Osterinsel

fingalo

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Zusammenfassung eines Artikels der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung v. 27.03.05 S. 65

Das alte Rätsel der Osterinsel, das Generationen von Forschern und Autoren bis hin zu Erich von Däniken beschäftigt hat, ist seit gut zwanzig Jahren gelöst. 1984 veröffentlichte der britische Geograph John Flenley zusammen mit der Botanikerin Sarah King Untersuchungen an Pollen und Samen, die sich in Sedimenten erhalten hatten. Die Polynesier hatten etwa seit 400 n. Chr. die Insel besiedelt. Noch im Mittelalter war sie stark bewaldet gewesen. Vom 14. bis 17. Jh. müssen große Bestände einer riesenhaften Verwandten der Chilenischen Weinpalme (Jubaea chilensis) vorhanden gewesen sein, die sich hervorragend zum Transport der Statuen (Moai) geeignet haben.
Die Frage der Transportwege ist weitgehend geklärt: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Antiquity veröffentlichen die beiden Südsee-Archäologen Carl Lipo von der California State University in Long Beach und Terry Hunt von der University of Hawaii die bisher genaueste Karte des alten Straßensystems. Dazu kombinierten sie Satellitenaufnahmen mit Untersuchungen am Boden. "Die Pfade verbinden keine Wohngebiete", schreiben sie. "Vielmehr wurden sie offenbar vorrangig für den Transport der Statuen angelegt." Denn vier der sechs Hauptstraßen laufen sternförmig auf den Vulkankrater von Rano Raraku zu, wo 96 Prozent der 702 untersuchten Moai aus dem dort anstehenden Lapilli-Tuffstein gemeißelt wurden. "Die Straßenführung legt nahe, daß jede Region ihren eigenen Transportweg nach Rano Raraku besaß", schreiben Lipo und Hunt. "Dies spricht dagegen, daß Herstellung und Transport von einer zentralen Autorität organisiert wurden."
Britton Shepardson von der University of Hawaii untersucht im gleichen Heft die Statuen selbst. Dabei hat er sich einer zahlenmäßig kleinen Untergruppe der Moai angenommen, und zwar bestehend aus solchen, die weder entlang der Küste aufgestellt noch im Steinbruch von Rano Raraku liegengeblieben waren, sondern wahllos im Inselinneren verstreut schienen. Die meisten Forscher hatten sie bisher als "beim Transport liegengeblieben" klassifiziert. Allerdings waren schon Katherine Routledge bei einigen dieser Moai Erosionsspuren aufgefallen, die darauf hindeuten, daß sie lange Zeit aufrecht gestanden haben müssen. Shepardson glaubt daher, daß es sich in Wahrheit um Grenzmarkierungen handelt. Daß die Bevölkerung der Osterinseln einst in mehrere regionale Gruppen zerfiel, schloß bereits die britische Ethnographin Katherine Routledge, die sich von 1914 bis 1915 siebzehn Monate lang auf der Osterinsel aufhielt. Diese Befunde passen zu der Vermutung, daß wir es bei den Moai sowie bei den sakralen Plattformen, den Ahu, auf denen viele der Figuren aufgestellt waren, weniger mit Zeugnissen einer frommen Megalomanie im Stile der Cheopspyramide als mit den Überresten eines - letztlich ruinösen - Wettkampfes zu tun haben. "Wer baut den größten Moai?" muß sich zu einer Obsession der Clanhäuptlinge entwickelt haben, die echte kriegerische Auseinandersetzungen möglicherweise lange verhindert hat, aber nach Meinung des Geographen Jared Diamond gewiß ein Hauptfaktor für die befremdliche Tatsache war, daß man auf der Osterinsel so lange nicht bemerkte, daß man den Ast absägte, auf dem man saß.
Holzkohlefunde belegen, daß die letzten Riesenpalmen um 1640 gefällt wurden - genau um die Zeit, zu der die Statuenproduktion plötzlich stoppte und die größten Moai unvollendet im Steinbruch von Rano Raraku liegenblieben. Ohne Holz ließen sie sich nicht abtransportieren.
Damit brach die Katastrophe über die Osterinsel herein: Der Boden erodierte, die Vögel blieben weg, die Fischerei kam mangels Baumaterials für seegängige Kanus zum Erliegen. Auswandern war nun ebenfalls nicht mehr möglich. Man war gefangen auf einem Eiland, auf dem es statt Palmnüssen, Delphin und Thunfisch bald nur noch Ratten zu essen gab - oder erschlagene Feinde.
Mit der wirtschaftlichen Grundlage brach auch das Sozialgefüge zusammen. Der Wettbewerb um die größten Moai wurde nun dadurch ausgetragen, so glaubt Jared Diamond, daß man die Statuen der Nachbarn umwarf. Ein mörderischer Bürgerkrieg brach aus, von dem unzählige Speerspitzen aus Obsidian zeugen. Die letzte stehende Statue wurde 1838 gesichtet.
1863 begann die Verschleppung der halben Bevölkerung durch Sklavenhändler in die Salpeterminen Südamerikas. Die Einwohnerzahl war von 10000 bis 15000 zur Blütezeit auf wenige hundert gefallen.
Mit dem Einsetzen des Tourismus begann man die Statuen wieder aufzustellen

