Polen

@thanepower: Der Fluss, in den man heute steigt, hat sich morgen verändert. Es ist aber noch derselbe. Leibniz und Newton haben das gezeigt, und konnten endlich die blöde Schildkröte erlegen.

Genau so können sich das Verständnis des Begriffs Ethnie und einer speziellen, konkreten Ethnie wandeln, ohne dass es sich um eine andere Ethnie handelt. Dahinter fallen die von Dir genannten Autoren zurück.

Davon abgesehen bleibt aber die Konsequenz die selbe: Wenn eine Ethnie im Mittelalter als selbstbewusst festgestellt wird, bleibt zu erklären, was dies bedeutet. Denn es bedeutet in jeder Zeit etwas anderes. Mitunter herrschen auch zur selben Zeit verschiedene Vorstellungen davon.

Das was oft als 'moderne Nation' bezeichnet wird ist in Wahrheit der Ethnienbegriff des Mainstreams des 19. Jahrhunderts. In der heutigen Bundesrepublik findet man ebenso mehrere konkurrierende Begriffe zum Thema Ethnie. Und bei den Ethnologen...
 
Du wirst nicht ernsthaft behaupten, dass es beim Herrschaftsantritt Heinrichs I. im Jahr 919 bereits eine deutsche Identität gab.

Nein, behaupte ich eigentlich auch nicht.


Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. ein.

Das ist auch so meine Einschätzung. Habe ich glaube ich, auch ein paar mal so geschrieben. Beispiele eines deutschen Sprachbegriffs gibt es jedoch im 10. Jhd auch schon, was darauf schließen lässt, dass Leute damit etwas verbanden und in dem Sinne auch eine gewisse Identität mit dem Begriff verbanden.
So wie ich als heutiger Deutscher auch eine gewisse Identität als Sprecher einer westgermanischen Sprache haben kann, also einer weiter gefassten, willkürlichen Gruppenzuordnung. Ich kann genauso gut auch eine Identität aufgrund meines Musikgeschmacks oder dergleichen haben...

Die gleichen Thesen vertritt "MacX" ja schon seit Jahren im Forum. Allerdings werden sie nicht origineller dargestellt und es ist nach wie vor die schlichte "Selbstbezeichnung", die als alleinige Begündung für die "deutsche Identität" als Nukleus für den deutschen Nationalismus, als Voraussetzung für die deutsche Nation, her halten muss.

Ich finde eben nach wie vor, dass Selbstbezeichnungen eine Aussagekraft haben. Welche Bedeutsamkeit die Zeitgenossen einer solchen Selbstbezeichnung beimessen, kann ich nicht beurteilen. Da müsste man sie schon fragen können. Von deutschem Nationalismus habe ich nirgendwo geredet. Der Begriff ist mir zu beladen, um ihn in diesem Zusammenhang einzubringen.

Und das trifft auf den Versuch von MacX zu, der - aus welchen Gründen auch immer - krampfhaft eine "mittelalterliche deutsche Identät" zu konstruieren versucht.

Ich konstruiere nichts, was nicht in Quellen benannt wird... Diese sprechen von einer Ethnie, einer Sprachgruppe, oder wie auch immer du es bezeichnen willst, also gehe ich davon aus, dass die Leute damit auch etwas verbanden, da die Benennung einer solchen ansonsten sinnlos wäre. Von einer „Nation“ spreche ich jedenfalls nicht, da ich weder Historiker noch Soziologe bin und keine Ahnung hätte, wonach ich suchen müsste, um ein neuzeitliches Konstrukt in mittelalterlichen Texten fest zu machen. Sicherlich kennt ihr euch da besser aus.
 
Das ist auch so meine Einschätzung. Habe ich glaube ich, auch ein paar mal so geschrieben. Beispiele eines deutschen Sprachbegriffs gibt es jedoch im 10. Jhd auch schon, was darauf schließen lässt, dass Leute damit etwas verbanden und in dem Sinne auch eine gewisse Identität mit dem Begriff verbanden.

