Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Du warst doch mit den von Dir verwendeten Theoretikern auf dem "richtigen" Weg.

Die damalige Situation kann man sicherlich angemessen durch die Annahmen des "Realismus" erklären.

Das hat mit "Schlechtigkeit" überhaupt nichts zu tun. Eher mit Machiavellismus.

Realismus (Internationale Beziehungen) ? Wikipedia


Da kann und darf man durchaus geteilter Meinung sein. In der Literatur, die ich zum Thema abgearbeitet habe, finden sich nämlich auch andere Hinweise und Deutungen.
 
Die gegenseitige Unterstellung der "möglichen Schlechtigkeiten" war Grundprinzip beiderseits?

Ich würde weder von möglichen, noch von Unterstellungen oder von Schlechtigkeiten sprechen.

Oben sind ansatzweise die deutschen "Ambitionen" in Bezug auf das Osmanische Reich dargestellt worden. Die politischen Hegemonialziele kann man dann noch von der "harmloseren" Ebene darunter, der ökonomisch-finanziellen Durchdringung des osmanischen Einflussbereiches trennen. Beide Zielsetzungen trafen sich im Konsens, dass die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches unbedingt erhalten bleiben sollte, um diesen "weichen Imperialismus" zum Erfolg zu bringen. Aufteilung unter Großmächten war nur die zweitbeste angestrebte Lösung. Was Wilhelm in seinen orientalischen Aktivitäten (da gibt es einige Monographien dazu) so vorgeschwebt hat, habe ich oben gepostet.

Russische "Schlechtigkeiten" spielten dabei eigentlich überhaupt keine Rolle in der Wahrnehmung der deutschen Seite, auch kein "Wettrennen" um das "Erbe". Obwohl das außer speziell deutscher Sicht für die Liman-Mission keine Rolle spielte, kann man die zeitgenössischen russischen Ambitionen so beschreiben: 1. Besetzung der Meerengen für den Fall, dass sich eine Kriegsverwicklung für Russland ergibt, oder 2. die Meerengen wieder einmal aus sonstigen Krisengründen gesperrt werden würden. 3. Keine ausländische Macht als Sperrmacht für die Meerengen, 4. territoriale Ambitionen außerdem im Vorschieben der kaukasischen Grenze.

Mit einer Einschränkung gab es dann aber doch eine "Unterstellung" bzw. eine indirekte Wahrnehmung Russland iVm dem Osmanischen Reich aus deutscher Sicht: das Osmanische Reich war seit 1888, von Moltke d.Ä. bis Moltke d.J. ein
Kräftefaktor wechselnder Stärke im deutschen Kalkül eines Krieges gegen Russland. Stets wurde wahrgenommen, dass eine Bindungskraft für russische Armeekorps an der kaukasischen Grenze bestand, wechselnd eingeschätzt, bis zur Stärke von 400.000 Mann. Dieser Faktor spitzte sich natürlich in den späteren Kalkulationen nach 1892 eines deutschen Zweifrontenkrieges gegen FRA/RUS sogar noch zu. Beispielsweise war es ein wichtiger Faktor bei der Diskussion der Heeresvermehrung 1913, dass in Folge der Balkankriege 2-3 russische Armeekorps mit 120.000 Mann nun im Ernstfall an der ostpreußischen, nicht an der kaukasischen Grenze stehen würde.

Auf eben diesen Faktor eingehend, müsste ich natürlich auch das oben beschriebene "Luxusproblem" der Liman-Mission doch relativieren: in dieser Aufsplittungswirkung für die russische Armee bzw. ihre vermutete Dislozierung gab es durchaus (auch Jahrzehnte zuvor!) einen beachtlichen Faktor aus deutscher Sicht. Also insoweit kein "Luxus", wenn auch andererseits nun keine tragende Säule einer Schlieffen-Moltke-Planung.
 
Zuletzt bearbeitet:
.........
Am 09.April wird in Paris eine neue Anleihe in Höhe von 800 millionen Franc für das Osmansiche Reich unterzeichnet. Im Gegenzug erhält Paris lukrative Eisenbahnkonzessionen.