Fingalo
 
Neben ihren Untergang gibt es noch einen weiteren Aspekt der Osterinsel-Zivilisation, der eigentlich noch faszinierender ist: Ihre völlige Isolation.
Die Insel liegt mitten im Stillen Ozean. Dort entstand unabhängig von der Restwelt nicht nur eine Monumentalkunst, sondern auch eine eigene Schrift.
Getragen wurde diese Kultur von nur wenigen tausend Menschen.
Einige Jahrhunderte lang gab es praktisch keinen Kontakt zur Außenwelt. (Mutmaßungen über Kontakte nach Südamerika usw. gibt es zwar ein paar, aber nichts handfestes.)
 
Es gab vermutlich nur kleinere Zeitfenster für die austronesische Expansion im "Triangle" Neuseeland/Hawaii/Osterinsel, die bzgl. der Osterinsel in der "spitzen Richtung" für die Isolation und die Sackgasse Richtung Osten sorgten.

Da jüngst auch über transpazifische prähistorische Seefahrten bis Südamerika hier im Forum spekuliert wurde, verlinke ich noch einen Aufsatz (über die Darstellung von Pearce/Pearce hinaus:


Goodwill/Browning/Anderson: Climate windows for Polynesian voyaging to New Zealand and Easter Island, 2014.
Climate windows for Polynesian voyaging to New Zealand and Easter Island
 
Ein Gedanke zum Einfluss der Besiedelung der Pazifikinseln und deren Einfluss auf die Ökologie : Gut dass die Polynesier die Galapagos-Inseln nicht gefunden haben.

Eine so reiche Fauna wie dort muss es auch auf den anderen Inseln gegeben haben, bevor die Menschen kamen, aber es wird nicht lange gedauert haben, bis die ausgerottet gewesen ist. Mit weitreichendem Einfluss auf die Ökologie des Meeres, denn die Inseln sind zwar nur winzig, aber als "Stützpunkt" für viele größtenteils im Meer lebende Arten, wie z. B. Schildkröten oder Seevögel, unverzichtbar.
 
Eine indische Herkunft der Schrift ergibt gar keinen Sinn, auch wenn das früher mal diskutiert wurde.

