den Verlust des Status einer europäischen Großmacht bedeutet. Dass der Zar und seine Regierung, aus ihrer Sicht auf diese Bedrohung massiv reagieren musste, scheinen manche nicht verstehen zu wollen. Hamilton und Herwig empfehlen für das Verständnis der außenpolitischen Optionen von Staaten vor allem Lebow als Theoretiker zu Internationalen Beziehungen [10 und auch 11].


Musste die zaristische Regierung nicht. Siehe dazu das Statement des französischen Botschafter in Konstantinopel. Es hätte durchaus andere diplomatische Methoden als das Säbelrasseln gegeben. Und den Russen hat das Prestige des Deutschen Reiches als Großmacht auch herzlich wenig interessiert.Ich möchte an dieser Stelle an die Bemühungen aus dem Jahre 1899 erinnern. Petersburg hatte gewisse Bauchschmerzen mit der Konvention überden hafen von Haidar Pascha. der russische Botschafter Ostten-Sacken sollte mit den Deutschen ein Abkommen aushandeln. Die Russen befürchteten früher oder später, wie wir wissen durchaus zu recht, das es zu Komplikationen zwischen den Russen und Deutschen kommen würde. Angeboten wurde ein Abkommen über die Meerengen und im Gegenzug sollten die deutschen dafür freie Hand hinsihctlich ihrer wirtschaftlichen und komerziellen Unternehmungen in Kleinasien erhalten. Bülow war so unsagbar blöd und hat abgelehnt. Das war sein zweiter überaus schwerwiegender Fehler im Jahre 1898.


thanepower schrieb:
Neben grundsätzlichen strategischen Überlegungen, so Afflerbach, hatten die Deutschen insgesamt ein massives Interesse an der Kontrolle des Durchgangs und somit auch an der erfolgreichen Verteidigung der Dardanellen [3]. Diese starke Engagement kann man auch daran erkennen, dass parallel zur Mission von Sanders immerhin 6 weitere sehr hochrangige deutsche Offiziere, die über ein „Immediatrecht“ bei KW II verfügten, sich im Osmanischen Reich aufhielten.

Sie hatten die Kontrolle aber nicht. Und sechs Offiziere, wenn auch hochrangig, ist nun nicht soo viel.

ls wichtige Schritte in den Krieg können folgende Daten angesehen werden: 2. August 1914: Geheime Allianz mit dem DR, 27. September 1914: Türkei schließt die Dardanellen für russische Schiffe und vollzieht somit abgesichert durch das DR genau den Schritt, den Sansonov für Russland befürchtet hatte, 29. Oktober 1914 Die Türkei tritt in den Krieg ein auf der Seite vom DR.

In dieser Aufzählung fehlt m.E. nach der "Diebstahl", der auf Anregung Sasonows erfolgte, der beiden türkischen Dreadnoughts, die bereits von den Türken bezahlt worden sind, aber von Vickers & Armstrong auf Geheiss von Churchill nicht ausgeliefert worden waren.


Betrachtet man somit abschließend die Mission von Liman von Sanders von ihrem Ergebnis her, wird erneut ersichtlich, wie gravierend es für Russland war, wenn der Zugang zum Mittelmeer versperrt ist und diese Mission als eine gravierende Bedrohung, von Anfang an, für die Existenz des zaristischen Russlands bewertet worden ist.

Das konnten die damaligen Akteuer nicht, denn sie wußten nicht, das in wenigen Monaten der Ersten Weltkrieg ausbrechen würde. Genauso gut könnte man ja sagen, das Conrad mit seinen ewigen gerede vom Präventivkrieg, wahlwewise gegen Italien oder Serbien, in nachinein wohl Recht behalten hat. Österreich und möglicherweise der Welt wäre viel ersprart geblieben. So kann man das aber nicht betrachten.
 
Die Liman von Sanders Krise hatte eine unmittelbare und drastische Bedeutung für die Sicherheitspolitik Russlands und ist ein zentrale Punkt und auch das letzte gravierende Ereignis auf dem Eskalationspfad in den WW1. Zum einen beschleunigte diese Krise direkt den Abschluss des französisch-russischen Baus der strategischen Eisenbahnen in West-Europa (Fertigstellung 1917) und zum anderen beschloss die Duma das „Große Programm“, das eine massive qualitative und quantitative Modernisierung der russischen Armee bedeutete (Fertigstellung ca. 1917).

