Warum enstanden Nationalstaaten gerade im 19. Jahrhundert

Harlequin

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Hallo,

Ich beschäftige mich gerade mit der Frage, warum die Nationalstaatenidee gerade im 19. Jahrhundert aufkam? (nicht nur in Deutschland!)
Was waren die allgemeinen Vorraussetzungen, dass gerade in diesem Jahrhundert europaweit dieser Gedanke so gelebt wurde?

Die bisherige Internetsuche ergab nichts befriedigendes. Hier wird in erster Linie die franzöische Revolution erwähnt. War dies wirklich der einzige und ausschlaggebende Grund?
Wäre hier jemand vielleicht so freundlich und könnte mir erklären, warum die franzöische Revolution und die napoleonischen Kriege zu einem europaweiten Nationalstaatsgedanken führen?
Anders gefragt: Warum waren diese Ereignisse so wirkmächtig? :grübel:
 
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Entscheidend war die Idee der Nation. Diese Idee gelang durch die französische Revolution vorerst regional die Überhand und verbreitete sich mit dem französischen Vormarsch. Der nationale Gedanke wurde dann auch von Monarchien zur Mobilisierung der Bevölkerung aufgegriffen und führte im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Gründung der Nationalstaaten.
 
Wäre hier jemand vielleicht so freundlich und könnte mir erklären, warum die französische Revolution und die napoleonischen Kriege zu einem europaweiten Nationalstaatsgedanken führen?
Anders gefragt: Warum waren diese Ereignisse so wirkmächtig?

Im Prinzip können drei Länder als Vorreiter für diese Entwicklung erkannt werden. Am frühesten setzte diese Entwicklung in England / GB ein, dann durch die Unabhängigkeitskriege in Nord-Amerika und auf dem Kontinent durch die bürgerliche französiche Revolution. Sie betonte "la patrie", zu dem sich - zunächst - alle Bürger - auch Ausländer - bekennen konnten um im Verlauf der härter werdenden Revolutionskriege daraus einen französischen Nationalismus zu entwickeln, vgl. Link

Nationalstaat ? Wikipedia

Der Prozess, der in Kontinental-Europa auf den Nationalstaat hinauslief, hatte seine Vorläufer und kann vor 1800 wie folgt erklärt werden

Die Frage nach modernen Staaten wird durch eine komplexe Entwicklung definiert. Dabei kann man diese Entwicklung - folgt man Strayer - in ihren frühen Ausprägungen bereits im Hochmittelalter sehen [3].

Gekennzeichnet ist sie durch komplexere administrative Prozesse, durch eine komplexere Wirtschaft und mit den Handelsströmen wachsen entlang der Handelsstraßen die Städte, mit Paris und seinen 250.000 Einwohnern zu dem Zeitpunkt als größte Stadt.

Zwei wichtige Veränderungen fördern die Zentralisierung bzw. die Modernisierung der Staaten, wie es Mann, in Anlehnung an Webers These zur zentralen Rolle der "Bürokratie", in seinen Darstellungen beschreibt [2].

Und es ist zum anderen der Übergang zu immer größeren und teureren Heeren, die zusätzlich zunehmend aus nationalen Kontingenten rekrutiert werden und entsprechende stabile fiskalische Einnahmen des Staates voraussetzen, wie Glete ausführt [1]

Carolus nennt bereits wichtige Beispiele, die Glete durch Schweden noch ergänzt.

Alternative Sichten liegen von Wallerstein oder Trevor-Roper vor. Folgt man Wallerstein, dann findet in dieser Periode ein relevanter Prozess statt und der Kapitalismus als Wirtschaftssystem nimmt in seiner Bedeutung deutlich zu. Dieser Bedeutungszuwachs wirkt sich auch auf das staatliche Handeln aus und erfordert eine Zunahme des administrativen staatlichen Handelns [5]. Dieser Sicht hat teilweise Trevor -Roper widersprochen, der nicht die Entwicklung kapitalistischer Handelsstrukturen als zentral für die Entwicklung des 17. Jahrhunderts annimmt, sondern in den politischen Umbrüchen, beispielsweise in England, und der damit zusammenhängenden Krise der politischen Herrschaft den Ausgangspunkt für die folgenden revolutionären Veränderungen sieht.

In diesem Sinne ist der "moderne" Staat zunehmend durch eine nichtpersönliche Ausübung seiner hoheitlichen Tätigkeit gekennzeichnet und die damit zusammenhängende von Anweisungen für die Verwaltung des Staates. Ergänzt durch eine zunehmende Spezialisierung seiner Amtsträger und der zunehmenden Verschiebung von politischer Macht von der Peripherie von Staaten in die Zentren.

Im Ergebnis ist dann der französische absolutistische Staat unter Ludwig XIV das vorläufige Endstadium dieses Entwickungsprozesses, der seinen weiteren Schub durch die bürgerlichen Revolutionen erhält.

1. Glete, Jan (2002): War and the state in early modern Europe. Spain, the Dutch Republic, and Sweden as fiscal-military states, 1500-1660. London, New York: Routledge
2. Mann, Michael (1986): The Sources of Social Power, Volume 1. A History of Power from the Beginning to AD 1760. 2nd ed. Cambridge: Cambridge University Press.
3. Strayer, Joseph Reese (2005): On the medieval origins of the modern state. 1st Princeton classic ed. Princeton, N.J: Princeton University Press
4. Trevor-Roper, H. R. (2001], c1967): The crisis of the seventeenth century. Religion, the Reformation, and social change. Indianapolis: Liberty Fund.
5. Wallerstein, Immanuel Maurice (2011): The Modern World System III. The second era of great expansion of the capitalist world-economy, 1730-1840s. Berkeley: University of California Press

Wirkungsmächtig war diese Entwicklung in Europa, weil die Privilegien durch die Geburt zunehmend durch die persönliche Leistung ersetzt wurden und dieses entsprach vor allem der Sicht des aufkommenden Bürgertums. Zudem es folgte dem Trend einer bereits eingesetzten Säkularisierung folgte, die die rationale Begründung - in einem umfassenden Sinne - in den Vordergrund stellte und somit Strukturen, die auf einer "Jenseitigen" Begründung basierten, als nicht mehr adäquat ablehnten. Und somit auch die bisherigen politischen Institutionen wie Monarchien und Kirche an Bedeutung verloren.

Zumal die massiv einsetzende industrielle Revolution, im 19. Jahrhundert, neue Anforderungen an die Gesellschaften stellte und die Art, wie volkswirtschaftlicher Reichtum (Industrien) erzeugt, distribuiert (Handel) und verteilt (Steuern, Wohlfahrt) wird.

Die politischen Eliten, allen voran Napoleon, erkannte die mobilisierende Bedeutung des Nationalismus für die territoriale Integration von Regionen - auch für das HRR - und den darin wohnenden Bürgern (vgl. beispielsweise auch Link). Die komplexen und größer werdenden Staaten hätten vermutlich nicht die gesellschaftliche Homogenität erreicht, wenn nicht der Nationalismus eine für die damalige Zeit angemessene "kollektive Identität" bereit gestellt hätte.

http://www.geschichtsforum.de/f16/war-die-franz-sische-revolution-auch-nationalistisch-38266/

Insgesamt ist es ein sehr komplexer, parallel ablaufender Prozess, den man mit Jaspers (Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 19 ff) in den Entwicklungsprozess der "Achsenzeit" einordnen kann und im Rahmen der "Moderne" bzw. der "Aufklärung" auch den "Nationalismus" zur Bedeutung im 19. und 20. Jahrhundert führte.
 
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