Alle erhaltenen Inschriften stammen von Holzbrettern.
In der englischen Wikipedia werden auch Radio-Carbon-Datierungen genannt. Alle Inschriften stammen aus der Zeit nach der weitgehenden Entwaldung der Insel. (Die Sachen mit den Bäumen haben die Rapa-Nui zum Schluss gar nicht mehr selbst verbockt. Die letzten Bäume der Insel fielen der intensiven Schaffzucht eines Europäers (nämlich Dutrou-Bornier) zum Opfer.) Keine der Inschriften stammt sicher aus der Zeit vor Entdeckung durch die Europäer. Inschriften auf den steinernen Monumenten der Hochkultur-Zeit fehlen. Die Steinritzungen auf den Monumenten können in keinen sicheren Zusammenhang zur Schrift gesetzt werden.
Wikipedia schrieb:
The hypothesis of these researchers is not that rongorongo was itself a copy of the Latin alphabet, or of any other form of writing, but that the concept of writing had been conveyed in a process anthropologists term trans-cultural diffusion, which then inspired the islanders to invent their own system of writing. If this is the case, then rongorongo emerged, flourished, fell into oblivion, and was all but forgotten within a span of less than a hundred years.
Die Idee die Romgorongo-Schrift sei erst nach Inspiration durch die Europäer entstanden ergibt durchaus Sinn. Während der spanischen Eroberung unterzeichneten die Häuptlinge einen Vertrag der Spanier mit eigenen Zeichen, von denen nur ein einzigen Zeichen in veränderter Form auf in den Holzinschriften vorkommt.
Die phantastische Vorstellung, dass die Rapa Nui unabhängig vom Rest der Welt ihre Schrift entwickelten, ist kaum haltbar.
 
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Hallo


@Silesia
Der Artikel läßt aber außer acht, das die Winde auch im Pazifik drehen, auch wenn es eine Hauptwindrichtung gibt. Vor diesem Aspekt ist eine Besiedelung der Polynisier in alle Richtungen per Schiff möglich, sozusagen Inselhopsen von A nach B, dann wieder einige Monate später von B nach C, wenn die Hauptwindrichtung wieder die Richtung kurz wechselt. Es gibt im Pazifik keine konstante 12 monatige Windrichtung.


mfg
schwedenmann
 
Na ja, strukturell verwandt sein können die Schriften auch, ohne dass sie miteinander zu tun haben. Das würde dann auch die gleichen, die ähnlichen und die verschiedenen Formen alle miteinander erklären.

Wenn man davon ausgeht, müsste man aber auch annehmen, dass die Schrift der Induskultur ebenfalls keine 'richtige' Schrift ist.
 
Mir ist noch folgende Schwierigkeit aufgefallen.
Ostern 1722 entdeckte Roggeveen die Insel. Die Holländischen Seefahrer nehmen Kontakt zur Inselbevölkerung auf. Die Moui standen aufrecht und imb besten Zustand an der Küste. Sie wurden kultisch verehrt. In der Bevölkerung gibt es eine starke Hierarchie.

Cook findet 1774 hingegen bereits viele umgestürzte Statuen vor. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind alle Moui umgeworfen. Eine funktionierende, gesellschaftliche Ordnung scheint es nicht mehr zu geben.

Es ist ja vielleicht doch kein Zufall, dass die Gesellschaft erst nach dem 1. Kontakt mit den Europäern zusammenbrach.
Eine andere Erklärung - abweichend vom ökologischen Kollaps aufgrund von Überbevölkerung und babylonischen Baumaßnahmen - sind die von den Europäern eingeschleppten Seuchen.

Das Phänomen ist auch aus Nord- und Südamerika bekannt. Die ersten Entdecker fanden blühende Städte und große Zivilisationen vor, doch die Eroberer, die nur wenige Jahrzehnte später kamen, fanden nur noch verlassene und verwilderte Gegenden vor, weil ein Großteil der Bevölkerung an den eingeschleppten Seuchen zugrunde ging.

Handelsblatt: Kein Kollaps auf der Osterinsel
Die These vom selbst verursachten Zusammenbruch der Osterinsel-Kultur wurde vor allem durch das 2005 erschienene Buckh „Kollaps“ des US-amerikanischen Anthropologen Jared Diamond populär. Andere Forscher sehen dagegen als Grund für den starken Bevölkerungsrückgang auf der Osterinsel erst die von Europäern eingeschleppten Krankheiten an wie Pocken, Syphilis und Tuberkulose.
 