Ein wesentlicher Dissens hier ist in der Diskussion die Frage der Bedeutung der Dardanellen. Dieses ist der Schlüssel, um die russische Reaktion nachzuvollziehen. Diese Reaktion hat gigantische Ausmaße angenommen, wie das Rüstungsprogramm zeigt. So etwas ergibt sich nicht aus blauem Dunst.

Wenn Sazonow intern mit seinen Militärs und in der politischen Führungsspitze von "Lebensfrage" redet, muss man diese Zuspitzung auf den ökonomisch-militärischen Hintergrund abklopfen. Sazonow beschreibt hier nämlich zutreffend die Achillesferse des Russischen Reiches vor dem Hintergrund der raschen ökonomischen Entwicklung. Die kurze Sperre der Meerengen im Balkankrieg hatte bereits die Handelsbilanz gesprengt, und die Zahlungsfähigkeit für die Industrieimporte gefährdet, auf die Russland dringend angewiesen war, von denen letztlich der Großmachtstatus abhing.

1. Betrachten wir kurz die strategische Bedeutung: bereits das Auftauchen der Bulgaren direkt an den Meerengen provozierte eine überaus scharfe Reaktion. Und dabei handelte es sich lediglich um eine nachrangige Macht. Das Auftauchen einer europäischen Großmacht an den Meerengen, mit der realistischen Option einer Sperre, übersteigt deren Bedeutung um ein Vielfaches. Anders als eine unwesentliche Marinemission war eine Armeemission - wie Gallipoli 15 Monate später eindrucksvoll bewiesen hat - eine unmittelbare Bedrohung.

2. Was bislang hier zu kurz gekommen ist: die "Kaukasusfront" als Grenze zwischen Russland und Osmanischen Reich, mit völlig ungeklärten, aber massiven Konflikten. Dabei ist nebensächlich, wer hier was verschuldet hat. Russische Ambitionen in Richtung christlicher Armenier kollidierten mit osmanischen Ambitionen in Richtung islamisch dominierter Kaukasusgebiete. Diese Grenze war nach dem Krieg von 1877/78 weiter höchst brisanter "Sprengstoff".

Mit der Option auf Schließung der Meerengen würde Konstantinopel, von den militärisch-ökonomischen Ressourcen im Kriegsfall Russland weit unterlegen, ein Faustpfand ersten Ranges in der Hand haben, die Großmacht im Krisenfall schneller "zu erpressen", als russische Truppen vom Kaukasus nach Konstantinopel marschieren könnten. Dieser strategische Faustpfand "bei Bedarf" ist von russischer Seite klar erkannt worden, eine in der Brisanz vergleichbare Situation bestand für keine andere Großmacht.

Das "Messer an der Kehle" führte dann auch zu der Teilauffassung in der Literatur, dieses sei der eigentliche Hintergrund der Juli-Krise 1914, auch wenn das in der Schärfe vermutlich überzogen ist.

Und übrigens weist Bobroff in seiner neusten Darstellung 2014 insbesondere auf die russische Reaktion (Sazonow) nach Kriegsausbruch hin. Keine Verminung, äußerstes Appeasement gegenüber der Pforte, Mäßigung der Entente, territoriale Angebote an Konstantinopel, etc. Der Mann war nicht blöd, sondern hatte vermutlich sehr genau auf seine strategischen Berater gehört.

3. Die Situation des Deutschen Reiches war dagegen höchst komfortabel: die Nahost-Ambitionen waren Luxusbeschäftigung, die ökonomische Bedeutung im Promillebereich für die eigene ökonomische und militärische Basis als Großmacht. Und die Bedeutung gegenüber Russland in einem beliebigen zukünftigen Krisenfall für das Deutsche Reich könnte man in der "Sprengkraft" mit dem Besitz der "Bombe" vergleichen, da nach Beherrschen der Pforte ein unabschätzbares Erpressungspotenzial gegenüber Russland bestehen würde. Soweit ich das aus den Quellen abschätze, ist das deutscherseits nirgends in seiner ganzen Tragweite erkannt worden. Wäre es erkannt worden, kippt natürlich die Einschätzung als "Luxusbeschäftigung". Dann würde der Vorgang ganze deutsche Heeresgruppen ersetzen können ...


