Die Frage bleibt, wie aus einer anfangs verfolgten Religion eine Staatsreligion wurde.
Vielleicht kann Jan Assmann die Frage, was das Christentum attraktiver machte ja beantworten. Diesem zufolge war nämlich das ägyptische Totenreich mit dem griechischen Hades und dem jüdischen She'ol vergleichbar und alles andere als ein angenehmer Ort. Nachzulesen im 5. Kapitel seines Buches Tod und Jenseits im Alten Ägypten. München 2001.
Was du da meinst, bezieht sich nicht auf die ägyptische Paradiesvorstellung, sondern auf den Weg der verstorbenen Seele zum Totengericht im Duat. Nach bestandenem Totengericht vermag der ´Tote´ in das elysische Sechet-iaru einzugehen, welches die erste Paradiesvorstellung in der Religionsgeschichte darstellt, Jahrtausende vor dem Mazdaismus und Christentum. Bewohner des Sechet-iaru können auch täglich zu einer bestimmten Zeit die Gegenwart des Sonnengottes Re genießen. Andere Vorstellungen zielen auf das Eingehen in den Mutterleib der Himmelsgöttin Nut, was sich auch in der Gestaltung von Särgen niederschlug. Im Fall eines nicht bestandenen Totengerichts blüht dem Kandidaten ewige Qual. Darüber habe ich hier schon mehrmals geschrieben.
Dass in den antiken Mysterien - darunter auch deren Prototyp, die Isismysterien - das Jenseits als seliges Lichtreich gedacht (und bei Initiationen auch - zumindest subjektiv - erfahren) wurde, versteht sich ohnehin, da dies die Kernbotschaft der Mysterien war. Auch der Mithraskult kannte - für Eingeweihte - ein seliges Jenseits in Form des ewigen Lebens im Sternenhimmel.
Die düstere Jenseitsvorstellung Mesopotamiens beeinflusste dagegen die jüdische Vorstellung des Scheol und wohl auch des Hades.
Das ägyptische System wurde in Persien rezipiert und eschatologisch transformiert: Ein persönliches Gericht durch Ahura Mazda entscheidet über den Verbleib im Himmel oder der Hölle bis zum Zeitpunt des eschatologischen Endgerichts, wo das Schicksal der Seelen endgültig bestimmt wird (auf der Basis ihres moralischen Verhaltens, ganz genauso wie beim ägyptischen Totengericht).
Davon wurde die Johannesoffenbarung entscheidend beeinflusst.
Vielleicht kann Jan Assmann die Frage, was das Christentum attraktiver machte ja beantworten.
Da wirst du von einem Gegner des Christentums nicht die erhoffte positive Auskunft erwarten können, schätze ich, zumal das christliche Paradies nicht die Einzigkeit hat, die du ihm unterstellst (siehe oben). Zudem gibt es überhaupt keine verbindliche christliche Vorstellung des Jenseits, die man auch nur im Ansatz "klar" nennen könnte, vielmehr konkurrieren mehrere meist vage Ansätze miteinander.
Was "das Christentum attraktiver" machte, habe ich in einem Thread über die ´Verbreitung des Christentums´ plausibel zu machen versucht. Die Jenseitsversprechungen waren es mit Sicherheit nicht. Die wesentlichen Motive sind vielmehr zunächst auf der sozialpsychologischen Seite zu suchen. Das ´Ur-Christentum´ speiste sich aus sozialrevolutionären Antrieben, was sich in der Motivik der Christologie (Sohnschaft, Kreuzigung usw.) ganz evident niederschlug. Später wurden philosophisch-hellenistische Motive adaptiert, um die Attraktivität von den plebejischen auf die bürgerlichen und adligen Schichten auszuweiten. Allerdings wäre das Christentum ohne Konstantins individuelle Entscheidung für diesen Glauben (wohl weitgehend auf einem Kalkül basierend) keine Staatsreligion geworden.
Es bringt also wenig, den "Erfolg" des Christentum allein auf dessen Potential zurückzuführen, z.B. dessen angebliche höhere Moralität, die du gerne als Argument anführst - ich wiederum kann eine solche absolut nicht erkennen, weder auf dem Gebiet der christliche Lehre noch auf dem der christlichen Praxis.
Wovon das Christentum profitierte, waren sicher gewisse Eigenarten der konkurrierenden Religionen. Der Kaiserkult hatte zu wenig emotionale Ausstrahlung. Die Mithras- und Isisreligion waren ´elitär´, d.h. sie setzten das Bestehen sehr schwieriger Initiationsprüfungen voraus, denen die breite Masse nicht gewachsen war, vermittelten allerdings für Eingeweihte Einsichten, von denen der Normalchrist nur träumen konnte.
Auch die gnostischen Gemeinden, noch viel ausgedehnter als die christlichen, stellten geistige Ansprüche an ihre Adepten, die hoch über denen des Christentums lagen, welches - in den Augen der Gnostiker - nur die einfachen Gemüter ansprach, die von den Gnostikern ´Hyliker´ genannt wurden, die für die wahre Gotteserkenntnis prinzipiell Unfähigen. Ihnen standen die gnostischen ´Pneumatiker´ gegenüber, fähig, das göttliche Licht zu erkennen, und die unentschiedenen ´Psychiker´, welche sich in die eine oder in die andere Richtung entfalten konnten.
Die Attraktivität des Christentums bestand also - letztlich - in seiner Einfachheit und intellektuellen Anspruchslosigkeit im Vergleich zu den konkurrierenden Systemen. Die Verfeinerungen im 4. Jahrhundert (Hellenisierung) wurden vom einfachen Volk gar nicht verstanden, sie waren nur Denkspielereien der klerikalen Elite.
Ob man allerdings die Göttlichkeit des Pharao öffentlich verneinen durfte, wage ich zu bezweifeln.
Die Frage ist wohl weniger, ob man durfte (mit Sicherheit nicht), sondern ob überhaupt der Gedanke aufkam. Die ´göttliche´ Macht des Pharao durchdrang das ägyptischen Denken bis in die letzten Verästelungen, da war sicher kein Platz für Zweifel. Ich bin ohnehin gerade mit einem ausführlichenText über die ägyptische Königsideologie befasst, den ich spätestens übermorgen hier einstelle, damit lässt sich das Thema dann facettenreicher behandeln.