Es ist ja vielleicht doch kein Zufall, dass die Gesellschaft erst nach dem 1. Kontakt mit den Europäern zusammenbrach.

Die Annahme eines Prä-Kontakt-Kollaps (so zB auch von Diamond angenommen) wird jedenfalls in einer neueren Studie, die sich auf Bodennutzungen bezieht, erhärtet.

Wen es interessiert (zum download):
Variation in Rapa Nui (Easter Island) land use indicates production and population peaks prior to European contact
Stevenson et. al., in: PNAS 2015

Daneben gibt es wohl eine genetische Studie aus Ende 2014, die sich mit der Besiedlungsrichtung befasst (und die These der Besiedlung von Südamerika aus unwahrscheinlich werden lässt).

@Silesia
Der Artikel läßt aber außer acht, das die Winde auch im Pazifik drehen, auch wenn es eine Hauptwindrichtung gibt. Vor diesem Aspekt ist eine Besiedelung der Polynisier in alle Richtungen per Schiff möglich, sozusagen Inselhopsen von A nach B, dann wieder einige Monate später von B nach C, wenn die Hauptwindrichtung wieder die Richtung kurz wechselt. Es gibt im Pazifik keine konstante 12 monatige Windrichtung.

Zu den Wind- und Strömungsverhältnissen mag das sein.

Ich habe den Artikel so verstanden, dass er vom Szenario einer Besiedlungsphase/Kolonisation und damit verbundenen regel- und planmäßigen Kontakten ausgeht, und wiederum dafür (meteorologisch-historisch) optimale Zeitfenster simuliert hat.

Ich verstehe das nicht so, dass außerhalb dieser "Zeitfenster" die Anreise keinesfalls möglich gewesen sein soll.

Dieses Besiedlungsszenario mit intensiven Kontakten und "Pendelverkehr" wird einen Unterschied ausmachen gegenüber der Annahme, Rapa Nui habe in den "ungünstigen" Zeitfenstern zufällige und kurze Kontakte gehabt. Das mag seetechnisch möglich gewesen sein und läßt sich sicher nicht negieren (siehe auch die 19-tägige Reise als Versuch in 1999, die Rapa Nui erreicht hat - wenn man weiß, wo die Insel liegt).

Wenn es daran Zweifel gibt, werden die weiteren Publikationen dazu sicher interessant.
 
Die Annahme eines Prä-Kontakt-Kollaps (so zB auch von Diamond angenommen) wird jedenfalls in einer neueren Studie, die sich auf Bodennutzungen bezieht, erhärtet.
Eben nicht. Dem Prä-Kontakt-Kollaps wird dort ausdrücklich widersprochen!
Wortlaut: "This analysis demonstrates that the concept of “collapse” is a misleading characterization of prehistoric human population dynamics. "

Es ist übrigens die gleiche Studie, die im Handelsblatt erwähnt wird. Das obige Zitat ist hier ins Deutsche übersetzt.
Handelsblatt schrieb:
Stevenson und Kollegen untersuchten die Landnutzung an verschiedenen Orten auf der Insel anhand des Vulkangesteins Obsidian. [...]
Aus ihren Ergebnissen folgern Stevenson und Kollegen, dass Regen- und Bodenverhältnisse entscheidend für die Landnutzung gewesen seien, nicht aber die Größe der Bevölkerung. „Diese Analyse zeigt, dass das Konzept eines Zusammenbruchs eine irreführende Charakterisierung der prähistorischen menschlichen Bevölkerungsentwicklung ist“, so die Forscher.

Daneben gibt es wohl eine genetische Studie aus Ende 2014, die sich mit der Besiedlungsrichtung befasst (und die These der Besiedlung von Südamerika aus unwahrscheinlich werden lässt).
Ich bezweifle stark die Aussagekraft der genetischen Studie. Bei der Urbevölkerung gab es im 19. Jahrhundert einen gewaltigen Gen-Drift. 97 % der Bevölkerung verstarb oder wurde verschleppt. Es verblieben lediglich 111 Individuen auf der Insel, von denen alle heutigen Ureinwohner der Osterinsel abstammen. Es wäre sicherlich ein wundersamer Zufall, wenn in diesen 111 Menschen bzw. in ihren Nachfahren die gesamte genetische Vielfalt der Rapa Nui erhalten geblieben wäre.
 
