Völkermord an deutschen Siedlern im Zuge des Herero-Aufstandes?

vorweg: @Maglor, bitte sei mir nicht böse, weil ich eine etwas skurril-exotische Vokabel aus deinem Beitrag verwende und sie dabei auch noch aus dem Kontext herausreiße. Das ist keine Kritik an deinen Beiträgen zu diesem etwas absurden aus-anderem-Faden-Abtrennthema, die ich mit Interesse gelesen habe!

Ich bin nicht sonderlich glücklich mit dem Titel dieses Fadens. Denn egal wie man den Titel dreht und wendet und eventuell verallgemeinert (a la Genozide an Kolonialisten? oder ähnlich absurdem Zeugs), ist der Titel selber irgendwie polemisch und ahistorisch.
Das hier ist jetzt mein 2. Beitrag in diesem Faden, welcher derzeit den Titel Völkermord an deutschen Siedlern im Zuge des Herero Aufstands? trägt und Beiträge aus einem anderen Faden herausgetrennt hat. Meinen 1. Beitrag hier, eine Frage an @thanepower, hatte ich noch vor dieser Verschiebung gestellt - jetzt ist der Kontext durch den neuen Titel verändert. Und mit diesem Titel bin ich nicht einverstanden.

(Achtung: Irrealis!!) Wenn man böswillig polemisch loslegen will, könnte man der Titelgebung unterstellen, sie wolle jegliche kritische Stimme zur Einordnung der Niederschlagung des Herero Aufstands als Genozid lächerlich machen, indem kritische Gegenstimmen quasi greinen würden "buhuhu die bösen Indigenen in Afrika haben aber möglicherweise auch Völkermorde praktiziert, nicht nur untereinander, sondern auch an irgendwelchen Kolonisten" - und natürlich ist es leicht, auf eine solche unterschobene (!) *) Position einzudreschen. (Irrealis Ende)

Stutzig gemacht hat mich die Mühsal des Formulierens, des Findens von deskriptiven Formulierungen - hierfür als Beispiel:
Gruppenzerstörungsabsicht

Madonna! ...noch nie hat es irgendwo nachweislich einen "Genozid-Befehl" oder "Massenmord-Aufruf" gegeben, welcher dezidiert und explizit ein absurdes sprachliches Kuriosum wie "Gruppenzerstörungsabsicht" enthalten hat. Oder gibt es irgendwo einen Einsatzbefehl, welcher ungefähr lautet: "vorwärts, Mannen, lasset uns mit Gruppenzerstörungsabsicht agieren"?

...aber diese kuriose Formulierung zeigt das Dilemma, welches entsteht, wenn man immer weiter in der Geschichte rückwärts geht und dem historischen Geschehen partout moderne/heutige Bewertungen überstülpt.

An dieser Stelle kann natürlich der Einwand kommen: "aber der Kanon historisch-wissenschaftlicher Einordnung" - bon, wie überall in den Wissenschaften, ist auch hier das verbindliche letzte Wort noch nicht gefallen. Natürlich beweist die historische Wissenschaft die Gräuel des Kolonialismus & Imperlialismus des 19. & frühen 20.Jhs. - daran besteht gar kein Zweifel! - aber die Ettikettierung Genozid ist wegen ihrer immanenten Wertung problematisch. Denn: man sollte meinen, dass ein Genozid schrecklicher sei als diese oder jene andere gehäufte Untat. Hier muss ich gestehen, dass ich die durchaus sehr radikale Niederschlagung des Herero Aufstands horribile dictu für weniger schrecklich halte als die perversen Verstümmelungspraktiken in belgisch Kongo!

Ha! erwischt! könnte man jetzt sagen: das böse hererogenozidleugnende dekumatland fängt damit an, Vergleiche zu ziehen und will damit was kleinreden. ... nö: will ich gar nicht. Ich hab´ noch einen Trumpf im Ärmel: da gab es einen perversen Scheißkerl in der dt. Kolonialhistorie, der sich abseits jeglicher Genozid-Diskussionen den sehr zweifelhaften Lorbeer ans Revers heften kann, der darin besteht, den Greueln in belgisch Kongo nicht unterlegen zu sein: der Herr Carl Peters. Dieser Perverse hat sich nicht grundlos in Afrika den Spitznamen Hänge-Peters erworben!

Fazit:
die Greuel der Kolonialgeschichte des späten 19. / frühen 20. Jhs. müssen erforscht und aufgearbeitet werden! Sie sind allesamt ekelhaft schrecklich**)
Wenn aber aus dem Gros der Geschichte des Kolonialismus ein Moment herausgegriffen wird und die immanent hochmoralische Etikettierung "Genozid" erhält, und das unbeeindruckt von der Masse der Greuel innerhalb der Kolonialgeschichte, dann habe ich Zweifel daran, dass diese Ettikettierung tatsächlich nur rein historisch und nicht auch politisch motiviert ist. Um das deutlich und krass zu sagen: die Verstümmelungspraktiken in belgisch Kongo sind enger verwandt mit perversen Praktiken in KZs als das brutale "plattmachen" der Hereros... Insofern: eine dezidiert deutsche Kontinuitätstheorie der perversen Grausamkeiten wird sich aus der ohnehin schrecklichen Kolonialgeschichte nicht ableiten lassen.