Am 10.April bewilligt die Duma 88 Millionen Rubel für den Ausbau der Flotte.
....

Gibt es eine Veranschaulichung der Summen, etwa als BIP-Anteil oder als Umrechnung in Mark oder gar in Euro?
.. oder vielleicht als Kaufkraft?
 
Du warst doch mit den von Dir verwendeten Theoretikern auf dem "richtigen" Weg.

Die damalige Situation kann man sicherlich angemessen durch die Annahmen des "Realismus" erklären.

Das hat mit "Schlechtigkeit" überhaupt nichts zu tun. Eher mit Machiavellismus.

Realismus (Internationale Beziehungen) ? Wikipedia

Ich kann mich ja gerne täuschen..:winke:
Aber so wie ich es verstehe, bezieht sich der "Realismus" auf Strukturen die als allgemeingültig erkennbar sind und damit zwar eine sehr wichtige, aber unvollständige, Deutung einmaliger Vorgänge ermöglichen.
Das wär wohl ein eigenes Thema wert..
 
silesia schrieb:
Ich würde weder von möglichen, noch von Unterstellungen oder von Schlechtigkeiten sprechen.

Würde nicht aber man kann. Ein Beispiel. Als im Jahre 1906 nahm die Hamburg-Amerika-Linie ihr Verbindung von Hamburg nach Basra auf und drohte damit zu einer ernsthaften Konkurrenz für die britischen Linien zu werden.
Das Sub-Committee of the CID kam zu den wenig überraschenden Ergebnis, das es bei bei neuen Verbindung um nicht anderes handle, als den Versuch Deutschlands poltischen Einfluss am Persischen Golf zu gewinnen. Tatsächlich wurde diese Schifffahrstverbindung weder von der deutschen Regierung initiiert noch irgendwie gefördert.

Die geschäftlichen Aktivitäten deutschen Banken, Firmen und Handelshäuser in der asiatischen Türkei wurden weder von den Briten und Russen gerne gesehen. Sie waren unwillkommene Konkurrenten in Räumen und Regionen, die man als für sich reserviert betrachtete und darüber hinaus kam dann noch die militär strategische Betrachtungsweise.


hatl schrieb:
Gibt es eine Veranschaulichung der Summen, etwa als BIP-Anteil oder als Umrechnung in Mark oder gar in Euro?
.. oder vielleicht als Kaufkraft?

Kann ich im Moment mit nicht dienen.
 
Würde nicht aber man kann. Ein Beispiel. Als im Jahre 1906 nahm die Hamburg-Amerika-Linie ihr Verbindung von Hamburg nach Basra auf und drohte damit zu einer ernsthaften Konkurrenz für die britischen Linien zu werden.
Das Sub-Committee of the CID kam zu den wenig überraschenden Ergebnis, das es bei bei neuen Verbindung um nicht anderes handle, als den Versuch Deutschlands poltischen Einfluss am Persischen Golf zu gewinnen. Tatsächlich wurde diese Schifffahrstverbindung weder von der deutschen Regierung initiiert noch irgendwie gefördert.

Es wäre schon hilfreich gewesen, die Quellen anzugeben, da diese Darstellungen (zB auch bei Schöllgen) zum Beispiel auf Plass und Brodacki beruhen und da einiges durcheinander geht. Es war recht mühsam, so ein Detail wie C.I.D./Frachtkrieg am Persischen Golf zu rekonstruieren.

Gelesen hatte ich davon in einigen Darstellungen, zB in Issawi (The Fertile Crescent 1800-1914 - Documentary Economic History zum Mittleren Osten) und Cohen (British Policy in Mesopotamia 1903-1914 und einigen mehr (McMeekin etc., und auch den genannten Plass).