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Eben nicht. Dem Prä-Kontakt-Kollaps wird dort ausdrücklich widersprochen!
Wortlaut: "This analysis demonstrates that the concept of “collapse” is a misleading characterization of prehistoric human population dynamics. "

Yep, mein Fehler, nicht erhärtet. Mir ging es bei Diamond gerade um den dargestellten Gegensatz. Der inselweite "Kollaps" wird trotz der Rückgänge und auch mutmaßlichen Konflikte um die Bodennutzung verworfen. So auch in der Konklusion.

Sorry für die gestiftete Verwirrung.

Ich bezweifle stark die Aussagekraft der genetischen Studie. Bei der Urbevölkerung gab es im 19. Jahrhundert einen gewaltigen Gen-Drift. 97 % der Bevölkerung verstarb oder wurde verschleppt. Es verblieben lediglich 111 Individuen auf der Insel, von denen alle heutigen Ureinwohner der Osterinsel abstammen. Es wäre sicherlich ein wundersamer Zufall, wenn in diesen 111 Menschen bzw. in ihren Nachfahren die gesamte genetische Vielfalt der Rapa Nui erhalten geblieben wäre.

Die Gendrift des posteuropäischen Kontakt wird durchaus im statistischen Modell getestet. Es ist nun auch nicht so, dass die südamerikanischen Anteile im Testpool (8%) vernachlässigbar wären. Es wird vielmehr statistisch erschlossen, wann sich diese Anteile - vor oder nach der polynesischen Besiedlung - gebildet haben können.

Genome-wide Ancestry Patterns in Rapanui Suggest Pre-European Admixture with Native Americans
http://www.cell.com/current-biology...m/retrieve/pii/S0960982214012202?showall=true

Die Frage im Modell war, wann dieser Mix unter Berücksichtigung von Populationsmodellen entstanden ist. Dies wird so beantwortet, dass ein Genfluss (Rückmigration?) aus Südamerika wahrscheinlich erst nach dem polynesischen Erstkontakt bzw. der Besiedlung stattgefunden haben kann.

"Although it is important to avoid overinterpreting our results, it is interesting to consider the timing of the admixture in context with evidence reported in other studies. We have inferred the Native American admixture event to have
occurred between AD 1280 and AD 1425...

Therefore, our admixture times should be interpreted as average times over all actual gene flow events. Nevertheless, they are in surprisingly good agreement not only with the colonization history of Easter Island, thought
to have occurred no later than AD 1200, but also with the observation that at some point in time, Polynesians stopped sailing long distances. It is indeed estimated by Jones et al. ... that by around AD 1450, the expansion had ceased. By the time Europeans reached the islands, Polynesian boat technology had changed in such a way that long-distance ocean sailing had seemingly come to an end."

Dass sie den Flaschenhals von 110 oder 111 dabei im statistischen Modell berücksichtigt haben, unterstelle ich mal. Dass sie die Argumentation völlig übersehen haben, würde ich wegen des expliziten Hinweises auf den Flaschenhals nicht annehmen.
Dein Hinweis ist natürlich plausibel, ob dieser genetische Flaschenhals als repräsentativ bzw. normalverteilt für die Bevölkerung im preeuropäischen Kontakt angesehen werden kann (was man wiederum durch den lange abgeschnittenen Kontakt als plausibel unterstellen kann und in der Studie auch wohl als plausibel unterstellt - wäre es nicht der Fall, hätten hier adjustments vorgenommen werden müssen - dazu habe ich nichts gefunden).