Der Vergleich der Liman von Sanders-Mission mit der Mission von Limpus ist m.E. aus einer Reihe von Gründen problematisch.
Vielleicht war das oben missverständlich, da Du mich zitiert hast: die Missionen sind nicht nur von ihrer Struktur, sondern von ihrer Bedeutung unvergleichbar. Ich hatte die nachfolgende britische Marinemission für Griechenland angeführt, weil dieses bereits als ausreichende Kompensation für die russischen Bedenken gegen den Limpus-Auftrag ausreichte. Die Limpus-Mission war nicht geeignet, eine Sperrung der Dardanellen zu gewährleisten. Für beide Missionen war überdies von britischer Seite signalisiert, dass sie nur für Friedenszeiten gelten und im Krisenfall zurückgezogen würden.
 
In dem Zusammenhang ein weiteres Beipiel bei Clark, in dem die Bobroff-Monographie verkürzt und und damit polemisiert wird:

„Einen britischen Vorschlag, die Hauptstadt zu internationalisieren, lehnte er mit der Begründung ab, dadurch werde höchstwahrscheinlich der russische Einfluss in der Region verwässert. Es wurden neue Pläne für die gewaltsame Besetzung Konstantinopels und der gesamten Meerengen ausgearbeitet. In einem für Kokowzow und die Geheimdienstchefs verfassten Papier vom 12. November erklärte Sasonow, welche Vorteile eine russische Eroberung hätte: Es würde ihnen eines der Welthandelszentren sichern, den »Schlüssel zum Mittelmeer« sowie »die Basis für eine beispiellose Entfaltung der russischen Macht« verschaffen. Russland wäre dann, so argumentierte er, »in einer globalen Position etabliert, welche die natürliche Krönung seiner Anstrengungen und Opfer im Laufe von zwei Jahrhunderten unserer Geschichte wäre«. In einer vielsagenden Anspielung auf die Bedeutung der Öffentlichkeit gelangte Sasonow zu der Schlussfolgerung, dass eine so ruhmreiche Errungenschaft »Regierung und Gesellschaft« hinter einer Frage von »unstrittiger landesweiter Bedeutung vereinen« und damit auch »unserem inneren Leben Heilung bringen« würde.“

Clark, Christopher. Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog.

Bobroff selbst beschreibt die Passage als "luftige Höhen", die er anschließend auf den Boden der Realität zurückholt. Dieses dient bei Clark dazu, eine russische Aggression im Allgemeinen nachzuweisen. Wie bei Bobroff nachzulesen, ist das aber die unmittelbare Reaktion auf eine dramatische Zuspitzung der Lage im Balkankrieg (vergleichbar dem deutschen Kriegsrat 1912).

Worum ging es Sazonow:

1. in der internen Auseinandersetzung um die politische Vorgehensweise Verbündete in Politik, Geheimdienste und Militär zu gewinnen, die eine harte Position in der Frage der Meerengen unterstützen.

2. argumentativ klarzumachen, dass der auf dem Tisch liegende "weiche" Vorschlag einer Internationalisierung der Meerenge mit Beteiligung weiterer Großmächte für Russland keine Sicherheit bringt, sondern permanentes Erpressungspotenzial.

3. auf die Situation zu reagieren, dass die bulgarische Armee an den Dardanellen und kurz vor Konstantinopel steht - zugleich die Gefahr zu kontern, dass ÖU in diesem Züge eingreift und Serbien beseitigt, damit den Balkan dominiert

4. Armee und Marine einzustimmen und Rüstung zu veranlassen, im Kriegsfall die Meerengen besetzen zu können - diese Voraussetzungen würden noch auf Jahre nicht gegeben sein.