Ich halte es für historisch sinnlos, in der Kolonialgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jhs. partout nach Genoziden zu suchen - denn einerseits verfügt diese Geschichte über mehr als genug atemberaubende Grausamkeiten, andererseits überdeckt die Ettikettierung "das da ist Genozid, das da nicht" im Kontext der Kolonialgeschichte jene Gräuel, die ggf noch gräßlicher sind, auch wenn sie keine "Gruppe(n)" ausrotten (s.o. zu belgischen Praktiken)

...jetzt bin ich gespannt, ob ich Rotbommel kassiere, weil mein Beitrag als kleinreden missverstanden wird...
___________
*) durch den ahistorisch-absurden Titel - Titel/Schlagzeilen können prima polemisch sein :winke:
**) das bestürzende daran ist: das belle epoque Paris und zeitgleich Jugendstil-Berlin & Wien etc sind kulturhistorische Größen, an denen keinerlei Zweifel besteht. Claude Debussy, Maurice Ravel, Claude Monet, Gustav Mahler, Marcel Proust, Theodor Fontane, Guiseppe Verdi usw usw usw sie alle waren Zeitgenossen des Spätkolonialismus - und nichts von den Greueln in den Kolonien überschattet ihre Werke...
 
Zuletzt bearbeitet:
[.....]
Stutzig gemacht hat mich die Mühsal des Formulierens, des Findens von deskriptiven Formulierungen - hierfür als Beispiel:


Madonna! ...noch nie hat es irgendwo nachweislich einen "Genozid-Befehl" oder "Massenmord-Aufruf" gegeben, welcher dezidiert und explizit ein absurdes sprachliches Kuriosum wie "Gruppenzerstörungsabsicht" enthalten hat. Oder gibt es irgendwo einen Einsatzbefehl, welcher ungefähr lautet: "vorwärts, Mannen, lasset uns mit Gruppenzerstörungsabsicht agieren"?

...aber diese kuriose Formulierung zeigt das Dilemma, welches entsteht, wenn man [...]

Also ich verstehe dich und ich hoffe, du verstehst mich auch nicht falsch, das ist jetzt ein ganz heißes Eisen! Aber jetzt ganz laienhaft: Gewisse Aufrufe im Dritten Reich ( auch in privaten Umfeld der nationalsozialistischen Führung, nicht in der Öffentlichkeit zwangsläufig) zur Vernichtung der Juden: sind das keine "Gruppenzerstörungsabsichtsaufrufe", wie du es so schön genannt hast?

Ich hoffe, ich habe mich nicht auf zu heißes Eisen bewegt!
 
vorweg: @Maglor, bitte sei mir nicht böse, weil ich eine etwas skurril-exotische Vokabel aus deinem Beitrag verwende und sie dabei auch noch aus dem Kontext herausreiße. Das ist keine Kritik an deinen Beiträgen zu diesem etwas absurden aus-anderem-Faden-Abtrennthema, die ich mit Interesse gelesen habe!

Ich bin nicht sonderlich glücklich mit dem Titel dieses Fadens. Denn egal wie man den Titel dreht und wendet und eventuell verallgemeinert (a la Genozide an Kolonialisten? oder ähnlich absurdem Zeugs), ist der Titel selber irgendwie polemisch und ahistorisch.
Das hier ist jetzt mein 2. Beitrag in diesem Faden, welcher derzeit den Titel Völkermord an deutschen Siedlern im Zuge des Herero Aufstands? trägt und Beiträge aus einem anderen Faden herausgetrennt hat. Meinen 1. Beitrag hier, eine Frage an @thanepower, hatte ich noch vor dieser Verschiebung gestellt - jetzt ist der Kontext durch den neuen Titel verändert. Und mit diesem Titel bin ich nicht einverstanden.

(Achtung: Irrealis!!) Wenn man böswillig polemisch loslegen will, könnte man der Titelgebung unterstellen, sie wolle jegliche kritische Stimme zur Einordnung der Niederschlagung des Herero Aufstands als Genozid lächerlich machen, indem kritische Gegenstimmen quasi greinen würden "buhuhu die bösen Indigenen in Afrika haben aber möglicherweise auch Völkermorde praktiziert, nicht nur untereinander, sondern auch an irgendwelchen Kolonisten" - und natürlich ist es leicht, auf eine solche unterschobene (!) *) Position einzudreschen. (Irrealis Ende)

Stutzig gemacht hat mich die Mühsal des Formulierens, des Findens von deskriptiven Formulierungen - hierfür als Beispiel:


Madonna! ...noch nie hat es irgendwo nachweislich einen "Genozid-Befehl" oder "Massenmord-Aufruf" gegeben, welcher dezidiert und explizit ein absurdes sprachliches Kuriosum wie "Gruppenzerstörungsabsicht" enthalten hat. Oder gibt es irgendwo einen Einsatzbefehl, welcher ungefähr lautet: "vorwärts, Mannen, lasset uns mit Gruppenzerstörungsabsicht agieren"?

...aber diese kuriose Formulierung zeigt das Dilemma, welches entsteht, wenn man immer weiter in der Geschichte rückwärts geht und dem historischen Geschehen partout moderne/heutige Bewertungen überstülpt.

An dieser Stelle kann natürlich der Einwand kommen: "aber der Kanon historisch-wissenschaftlicher Einordnung" - bon, wie überall in den Wissenschaften, ist auch hier das verbindliche letzte Wort noch nicht gefallen. Natürlich beweist die historische Wissenschaft die Gräuel des Kolonialismus & Imperlialismus des 19. & frühen 20.Jhs. - daran besteht gar kein Zweifel! - aber die Ettikettierung Genozid ist wegen ihrer immanenten Wertung problematisch. Denn: man sollte meinen, dass ein Genozid schrecklicher sei als diese oder jene andere gehäufte Untat. Hier muss ich gestehen, dass ich die durchaus sehr radikale Niederschlagung des Herero Aufstands horribile dictu für weniger schrecklich halte als die perversen Verstümmelungspraktiken in belgisch Kongo!

