Die Sache mit der Ablehnung des Statthalterpostens durch Agricola ist für mich problematisch, weil die Umstände in Rom eher bekannt waren. Gut, Tacitus könnte gesagt haben, dass z.B. eine Krankheit nur vorgeschützt war, aber darüber war man eher informiert, als über die Position eines kleinen Teils der Armee am Ende der Welt.
Selbst wenn ein Ritter oder Senator erzählte, dass sie ein paar Tage auf einer von Barbaren bewohnten Insel war, wo (noch) vergeblich versucht wurde aus Bier eine Art Weinbrand zu entwickeln, um zu schauen, ob die Britannier daher Hilfe bekamen, oder um Flüchtlinge zu verfolgen, oder aus Zufall, wen hätte das interessiert?
Und wenn es keinen Menschen interessiert, muss doch einfach stimmen, was in der FAZ, äh, bei Tacitus steht. Keinen interessierte es aber nur, wenn es ein unbedeutendes Unternehmen war. Daher kann man eine groß angelegte Eroberung wahrscheinlich ausschließen. Nicht ausschließen kann man kleinere Gründe, wie von mir angeführt. (Vorausgesetzt, sie stimmen mit Funden und Befunden überein.)
(Beweis für die Whiskey-Versuche: Der Mensch versucht immer Alkohol neu zu erfinden oder zu verbessern. Das ist eine Naturkonstante.

Und ja, ich weis, dass man Whiskey etwas anders gewinnt, aber die Versuche waren ja auch vergeblich. Die Existenz von Whiskey hätte niemand verschwiegen. Ein Naturgesetz.

)
Um auf Agricola und Domitian zurückzukommen: Wäre ein Zerwürfnis bekannt gewesen, hätte sich der Kaiser brutal durchsetzen müssen. Wenn es es gab, war es gut verschleiert. Man hätte z.B. eine Krankheit für abgelehnte Posten vorschützen müssen. Das Tacitus es nun anders schildert, hätte man, um es modern auszudrücken als Insiderinformationen empfunden, nicht als krude Geschichtsklitterung. Daher bin ich in der Beurteilung unentschieden, was der letzte Post andeuten sollte.
Sinn des Ausflugs auf die Insel in diesem Post: Die Gewichtung der Informationen klar machen. Tacitus musste im Agricola eine ganze Menge zu Britannien erklären. Aber auch später lag Britannien am Rande der Welt. Auch die dortigen Taten eines Hadrian oder noch anderer wurden in Rom nicht so wahrgenommen, wie näher gelegenes. Als Marginalie, wäre es durchaus normal, dass die Geschichtsschreibung einen kurzen Ausflug übergangen hat. Daher ist die Behauptung, dass es einen solchen nicht gab apodiktisch. Auf der anderen Seite kann man auch nicht sagen, dass es ihn gab, solange nichts sicheres zu den Funden bekannt ist. Daher dann wieder meine Zustimmung zur Skepsis.
Im allgemeinen ist es gute Wissenschaftliche Praxis, wenn man etwas nicht entscheiden kann, eine Fallunterscheidung vorzunehmen. Daher hatte ich den Fall betrachtet, wie man Römisch-militärische Funde interpretieren könnte. Dabei hatte ich übrigens weiter oben auch schon eine Unterscheidung berücksichtigt, ob nun Tacitus bezüglich des Verhältnisses von Agricola und Domitian flunkert oder nicht.
Mir ist bewusst, dass viele Fallunterscheidungen in der Geschichte ablehnen, weil sie sie für unbefriedigend halten. Ich sehe aber nicht, was das Verschließen der Augen vor der bitteren Erkenntnis des Nichtwissens bringen soll. An dieser Stelle verlassen selbst angesehene Historiker häufig die Wissenschaft und begründen einen Mythos, indem sie eine Sichtweise zur einzig wahren erklären. Ich verstehe oft nicht, warum da die Geschichtswissenschaft soweit heutigen Standards hinterherhinkt, die man in der Mathematik schon in der Schule lernt. Zauberei ist es also nicht gerade.
Ich weiß, dass es uns drängt, etwas in unser Weltbild korrekt einzufügen, und bin selbst auch nicht vor diesem Fehler gefeit. Aber um unsere Affekte diesbezüglich zu zügeln, müssen wir eben unsere Argumentationen auch ab und an formal betrachten.