5. dem russischen Botschafter in Konstantinopel (Giers) den strategischen Hintergrund überhaupt klarzumachen (dabei auch zu beachtlich zu dramatisieren), der mit der Meerenge für Russland verbunden ist - es sind Giers und der Geheimdienst, denen er hier sachfern innenpolitische Dramaturgien suggeriert, natürlich mit der Zweck, damit sie genau diese zugespitzte Sichtweise übernehmen und weitergeben. Giers sollte gegenüber den anderen Mächtevertretern in Konstantinopel diese Bedeutung klarmachen und jede Aufweichung der Meerengenfrage mit Zugriff anderer Mächte ablehnen.

Clark plaudert hier zwar über Ereignisse, aber es fehlt jede Analyse des Hintergrundes. Benutzt wird das Zitat, um aus dieser sehr emotionalen und völlig überspitzten Reaktion Sazonows auf eine krisenartige Zuspitzung eine Aktion der Weltherrschaft als Fernziel anzudeuten.

Dagegen hebt sich Bobroff ab, der seine seitenlangen und tiefen Quellenanalysen zur Beschreibung der Bedeutung der Meerengen für Russland benutzt und eine strategische Grundausrichtung analysiert: jede Fremdbestimmung der Meerengen war für Russland inakzeptabel, auch eine gemeinschaftliche Beherrschung durch andere europäische Großmächte. Wer hier die Wurzeln sucht: strategische Lehren aus dem Krimkrieg, mit exponentieller Verschärfung dieses Grundtatbestandes durch die inzwischen erfolgte ökonomische Entwicklung Russlands.

Hier liegt ein Problem: Clark bringt keinen eigenen Forschungsbeitrag, sondern er deformiert geradezu die Konklusionen seiner Zitatgrundlagen durch freihändig neue Wertungen, bleibt die Analyse dafür schuldig und stützt das lediglich durch selektives Zitieren.
 
Schon wieder der Begiff Luxus. Ich lehne diesen Begriff ab.
Wir können nicht immer "nur" die russische Befindlichkeiten betonen bzw. überbetonen, und die deutschen als Luxus abtun. Das Deutsche Reich war ebenfalls eine Großmacht. Es ging nicht nur um Ökonomie, sondern m den damiligen Zeitgeist entsprechend und den innenpoltischen gewaltigen Druck geschuldet, sowohl in Deutschland als auch in Russland, ganz gewaltig auch um Prestige. Es wäre ganz sicher ein Prestigeverlust gewesen, das Angebot nicht zu akzeptieren. Die Russen haben doch auch keine Hemmungen gehabt, genauso wenig wie die Franzosen und Briten, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn immer mehr in die Enge zu treiben.

Überall auf der Welt waren "vitale" Interessen der Briten, Russen und Franzosen zu berücksichtigen. In der Summe lief es darauf hinaus, das erwartet wurde, dass das Deutsche Reich "still sitzt". Nur, und das wussten die anderen Bigplayer auch, das dass nicht gutgehen konnte. Aber man das trotzdem billigend in Kauf.

Die Russen waren nun weiß Gott nicht harmlos. Ich möchte zum widerholten Male daran erinnern, das sie maßgeblich den Balkanbund mitgeschmiedet haben, ganz sicher nicht aus reiner Nächstenliebe heraus, und mindestens indirekt den 1.Balkankrieg mitverschuldet haben, aus dem dann schon fast folgerichtig der 2.Balkankrieg erwachsen ist. Die Sieger wurden sich nicht über die Beute einig. Das Osmanische Reich ging aus den Kriegen in der Summe nun gerade nicht als Sieger hervor und die schweren Niederlagen haben erheblichen Reformbedarf in der Armee aufgezeigt.

So, die Briten kontrollierten die Marine, die Franzosen die Polizei die Russen und Österreicher kamen nach Lage der Dinge wohl nicht in Frage. Es blieb das Deutsche Reich mit dem stärksten Heer in Europa. Was war also naheliegende, als die Deutschen zu bitten? Und warum sollten die Deutschen eigentlich ablehnen? Die Russen haben sich doch selber in den letzten Jahren vor dem Kriege auch nicht gerade durch Rücksichtnahme hevorgetan; im Gegenteil. Die Russen agierten auf dem Balkan wie jemand, der mit der Fackel in einen Lageraum voll Pulver geht.
 