Ha! erwischt! könnte man jetzt sagen: das böse hererogenozidleugnende dekumatland fängt damit an, Vergleiche zu ziehen und will damit was kleinreden. ... nö: will ich gar nicht. Ich hab´ noch einen Trumpf im Ärmel: da gab es einen perversen Scheißkerl in der dt. Kolonialhistorie, der sich abseits jeglicher Genozid-Diskussionen den sehr zweifelhaften Lorbeer ans Revers heften kann, der darin besteht, den Greueln in belgisch Kongo nicht unterlegen zu sein: der Herr Carl Peters. Dieser Perverse hat sich nicht grundlos in Afrika den Spitznamen Hänge-Peters erworben!

Fazit:
die Greuel der Kolonialgeschichte des späten 19. / frühen 20. Jhs. müssen erforscht und aufgearbeitet werden! Sie sind allesamt ekelhaft schrecklich**)
Wenn aber aus dem Gros der Geschichte des Kolonialismus ein Moment herausgegriffen wird und die immanent hochmoralische Etikettierung "Genozid" erhält, und das unbeeindruckt von der Masse der Greuel innerhalb der Kolonialgeschichte, dann habe ich Zweifel daran, dass diese Ettikettierung tatsächlich nur rein historisch und nicht auch politisch motiviert ist. Um das deutlich und krass zu sagen: die Verstümmelungspraktiken in belgisch Kongo sind enger verwandt mit perversen Praktiken in KZs als das brutale "plattmachen" der Hereros... Insofern: eine dezidiert deutsche Kontinuitätstheorie der perversen Grausamkeiten wird sich aus der ohnehin schrecklichen Kolonialgeschichte nicht ableiten lassen.

Ich halte es für historisch sinnlos, in der Kolonialgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jhs. partout nach Genoziden zu suchen - denn einerseits verfügt diese Geschichte über mehr als genug atemberaubende Grausamkeiten, andererseits überdeckt die Ettikettierung "das da ist Genozid, das da nicht" im Kontext der Kolonialgeschichte jene Gräuel, die ggf noch gräßlicher sind, auch wenn sie keine "Gruppe(n)" ausrotten (s.o. zu belgischen Praktiken)

...jetzt bin ich gespannt, ob ich Rotbommel kassiere, weil mein Beitrag als kleinreden missverstanden wird...
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*) durch den ahistorisch-absurden Titel - Titel/Schlagzeilen können prima polemisch sein :winke:
**) das bestürzende daran ist: das belle epoque Paris und zeitgleich Jugendstil-Berlin & Wien etc sind kulturhistorische Größen, an denen keinerlei Zweifel besteht. Claude Debussy, Maurice Ravel, Claude Monet, Gustav Mahler, Marcel Proust, Theodor Fontane, Guiseppe Verdi usw usw usw sie alle waren Zeitgenossen des Spätkolonialismus - und nichts von den Greueln in den Kolonien überschattet ihre Werke...

Auch mir ging es im anderen thread nicht darum die Kolonialgeschichte umzuschreiben, zu verherrlich oder zu beschönigen. Aber gerade deine Beurteilung "Wenn aber aus dem Gros der Geschichte des Kolonialismus ein Moment herausgegriffen wird und die immanent hochmoralische Etikettierung "Genozid" erhält, und das unbeeindruckt von der Masse der Greuel innerhalb der Kolonialgeschichte, dann habe ich Zweifel daran, dass diese Ettikettierung tatsächlich nur rein historisch und nicht auch politisch motiviert ist......Ich halte es für historisch sinnlos, in der Kolonialgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jhs. partout nach Genoziden zu suchen - denn einerseits verfügt diese Geschichte über mehr als genug atemberaubende Grausamkeiten, andererseits überdeckt die Ettikettierung "das da ist Genozid, das da nicht" im Kontext der Kolonialgeschichte jene Gräuel, die ggf noch gräßlicher sind, auch wenn sie keine "Gruppe(n)" ausrotten (s.o. zu belgischen Praktiken)" teile ich uneingeschränkt.
 
Der Threadtitel ist tatsächlich auch besondere Weise provokant, trotz des kleinen Fragens. Vielleicht ist ein Arbeitstitel wie "Massaker der Herero an deutschen Farmern" sinnvoller, aber dann müsste ja das Fragenzeichen entfallen.

Ansonsten gibt es noch ein weiteres Dokument zu den Motiven der Herero.

In einem Brief an Leutwein erklärt Maharero nicht er habe den Krieg begonnen, sondern die Deutschen. Durch die Demütigungen gewaltsamen Übergriffe und die wirtschaftliche Ausbeutung hätten den Krieg ausgelöst. Es geht hierbei insbesondere auch um Herero, die während der Zwangsarbeit durch ihrere Aufseher ermordet wurde und um Händler, die Herero töteten und Vieh stahlen, um ihre Schulden einzutreiben. Samuel Maharero unterscheidet nicht zwischen Kriegshandlungen und den sonstigen Gewalttaten, seien sie von deutschen Privatleuten und Staatsvertretern begangen worden.
Die jüngste Eskalation mit den Massakern an deutschen Farmern begründet er mit einem Streit zwischen ihm und Leutnant Zürn. Zürn habe geplant Maharero zu töten.
Samuel Maharero schrieb:
Darauf schickte Leutnant Leute mit Gewehren, mich zu erschießen. Darüber wurde ich zornig und sagte: jetzt bin ich genötigt, die Weißen zu töten, (sei es dass) ich sterbe. ...
So hat der Krieg angefangen. Er ist begonnen worden von Händlern und Leutnant Zürn.
Samuel Maharero wurde also durch diese miese Behandlung so zornig, dass er sich gezwungen sah, alle Weißen zu töten. Er verlangt Satisfaktion und nimmt dafür den eigenen Tod in Kauf. Den Herero-Aufstand stilisiert er teilweise zu einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Leutnant Zürn, die aber gleichzeitig eine Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Herero sein muss. In diesem Brief differenziert Maharero noch nicht zwischen Buren, Engländern und Deutschen.
 