Hier vermengen sich Aspekte eines massiven Transportwettbewerbs (Tonnagekrieg) mit politisch-militärischen Erwägungen. Dass deutscherseits politisch nichts "initiiert" wurde, ist erst einmal so nicht richtig, da die HAPAG/H.A.L. mit Ballin vom Außenamt darauf gedrängt wurde*, die Routen trotz riesiger Anlaufverluste** aufrecht zu erhalten. Dass das ohne "Kompensationen" durch das Deutsche Reich erfolgt sein soll, erscheint mir völlig unglaubwürdig. Dass Frachtraten nicht direkt bezuschusst/subventioniert wurden, mag sein.

Die H.A.L eröffnete den Dienst 1906, bot umgerechnet 17,5s per tons und unterbot damit um 10s die bestehenden britischen Frachtraten. 5 Mio. Mark Anlaufverluste für so eine Route waren die Folge für die HAL (Ballin: "versenkt"), ... verkraftbar, da man
a) gefüllte Firmenkassen aus den russischen Transporten 1904/05 hatte und
b) angeblich im Zeitraum von 20 bis 30 Jahren mit der Bagdadbahn spekulierte.

Es ist ein deutsches Märchen, dass die gesunkenen Frachtraten von früher über eineinhalb GBP/tons auf die eröffnete deutsche Konkurrenz zurückzuführen sei. Bereits 1903, und das hatte nichts mit deutschen Transporten zu tun, waren die Raten sogar scharf auf 10-15s gefallen, also rund 50%, und hatten sich danach wieder erholt. Dieser Wettbewerb, in den sich laut Ballin auch das deutsche AA einmischte, ist aber nur der eine Aspekt.

Britischerseits gab es da zwar es da zwar Schnappatmung, die Politisierung der Transportlinien besorgte aber schon die deutsche Presse selber: "Hamburg-Basra" war nämlich der nationalistische Superlativ bzw. die geografische Verlängerung von "Berlin-Bagdad" (siehe zB McMeekin). Man polemisierte aber auch im Jahrzehnt zuvor auf Durchbrechung der britischen Imperiallinie Gibraltar-Suez-Indischer Ozean, das sein "der britische Preis" für die Entstehung der Deutschen Nation 1871. Viel schlechte Eigenphantasien musste das Foreign Office da gar nicht mehr "entwickeln".

Viel "interessanter" als diese deutsche Politisierung, und auch relevant für die britische strategische Beurteilung, war die Einmischung der indischen Kronkolonie, vor 1906 auch durch den Vizekönig Curzon, direkt im Foreign Office. Die indische Verwaltung - näher am Brennpunkt - überzog London geradezu mit strategischen Eingaben und Bedenken zum Persischen Golf, auch in Bezug auf die Bagdadbahn, befürchtete deutsche Kohlestationen auch für Kriegsschiffe, Stützpunkte und Häfen am Ende der "Hamburg-Basra"-Linie (ob nun als Schifffahrtlinie oder als Eisenbahnstrecke), sowie Ausgangspunkte für eine Aufwiegelung islamischer und hinduistischer Gebiete. Die späteren deutschen Kriegsaktivitäten ab 1914, ua. auch auf Beratung Ballins, gingen in exakt diese Richtung, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Die paar kümmerlichen Kleindampfer der H.A.L./Hapag waren nicht Ursache, sondern Begleiterscheinung der britischen strategischen Beurteilung, in die auch die russischen Aktivitäten in Persien einzubeziehen waren. Deutsche Grundlagendarstellungen, wie etwa Plass (England zwischen Deutschland und Russland 1899-1907) stellen das nur unzureichend dar.

Das Ganze ist also kein Beleg für Schlechtigkeiten und Unterstellungen, sondern eingebunden in die politisch-militärischen Aspekte des Berlin/Bagdad (bzw. Hamburg/Basra)-Komplexes, verquickt mit massiven Einflussnahmen auch außerhalb des Foreign Office (Kronkolonie) sowie den Sicherheitsfragen am Persischen Golf ingesamt (in Konkurrenz auch zu Frankreich (via Syrien), Russland (Kaukasus/Persien) und wachsenden US-Aktivitäten), und überdies verquirlt mit "üblichen" Einflussnahmen aus dem scharfen wirtschaftlichen Wettbewerb,*** die nicht Ursache, sondern (eine) Wirkung darstellten.