Sollte sich also der genetische Flaschenhals aufgrund weiterer Studien als nicht repräsentativ für den Genpool des präeuropäischen Kontaktes herausstellen, wird wohl neu gerechnet werden müssen. Bislang sehe ich aber nicht, dass das Ergebnis mit dieser Argumentation in Frage gestellt worden ist. Das müssen wir wohl abwarten.
 
Die Genetik kann letztlich die Frage nicht klären, wo und wie die Beimischung typisch südamerikanischer Marker erfolgte - also ob Polynesier einzelne Südamerikaner auf die Osterinsel brachten, die Südamerikaner selbständig den Weg dorthin fanden oder gar die Osterinsel von einer polynesisch-südamerikanischen Mischbevölkerung besiedelt wurde.


Die Gendrift des posteuropäischen Kontakt wird durchaus im statistischen Modell getestet.
Das statistische Modell funktioniert aber nur, wenn der Gendrift willkürlich, also alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen waren.
Wenn ich jetzt z. B. einfach davon ausgehe, dass jene Osterinsulaner mit südamerikanischen Vorfahren besonders anfällig für europäischen Krankheiten gewesen wären, wäre das ein ziemlich deutlicher Selektionsfaktor.

Beachtenswert ist auch die mündliche Überlieferung der Rapa Nui - vielen sicher bekannt durch Interpretation von Thor Heyerdahl. Darin wird ein Konflikt zwischen zwei Bevölkerungsgruppen geschildert, der in der physischen Vernichtung einer der Gruppen endet. Thor Heyerdahl hat die Geschichte so gedeutet, dass die südamerikanische Bevölkerung ("Langohren") durch die polynesische Bevölkerung ("Kurzohren") systematisch ausgerottet worden wäre. (Es werden auch andere Übersetzungen, die nichts mit Ohren zu tun haben, favorisiert.) Die jetzige Bevölkerung der Osterinsel stammt nur von der überlebenden Volksgruppe ab.
Problematisch ist natürlich, dass diese Überlieferungen erst in den 1930ern und 1940ern durch den deutschen Missionar Sebastian Englert aufgezeichnet wurde.
Bei der Bewertung der mündlichen Überlieferung ist natürlich auf der Bevölkerungsrückzug zu beachten. Die mündliche Überlieferung ging nur von einer seinen kleinen Gruppe und einzelne Personen dieser Gruppe der Überlebenden hatten sicher riesigen Einfluss auf den Fortgang der Überlieferung.


Die Preisfrage ist, ob es einen Kollaps vor dem Erstkontakt mit den Europäern gab oder nicht.
Es scheint klar zu sein, dass die Bautätigkeit auf Rapa Nui plötzlich eingestellt wurde - und zwar einige Zeit vor Ankunft der Europäer.
Als die Holländer die Insel entdeckten, war das Kind jedoch noch nicht in den Brunnen gefallen. Von Nahrungsmangel, Unruhen oder Zerfall wird nicht berichtet. Das alte Ägypten war ja auch nicht vorbei, als man aufhörte Pyramiden zu bauen.
 
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Das ist die Genozid-Hypothese, die die Repräsentativität des genetischen Flaschenhalses in Frage stellen soll.

Die ist aber höchst umstritten und wird wohl mehrheitlich (?) abgelehnt, bzw. wird als Überlieferung und Resultat der posteuropäischen Katastrophe erklärt (zB Peiser, From Genocide to Ecocide)

"it is generally agreed that Rapa Nui’s oral traditions are untrustworthy and of relatively late origin; they are extremely contradictory and historically unreliable. As Bellwood (1978) emphasises: “By the time detailed observations were made in the 1880s, the old culture was virtually dead […] It is my own suspicion that none [of the traditions] are valid.” Most of the information was “gleaned from a few surviving natives from the late nineteenth century onwards, by then decimated, demoralised and culturally impoverished population which had lost most of the collective cultural- historical memory” (Flenley and Bahn, 2003)."

Klar ist, dass sich Diamond dennoch darauf stützt bzw. anlehnt.

Ist darauf allein das Argument bezogen, dass die Genetik das nicht klären könnte?