die Greuel der Kolonialgeschichte des späten 19. / frühen 20. Jhs. müssen erforscht und aufgearbeitet werden!

Sie werden ja aufgearbeitet und zwar sehr breit in der thematischen Ausrichtung (vgl. beispielsweise die Beiträge oder Literaturhinweise in Bloxham und Gellately). Insofern kann ich absolut nicht nachvollziehen, dass hier der Eindruck erzeugt wird, als sei die Literatur zum Genozid an den Herero besonders dominant in seiner Stellung zum Thema Genozidforschung.

Es werden in diesen Publikationen Genozide in Australien, in Indonesien, in der Karibik und in Amerika etc. in den Beiträgen benannt. Explizit alle als Genozid betitelt und auch so dargestellt.

Systematisch und umfangreich beispielsweise auch die Darstellung der Ursachen von Genoziden in der wichtigen Studie bei Mann, völlig losgelöst von irgendwelchen nationalen Befindlichkeiten. Oder die wichtige Studie von Power zur Stellung der USA zu Genoziden im letzten Jahrhundert.

Allerdings gibt es durchaus eine beachtliche Literatur zu diesem Thema „Herero-Genozid“, die jedoch eher als „Insiderdiskussion“ in den entsprechenden Publikationen in Erscheinung tritt. Einen breiten Überblick der internationalen Diskussion bietet beispielsweise Sarkin zu dem Thema, die bisher nur am Rande überhaupt in der Diskussion in diesem Forum eine Rolle gespielt hat. Und die genau die ca. 90 Prozent darstellen, die von einem Genozid an den Herero ausgehen.

Wenn aber aus dem Gros der Geschichte des Kolonialismus ein Moment herausgegriffen wird und die immanent hochmoralische Etikettierung "Genozid" erhält, und das unbeeindruckt von der Masse der Greuel innerhalb der Kolonialgeschichte, dann habe ich Zweifel daran, dass diese Ettikettierung tatsächlich nur rein historisch und nicht auch politisch motiviert ist.

Es gibt eine sehr umfangreiche Diskussion zum Verhältnis von Kolonialismus und Genozid, wie an den Publikationen von Moses oder Bloxham als Herausgeber leicht erkennbar ist, die stark in der Kontinuität von Lemkin argumentieren. Ähnlich umfassend ist beispielsweise der Zugang bei Weitz.

Die Breite der internationalen Diskussion über Genozide im Zuge des Kolonialismus / Imperialismus insgesamt läßt dann doch Zweifel aufkommen, ob die Benennung des Genozids an den Herero – als ein Genozid unter anderen - eine politische Manipulation darstellen kann. Dafür ist doch insgesamt die Liste zu breit angelegt, welche historischen Ereignisse als „Genozid“ durch die UN definiert worden sind.

Und diese "offiziellen" Genozide bilden ja nur einen kleinen Teil der "Genozide", die in der Literatur zusätzlich diskutiert werden.

Darüberhinaus impliziert die These, dass es eine Art „Verschwörung“ geben würde, die die Klassifikation des „Herero-Genozids“manipulieren konnte. Gemessen an der Internationalität der mit dem Thema befaßten Gruppe, die Juristen, Politiker und Wissenschaftler umfaßt, eine durchaus „erklärungsbedürftige“ These.

Oder anders gesagt bzw. gefragt: „Wer hätte das denn so manipulieren können, das es nachhaltig die Weltmeinung beienflußt?“

Insgesamt kann man an der Diskussion noch erkennen, dass manche hier im Forum zu stark an der rechtlichen Bewertung von Genoziden orientiert sind und die viel breitere Diskussion über Genozide in der restlichen Forschung nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Bloxham, Donald; Moses, A. Dirk (Hg.) (2013): The Oxford handbook of genocide studies. Oxford, New York: Oxford University Press (Oxford handbooks).
Gellately, Robert; Kiernan, Ben (Hg.) (2003): The specter of genocide. Mass murder in historical perspective. Cambridge, New York: Cambridge University Press.
Mann (2004): The Dark Side of Democracy. Explaining Ethnic Cleansing: Cambridge University Press.
Moses, A. Dirk (2008): Empire, colony, genocide. Conquest, occupation, and subaltern resistance in world history. New York [u.a.]: Berghahn Books
Moses, A. Dirk; Stone, Dan (2007): Colonialism and genocide. London,New York: Routledge.
Power, Samantha (2002): A problem from hell. America and the age of genocide. New York: Basic Books.
Sarkin-Hughes, Jeremy (2011): Germany's genocide of the Herero. Kaiser Wilhelm II, his general, his settlers, his soldiers. Cape Town, South Africa, Woodbridge, Suffolk, UK, Rochester, NY: UCT Press; James Currey.
Weitz, Eric D. (2015): A century of genocide. Utopias of race and nation. Princeton and Oxford: Princeton University Press.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal aus Interesse, findest du nicht, dass du hier einseitig Literatur widergibst? Fällt mir relativ oft auf, dass du eigenltich nur mit Literatur als Sammelsurium argumentierst. Ganz im Gegensatz zu sliesia, der daraus eigentlich fast immer Schlüsse zieht.
 