* Ballin hätte sonst laut eigener Darstellung die Linien "eingestellt"
** die Anlaufverluste entstanden, obwohl man schon "nur" die ältesten kleineren Dampfer wie die Canadia aus Kostengründen verwendete
*** Andere deutsche Phantasien, auch der Hapag, wie eine Marktführerschaft im Bereich der islamischen Pilgertransporte, kann man außer Acht lassen.
 
Es gibt wohl keinen deutschen Historiker, der die politische Ereigngeschichte, vor allem wenn soe ausnahmsweise nicht das Kaiserreich negativ darstellt, korrekt dargestellt.

Das können wohl nur die Historiker der damaligen Kriegsgegner.
 
Die Kriegsparteien des Ersten Weltkrieg werden sich kaum in den "Fronten" internationaler Wissenschaftler wiederfinden lassen, insbesondere nicht in Publikationen der letzten 20 Jahre. So etwas ist mir nicht nachvollziehbar. Dass es unterschiedliche Forschungsstände zB zu Plass (ebenfalls eine sehr gute Ausarbeitung, wenn eben auch unvollständig nach knapp 50 Jahren) 1966 gibt, ist ja wohl logisch. Logisch sind auch Unterschiede in der Bewertung, je nach Autor, dem man folgt.

Zu den Beispielen oben:
Stuart A. Cohen: Professor für political science, Bar-Ilan University, ehemaliger senior research associate, Begin-Sadat Center for Strategic Studies
Charles Issawi : Professor Near Eastern Studies, Princeton University. Professor of economics, New York University
Ob danach beide anglophil sind, vermag ich nicht zu sagen. Dass sich hier aber Forschungsstände auf alte Grabenkriege zurückführen lassen, sehe ich nicht.

Von daher wäre es doch besser, in der Sache zu argumentieren, bzgl. der Richtigkeit der Darstellung von Ereignissen. Wenn das etwas falsch sein sollte, wäre das natürlich zu korrigieren.

Im Folgenden noch ein weiteres Beispiel aus Clark (auch ehemaliger Kriegsgegner) zu Berlin/Bagdad.
 
Schöllgen sein Werk gilt eigentlich als Standardwerk zum Thema Balkanpolitik am Vorabend des Weltkrieges. Und der sieht die Politik des Kaiserreichs ja wirklich kritisch. Und die paar Sachverhalte, die nicht kritisch sind, da sitzt er wohl einen Irrtum auf.
Es ist doch schon arg auffällig, das deutsche Historker anscheinend immer irren, zumindest dann wenn es eben um das Kaiserreich geht, wo es sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, und vorzugsweise englischsprachige Publikationen das Maß der Dinge sind.
So bekommen die Diskussionen auf eine gewisse Art einen auschließenden und Ausschließlichkeitscharakter. Mir bringt es so jedenfalls keinen Spaß mehr, immer zu hören zu bekommen, dieser und jender sehen dies und das falsch. Unter diesem Gesichtspunkt können wir auch die Literaturtippliste zum Kaiserreich in den Orcus befördern.
 
Anläßlich der Hochzeit des Herzogs Ernst Augsut von Cumberland mit Prinzessin Viktoria von Preussen im Mai 1913 waren der englische König Georg und der Zar zu Gast in Berlin.

Gesprächsgegenstand waren unter anderem die Türkei, die Dardanellen und Konstantinopel. Der englische König erzählte, das die Türke sich an ihn hinsichtlich der Formierung einer Gendamerie gewendet hätten. Wilhelm erzählte von der weiteren Ausbildung des türkischen Heeres durch deutsche Instrukteure; weder Nikolaus noch Georg erhoben Einwände.