Es gibt eine Gruppe westgermanischer Sprachen zwischen dem 8. und 11. Jh., für die Sprachwissenschaftler den Begriff "Althochdeutsch" erfanden. Das bedeutet aber nicht, dass damit eine "deutsche Identität" verbunden war. Gleiches gilt für die germanischen Sprachen vor diesem Zeitraum, die ebenfalls keine übergreifende Identität begründeten.
 
Dialekte, nicht Sprachen. Aber Altsächsisch dürfte man demgegenüber als Sprache ansprechen. Ich gehe dabei davon aus, dass Dialekte Sprachen sind, die eine gewisse Nähe auszeichnet. Abgesehen davon hatten Bayern, Alemannen und Thüringer damals sicher keine Flotte. ;)
 
Es gibt eine Gruppe westgermanischer Sprachen zwischen dem 8. und 11. Jh., für die Sprachwissenschaftler den Begriff "Althochdeutsch" erfanden. Das bedeutet aber nicht, dass damit eine "deutsche Identität" verbunden war. Gleiches gilt für die germanischen Sprachen vor diesem Zeitraum, die ebenfalls keine übergreifende Identität begründeten.

Ich will das Thema eigentlich gar nicht tot reden, da es auch gar nicht dem Topic entspricht und wir uns nur im Kreise drehen. Ich glaube nur, du verstehst nicht recht, was ich meine.

Ich glaube auch nicht, dass die Menschen im 10. Jhd eine "deutsche Identität" besaßen, wie wir es heute tun. Die Identität, die ich vermute, die sie gehabt haben könnten, ist etwas wesentlich Unspektakuläreres...

Sie wussten, dass sie kein Latein oder einen romanischen Dialekt sprachen. Sie wussten, dass sie keine slawische Sprache sprachen, jedenfalls diejenigen, die mit diesen Sprachgruppen in Kontakt kamen.

In diesem Sinne werden sie eine deutschsprachige Identität besessen haben, wenn man bedenkt, dass "diutisc" ursprünglich nicht mehr als "volkssprachig" oder "gemeine Sprache" bedeutete. Diese Identität wird aber vermutlich nicht eindeutig geografisch zuordnenbar gewesen sein, will heißen, ein Baier wird möglicherweise nicht gewusst haben, ob ein Friese auch "diutisc" sprach, entweder weil er keinen kannte, oder weil ihm der friesische Dialekt so fremd vorgekommen wäre, dass er ihn nicht unter diesem Begriff zugeordnet hätte.
 
In diesem Sinne werden sie eine deutschsprachige Identität besessen haben,

Nein, die hatten sie eben nicht. Im 9., 10. und 11. Jahrhundert waren die Sachsen, Baiern, Franken und Alemannen eher eigenständige Völker. Ein fränkischer Bauer, der im 10. Jh. altfränkisch sprach, fühlte sich dadurch nicht mit seinem altsächsischen Kollegen in der norddeutschen Tiefebene verbunden. Das Bewusstsein, zu einer ethnischen Gemeinschaft zu zählen, wuchs bei den Menschen zwischen Bodensee und Nordsee erst langsam mit der beginnenden staatlichen Einheit und einem gemeinsamen politischen Schicksal.
 
Nein, die hatten sie eben nicht. Im 9., 10. und 11. Jahrhundert waren die Sachsen, Baiern, Franken und Alemannen eher eigenständige Völker. Ein fränkischer Bauer, der im 10. Jh. altfränkisch sprach, fühlte sich dadurch nicht mit seinem altsächsischen Kollegen in der norddeutschen Tiefebene verbunden. Das Bewusstsein, zu einer ethnischen Gemeinschaft zu zählen, wuchs bei den Menschen zwischen Bodensee und Nordsee erst langsam mit der beginnenden staatlichen Einheit und einem gemeinsamen politischen Schicksal.
Es scheint allerdings schon so, daß sich Sachsen und Franken als Einheit sahen, zumindest in der Elite.
 
Es scheint allerdings schon so, daß sich Sachsen und Franken als Einheit sahen, zumindest in der Elite.