Selbst wenn es einen "Genocide" gegeben haben sollte, und man diesen unbewiesenen Mythen folgt, ist eine weitere unbewiesene Hypothese anzuschließen, deren Plausibilität fraglich erscheint: dass dies keine Gruppe südamerikanischer Genträger überlebt haben sollte, und - kumulativ - das es in dem Zeitpunkt des "Genocide" noch keinen Ansatz einer Durchmischung gab. Das halte ich für nicht plausibel.
 
Übermorgen findet im Übrigen in der Dependance des Deutschen Archäologischen Instituts in Madrid ein Vortrag von Dr. Burkhard Vogt über die Osterinsel statt: Agua, palmeras y arqueología del tabú - Las investigaciones del Instituto Arqueológico Alemán en la Isla de Pascua
Wasser, Palmen und die Archäologie des Tabu - die Forschungen des DAI auf der Osterinsel.
 
Noch zwei weitere Artikel zu den Kontroversen:

Rull: Challenging Easter Island's collapse: the need for interdisciplinary synergies
Frontiers | Challenging Easter Island's collapse: the need for interdisciplinary synergies | Paleoecology

Pakandam: Why Easter Island collapsed : an answer for an enduring question
WP 117 der LSE
Why Easter Island collapsed : an answer for an enduring question (Computer file, 2009) [WorldCat.org]

Brandt/Merico: The slow demise of Easter Island: insights from a modeling investigation
http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fevo.2015.00013/full
 
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Selbst wenn es einen "Genocide" gegeben haben sollte, und man diesen unbewiesenen Mythen folgt, ist eine weitere unbewiesene Hypothese anzuschließen, deren Plausibilität fraglich erscheint: dass dies keine Gruppe südamerikanischer Genträger überlebt haben sollte, und - kumulativ - das es in dem Zeitpunkt des "Genocide" noch keinen Ansatz einer Durchmischung gab.
Die Legende löst auch dieses Problem. Ein einziger "Langohr" namentlich "Ororoina" soll das große Massaker überlebt und anschließend in den verfeindeten Stamm eingeheiratet haben. Zum allem Überfluss ist es auch in der Überlieferung der Ureinwohner sehr populär genau von dieser Person abzustammen. (Alternativ ist auch von zwei Überlebenden die Rede.)

Die Legenden der Rapa Nui entstanden meiner Ansicht unter dem Eindruck der Greuel der 19. Jahrhundert, also der Kolonisierung, Missionierung, Verschleppung durch Schwarzdrossler in die Zwangsarbeit, Seuchen usw. - also der physischen Vernichtung des Volkes und der systematischen Vernichtung ihrer Kultur. Weiterhin ist zu beachten, dass die Legenden sich quasi unter Betreuung der Missionare und Forscher weiterentwickeln. Heyerdahl selbst setzte sich noch in den 1940ern mit den Ureinwohnern in Verbindung um eine noch authentischere Überlieferung als die bisher in der Forschung bekannt zu erfahren. Vermutlich haben sich die Legenden in Wechselwirkung mit der westlichen Rezeption auch noch weiterentwickelt.

Bereits im Grundschulalter sah ich eine Dokumentation Heyerdahls über die Osterinsel, die mich tief beeindruckte, ja verstörte - insbeondere auch weil ich die "Langohren" als ausgestorbene Menschenrasse verstanden hatte und mir der Zusammenhang mit den in den früher 90ern überhaupt nicht populären Ohrlochdehnungen nicht einleuchtete. Bei Heyerdahl ist sowieso problematisch, dass er den legendendären Konflikt im Sinne der Weltanschauung der 1930er und 1940er als den Kampf zweier Rassen deutete, dabei bedeuten soziale und tribale Unterscheidungen nicht automatisch genetische Unterschiede.