Thane will m.E. die Debatte hier in Forum ein bisschen versachlichen. Er weist zu recht darauf hin, dass koloniale Greuel umfassend in der Forschung behandelt werden. Und die Auseinandersetzung um den Herero-Konflikt keine singuläre einseitige Verurteilung deutscher Verbrechen darstellt. Dafür ist seine lange Literaturliste durchaus sinnvoll.

Auch wenn natürlich kein Schwein seine Autoren kennt.
 
Mal aus Interesse, findest du nicht, dass du hier einseitig Literatur widergibst? Fällt mir relativ oft auf, dass du eigenltich nur mit Literatur als Sammelsurium argumentierst. Ganz im Gegensatz zu sliesia, der daraus eigentlich fast immer Schlüsse zieht.

Du irrst, einige davon habe ich bereits inhaltlich in diesem Forum in Argumentationen einbezogen.

Ansonsten gibt es wohl unterschiedliche Sichten auf dieses Thema und die angeführte Literatur wird sicherlich noch in der weiteren Diskussion über Genozide eine Rolle spielen.

Zumindest ist es für mich nicht akzeptabel, wenn hier eine verzerrte Sicht auf den Forschungsstand zum Thema Genozid vorgenommen wird. Deswegen auch die Hinweise!

Es freut mich, dass Dir die Beiträge von Silesia gefallen, Mir gefallen sie auch und ich arbeite daran, so perfekt wie Silesia zu werden. Bis dahin übe ich halt noch ein wenig.

Sollten Dir meine Beiträge nicht gefallen, was ich Dir sofort glaube, dann darfst Du das gerne entsprechend durch eine Bewertung deutlich machen.

Und ansonsten werde ich mich nur noch inhaltlich zu diesen Themen äußern und nicht mehr auf dieser ad personam ausgerichteten Diskussion antworten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bewerte nicht negativ, wenn überhaupt, ich finde negative Bewertungen einem Forum mit diesem Niveau angemessen. Danke für die Klarstellung, auf die unterschwelligen Kommentare gehe ich nicht ein.

Thane will m.E. die Debatte hier in Forum ein bisschen versachlichen. Er weist zu recht darauf hin, dass koloniale Greuel umfassend in der Forschung behandelt werden. Und die Auseinandersetzung um den Herero-Konflikt keine singuläre einseitige Verurteilung deutscher Verbrechen darstellt. Dafür ist seine lange Literaturliste durchaus sinnvoll.

Auch wenn natürlich kein Schwein seine Autoren kennt.

Ich sehe es ja inhaltlich mehheitlich genauso, Maglors Einwand angesichts der Formulierung im VStGB fande ich sehr interessant und überlegenswert und habe insbesondere die Diskussion mit großem Interesse verfolgt.
 
Zuletzt bearbeitet:
@thanepower
Sie werden ja aufgearbeitet und zwar sehr breit in der thematischen Ausrichtung (vgl. beispielsweise die Beiträge oder Literaturhinweise in Bloxham und Gellately).
das ist ja auch erfreulich! Das muss so sein.
Übrigens kenne ich einen Historiker, der sich mit der Wirtschaftsgeschichte der dt. Kolonien befasst hat, persönlich recht gut (die Kolonien waren unterm Strich ein Minusgeschäft) Seine Veröffentlichungen zu dieser Thematik gelten inzwischen als Standard bzw. Referenz.
Auch wenn ich selber kein Historiker bin, kann ich dir dennoch versichern, dass mir ein Gutteil der Fachliteratur zur Kolonialgeschichte bekannt ist (inklusive diverser Kontroversen) ((ich kann ja eine wiss. Quelle privat "anzapfen"))
Insofern kann ich absolut nicht nachvollziehen, dass hier der Eindruck erzeugt wird, als sei die Literatur zum Genozid an den Herero besonders dominant in seiner Stellung zum Thema Genozidforschung.
Ich erkläre meine Betrachtungsweise / Blickwinkel gerne nochmals:
1. die Historie der Greuel im Kontext des Kolonialismus/Imperialismus des späten 19. & frühen 20. Jhs. ist mir bekannt.
2. die Militärgeschichte dieses Zeitraums ebenfalls (und ich leugne nicht, dass mich mein langjähriges Hobbyinteresse "Festungsbau" dahin gebracht hat)*)
3. im Kontext der Kolonialgeschichte des späten 19. & frhen 20. Jhs. taucht der Begriff "Genozid" gelegentlich auf.
--- das macht mich dann neugierig
denn 4. handelt es sich hierbei um ein gedankliches/begriffliches Konstrukt aus den frühen 40er Jahren des 20. Jhs., welches explizit primär "die deutschen Verbrechen in Polen" Stand 1943 zum Anlass der Begriffsbildung nimmt https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord#Begriffsgeschichte
5. die Begriffsgeschichte des Genozids rekurriert explizit auf die systematischen Greuel des Nazi-Regimes, auf den Holocaust. Der Begriff des Genozids wollte/sollte also Kriterien entwickeln, welche gemessen/orientiert an den systematischen/bürokratisch-organisierten Nazi-Greueln sind
--- und genau da, angesichts dieses Definitionsversuchs, wird es problematisch, wenn man ihn rückwärts blickend auf historische Ereignisse vor 1943 anwendet: den aktiv Beteiligten vor 1943 war die Begriffsdefinition unbekannt.