Schon wieder der Begiff Luxus. Ich lehne diesen Begriff ab.
Er wirkt sicher provokativ und ist Churchills Bezeichnung der Hochseeflotte entlehnt, sowie dem Buchtitel von Herwig.

Er erschien mir passend, weil selbst die deutsche Industrie und Großbanken mit engagement im Osmanischen Reich sich ablehnend gegen die Liman-Mission geäußert haben, von der offensichtlich eine krisenhafte Zuspitzung erwartet wurde, und ein Zerfall des Osmanischen Reiches nicht als geschäftsfördernd angesehen wurde. Auch ohne Liman und "Weltpolitik" machte man gute Geschäfte.
Das zitieren selbst Langensiepen etc., The Ottoman Steam Navy.


Wir können nicht immer "nur" die russische Befindlichkeiten betonen bzw. überbetonen, und die deutschen als Luxus abtun. Das Deutsche Reich war ebenfalls eine Großmacht. Es ging nicht nur um Ökonomie, sondern m den damiligen Zeitgeist entsprechend und den innenpoltischen gewaltigen Druck geschuldet, sowohl in Deutschland als auch in Russland, ganz gewaltig auch um Prestige. Es wäre ganz sicher ein Prestigeverlust gewesen, das Angebot nicht zu akzeptieren. Die Russen haben doch auch keine Hemmungen gehabt, genauso wenig wie die Franzosen und Briten, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn immer mehr in die Enge zu treiben.
Wir haben da erkennbar unterschiedliche Wertungen, was man ja so stehenlassen kann. Ich sehe das Deutsche Reich hier als agierende Macht, bei der Liman-Mission wurde man von niemanden provoziert oder in die Enge getrieben, sondern das war selbstgewählte (und ökonomisch-militärisch überflüssige) Weltpolitik, über deren scharfe Krisenauswirkungen man dann erstaunt war.


Überall auf der Welt waren "vitale" Interessen der Briten, Russen und Franzosen zu berücksichtigen. In der Summe lief es darauf hinaus, das erwartet wurde, dass das Deutsche Reich "still sitzt". Nur, und das wussten die anderen Bigplayer auch, das dass nicht gutgehen konnte. Aber man das trotzdem billigend in Kauf.
Ein "vitales Interesse" für Weltmachtpolitik des Deutschen Reiches in Bezug auf das Osmanische Reich - Berlin-Bagdad bis Mesopotamien (Wilhelm II.) - ist nicht nachweisbar. Ökonomisch liefen die Geschäfte "auch ohne" gut, wie zB anhand der Waffenlieferungen, bis hin zu den Schiffslieferungen an die Osmanische Marine trotz britscher Marinemission (deren Zielsetzung natürlich die Beschaffung von Lieferaufträgen war, die aber die Bestellungen in Deutschland nicht verhindern konnte), belegbar ist.
Wir kommen auch nicht weiter, wenn wir die Diskussion auf alles in der welt ausdehnen. Wie die koloniale Entspannung mit Großbritannien 1904/14 zeigt, ist das auch so nicht richtig: da verständigten sich die beiden Imperialisten und ihre "men on the spot" zunehmend problemlos, wenn beiderseitig keine "vitalen" Interessen behinderten.