Übersberger, Österreich zwischen Serbien und Russland, S.198
 
Das stammt vermutlich aus der Randnotiz von Wilhelm II., angemerkt an Wangenheims Bericht vom 3.12.1913, als das Kind in den Brunnen gefallen und Seine Majestät bereits außer sich vor Wut war.

"The Russians and French are simply insolent and shameless. I informed H.M. the Tsar of Turkey’s request for a German military mission when he was in Berlin in June [sic], in the presence of H.M. the King of England. The King said: “It is quite natural that they should turn to you for officers to reorganise their Army. We are asked to send people to reorganise their Police & Gendarmerie, which we shall do.
Quelle: Röhl, Wilhelm II 1900-1941

*richtig ist Mai 1913, wie Du anmerkst.

Es gibt da mehrere Möglichkeiten:
- George V. hat das überhaupt nicht erfasst, sondern plaudert munter beim Dinner.
- Niki ebenso ...
- Wilhelm hat die Umstände der Mission nicht "verständlich" kommuniziert

Schließlich gibt es die Möglichkeit, dass Wilhelm die Sache nachträglich schlicht aufbauscht, um sich gegenüber dem A.A. in der Konfrontation zu exkulpieren. Schließlich "seien" alle informiert gewesen.

Man kann dem nachgehen:
Welche Berichte darüber gelangten an das Foreign Office, da dies später von der Krise überrascht wurde?
Welche Informationen gelangten an das russische Außenministerium?

Das wäre interessant, da beide "Kanäle" völlig unterschiedlich zu bewerten sind (George "machte" im Übrigen keine Außenpolitik). Warum hat er sie überhaupt angesprochen, und nicht die offiziellen A.A.-Kanäle zur Sondierung benutzt, ob es hier Krach gibt?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nikolaus hat Sasonow nicht informiert. Später, als Sasonow im Oktober 1913 in Berlin war, traf er den deutschen Kaiser nicht, der ihn über die Liman von Sanders Mission informieren können. Aber das wäre eigentlich Sache vom Zaren gewesen. Ich weiß jetzt nicht mit Bestimmtheit, inwieweit oder ob überhaupt Jagow und Bethmann zu diesem Zeitpunkt informiert gewesen waren. Auch ist mir jetzt nicht geläufig, ob George Grey entsprechend ins Bild gesetzt hat.
 
Dann ist die Kernfrage, wie man den "Vorstoß" von Wilhelm überhaupt bewerten muß, so es ihn denn in den Klarheit überhaupt gegeben hat.

Da keine offiziellen Kanäle benutzt wurden, hat er offenbar schon mit der Andeutung - wenn es sie so deutlich gab - geahnt, dass es Ärger gibt. Was er sich an drei Fingern abzählen konnte.

Oder er hat das nachträglich als Halbwahrheit in der Krise erfunden.
 
War es denn überhaupt ein Vorstoß? König Georg hatte ja zuerst von dem türkischen Ansinnen berichtet und Wilhelm hat dann, reaktiv, auch entsprechendon von den türkischen Wünschen, wie genau wissen wir halt nicht, informiert

Im Oktober 1913 hatte Wilhelm auch Berchtold darüber in Kenntnis gesetzt, das der Zar auch Schutzvorrichtungen für Konstantinopel zugestimmt hätte.

Du meinst, das sei möglicherweise alles Wilhelms Fantasie entsprungen und damit Geschichtsklitterung?
 
Anläßlich der Hochzeit des Herzogs Ernst Augsut von Cumberland mit Prinzessin Viktoria von Preussen im Mai 1913 waren der englische König Georg und der Zar zu Gast in Berlin.

Gesprächsgegenstand waren unter anderem die Türkei, die Dardanellen und Konstantinopel. Der englische König erzählte, das die Türke sich an ihn hinsichtlich der Formierung einer Gendamerie gewendet hätten. Wilhelm erzählte von der weiteren Ausbildung des türkischen Heeres durch deutsche Instrukteure; weder Nikolaus noch Georg erhoben Einwände.