Ja, natürlich habe ich bei Tante Wiki - die ich ja selber zitiere/verlinke - die Liste der allgemein anerkannten Genozide gesehen -- trotzdem überzeugt mich diese nicht! Für die Zeit vor 1943 werden Herero Aufstand und Armenien genannt; ein eigener Abschnitt über Belgien... da zitiere spaßeshalber wörtlich aus Tante Wiki:
Ob der Massenmord im Kongo, trotz seiner genozidalen Ausmaße ein Völkermord war, ist umstritten. Denn es wurde nicht planmäßig versucht eine bestimmte ethnische Gruppe zu vernichten, sondern der Massenmord war die Folge extremer Ausbeutung.
aus https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord#Begriffsgeschichte ...soso... "der Massenmord [sic!] war die Folge extremer Ausbeutung"... ...

...aus Tante Wiki lerne ich also, dass der planmäßige Versuch, eine bestimmte ethnische Gruppe zu vernichten gegeben sein muss, um den Tatbestand des Genozids zu rechtfertigen. Hier scheint mir das zitierte "planmäßig" und das zitierte "ethnische Gruppe zu vernichten" relevant - trifft das auf die Niederschlagung des Herero Aufstands zu? Gibt es nachweislich einen Plan, der genau das systematisch beinhaltet?

Nach meiner Kenntnis gibt es keinen solchen systematischen Plan - bestenfalls kann man versuchen, derartiges in die schriftlichen Quellen hinein zu interpretieren.

Aber
das alles sind nur Spitzfindigkeiten bzgl. der Begriffsbildung.

Was mich an diesem Faden hier interessiert, ist ganz was anderes: wenn wir die Fiktion konstruieren, dass eine indigene Bevölkerung sich gegen Kolonisatoren erhebt und die Kolonisatoren (Militär, Verwaltung, Farmer, Siedler usw.) ausrottet (also alle totmacht) und auch genau diese Absicht mitteilt - wäre das dann ein "Genozid" oder "nur" ein Massenmord oder nur eine ilitärische Maßnahme?

Und weiterhin interessiert mich die moralische Einordnung des Völkermords. Ich unterstelle einfach, dass Völkermord/Genozid als deutlich schlimmer bewertet wird als irgendwelche anderen Greuel. So a la X hat Genozid begangen, Y hat nur bissle gemassenmordet... Hier kann ich nur sagen, dass die Kolonialgeschichte weitaus schlimmeres aufweist als das versuchte/beabsichtigte plattmachen eine (relativ kleinen) ethnischen Gruppe.





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*) erstaunlicherweise hielt das dt. Kaiserreich es weder in den afrikan. Kolonien noch auf den Südseeinseln für nötig, der militärischen Präsenz mittels starker Fortifikation(en) Nachdruck zu verleihen; einzig in Tsingtau baute man eine starke moderne Panzerfortifikation (Festung Tsingtao)
 
Was mich an diesem Faden hier interessiert, ist ganz was anderes: wenn wir die Fiktion konstruieren, dass eine indigene Bevölkerung sich gegen Kolonisatoren erhebt und die Kolonisatoren (Militär, Verwaltung, Farmer, Siedler usw.) ausrottet (also alle totmacht) und auch genau diese Absicht mitteilt - wäre das dann ein "Genozid" oder "nur" ein Massenmord oder nur eine ilitärische Maßnahme?
Diese Fiktion wird bereits im Deutschen Kolonial-Lexikon von 1920 konstruiert.

Unter dem Lemma Hererokrieg wird es folgendermaßen ausgedrückt:

Die Erhebung begann mit der ziemlich gleichzeitigen Ermordung aller Weißen im mittleren Schutzgebiet - mit Ausnahme der Engländer, Missionare und Buren -, Plünderung der Farmen und Viehdiebstählen.

Allerdings verschweigt das Lexikon die Verschonung der deutschen Frauen und Kinder.
Auffällig ist, dass im Lexikon von den "Weißen" die Rede und nicht von den Deutschen. Dabei lautete der Befehl von Samual Maharero buchstäblich "tötet alle Deutschen".
So wird schon der Aufstand der Herero gegen die deutsche Kolonialmacht im Lexikon ideologisch zum Kampf gegen die Weißen verdreht.
Die Niederschlagung des Aufstandes wird im Lexikon mit dem mediziniscen Terminus der "ersten Hilfe" bezeichnet, der Tod in die Wüste, also der Völkermord an den Herero als Vollendung des "Schicksals" der Herero verklärt. Deutsche Täter gibt es in dieser ideologischen Darstellung nicht.

Unter dem Lemma Herero wird die "Blutrünstigkeit" der Herero betont und zwar als grundsätzliche "Charaktereigenschaft" ihres Volkes bzw. ihrer Rasse.
Hier wird dann auch behauptet, die Herero hätten während des Aufstandes Frauen und Kinder aus reinen "Blutdurst" gemartert. Martern bedeutet so viel wie Foltern oder Schänden. Es scheint sich hierbei eher um erfundene Verbrechen zu handeln, deren Details der Phantasie des Lesers überlassen werden. Jedenfalls wird unterstellt, dass die Herero triebhaft nach Art iher Rasse agiert und eben keine Militärtaktik gehabt hätten.