So, die Briten kontrollierten die Marine, ...Was war also naheliegende, als die Deutschen zu bitten? Und warum sollten die Deutschen eigentlich ablehnen?
Dass die Briten die Osmanische Marine "kontrollierten", ist ein Märchen der deutschen Diplomaten in London, Konstantinopel und Berlin. Das war lediglich die offizielle Bezeichnung als "Titel", Inspekteur der Flotte wechselte zu Kommandeur der Flotte 1910, allerdings unter dem Befehl der osmanischen Admiralität (bei der zwischen 1908 und 1913 allein 10 Mal der Marineminister ausgewechselt wurde, und auch ein Gamble als Limpus-Vorgänger ausgewechselt werden musste, weil er die osmanische Admiralität kompromittiert hatte):
"When the news broke regarding Limpus' position as fleet commander, Grey was informed that Williams and Gamble had the same powers. "He [Limpus] can do anything except break the law or exceed the budget." This is also not strictly true. In truth, all three Admirals who led the mission had slightly different terms of reference and positions. Lowther sent Williams' contract to Grey in February 1912. It states that the Admiral acts in two capacities, Naval Adviser and inspector of the fleet. The contract further distinguishes between the English Admiral and the "officer in command of the fleet" who is not specified, to whom Williams reported, and with whom Williams was to make joint decisions on naval manoeuvres. It is possible, of course, for Williams to have performed both roles and effectively made joint decisions with himself, especially since in 1910, when his contract was being discussed, the Foreign Office proposed that the Admiral's functions be the direction of the fleet "under instructions of the Turkish Admiralty ... in the quality of Commandant of the Turkish Fleet." Williams was not contracted, however, as a fleet commander. Furthermore, since the matter was not discussed there is no reason given for the change from "inspecteur de la flotte" to the more powerful and prestigious "commandant de la flotte".
Rooney: The International Significance of British Naval Missions to the Ottoman Empire, 1908-1914, Middle Eastern Studies 1998, S. 1-29.
Die "Titulierung" brachte Großbritannien dann in Schwierigkeiten, nicht die tatsächliche Bedeutung. So hatte man auch deswegen mit Russland keine wirklichen Probleme, und konnte mit einer "marginalen" Mission nach Griechenland kompensieren und "beruhigen".

Somit haben wir unterschiedliche Einschätzungen bzgl.:

- der Bedeutung der Meerengen für Russland (vitales Interesse)
- derselben für das Deutsche Reich
- der tatsächlichen Reichweite der britischen Marinemission
- der militärischen Auswirkungen der Liman-Mission

Hier kommen wir nicht weiter, es sei denn:

- die ökonomisch-militärische Bedeutung der Meerengen für Russland könnte durch Quellen tatsächlich reduziert werden
- die behauptete Bedeutung für das Deutsche Reich würde substantiiert
- die Limpus-Mission wäre tatsächlich anders, nämlich bedeutsamer einzuschätzen
- die militärische Bedeutung der Liman-Mission würde durch Nachweise reduziert
-> was mE in allen 4 Punkten nicht gelingen kann

Trotzdem hat die bisherigen Diskussion doch viele interessante Details ans Licht befördert.:winke:

EDIT und ein Nachtrag, Wilhelms Bestrebungen in Richtung Großbritannien anläßlich der Liman-Mission:
"Let us ensure that the partition shall not be carried without us. I want
Mesopotamia, Alexandretta, Mersina. The sensible Turks are already
expecting this fate patiently… It is very important to have definite
objectives in this event (the partition), instead of warning the Turks, which
the present Turkish government does not deserve and would never be
acted on anyway… I could not wish for a better… merciless judgement
upon the policy of great adventures and Ententes of my uncle Edward VII!
In the long run a policy directed against Germans with Slavs and Gauls is
absolutely unworkable for the Anglo-Saxons! We shall find one another in
Asia Minor, either for the sake of Turkey… or at her expense!"

(Edìp Öncü: The beginnings of ottoman-german partnership - diplomatic and military relations between Germany and the Ottoman empire before the First World War, zitiert nach Fischer)
 
Zuletzt bearbeitet:
.. Die russische Reaktion basierte doch auf Möglichkeiten, die den Deutschen pauschal unterstellt wurden. Und das war keine Seltenheit, den Deutschen alle möglichen Schlechtigkeiten zu unterstellen.
..

Die gegenseitige Unterstellung der "möglichen Schlechtigkeiten" war Grundprinzip beiderseits?
Bethmann Hollweg fragt sich nach seiner "Russlandeise 1912" sogar, ob es einen Sinn machen könnte einen Baum im eigenen Anwesen zu pflanzen, da der Russe alsbald da wäre, um den teutschen Baum zu entwurzeln.
(Da hab ich ein Déjà Vu..)
Geheimverträge ohne Profi-Geheimhaltung, Hinterfotzigkeit, Intrigen, und versuchte Massenvolkverblödung,
..was für eine interessante Mischung;
vor dem Hintergrund unterschiedlicher Entwicklungsgeschwindigkeiten technischer und sozialer Organisationsmöglichkeiten.
 
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