Übersberger, Österreich zwischen Serbien und Russland, S.198

Turgot,

Gespräche eingeladener gekrönten Häupter im Rahmen einer Hochzeitsfeier darf man nicht überwerten, insbesondere wenn man sich auf das bezieht was nicht gesagt wurde.

Zudem: Georg war Repräsentant und nicht wirklich Vertreter einer Regierung.
Und Nikolaus war nicht eben ein Analytiker.. um es mal respektvoll zu umschreiben.

Und bei der späteren Liman-von Sanders-Krise ging es auch nicht darum, dass irgenwelche "Instrukteure" bei der organisatorischen Modernisierung der osmanischen Armee halfen, sondern darum
dass sein {Russlands} mächtigster Feind in Kürze die Kontrolle über die Meerenge besitzen und damit seine Exportindustrie, von der alles andere abhing, im Würgegriff haben würde.
McMeekin - Russlands Weg in den Krieg - seite 57/58
Und bei Geiss - Der lange Weg in die Katastrophe - , findet sich auf Seite 270 eben diese Einschätzung.
Ein deutscher General in Konstantinopel schuf für Russland schlagartig eine neue Situation: ... rückte jede Aussicht, Konstantinopel und die Meerengen für Russland zu gewinnen wieder in weite Ferne.
Und gleiche Quelle Seite 212 mit Bezugnahme auf die Bagdadbahn 1899:
Ein deutscher Sperriegel an den Meerengen zum Schutz Konstantinopels verschärfte den noch jungen deutsch-russischen Antagonismus noch weiter, weil durch die Meerengen der Getreideexport zur Finanzierung der russischen Industrialisierung lief.
Man könnte das noch weiter ausführen. Etwa durch den alarmierenden Bericht Lichnowkis ('Ich habe sie noch nie so aufgeregt gesehen') oder Tuchman, die zur Einschätzung kommt, dass hier gerade noch ein Krieg vermieden werden konnte.
Nicht vergessen darf man hier auch nicht die Folgen der Sperre der Dardanellen im Rahmen des Krieges zwischen Italien und dem Osmanischen Reich 1911.

Und der Hochzeitsgast Nikolaus II?
Folgt man Witte (Memoirs of Count Witte - Seite 427) so war der Nicki so schlichten Gemüts, dass nach Björko unter den Ministern Witte und Lamsdorff darüber diskutiert wurde, ob der Zar denn nicht wisse, dass man mit Frankreich einen Bündnisvertrag habe.
 
War es denn überhaupt ein Vorstoß? König Georg hatte ja zuerst von dem türkischen Ansinnen berichtet und Wilhelm hat dann, reaktiv, auch entsprechendon von den türkischen Wünschen, wie genau wissen wir halt nicht, informiert

Das wörtliche Zitat oben bei Röhl, die Randglosse am Wangenheim-Bericht, ist genau anders herum:
Wilhelm erzählt angeblich etwas zur deutschen Militärmission, worauf George mit der Polizei- und Gendarmerie-Ausbildung antwortet.

Zu dem heißen Eisen, dem diese Vorgehensweise nun überhaupt nicht entspricht, und den "unangemessenen Adressaten" (sicher nicht aus Wilhelms Sicht) hat Hatl ausgeführt.
 
Das ändert letzten Endes aber nichts daran, das die Informationen geflossen sind. Wir wissen nicht wie präzise, aber ein Informationsausstauch von Monarch zu Monarch ist ja bestimmt nicht unangemessen und wenn Nikolaus Sasonow hiervon nicht in Kenntnis setzt, das ist dies nicht Wilhelm anzulasten.
Das Nikolaus für seinen Job, ebenso wie Wilhelm, nicht geeignet war, das steht auf einen anderen Papier. Nur werden, so ein wenig mein Eindruck, bei den Handlungen des Kaiserreiches besonders strenge Maßstäbe angelegt und bei der Triple Entente, insbesondere Russland, wird entschuldigt bzw. Verständnis an Tage gelegt.