Zusätzlich zur Umdeutung des Aufstandes gegen die deutsche Herrschaft zum Rassenkonflikt liefert der Lexikonartikel "Herero" aber noch diese besonders seltsame Erklärung vom Krieg der "Weltanschauungen":

Hier standen sich eben nicht nur zwei Rassen, sondern, was man in Europa gar nicht beachtet hat, zwei Weltanschauungen gegenüber, diejenige des fortgeschrittenen Kulturmenschen mit seinem ausgeprägten Individualismus und die naivsozialistische des Hirtenvolkes. Diese mußte im Interesse des Landes unterliegen, daran darf auch derjenige nicht Kritik üben, der sich voll auf die Seite der Eingeborenenrechte stellt. Eine gewisse Tragik in dem Untergange des Hererovolkes als solchem wird man gleichwohl zugeben müssen; sie ist eben in jenem Gegensatze der Anschauungen begründet.

Der "Untergang" gilt dort als notwendiger Entwicklungsschritt, der aus den verbliebenen Resten des ehemaligen Hirtenvolkes Arbeiter in einer kulturell höher entwickelten Gesellschaft machen sollte.
Krasser kann man den Völkermord nicht schönreden.
 
Vielleicht mal eine allgemeine Frage dazu: In diesem Forum wird ja an anderer Stelle immer mal wieder (mit zum Teil ganz guten Argumenten) die Tragfähigkeit von ethnischen (oder gar völkischen) Kategorien in Zweifel gezogen. Diese Kritik ist, denke ich, auch allgemein und nicht nur auf einen spezifischen Fall bezogen zu verstehen.
Müsste aus einer solchen Perspektive nicht auch ein Begriff wie Völkermord an Tragfähigkeit verlieren?
(Was die Schwere der mit diesem Begriff gemeinten Verbrechen, meine ich, nicht mindern würde.)
 
Das verstehe ich nicht.

Geht es um den Begriff oder die juristische Kategorie/Tatbestand "Völker"-mord (Genozid)?
 
Die juristische Kategorie "Völkermord" kann man natürlich nicht leugnen, weil es sie genauso wie es die Begriffe "Volk" oder "Ethnie" halt einfach gibt. Wenn man aber, mal im Extrem, meint, dass die Begriffe "Volk" oder "Ethnie" eigentlich keine wissenschaftliche Grundlage haben können, dann müsste man das auch für den juristschen Begriff "Völkermord" annehmen.
 
Die alten Begriffe Völkerrecht, Völkermord, Völkerstrafrecht etc. sind allerdings von unwissenschaftlichen völkischen Inhalten, völkischer "Perspektive", völkisch verklärten Kategorien zu trennen.

Sie beziehen sich auf Staaten, kulturell/sozial/ethnisch etc. definierbare Gruppen. Dafür braucht es keine "völkischen" Kategorien.
 
Ok, wenn sich aber der Begriff Völkermord auf ethnisch definierbare Gruppen bezieht, braucht es halt ethnische Kategorien.
 
Das ist einfach, weil der Genozid die Kategorisierung relativ offen lässt.

Wenn jemand demnach Verganer, große Nasen, Aluhüte oder "alle aus Hintertupfingen" als Ziel hätte, wäre die Subsumtion unter Genozid möglich. Kulturelle Kategorien laufen entsprechend.
 
Ok, wenn sich aber der Begriff Völkermord auf ethnisch definierbare Gruppen bezieht, braucht es halt ethnische Kategorien.

Dann aber kommt man nicht weiter, denn dann müsste man Volks- und Ethnienbegriffe wirklich eindeutig und abgrenzbar formulieren können.
Sehe aber, von vielleicht der Staatsbürgerschaft als Kategorie, abgesehen nicht.

Ob man die Hereros nun also als ethnische Gruppe definieren kann, würde demnach wohl davon abhängen, ob sich genügend objektive Merkmale die Gemeinschaftlich auf alle Teilstämme der Herero die erfasst werden sollten, zutreffen um daraus eine Ethnie konstruieren zu können.

Wie kompliziert das ist, kann man sich ja vielleicht, im Rahmen des Versailler Vertrags mal ansehen, als es dann darum ging in den Umstrittenen Gebieten im Osten zu trennen, was denn nun genau ein "Deutscher" oder ein "Pole" sei.
Dann ist man bei sprachlichen Kategorien, bei Abstammungen, Staatsbürgerschaften, Volksbräuchen, Primärsprachen, Religionen/Konfessionen, etc.

Und dann sollte man im, kontext auf Kolonien auch den Kulturtransfer und assimilierenden Einfluss der Kolonialmächte nicht außen vor lassen.

Kann man im ethnischen Sinn einen Herero, der zur Zeit der Ereignisse seine nomadische Lebensweise aufgegeben und sich etwa in der Nähe von Windhuk niedergelassen hatte, der sich vielleicht den Protestantismus angenommen hatte, westliche Kleidung trug und mittlerweile auch ganz gut Deutsch sprach, noch als authentischen "Herero" bezeichnen?
Um da jetzt ein Extrembeispiel anzugeben.

Die Krux bei der Thematik Völkermord liegt ja darin, dass gefordert ist, dass derjenige, der so etwas betreibt von sich aus die Absicht hat eine bestimmte Gruppe oder Teile davon physisch zu vernichten oder zu vertreiben.
D.h. der dezidiert gewollte Vernichtungsexzess müsste sich in seinen wesentlichen Zügen auf diese Gruppe beschrenken.