Die hochadligen Familien im Ostfrankenreich beschlossen zu Beginn des 10. Jh., erstmals einem Nichtkarolinger die Königswürde anzutragen. Aber eine "deutsche Identität" war damit im regnum francorum orientalium noch längst nicht verbunden. Die ließ noch eine Weile auf sich warten. ;)
 
naja, im 10. Jhdt unterscheidet Widukind noch zwischen fränkischen und sächsischen Großen, also , ich werte das als Hinweis, das die sich nicht als Einheit sahen.
Allerdings auch einen "Reichswillen", sozusagen Einheit in Vielfalt, oder wie man es nennen möchte.
 
Nein, die hatten sie eben nicht. Im 9., 10. und 11. Jahrhundert waren die Sachsen, Baiern, Franken und Alemannen eher eigenständige Völker.
Was Politik, Recht und Sprache betrifft, ja.

Aber:

Ein fränkischer Bauer, der im 10. Jh. altfränkisch sprach, fühlte sich dadurch nicht mit seinem altsächsischen Kollegen in der norddeutschen Tiefebene verbunden.
Welche Dokumente gibt es eigentlich, die Aufschluss darüber geben, mit wem sich der fränkische Bauer (oder sonstige "kleine Mann") nicht verbunden fühlte?

Den mir bekannten Quellen lässt sich doch nur entnehmen, was die "Großen" machten. Ob sich der "kleine Mann" mit den Angehörigen anderer Stämme, die zum Ostfränkischen Reich gehörten (= unter der Herrschaft desselben Königs standen), in irgendeiner Weise verbunden fühlte oder nicht, ob er sich also ausschließlich mit seinem Stamm und dessen Herzog identifizierte oder doch auch irgendwie mit dem König und dessen "Reich", ob er sich (sofern ihm die Existenz germanischer und romanischer Sprachen überhaupt bekannt/bewusst war) mit dem Sprecher eines anderen althochdeutschen Dialektes eher verbunden fühlte als mit dem von Altfranzösisch oder nicht - woher will man das wissen?
 
Man weiß das eben auch gar nicht, da es gerade aus der Zeit des frühen und hohen Mittelalters kaum Quellen über das einfache Volk, erst recht keine Selbstaussagen, gibt. Da über nationale Identitäten zu diskutieren ist recht müßig. Wie genau Identitätsbildung und was für eine Identitätsbildung (es gibt ja auch andere Formen von Identitäten jenseits von nationalen und ethnischen) damals vonstatten ging, wird man schlicht nicht herausfinden können. Über die Großen wird man da sicher mehr aussagen können, allerdings wäre mir eine Arbeit übergeographische oder sprachliche Identitätsbildungen der Großen nicht bekannt. Dass sie sich einer vom Französischen oder vom Lateinischen unterscheidenden Sprache bewusst waren - geschenkt.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch, inwieweit man sich abgrenzte. Als ich während meines Studiums einmal den Ansbert las (eine Chronik über den 3. Kreuzzug Barbarossas), stieß ich auf zahlreiche Vorurteile gegenüber Griechen. Ob das nun heißt, dass man sich da als Deutsche identifizierte - oder allgemeiner als katholische Christen oder auch schlicht als Kreuzzugsteilnehmer - kann ich nicht beantworten.
 
naja, im 10. Jhdt unterscheidet Widukind noch zwischen fränkischen und sächsischen Großen, also , ich werte das als Hinweis, das die sich nicht als Einheit sahen.
Allerdings auch einen "Reichswillen", sozusagen Einheit in Vielfalt, oder wie man es nennen möchte.
Gerade Widukind schreibt von einem populus Francorum atque Saxonum, nicht von populi
 
Allerdings auch einen "Reichswillen", sozusagen Einheit in Vielfalt, oder wie man es nennen möchte.

Das "Reich" wurde nicht neu erschaffen, sondern exiistierte bereits bei Amtsantritt Heinrichs I. als regnum francorum orientalium. Neu war, dass erstmals kein Herrscher aus der Dynastie der Karolinger auf den Thron gelangte. Die Franlken, Schwaben und Sachsen unterstützten die Wahl des Ottonen, Arnulf von Baiern musste wenig später durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden.

