Zu ergänzen ist auch noch, dass es sich bei dem Inquisitionsprozess definitionsgemäß um Prozesse ohne Privatkläger handelt.
Meine Kenntnisse erstrecken sich zwar vorwiegend auf das 17. Jahrhundert und auf die Gültigkeit und Zuständigkeit der Carolina. Daher möchte ich ElQuijotes Punkte demgemäß ergänzen:
1. Der Gefangene wurde befragt und verneinte.
2. Die Ankläger sollten nicht die Rechtsprechenden sein. Die Ankläger (zumindest bei weltlich geführten Orten, bei Bischofssitzen u.Ä. bin ich überfragt) hatten professionellen Rechtsbeistand einer übergeordneten Instanz einzuholen, also den Rechtsstühlen der Universitäten oder den Schöffenstühlen. Wobei Schöffe damals keine Bezeichnung für einen Laienbeisitzer, sondern für juristisch gebildete Leute war. Städte mit niederer Gerichtsbarkeit sollten lt. Carolina über Folter eben nicht allein entscheiden dürfen(Art. 47). Die rhetorischen Mittel der Kläger durchschaut man allerdings ganz leicht, wenn man zwei, drei dieser Gesuche gelesen hat. Da gibt es fast eine Art Muster. Das ganze kostete natürlich auch Geld und Personal, um die Botschaft zu überbringen und den rechtsspruch zurückzubringen.
3.a) Bei Ablehnen des Ansuchens aufgrund unzureichender Hinweise nach Schöffenmeinung musste nach weiteren Beweisen gesucht werden. Als Hinweise/Beweise galten Zeugenaussagen (vorzugsweise ehrliche Leute) wobei zwei gute Zeugenaussagen als ein Beweis zu rechnen sind, Urgichten etwaiger Mitangeklagter, Beweise sofern vorliegend, lasterhaftes Verhalten der Beklagten allgemein, Beobachtetwordensein am Tatort um den vermuteteten Tatzeitpunkt, ein Motiv für die Tat und augenfälliges Verhalten in Bezug auf die Tat (zum Beispiel komische Fragen dazu zu stellen) oder Konfrontation mit Zeugen oder Mitangeklagten je nach Delikt und Sachlage. Das ganze wurde abermals dem Schöppenstuhl vorgebracht, Wiederholung von 2.
3.b) Bei Freigabe des Ansuchens wurde zuerst der erste Foltergrad angewandt, dem Vorlegen und vor allem Vorstellen der Instrumente, was im Grunde eine Form psychischer Folter ist.
4.) Bei weiterem Verneinen wurde der zweite bzw. dritte Foltergrad angewandt. Mit der Freigabe zur "Territion" war im Normalfall auch die weiteren Foltergrade erlaubt, die sich dann in "bei weiteren verneinen ernstlich, aber gemäßigterweise zu terrieren" oder ähnlichen Verklausulierungen finden. Wobei die Zuordnung des zweiten oder dritten Grades zu bestimmten Foltermethoden schwierig ist. Das Maß der Folter und das Folterinstrument legte im Normalfall der Scharfrichter fest, wobei die Carolina ausdrücklich verlauten lässt, dass sie dem Delikt und dem Delinquenten angemessen sein muss (Art. 58). In den Rechtssprüchen finden sich keine Angaben über die Mittel der Wahl. Insofern ist in diesem Punkt noch eine gewisse Willkür gegeben.
5.a) Der Gefangene gestand nicht nach hinreichender, oft zwei- und dreimaliger Folter. Er hatte freigelassen zu werden. Ihm hatte dem Glauben nach Gott die Kraft gegeben, die Tortur auszuhalten, weil er unschuldig ist. Auch das ist vorgekommen. Dass er dann von der Hand des Henkers befleckt war, ist noch einmal eine andere Geschichte.
5.b) Der Gefangene gestand. Das Urteil hatte abermals die übergeordnete Instanz zu fällen (Art. 181). Dabei ging es nur noch um die Festlegung des Strafmaßes, da die Urgichten dann ja vorlagen und kein Zweifel über die Schuld bestand.
6.) Endgültiger Richttag.
Noch ein paar Punkte:
-Es gab den kleinen Umweg des "ad continuandum", sprich, man folterte zu einem anderen Zeitpunkt weiter und rechnete es zur ersten Folter dazu. Mit der Carolina obliegt es in "ermessung eyns guten vernünfftigen Richters", wie "vil, offt oder wenig, hart oder linder" gefolter wird (Art. 58), siehe auch Foltermaß bei 4.
-Ein Gefangener sollte von der Folter so wenig Schäden wie möglich davon tragen (Art. 59). Ein guter Scharfrichter wusste, wieviel man einem Menschen zumuten konnte und handelte danach wie zB. der bekannte Nürnberger Scharfrichetr Frantz Schmidt. Kosten für Heilung Gefolterter durch den Henker findet man in Kämmereibüchern aber nicht selten, sie werden üblicherweise als gewalttätige und oft betrunkene Personen dargestellt. (Aufgrund der vergleichweise Seltenheit von ausgebildeten Ärzten, waren Bader, Wundärzte und Henker oft für die Kranken zuständig, zumal ein Arzt auch deutlich mehr kostete. Das war ein nicht unerheblicher Nebenerwerb von Scharfrichtern.)
-Die endgültige Urgicht durfte nicht zeitgleich mit der Folter aufgezeichnet werden, wohl aber sollten alle Aussagen protokolliert werden (Art. 46) Die einzelnen Punkte waren "in guete" (ohne Folter) zu wiederholen (Art. 56). Theoretisch konnte man die Aussage selbst auf dem Richtplatz noch widerrufen, aber dann bestand die Gefahr der erneuten Folterung.
-Suggestivfragen waren verboten (Art. 56), schaut man sich die Frageprotokolle an, sofern erhalten, sieht es aber etwas anders aus.
-Es gab noch immer eine salvatorische Klausel, nach der man Dinge so handhaben durfte, wie sie nach Gewohnheitsrecht seit eh und je im Ort geschehen sind. Das steht in den Urteilssprüchen auch eindeutig drunter.
-Die Zaubereiartikel der Carolina beziehen sich ausschließlich auf geschehenen Nachteil/Schaden.
Das ganze Prozedere war standardisiert und im Vergleich zu vorher aber definitiv ein Fortschritt, weil es eben eine "gnugsamer anzeygung" bedarf und Rechtsbeistand erholt werden sollte.