Jetzt hat man von Deutscher Seite her die Herero zwar sicherlich als einheitliche Gruppe betrachtet, wollte man aber streng an ethnischen Kategorien orientiert arbeiten, müsste man erstmal feststellen, ob sich aus den Herero wirklich eine homogen zusammenhängende ethnische Gruppe konstruieren lässt, oder ob man nach entsprechenden historischen und antropologischen Untersuchungen nicht zu dem Schluss kommen müsste, dass das was die Deutschen damals unter dem Schlagwort "Herero" in einen Topf warfen, in sich ethnisch, je nachdem welches Set an Merkmalen man anlegte, derartig verschieden war, dass es rechtfertigen würde hier von verschiedenen Ethnien zu sprechen.
Wäre das das Fall, dann müsste man sagen, dass unter rein ethnischen Kategorien, wenn man sich darauf beschränken wollte, es sich nicht um einen Völkermord handelte, weil der Völkermord als solcher das Vorgehen gegen eine abgrenzbare Gruppe voraussetzt, während dann hier von derselben Aktion aber mehrere Gruppen betroffen gewesen wären.
In diesem Sinne hätte dann ein gewisser Herr v. Trotha keinen Völkermord begangen, sondern den untauglichen Versuch eines Völkermords, weil er die Gruppen, gegen die er da befahl vorzugehen subjektiv zwar für eine einzige ethnisch fest definierbare Gruppe hielt, dem aber objektiv betrachtet nicht so war.

Der Begriff "Volk" ist schon wegen seiner historischen Wandlungen und wegen der Forderung dass bereits ein Vorgehen gegen Teilelemente der gesammten Gruppe hinreichend sei, hochproblematisch.

Das Verständnis, dass der Begriff "Volk" sich im Speziellen auf irgendeine Gruppe im nationalen Sinne beziehen würde, ist ja eher neueren Ursprungs, in älteren Vorstellungen ist es ja auch nicht selten vorgekommen, etwa die Angehörigen derselben Religion als eigenes Volk zu fassen oder bei manchen sozialistischen Theoretiker sich dazu zu versteigen, die Gemeinschaft der arbeitenden Menschen als ein Volk oder eine Nation der Arbeiter, Werktätigen oder was auch immer aufzufassen.
Un daneben dann die sehr eng gefassten Definitionen des 20. Jahrhunderts, dass ist, würde ich meinen äußerst schwierig, wegen mangelnder Bestimmtheit des Volksbegriffes



Wenn man mich fragt:

Der die Kategorie "Ethnie" ist viel zu beliebig gefasst und der Begriff "Volk" viel zu weit, wenn man nach sämtlichen Möglichkeiten geht, das historisch auszulegen.


Was den Terminus "Volkermord" angeht, da @Clemens64 fragte, ob dieser durch das Inzweifelziehen dieser Kategorien nicht zwangsläufig seine Fassbarkeit verlieren müsste:

Meiner Meinung nach nein.

Denn neben der Kategorie "Genozid" als Völkermord, ist ja in dieser Diskussion bereits vor einiger Zeit auch schon das konzeptionelle Modell eines "Demozids" aufgekommen:

Demozid – Wikipedia

Ließe sich genau so mit "Völkermord" übersetzen, stellt aber auf differenziertere und fassbarere Kategorien ab. Auch wird in dieser Hinsicht keine 2-Klassen-Gesellschaft geschaffen, die man hätte, wenn man das Vorgehen gegen im engen Sinn verstandene Volks, Ethnischen oder Religiösen Gruppen, anders beurteilen wollte, als bei anderen Gruppierungen.

Insofern, was die Termini angeht:

"Völkermord" und auch "Genozid" halte ich beide, im Sinne des "Demozids" für tragbare Kategorien und sinnvolle Begrifflichkeiten.
"Völkermord" deswegen, weil der Begriff im Prinzip wenn man die historisch unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten von "Volk" berücksichtigt, so in etwa das gesamte Spektrum eines "Demozids" passend beschreiben kann.
Den Genozid ferner als eine spezielle Unterkategorie, die bestimmte Formen eines Demozids tauglich beschreiben kann, also im Sinne einer zusätzlichen Qualifikation.

Wovon ich mich verabschieden würde, ist den Begriff "Genozid" mit "Völkermord" gleichzusetzen, weil man, denke ich der Meinung sein kann, das es im Sinne des Demozids durchaus Völkermorde geben kann, die sich jenseits der ursprünglichen Definitionskriterien eines "Genozids" bewegen.
 
In dem 2002 [!] neu geschaffenen Gesetz [§ 6 VStGB] werden erstmals neben dem Völkermord auch die anderen völkerstrafrechtlichen Kernverbrechen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen der Aggression) explizit unter Strafe.

Schutzgut der Vorschrift ist allein die physische und soziale Existenz der genannten Gruppen und damit ein kollektives Rechtsgut. Tatbestandsvoraussetzungen/Geschützte Gruppen und Tathandlungen:

Unter dem Begriff der Gruppe iSd § 6 I VStGB ist grundsätzlich jede Personenmehrheit zu verstehen, die durch gemeinsame Merkmale verbunden ist und sich somit von der übrigen Bevölkerung abhebt. Die Kennzeichnung einer Mehrzahl von Personen als entsprechende Gruppe kann hierbei jedoch nicht allein anhand objektiver Kriterien erfolgen, sondern ist auch immer als Akt der sozialen Zuschreibung zu verstehen, der durch die Gruppenmitglieder selbst oder durch Dritte vorgenommen wird.

zB und statt vieler: Antoni, JuS 2020, S. 19
 
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