Heinrich I. hat kein "Deutsches Reich" erschaffen, aber die Fundamente für die Transformation des regnum francorum orientalium zum Heiligen Römischen Reich gelegt. In dessen Grenzen konnte sich allmählich eine deutsche Identität oder ein "deutsches Bewusstsein" entwickeln, das regional unterschiedlich einsetzte und dessen endgültige Ausbildung innerhalb eines breiten Zeitkorridors erfolgte.
 
Das "Reich" wurde nicht neu erschaffen, sondern exiistierte bereits bei Amtsantritt Heinrichs I. als regnum francorum orientalium. Neu war, dass erstmals kein Herrscher aus der Dynastie der Karolinger auf den Thron gelangte.
Mal abgesehen von Konrad I. natürlich.

Die Franlken, Schwaben und Sachsen unterstützten die Wahl des Ottonen, Arnulf von Baiern musste wenig später durch eine militärische Drohgebärde dazu gebracht werden.
Heinrich wurde nur von den Franken und Sachsen zum König proklamiert. Den Schwabenherzog Burkhard brachte er erst durch eine militärische Drohgebärde zur Anerkennung, ebenso wie danach den Bayernherzog Arnulf.
 
Das Regnum Teutonicum gab es schon.

Sicher hast du damit nicht ganz Unrecht.

Der Begriff hat sich vermutlich in ottonisch-salischer Zeit gebildet und bezieht sich auf das unter Heinrich I. entstandene vereinte Königreich. Voraussetzung war der von Sachsen, Alemannen, Baiern und Franken gebilkdete Staat, der eine nichtromanische Bevölkerung jenseits des Westfrankenreichs repräsentierte. Von außen gesehen erschien dieser Reichsverband und die ihn tragende Bevölkerung als eine Einheit, wobei in den Anfängen unklar ist, ob das auf sprachlichen oder ethnischen Grundlagen beruhte, oder sogar auf beiden Komponenten.

Vermutlich entstand die Vorstellung eines regnum Teutonicum und eines rex Teutonicorum in Italien, wo der Schwerpunkt der ottonischen Politik seit 961 lag. In der Mitte des 10. Jh. erscheint der Begriff regnum Teutonicorum in Salzburg, doch verbindet sich damit sicher noch keine Vorstellung eines "deutschen Volkes". Relevanz gewann der Begriff bekanntlich im Rahmen des Investiturstreits durch Papst Gregor VII., der ihn 1074 als Kampfbegriff im Gegensatz zum Imperium verwendete. Als Adressaten sprach Gregor VII. die Teutonici an und forderte Heinrich IV. auf, seine Herrschaft auf das regnum Teutonicorum zu beschränken.

Das alles setzt voraus, dass sich in Mitteleuropa ein Komplex gebildet hatte, der sich räumlich und ethnisch-national umschreiben ließ. Er umfasste ein Teilreich des Imperiums unter Ausschluss der beiden anderen Reichsteile Italien und Burgund. Auch später noch taucht dieser Begriff auf, so z.B. in der Titulatur im Investiturprivileg Paschalis II. für Heinrich V. aus dem Jahr 1111, wo es heißt: "Teutonicorum rex et Romanorum imperator". - Im Wormser Konkordat von 1122 findet sich das regnum Teutonicum erneut, indem es als Raum für den gefundenen Kompromiss und seine Bestimmungen benannt wird.

Inwieweit damit nun im 12. Jh. ein "deutsches Bewusstsein" auf breiter Front verbunden ist, lässt sich nur hypothetisch beantworten. Sichtbar wird auf jeden Fall ein Reichsbewusstsein, dass sich nicht mehr auf ein regnum francorum orientalium bezieh. Man wusste ganz augenscheinlich deutlich zu unterscheiden zwischen einem Imperium Romanum und einem regnum Teutonicum/Teutonicorum.
 
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