Folgenschwer ist, dass es Heyerdahl und anderen angeblich gelang, den Kollaps in Form des angeblichen Genozids an den "Langohren" genau zu datieren. Heyerdahl stellte die These auf, er habe den legendären Feuergraben auf der Insel gefunden, in dem die ganze Volksgruppe vernichtet worden sei. Eine spätere C-14-Datierung des von Heyerdahl lokalisierten Grabens ergab das Jahr 1676 (hierzu die englische Wikipedia) - also Jahrzehnte vor der Landung der holländischen Entdecker.

Die ersten Entdecker beschrieben 1722 die Insulaner jedoch noch als gastfreundlich, wohlgenährt und in streng hierarchischer Ordnung lebend. Die Monumente seien im gepflegten Zustand. 1774 begegneten der Cook-Expedition hingegen ausgehungerte und vor allem alles stehlende, scheinbar amoralische Menschen und verfallende Monumente.

Die Europäer (mit Ausnahme der holländischen Entdecker, die nur den Mangel Bäumen merkwürdig fanden) trafen immer auf ein aufgeriebenes Volk, dem sie den Bau der Monumente nicht zutrauten. Dieses Problem wird dann mit der These gelöst, dass die eigentlichen Träger einer Hochkultur ausgerottet worden seien und die heute vorgefunden Menschen keineswegs deren Nachfahren sein könnten.
Ein weiteres Problem ist die westliche Brille, durch die Osterinsel-Kultur betrachtet wird. Der Verzehr von Rattenfleisch und natürlich auch der Kannibalismus wurden als Merkmale einer kollabierten Gesellschaft und als Indiz für einen Zusammenbruch gedeutet. Tatsächlich war jedoch die Nutzung der pazifischen Ratten als Nahrung in weiten Teilen Polynesiens verbreitet und es wird sogar davon ausgegangen, dass sie urspprünglich als Haustier eingeführt wurde. Beim Kannibalismus ist die Sache ähnlich. Im Abendland gilt er offensichtlich als typische Begleiterscheinung schwerster Krisen, Hungernöte und Kriege. Aus anderen Gesellschaften sind jedoch ganz anderen Formen des Kannibalismus bekannt - ganz außerhalb solcher Krisen.
 
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Es gab vermutlich nur kleinere Zeitfenster für die austronesische Expansion im "Triangle" Neuseeland/Hawaii/Osterinsel, die bzgl. der Osterinsel in der "spitzen Richtung" für die Isolation und die Sackgasse Richtung Osten sorgten.

Da jüngst auch über transpazifische prähistorische Seefahrten bis Südamerika hier im Forum spekuliert wurde, verlinke ich noch einen Aufsatz (über die Darstellung von Pearce/Pearce hinaus:


Goodwill/Browning/Anderson: Climate windows for Polynesian voyaging to New Zealand and Easter Island, 2014.
Climate windows for Polynesian voyaging to New Zealand and Easter Island

In Ergänzung eine neuere Publikation im open access, die sich mit der "austronesian" Expansion des "out-of-Taiwan" bis nach Westpolynesien beschäftigt, aus "Human Genetics" 2016:

Resolving the ancestry of Austronesian-speaking populations - Online First - Springer

Abstrakt:

"There are two very different interpretations of the prehistory of Island Southeast Asia (ISEA), with genetic evidence invoked in support of both. The “out-of-Taiwan” model proposes a major Late Holocene expansion of Neolithic Austronesian speakers from Taiwan. An alternative, proposing that Late Glacial/postglacial sea-level rises triggered largely autochthonous dispersals, accounts for some otherwise enigmatic genetic patterns, but fails to explain the Austronesian language dispersal. Combining mitochondrial DNA (mtDNA), Y-chromosome and genome-wide data, we performed the most comprehensive analysis of the region to date, obtaining highly consistent results across all three systems and allowing us to reconcile the models. We infer a primarily common ancestry for Taiwan/ISEA populations established before the Neolithic, but also detected clear signals of two minor Late Holocene migrations, probably representing Neolithic input from both Mainland Southeast Asia and South China, via Taiwan. This latter may therefore have mediated the Austronesian language dispersal, implying small-scale migration and language shift rather than large-scale expansion."
 
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