@hatl
Immanuel Geiss ist Schüler von Fritz Fischer gewesen und seine Thesen sind bald noch radikaler als die von seinem Lehrer. Geiss schießt m.E. nach doch über das Ziel hinaus und ist stets bemüht den Kaiserreich für alles und jedes die Schuld zuzuweisen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte hier aus einem Schriftstück Sasnows an seinem Zaren zitieren. Es stammt aus dem Januar 1914, zu einem Zeitpunkt wo das Osmansiche Reich und das Deutsche Reich sich bereits auf dem Rückzug befanden.

"Wenn aber Russland in einer so wesentlich Frage...................sich mit der vollzogenen Tatsache zufrieden gibt, wird unsere Nachgiebigkeit einer gewaltigen politischen Niederlage gleichkommen. Vor allem wird sie uns nicht vor wachsenden Prätensionen deutschlands und seiner Bundesgenossen bewahren...................Andererseits wird sich in Frankreich und England die gefährliche Überzeugung verstärken, dass Russland um den Frieden zu erhalten, zu was für immer Zugeständnissen bereit ist.
"Das Berliner Kabinett hoffe vielleicht sich mit England auf russische Kosten zu verständigen. Russland wird am Ende tatsächlich in voller politischer Einsamkeit bleiben, denn auf Frankreich werden wir kaum besonders rechnen können, das ohnehin gneigt ist, allgemeine politische Interessen zugunsten finanzieller Abmachungen zu opfern. Alle oben ausgeführten Erwägungen nötigen mich Euer Majestät alleruntäntigst die Meinung zu unterbreiten: Wenn unsere Kriegs- und Marineressort ihrerseits es für möglich ansehen, das Risiko ernster Verwicklungen zu übernehmen, unter der Bedinung natürlich der entsprechenden Entschlossenheit Frankreichs und Englands, dann solllten wir schon jetzt mit den beiden Mächten in einen vertraulichen Gedankenaustausch über diese Frage eintreten."


Sasnow war also zum Kriege, im Jnaur 1914, entschlossen, ganz ähnlich wie in der Julikrise ein paar Monate später. Die Art und Weise wie er sich über seine Verbündeten herablassend äußert, ist schon arg. Die Russen haben die ganzen Jahre den Engländern übel zugesetzt und ohne französisches Geld keine auch nur annäherend so zügige Aufrüstung.
Übrigens sahen es die Russen überhaupt gar nicht gern, das der britische Admiral Limpus, als Oberkommandierender der osmansichen Flotte, dafür Sorge trug, das die türkische Flotte aufgerüstet wurde. Zu diesem Zwecke wurden u.a. ja auch die Dreadnoughts bei Vickers & Arnstrong bestellt. Nur da gab es keine so schwere diplomatische Krise
 
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@hatl
Immanuel Geiss ist Schüler von Fritz Fischer gewesen und seine Thesen sind bald noch radikaler als die von seinem Lehrer. Geiss schießt m.E. nach doch über das Ziel hinaus und ist stets bemüht den Kaiserreich für alles und jedes die Schuld zuzuweisen.

Umso bemerkenswerter ist es, dass er in der Bewertung der Liman-von-Sanders-Krise mit McMeekin übereinstimmt, dem man ja solches schwerlich unterstellen kann.
 
Umso bemerkenswerter ist es, dass er in der Bewertung der Liman-von-Sanders-Krise mit McMeekin übereinstimmt, dem man ja solches schwerlich unterstellen kann.

Okay.

Aber im Moment geht es ja darum, das vor der schweren diplomatischen Krise Informationen geflossen sind und Sasnows Erregung hierüber nicht mehr so wirklich gerechtfertig erscheint. Der Zar hat den deutschen Botschaftsrat Lucius gegenüber auch bestätigt, das er von Wilhelm im Mai informiert worden war. Aber dieser Umstand wird m.E. nach zu wenig gewürdigt. Und wir oben ersichtlich, war Sasnow ja augenscheinlich bereit recht weit zu gehen.
 
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